Herausgegeben
im Auftrag des Weißenseer Arbeitskreises
(Kirchliche
Bruderschaft in Berlin)
Weißenseer
Blätter Verlag und v. i. S. d. P. Hanfried Müller
Ehrlichstraße
75 - D - 10318 Berlin
Heft
1 / 2005
Aus dem Inhalt 1 / 2005
Zu diesem Heft
„Fünf Punkte, die für Christen unaufgebbar sind" / Erklärung der
United Church of Christ (USA) 3
Mai 1945. Erlebnis - Erinnerung - Geschichte / Hanfried Müller
Drei Stimmen zur antifaschistisch-demokratischen Umwälzung in den Köpfen /
Texte von Karl Barth - Thomas Mann - Albert Einstein
Das Vermächtnis von Buchenwald – gestern, heute, morgen / Horst Schneider
Naziaufmärsche gehören zur bundesdeutschen Rechtsordnung / Erich Buchholz
Richtungskämpfe müssen ausgefochten werden / Hans Heinz Holz
Arbeiterklasse, Zerfall, Organisation und Perspektive / Manfred Sohn
Zum Terrorismus. Grundlagen und Charakteristisches / Hans Kölsch
Damals Vietnam - heute Irak / Gerhard Feldbauer
Dokumentation: Die DKP zur Besetzung des Irak (Auszug)
Der 17. Parteitag der DKP
in der Sicht eines westdeutschen Kommunisten / Karl Anders
in der Sicht eines ostdeutschen Kommunisten / Hans-Günter Szalkiewicz
Wider die Islamophobie. Ein Brief des Jüdischen Kulturvereins Berlin e.V.
Erschreckende Parallelen / Hanfried Müller
Literaturhinweise:
Der Drahtzieher. Vernon Walters - Ein Geheimdienstgeneral des Kalten Krieges
Ein neues Topos-Heft zu Peter Hacks
Einladung zu einer festlichen Veranstaltung anläßlich des 60. Jahrestages der
Befreiung vom Faschismus
Zu diesem Heft
Wir beginnen dies Heft mit einer erfreulich besonnenen Stimme
einer Kirche aus den USA: der Erklärung der United Church of Christ (mit der
Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg in Kirchengemeinschaft verbunden) und
stellen sie unter die, diesem Bekenntnistext entnommene, Überschrift: „Fünf
Punkte, die für Christen unaufgebbar sind".
Nicht nur formal, sondern noch viel mehr inhaltlich erinnern
diese Thesen und Verwerfungen an die Theologische Erklärung von Barmen, mit dem
ein Rest der deutschen evangelischen Kirche nach einer allzu langen Zeit der
Verwirrung und Lähmung 1934 endlich darauf hinzuweisen begann, daß das mit
christlichen Vokabeln untersetzte religiöse Geschwätz der vom faschistischen
Nationalismus Trunkenen alles andere als christlich sei. Die Freude über diese
selbstkritische Mahnung aus den USA wird allerdings getrübt. Denn was sich bei
uns zu Lande schamlos Kirche nennt, scheint weniger denn je zu begreifen, wie
nötig wir selbst angesichts der hier wuchernden civil religion solch eine
Besinnung hätten.
An den Tag der Befreiung erinnern wir einleitend mit Hanfried
Müllers Rückblick auf den Mai 1945: Befreiung. Erlebnis - Erinnerung
- Geschichte. Es folgen drei Dokumentationen aus der Feder sehr
unterschiedlich geprägter Zeugen deutscher Kultur gegen die in Deutschland zur
Macht gekommene Barbarei, nämlich von Karl Barth, Thomas Mann und Albert
Einstein. Sie zeigen, wie man sich damals in bürgerlichen Kreisen die Freiheit
vorstellte, zu der Deutschland, zur Selbstbefreiung nicht mehr fähig, von
außen befreit wurde: grenzenlos mit Ausnahme nur dessen, was sich als unfähig
erwiesen hatte, dem Faschismus Stand zu halten. Sie widerspiegeln auch die
widersprüchliche Weite der Perspektiven, die sich damals dieser „Antihitlerkoalition"
eröffneten, in der sich - anders als in der Koalition zwischen
imperialistischen Konkurrenten des deutschen Faschismus und seinen
sowjetisch-kommunistischen Todfeinden - über Klassengrenzen hinweg diejenigen
getroffen hatten, denen die Nazis mit ihrer Angriffswut gegen alle humane
Entwicklung unerträglich gewesen waren. Aber auch diese „Antihitlerkoalition"
wurde immer unwirksamer, je mehr viele in ihr der Verführung erlagen, die
Wiederaufnahme der antikommunistischen Offensive der Faschisten durch die
imperialistischen Partner der Antihitlerkoalition neutralistisch als von beiden
Seiten zu verantwortenden „kalten Krieg" zu verstehen und sich so
neutralisieren zu lassen.
Die Erinnerung an den Tag der Befreiung schließt Horst
Schneider ab mit seinem Beitrag: Das Vermächtnis von Buchenwald - gestern,
heute, morgen. Dabei steht die Erinnerung an die Befreiung desjenigen KZ,
dem die Selbstbefreiung gelang, und an den Schwur von Buchenwald nicht nur
stellvertretend für alle 1945 durch den Sieg der Antihitlerkoalition aus
Zuchthäusern, Vernichtungs- und Konzentrationslagern Befreiten, sondern
insgesamt für die Befreiung Deutschlands vom Faschismus - so wenig sich auch
seine herrschende Klasse und allzu viele ihr bis heute Hörige solcher Befreiung
würdig erwiesen haben. Wie wenig sie dieser Befreiung würdig waren, zeigen sie
bis heute, indem sie das Wort „Befreiung" wie die Pest scheuen und
verschämt vom „Kriegsende", wenn nicht gar nur vom „verlorenen
Krieg" reden. Verloren hatten ihren Krieg die Faschisten! Es ist
bedrückend, wie viele Deutsche sich mit dem Satz vom verlorenen Krieg immer
noch mit ihnen identifizieren und sich folgerichtig freuen, daß die Nachkommen
der Faschisten allerdings nachträglich mit der Konterrevolution in halb Europa
ihren Krieg doch noch gewonnen zu haben scheinen! Daß dieser postume Sieg von
1989 für das deutsche Volk furchtbare Verluste bedeutet, dringt erst
allmählich, zu spät und immer wieder verdrängt, ins Bewußtsein deutscher
Massen.
Wohin diese Restauration der gesellschaftlichen
Ausgangsverhältnisse für den Sieg des Faschismus im vorigen Jahrhundert
geführt hat, zeigt erschreckend der Aufsatz von Erich Buchholz: Naziaufmärsche
gehören zur bundesdeutschen Rechtsordnung. Sechzig Jahre nach dem Potsdamer
Abkommen klingt diese Überschrift höchst makaber, trifft aber leider zu bis
auf die Frage, ob man diese „Rechtsordnung" nicht treffender „Unrechtsunordnung"
nennen müßte
Das Potsdamer Abkommen war für deutsche Antifaschisten und
Antinazis - obgleich auch sie unter manchen seiner Konsequenzen zu leiden hatten
- die Magna Charta ihrer Befreiung vom Faschismus. Für die deutschen Faschisten
und ihre Anhänger und Mitläufer, - sie stellten zumindest bis zur Wende mit
der Schlacht von Stalingrad und der Landung der Westalliierten in der Normandie
die quantitative Mehrheit aller Deutschen - war und ist es das grundlegende
Dokument ihrer Niederlage. Nur in der sowjetisch besetzten Zone wurde es
realisiert. In den drei westlichen Besetzungszonen versetzte es zumindest für
einige Monate die Faschisten und viele, die sich durch Anpassung an sie und
Kooperation mit ihnen kompromittiert hatten, in heilsame Angst und heilsamen
Schrecken.
Hier begann in dieser Zeit insbesondere in der Kirche eine
harte Auseinandersetzung über die jüngere deutsche Geschichte, die sogenannte
„Schulddebatte". Sie hätte vielleicht zu einer auch subjektiven
Befreiung vom faschistischen Ungeist führen können. Er war ja weit über den
Kreis der Nazis hinaus in viele deutsche Köpfe schon vor dem Sieg des
Faschismus, ihn vorbereitend und erleichternd, als vermeintliches „Nationalbewußtsein"
eingedrungen und darin oft noch tiefer und nachhaltiger verankert als die
Naziideologie. Aber schon sehr bald wurde deutlich, daß sich die schwer
belehrbaren und oft unbekehrbaren Durchschnittsdeutschnationalen und Nazis zu
Unrecht davor gefürchtet hatten, die Staaten der Antihitlerkoalition würden
das von ihnen gemeinsam beschlossene Potsdamer Abkommen auch gemeinsam in ihren
Besatzungszonen realisieren.
In dem Maße, in dem das Auseinanderbrechen der
Antihitlerkoalition offenkundig wurde, wurde das Potsdamer Abkommen für die
imperialistischen Besatzungsmächte obsolet. Das wirkte objektiv wie eine
besatzungsrechtliche Zulassung der Renazifizierung, und die sich in ihrem
Bereich bildenden deutschen Verwaltungsorgane und schließlich die BRD insgesamt
beeilten sich, es auch ihrerseits so zu behandeln.
Die folgenden Beiträge sind den heutigen - soll man
formulieren marxistisch-leninistischen oder kommunistisch-sozialistischen? -
Perspektiven gewidmet und gewiß nicht einfach untereinander kommensurabel. Aber
die WBl halten immer noch und immer wieder einiges von der gewiß nicht ganz
ungefährlichen Parole, die Mao Tse Tung in einer bestimmten Zeit ausgegeben
hatte: „Laßt viele Blumen blühen!". Sie darf allerdings nur insoweit
gelten, als es sich wirklich um Blumen und weder um Giftpflanzen noch um Unkraut
handelt. Um Blumen aber handelt es sich, wie wir meinen, sowohl bei den
Erörterungen von Hans Heinz Holz, Richtungskämpfe müssen ausgefochten
werden als auch bei den Zukunftserwägungen von Manfred Sohn, Arbeiterklasse,
Zerfall, Organisation und Perspektive und ebenso bei dem Essay von
Hans Kölsch Terrorismus - Grundlagen und Charakteristisches. Kölsch
weist den Ausgangspunkt von Terrorismus in den Weltmachtambitionen der
imperialistischen Staaten auf und beleuchtet die Gefahren oder Versuchungen für
nationale und soziale Befreiungskämpfer, sich im Widerstand dagegen beim Gegner
zu infizieren. Wie eine dialektische
Ergänzung dazu wirkt Gerhard Feldbauers Aufsatz Damals
Vietnam - heute Irak.
Daran schließen wir eine Dokumentation der
Positionsbestimmung der DKP zur Besatzung des Irak (aus einem
Parteitagsbeschluß zur Beteiligung an der Demonstration gegen den Bush-Besuch
in Mainz) und zwei erste Berichte über den DKP-Parteitag an: einen aus
Westdeutschland von Karl Anders und einen aus Ostdeutschland von Hans-Günter
Szalkiewicz. Außerdem dokumentieren wir einen Brief des Jüdischen
Kulturvereins Berlin Wider die Islamophobie.
Eine Glosse, Erschreckende Parallelen, in der Hanfried
Müller im Blick auf die Presseresonanz auf den Folter-Fall Daschner und in
Erinnerung an den Nazifilm „Ich klage an" vor der Mobilisierung
menschlicher Gefühle zwecks Demobilisierung menschlicher Moral warnt.
Lektüreempfehlungen schließen das Heft ab.
(Redaktionsschluß am 1. III. 05)
„Fünf Punkte,
die für Christen unaufgebbar sind"
Erklärung der United Church of Christ (USA)
Begleitbrief
Liebe Kollegen und Kolleginnen,
wir schreiben Euch in einer Zeit, die, wie wir glauben, eine
tiefe moralische Krise unserer Nation darstellt.
Wenn wir die Rhetorik hören, die von den höchsten Ebenen
der amerikanischen Regierung kommt, dann hören wir mehr und mehr eine „Theologie
des Krieges", die die USA in den Zustand eines messianischen Kreuzzuges
versetzt, unter dem Deckmantel der christlichen Identifikation.
Es gibt - gab Zeiten in den USA und Orte in der Geschichte
der Menschheit, wo politische Mächte versuchten, die Loyalität der Kirche Jesu
Christi zu vereinnahmen. In solchen Zeiten muß die Kirche sich ihrer
grundlegenden Glaubensinhalte vergewissern.
Wir glauben, daß 2004 in den USA so ein Ort, so eine Zeit
ist. Wir sind zu der Überzeugung gelangt, daß es unsere Verantwortung als
Christi Nachfolger ist, ein neues Bekenntnis zu Christus abzulegen.
In den letzten Wochen haben wir der beigefügten Erklärung
zugestimmt. Wir nennen fünf Punkte, die nach unserer Meinung für Christen
unaufgebbar sind, und weisen die gegenwärtige Lehre zurück, die diese Punkte
auflösen würde.
Wir glauben, daß wir eine kritische und durchdachte
Erklärung zu der „Theologie des Krieges", die uns gefährdet, abgegeben
haben, und die eine bessere Alternative aufzeigt.
Erklärung:
Christus bekennen in einer Welt der Gewalt
Unsere Welt leidet unter Gewalt und Krieg.
Aber Jesus sagt: „Selig sind die Frieden stiften, denn sie
werden Kinder Gottes heißen" (Matth. 5, 9) Unschuldige Menschen, hier und
im Ausland, werden durch terroristische Angriffe zunehmend geängstigt und
gefährdet.
Aber Jesus sagt: „Liebe deinen Feind, bitte für die, die
dich verfolgen" (Matth. 5, 44). Die Worte, die nie leicht waren, scheinen
heute noch schwerer zu sein.
Dennoch, es kommt eine Zeit, in welcher Schweigen Verrat
bedeutet.
Wie viele Kirchen haben seit dem 11. September 2001 hierüber
gepredigt?
Wo bleibt die ernsthafte Debatte darüber, was es bedeutet,
Christus in einer Welt der Gewalt zu bekennen? Meint christlicher „Realismus",
sich auf die endlose Folge von vorbeugenden Kriegen einzustellen? Heißt es, die
Augen zu verschließen vor Folter und einer hohen Anzahl von Opfern unter der
Zivilbevölkerung? Heißt es, eher aus Angst und Vorurteil heraus zu agieren als
mit Verstand und Zurückhaltung?
Im Glauben Christus zu bekennen ist die Aufgabe der Kirche,
und dies um so mehr, wenn ihr Bekenntnis von Militarismus und Nationalismus
begleitet wird.
Eine „Theologie des Krieges" geht von den höchste
Kreisen der amerikanischen Regierung aus:
- Die Sprache (göttlich) gerechtfertigter Herrschaft wird
zunehmend gebraucht.
- Die Bedeutungen (Rollen) von Gott, Kirche und Nation werden
durch das Gerede von „Mission" und „Göttlicher Auftrag", „die
Welt vom Bösen zu befreien" verwischt.
Die Sicherheitsbelange unserer Nation verbieten einfache
Lösungen. Niemand hat ein Monopol auf Wahrheit. Aber eine Politik, die
internationalen Rat zurückweist, sollte sich nicht auch noch den Mantel der
Religiosität umhängen. Das Ärgerliche, politischer Götzendienst ist heute
verstärkt durch Politik der Angst.
In dieser Krisenzeit brauchen wir ein neues Bekenntnis zu
Christus:
Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt
ist, kennt keine nationalen Grenzen. Die ihn bekennen leben überall auf
Erden.
Unsere Verpflichtung Christus gegenüber ist stärker als
die nationale Identität. Wann immer Christentum Kompromisse mit weltlicher
Macht eingeht, ist das Evangelium von Christus diskreditiert.
Wir verwerfen die falsche Lehre, daß je eine Nation
beziehungsweise ein Staat mit den Worten beschrieben werden kann: „Das Licht
scheint in der Finsternis und die Finsternis hatte es nicht ergriffen" (Joh.
1, 5.).
Dieses Schriftwort bezieht sich auf Christus allein. Kein
politischer Führer hat das Recht, es in den Dienst der Kriege zu ziehen.
Christus verpflichtet Christen zu einer deutlichen Haltung
gegen den Krieg. Die furchtbare Zerstörungskraft moderner Kriegführung
unterstreicht diese Verpflichtung. Im Schatten des Kreuzes haben Christen die
Verpflichtung, die Kosten, die Schäden, den Preis zu schätzen, ihre Stimme
für die Opfer zu erheben und jede Alternative zu suchen, bevor eine Nation in
den Krieg geht.
Wir sind mehr zu internationaler Zusammenarbeit
verpflichtet als zu einseitiger Politikführung.
Wir verwerfen die falsche Lehre, daß ein Krieg gegen
den Terrorismus Vorrang hat vor ethischen und legalen Normen. Manche Dinge
sollten nie geschehen: Folter, grundlose Bombardierung von Zivilisten, der
Gebrauch von Massenvernichtungswaffen - unabhängig von den Konsequenzen.
3) Christus befiehlt uns, nicht nur den Splitter in unseres
Bruders Auge zu sehen, sondern auch den Balken in unserem eigenen. Alexander
Solschenizin bemerkte, daß die Unterscheidung zwischen Gut und Böse nicht
zwischen einer Nation und anderen oder der einen Gruppe und der anderen
geschieht. Sie geht mitten durch das menschliche Herz.
Wir verwerfen die falsche Lehre, daß Amerika eine „christliche
Nation" sei, die nur das Gute repräsentiert, während ihre Gegner nur
böse sind.
Wir verwerfen die Meinung, daß Amerika nichts zu
bereuen habe, so wie wir die Meinung zurückweisen, daß es den Großteil des
Bösen in der Welt repräsentiert. Alle haben gesündigt und mangeln des
Ruhmes bei Gott (Röm. 2,23).
4) Christus zeigt uns, daß Feindesliebe das Zentrum des
Evangeliums ist. „Als wir noch Sünder waren, starb Christus für uns"
(Röm. 5, 8;10). Wir sollen sogar unsere Feinde lieben, da wir glauben: Gott
hat in Christus uns und die ganze Welt geliebt.
Feindesliebe heißt nicht, vor feindlichen Plänen oder
Übermacht zu kapitulieren. Es heißt, die Dämonisierung jedweden
menschlichen Lebens, das nach Gottes Ebenbild geschaffen ist, zurückzuweisen.
Wir verwerfen die falsche Lehre, daß ein Mensch
außerhalb des Schutzes des Gesetzes stehen kann.
Wir verwerfen die Dämonisierung von angenommenen
Feinden, da das nur den Weg zum Mißbrauch ebnet; und wir verwerfen die
Mißhandlung von Gefangenen, ganz zu schweigen von womöglichen Vorteilen für
die, die sie gefangen genommen haben beziehungsweise für ihre Bewacher.
5) Christus lehrt uns, daß Demut die Tugend ist, die dem
Sünder zukommt, dem vergeben wurde. Sie mäßigt alle politischen
Auseinandersetzungen und erlaubt, daß unsere eigenen politischen
Wahrhnehmungen, in einer komplexen Welt, falsch sein können.
Wir verwerfen die falsche Lehre, daß die, die nicht
politisch für unsere Nation sind, gegen sie sind, oder daß diejenigen. die
die amerikanische Politik grundlegend in Frage stellen, zu den „Bösen"
gehören. Solche groben Unterscheidungen, besonders, wenn sie von Christen
kommen, sind Ausdruck der manichäischen Häresie, in der die Welt in absolut
gute und absolut Böse gespalten wird.
Der Herr Jesus Christus ist entweder maßgeblich für
Christen oder er ist es nicht. Seine Herrschaft darf von keiner irdischen Macht
mißachtet werden. Seine Worte dürfen nicht für propagandistische Zwecke
verdreht werden. Keine Nation beziehungsweise kein Staat darf sich an die Stelle
Gottes setzen.
Wir glauben, daß es unabdingbar für Nachfolger Christi ist,
diese Wahrheiten anzuerkennen.
Wir rufen Sie dringend dazu auf, diese Prinzipien zu
bedenken, wenn Sie Ihre Entscheidungen als Staatsbürger treffen. Frieden zu
schaffen ist das Zentrum unserer Berufung in einer gefährdeten Welt, in der
Christus der Herr ist.
Der Begleitbrief zu diesem Bekenntnis ist unterzeichnet von Georges
Washington Ivey, Professor of New Testament, Georg Hunicker, Richard
B. Pierard, Hazel Thompson McCord, Professor of Systematic Theologie,
Princeton, Glen Stassen, Richard B. Hays, Lewis Smedes,
Professor of Christian Ethics, Fuller Theological Seminary, und für das
Bekenntnis selbst zeichnet Jim Wallis, Editor, Sojourners.
Befreiung
Mai 1945 - Erlebnis - Erinnerung -
Geschichte
von Hanfried Müller
Niemand erfährt das Geheimnis der Freiheit, es sei denn durch Zucht.
Nicht das Beliebige, sondern das Rechte tun und wagen,
nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen,
nicht in der Flucht der Gedanken, allein in der Tat ist die Freiheit.
Dietrich Bonhoeffer,
Stationen auf dem Wege zur Freiheit
Vor mir liegt ein Brief aus dem Nachlaß meiner Mutter,
geschrieben am 26. Mai 1945 von Hanfried Müller, Gefr., Matriola 81 - g -
665163 H, US PW e 336, Naples / Italy:
„... Ich könnte allein Tage lang erzählen, deshalb
beschränke ich mich auf das Schönste, auf die Tage nach meiner Gefangennahme
... Ich muß bekennen, daß ich mich zuerst befreit fühlte, denn die
Gedankenfreiheit, die wir nun haben, ist etwas so lang Entbehrtes, so
Köstliches, daß ich den Stacheldraht gar nicht sehe! ...".
So beschrieb damals ein neunzehnjähriger Soldat der
deutschen Wehrmacht, wie er die Niederlage des Faschismus und das Ende des
Krieges erlebte, nämlich als Befreiung.
Ein gewiß paradoxes Erlebnis vieler Deutscher, denn ihre
Freiheit fing an mit einer Gefangenschaft, oder treffender gesagt: Nur indem sie
eingesperrt wurden, wurde die Welt und wurden sie selbst befreit von Terror und
Krieg.
Andere - unter Deutschen eine Minderheit - erlebten ihre
Befreiung geradliniger: Vor ihnen öffneten sich die Tore von Gefangenen-,
Vernichtungs-, Konzentrationslagern und Zuchthäusern. Oder, wenn sie „getaucht"
waren und sich verbergen mußten, um zu überleben, konnten sie nun wieder „auftauchen",
und wenn sie vertrieben und verjagt oder geächtet und darum „emigriert"
waren, konnten sie zurückkehren. Für sie bedeutete das Ende von Faschismus und
Krieg Befreiung ohne die Paradoxie, daß die Freiheit hinter Stacheldraht
begann.
Erinnere ich mich an die Geschichte dieser Befreiung, muß
ich es anders sagen: Denn das, was ich als Paradoxie der Befreiung hinter
Stacheldraht erlebte, folgte ja aus einer Paradoxie, die vorangegangen war: die
Existenz fast eines ganzen Volkes nicht in Gefangenschaft und doch
in Unfreiheit.
Wahrscheinlich die Mehrzahl der Deutschen hatte sich
allerdings, solange die Blitzkriege der Nazis zu deutschen Blitzsiegen führten,
im Lande der „nationalen Erhebung" und der Konzentrationslager, der „nationalsozialistischen
Volkswohlfahrt" mit ihrem „Eintopfsonntag" und des Maximalprofits
der Konzerne im allgemeinen nicht unfrei gefühlt.
Tatsächlich war sie so unfrei, daß sie gar nicht bemerkte,
wie sehr sie sogar die Freiheit, selber zu denken, verloren hatte, in diesem
Sinne des Wortes die „Gedankenfreiheit". Ich erinnere mich, daß ich (das
muß etwa 1942 gewesen sein) einen Freund im Bibelkreis der Bekennenden Kirche,
also des Teiles der Evangelischen Kirche, der den Nazis kritisch bis ablehnend
begegnete, auf die Konzentrationslager ansprach und er entschieden bestritt,
daß es so etwas gäbe - um dann, ohne den Selbstwiderspruch auch nur zu
empfinden, zu schließen: „Wenn Du so weiter redest, kommst Du selbst
hinein!"
Das war ja das deutsche Verhängnis gewesen: Je freier
Menschen waren, desto mehr drohte ihnen Verhaftung und Tod. Und je unfreier sie
waren, je williger sie sich den Nazis angepaßt hatten, insbesondere je
bereitwilliger sie für sie und mit ihnen in den Krieg gezogen waren, sich immer
selbst belügend, es ginge um Freiheit und Ehre ihres Vaterlandes und nicht etwa
um „ukrainischen Weizen und kaukasisches Öl" (Originalton: Goebbels),
desto weniger hatten sie sich unfrei gefühlt. Während sie selbst geknechtet
andere knechteten - zuerst die deutschen Kommunisten, Sozialisten und
Demokraten, dann die Schwächsten, die sie als „fremdrassig" ausstießen,
die deutschen Juden, Sinti und Roma und schließlich fast alle europäischen
Völker - grölten sie ihr Lied: „Nur der Freiheit gehört unser Leben!"
Die Paradoxie der Freiheit hinter Stacheldraht, die ich
damals empfand, war nur die natürliche Kehrseite dieser „Freiheit" zur
Knechtung anderer, dieser Unfreiheit ohne Stacheldraht, zu der die herrschenden
Klassen in Deutschland die Mehrheit der Deutschen durch Terror, Demagogie und
Korruption gezwungen, verführt und bestochen hatten bis dahin, daß dieses Volk
sich schließlich schon deshalb nicht mehr selbst zu befreien wagte, weil es
fürchtete, nach der Kapitulation seiner „Wehrmacht" genannten und als
ehrbar geltenden Räuberbande würde ihm mit gleicher Münze heimgezahlt.
Wie sehr diese als ehrbar geltende Wehrmacht eine
Räuberbande war, das hatte ich selbst als Okkupant in Italien gesehen, nicht
nur im kleinen, wenn wir „ehrlichen deutschen Soldaten" den italienischen
Bauern Feldfrüchte und Hühner stahlen (manchmal nur Mundraub, um nicht zu
hungern, oft aber Kompensation eigener Ohnmacht durch Machtdemonstration gegen
Schwächere), sondern vor allem im großen, im kriminellen Ausmaß der
Kriegsverbrechen, die sich keineswegs nur die SS leistete. Wenn ich die „zur
Abschreckung" an den Telegraphenmasten erhängten Partisanen hatte sehen
müssen, hatte ich sie beinahe darum beneidet, daß sie wenigstens in einem
guten Kampf für die Befreiung ihres Landes gefallen waren. Aber der Mut, ihrem
Beispiel zu folgen, statt ihnen allenfalls unauffällig zu helfen, fehlte mir.
Wir deutschen Soldaten hatten unser Leben täglich von den
Hitlers, Himmlers und Görings (und zwar für die Interessen der Krupps,
Kierdorffs und Stinnes, aber das sah ich damals noch nicht!) einsetzen und uns
zu dem zwingen lassen, was sie Mut und Tapferkeit nannten. Aber der
wirkliche Mut, uns selber einzusetzen, statt uns einsetzen zu lassen, und so aus
Kriegsknechten zu Freiheitskämpfern zu werden, hatte uns gefehlt. Das meine ich
mit der Unfreiheit ohne Stacheldraht.
Die Freiheit hinter Stacheldraht begann mit der Befreiung von
dem Zwang, sein Leben im Kampf für Unfreiheit und Unrecht einsetzen zu müssen.
Unreflektiert war dieses Gefühl offenbar viel allgemeiner, als ich es schon
kurze Zeit später noch in Erinnerung hatte. Zu meiner Verwunderung lese ich in
dem eingangs zitierten Brief aus der Gefangenschaft, als wir in einem kleinen
schnell gesammelten Bibelkreis Kirchenlieder gesungen hätten, habe bei dem Lied
„Großer Gott, wir loben dich" das ganze Camp eingestimmt. Der
Massenstimmung in diesem Gefangenenlager (allerdings war es ein reines
Mannschaftslager, die Offiziere waren in anderen Camps) machte sich zuerst im
(makabrer Weise so genannten und traditionell als Siegeslied gesungenen) „Choral
von Leuthen" Luft und nicht etwa in der Melodie „Aus tiefer Not schrei
ich zu Dir ...", einer Stimmung, der ich im August 1945 nach meiner
Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft in Deutschland zwar wohl noch nicht
mehrheitlich, aber verbreitet begegnete.
*
Nun mußte die äußere Befreiung von Faschismus und Krieg
endlich innerlich nachvollzogen werden. Es ging, wie das einmal einer meiner
marxistischen Freunde, Eberhard Hüttner, bis zu seinem frühen Tode
stellvertretender Leiter der Arbeitsgruppe Kirchenfragen im ZK der SED, treffend
formuliert hatte, „um die antifaschistisch-demokratische Umwälzung in den
Köpfen".
Sie geschah für mich in drei Etappen, zuerst einer kirchlich-theologischen,
dann einer politisch-demokratischen und schließlich einer sozial-ökonomischen
Emanzipation. Diese letzte Phase der Befreiung war die schwerste und
wichtigste.
In gewisser Weise galt für all diese drei Umwälzungen in
unseren* Köpfen der siegesgewisse Optimismus in Brechts Aufbaulied,
das wir allerdings erst später kennen lernten: „Fort mit den Trümmern und
was Neues hin gebaut, und heraus gegen uns, wer sich traut!" Die
Entdeckung, was alles in unseren Köpfen falsch widergespiegelt worden war, und
die Entdeckerfreude bei jeder neuen Erkenntnis machte uns wahrscheinlich allen
gegenüber, die nicht ebenso schnell voran eilten wie wir, unerträglich
überheblich.
Als solche, die während der Nazizeit zumindest immer „dagegen"
gewesen waren, entwickelten wir eine im Rückblick erschreckende
Selbstgerechtigkeit, und der Preis unserer gewiß rasch fortschreitenden
Erkenntnis - wie holten ja eine Bildung nach, von der wir 12 Jahre abgeschlossen
gewesen waren, - war sicher der, daß wir in unserer Entdeckerfreude wohl
stolzer waren, andere hinter uns zurückzulassen, als bestrebt, sie mitzunehmen.
Weder in der ersten Etappe geistiger Selbstbefreiung nach der
äußeren Befreiung, der theologisch-reformatorischen Besinnung, noch in der
zweite Etappe, der politisch-demokratischen Wende ist es unseren Lehrern
gelungen, uns eine unserer immerhin reichlich verspäteten Erkenntnis doch
angemessene Bescheidenheit zu vermitteln - wahrscheinlich, weil wir mit diesen
Neubesinnungen immer noch im Rahmen der Reaktivierung der uns in der Kirche und
unserer bürgerlichen Klasse zugänglichen progressiven Traditionen umzudenken
lernten. Erst in der dritten Etappe, als wir uns, mit dem kommunistischen
Manifest zu reden, als „Bourgeoisieideologen ... zum theoretischen
Verständnis der ganzen geschichtlichen Bewegung ... hinaufgearbeitet"*
hatten, begannen wir etwas bescheidener zu werden.
Ich erinnere mich, daß wir uns 1951 bei den Weltfestspielen
der Jugend und Studenten in Berlin in einer Privatwohnung mit Komsomolzen
zusammensetzten (der Zentralrat der FDJ nannte das entsetzt „ein wildes
Russentreffen") und die sowjetische Delegationsleiterin uns fragte: „und
wer sind Eure Bundesgenossen?", worauf wir hochmütigen Einzelkämpfer
völlig verblüfft darauf reagierten. Immerhin fingen wir seitdem an, etwas
über unsere Zufriedenheit in der stolzen Selbstisolation von Besserwissern
nachzudenken.
Die kirchlich-reformatorischen Befreiung
Der ganze Schwulst einerseits pietistischer, andererseits
klerikaler Traditionen - eigentlich untereinander unverträglich, aber in den
Irrungen und Wirrungen des offenen Kirchenkampfes gegen die Nazifraktion der
deutschen Christen und des für die Gemeinden weithin verdeckt gebliebenen
Kirchenkampfes gegen die deutschnational-faschistische Fraktion in vielen
Führungspositionen der Bekennenden Kirche vielfach miteinander verwoben -
mußte im Zug einer inneren Befreiung überwunden werden. Denn dabei handelte es
sich um solche Positionen, die sich als unbrauchbar erwiesen hatten, dem
Faschismus gegenüber standzuhalten.
Der erste Helfer bei diesem Prozeß „Evangelischer
Selbstprüfung" war für mich Hermann Diem. Ihm begegnete ich schon im
Kriegsgefangenenlager in Livorno, und durch ihn lernte ich gleich nach unserer
Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft den besonders eindrucksvollen Paul
Schempp kennen, mit dem Diem in der Württembergischen Sozietät verbunden war,
dem neben dem Bonhoeffer-Kreis konsequentesten Flügel der bekennenden Kirche.
Nachdem ich noch 1945 in Bonn das Theologiestudium
aufgenommen hatte, wurde Günter Dehn, einer der wenigen den religiösen
Sozialisten nahestehenden dialektischen Theologen, zu unserem wichtigsten Mentor
auf dem Wege zu (um den Titel der ersten Nachkriegstagung der Württembergischen
Sozietät aufzunehmen) „Evangelischer Selbstprüfung". Und schließlich,
fast genau ein Jahr nach dem Tag der Befreiung, am 10. Mai 1946, landete auf
einem Rheinschlepper in Bonn Karl Barth, der Hauptwegweiser zu unserer
Neuorientierung in „Christengemeinde und Bürgergemeinde".
Der Titel dieser etwas später, aber noch 1946, in
Deutschland erschienenen Broschüre macht bereits deutlich, daß der Akt einer
inneren kirchlich-theologischen Befreiung in Bewährung der von außen
empfangenen Befreiung bereits den Übergang zur politisch-demokratischen
Befreiung umschloß.
Diese reformatorische Wende vollzog sich in der sogenannten
„Schulddebatte".
Als frisch immatrikulierte Theologiestudenten, die meisten
von uns kirchlich erzogen von den sogenannten „jungen Brüdern", das
heißt von solchen Pastoren, die sich nicht von den staatlich anerkannten, meist
deutschchristlichen offiziellen Kirchenleitungen hatten ordinieren lassen,
sondern als „Illegale" den antinazistischsten Flügel der Bekennenden
Kirche gebildet hatten, fragten wir zuerst nach der Studentengemeinde.
Was wir statt dessen vorfanden, war ein alter, bis in die
Knochen deutschnationaler Studentenpfarrer, umgeben von vier älteren
Theologiestudenten, die noch im Kriege irgendwie hatten studieren können. Davon
„frustriert" - das Wort gab es damals noch nicht - setzten wir uns
zusammen und formulierten zuerst einmal ein - unser -„Schuldbekenntnis"
ganz im Geiste der von Niemöller stammenden Passagen der damals im Mittelpunkt
nicht nur kirchlicher Auseinandersetzung stehenden „Stuttgarter
Schulderklärung", insbesondere des Satzes: „Durch uns ist unendliches
Leid über viele Völker und Länder gebracht worden!"
Das Stuttgarter Schuldbekenntnis stellte insgesamt viel eher
eine Selbstrechtfertigung als eine Selbstanklage einer Kirche dar, die sich
allenfalls vorwarf, „nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht
fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt zu haben" (wir hätten noch
besser sein müssen!) und die sich „mit unseren Volk" zwar „in einer
großen Gemeinschaft des Leidens" wußte, aber nicht etwa in einer „Gemeinschaft",
sondern nur in einer „Solidarität der Schuld" mit ihm. Aber das
empfanden wir damals kaum und wußten auch nicht, daß die Ökumene den
deutschen Kirchenführern dieses Schuldbekenntnisses mühsam abgerungen hatte,
um wieder Kontakte zu ihnen aufnehmen zu können.
So war unser „Schuldbekenntnis" zwar hinsichtlich der
„deutschen Schuld" keineswegs zurückhaltender als das Stuttgarter
Vorbild, aber es war ungleich viel ehrlicher in dem Bekenntnis kirchlicher Schuld
an der deutschen Schuld.
Um unser Schuldbekenntnis sammelte sich schnell eine
Gemeinde, und diese Gemeinde wählte sich, was für die Studentengemeinden nicht
„vorgesehen" war und den alteingesessenen Studentenpfarrer ebenso wie die
rheinische Kirchenleitung entsetzte, eine eigenständige Leitung, ein
Presbyterium, das nicht etwa den Studentenpfarrer, sondern Günter Dehn bat, die
Bibelstunden dieser Studentengemeinde zu halten.
Aufgrund dieser Selbständigkeit kam es zum Konflikt mit der
- immerhin aus der Bekennenden Kirche (!) hervorgegangenen - rheinischen
Kirchenleitung. Aber deren Versuche, uns in die ordnungsgemäße Botmäßigkeit
zurückzuholen, mißlangen. Wir setzten schließlich sogar durch, daß wir uns
selber einen Pfarrer wählen durften. Dafür wurden wir allerdings von den
materiellen Genüssen, die das Kirchliche Hilfswerk zu bieten hatte,
ausgeschlossen, fanden aber andererseits in der Studentenschaft mehr Resonanz
als viele „reguläre" Studentengemeinden. Dabei war das Hauptthema, das
wir in die Studentenschaft hinein trugen, die Frage unserer eigenen politischen
Verantwortung für unsere, für die ganze Welt so verhängnisvolle, deutsche
Geschichte und - wohl noch wichtiger - dafür, die künftige deutsche Geschichte
so zu gestalten, daß der Faschismus für immer überwunden werde.
Der Übergang zur politisch-demokratischen Befreiung
Damit wurde, fast möchte ich sagen „in, mit und
unter" der Frage nach der kirchlich-theologischen Neubesinnung, die Frage
der politisch-demokratischen Neubesinnung zu unserem Thema. An diesem Thema
brach die gegen den Nationalsozialismus aufgetretene Bekennende Kirche in ihren
deutschnationalen und evangelisch-reformatorischen Teil auseinander.
Manifest wurde das mit dem am 8. August 1947 beschlossenen
„Wort des Bruderrates der Evangelischen Kirche in Deutschland zum politischen
Weg unseres Volkes", dem „Darmstädter Bruderratswort".
Es hätte freilich kaum unter der Ägide von Karl Barth und
Hans Iwand beschlossen werden können, wenn die reaktionären Kirchenführer aus
der sowjetischen Zone an der Beratung und Beschlußfassung beteiligt gewesen
wären, denn sie begannen bereits unter dem Patronat des alten
Deutschnationalen, Otto Dibelius, die Niederlage des Faschismus nicht als
Befreiung zu begreifen, sondern sie als den leidvollen Übergang von einer „Diktatur"
in eine andere darzustellen.
Im Darmstädter Bruderratswort - und das war es, worum es
bereits in all unseren Auseinandersetzungen in der Bonner Studentengemeinde
gegangen war - fand sich endlich eine klare Absage an den deutschnationalen
Chauvinismus („wir sind in die Irre gegangen, als wir begannen, den Traum
einer besonderen deutschen Sendung zu träumen, als ob am deutschen Wesen die
Welt genesen könne"), eine klare Absage an den konservativen deutschen
Klerikalismus („wir sind in die Irre gegangen, als wir begannen, eine ‘christliche
Front’ aufzurichten. Das Bündnis mit den das Alte und Herkömmliche
konservierenden Mächten hat sich schwer an uns gerächt. ... Wir haben das
Recht zur Revolution verneint, aber die Entwicklung zur absoluten Diktatur
geduldet und gutgeheißen"), eine klare Absage an den Manichäismus („wir
sind in die Irre gegangen, als wir meinten eine Front der Guten gegen die Bösen
... im politischen Leben und mit politischen Mitteln bilden zu müssen" -
wer denkt da heute nicht an Reagan und Bush?) und - geradezu überraschend, daß
das schon 1947 in der Kirche erkannt wurde - eine Absage an den Antikommunismus
(„wir sind in die Irre gegangen, als wir übersahen, daß der ökonomische
Materialismus der marxistischen Lehre die Kirche an den Auftrag und die
Verheißung der Gemeinde für das Leben und Zusammenleben der Menschen im
Diesseits hätte gemahnen müssen. Wir haben es unterlassen, die Sache der Armen
und Entrechteten gemäß dem Evangelium von Gottes kommendem Reich zur Sache der
Christenheit zu machen."* )
Mit diesem Wort ergab sich nahtlos aus der
kirchlich-theologisch-reformatorischen Befreiung, in der wir ja insbesondere die
kirchliche Mitverantwortung an der Herausbildung des Faschismus in Deutschland
entdeckt hatten, die Konsequenz, für die weitere politische Entwicklung
mitverantwortlich zu sein und insofern die zweite Etappe der, der Befreiung von
außen entsprechenden, Selbstbefreiung.
Politische Verantwortung hieß für uns, den Schutt
faschistischer Ideologie zu allererst aus unseren eigenen Köpfen und dann aus
den Köpfen in unserer kirchlichen und gesellschaftlichen Umwelt auszuräumen.
Dabei meinten wir länger, als das tatsächlich der Fall war, uns im Konsens mit
den von außen einwirkenden westlichen Besatzungsmächten und vielen in
Westdeutschland gesellschaftlich bestimmenden Kräften zu befinden.
Erst im Rückblick bemerkten wir, wie schnell sich
insbesondere die britische und die amerikanische Besatzungsmacht von den in
Potsdam fixierten Zielen der Antihitlerkoalition abgewandt hatte. Den
eigentlichen Beginn des dann so genannten „Kalten Krieges", die
Byrnes-Rede in Stuttgart und die Churchillrede in Strasbourg, hatten wir kaum
bemerkt, und auch erst sehr viel später ging uns im Rückblick auf, daß die
Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki bereits als Machtdemonstration gegen den
Bundesgenossen von gestern, die Sowjetunion, gerichtet gewesen waren und daß
man auch die Bombardierungen von Dresden, Chemnitz, Plauen, Magdeburg unter dem
Gesichtspunkt sehen kann, daß damit Industriezentren zerstört wurden, von
denen seit Jalta feststand, daß sie zur sowjetisch besetzten Zone gehören
würden, so daß deren Zerstörung mehr den dortigen späteren Wiederaufbau
treffen könnte als das bereits in Agonie liegende Hitlerreich. Die faschistoide
Reaktion auf diese Bombardements, die gerade jetzt wieder aufflammt, ist
allerdings doppelt verlogen. Denn wenn diese späten Bombardements
Reparationsleistungen und Wiederaufbau in der sowjetischen Besatzungszone
erschwerten oder gar erschweren sollten, dann dienten diese letzten Bomben des
heißen Krieges gegen den Faschismus als erste Bomben des kalten Krieges gegen
den Kommunismus doch gerade dem Interesse jener deutschen Imperialisten, die nun
der „Terrorangriffe" gedenken, um von ihrem eigenen, bis zum Exzeß
getriebenen Terror abzulenken. „Coventry" und „Dresden"
miteinander zu verrechnen, heißt ein Verbrechen durch Vergleich mit einem
Notwehrexzeß zu relativieren.
Uns aber ging es damals um wichtigere Fragen: um die
Behauptung der Ideale bürgerlicher Demokratie gegen den sich in Westdeutschland
erstaunlich schnell wieder regenden deutschen Imperialismus. Mit Demokratie
meinten wir, gewiß in vieler Hinsicht illusorisch, ein Staatswesen, das
historischen Rückschritt, insbesondere jede Weiterexistenz oder Neuformierung
faschistischer Strukturen und Ideologien unterband, aber für historische
Weiterentwicklung offen blieb.
Den Kampf darum nahmen wir in einem frisch-fröhlichen Jagen
auf, im Rückblick betrachtet geradezu illusorisch siegesgewiß. Noch hatten
wir, als die unverdienten Nutznießer des Sieges der Antihitlerkoalition, das
Gefühl, gar keinen wirklich ernst zu nehmenden Gegner mehr zu haben. Wir
fühlten uns, etwas bekümmert, daß wir die gefährlichen Schlachten nicht auf
der richtigen Seite mit geschlagen und gewonnen hatten, nur noch dazu berufen,
das Schlachtfeld nach gewonnener Schlacht von übrig gebliebenen, ewiggestrigen
Marodeuren zu säubern.
Die erste Ahnung, daß wir dabei nicht den Segen der
westlichen Besatzungsmächte hätten, überkam uns 1948 zum einen mit dem, was
wir den „Sturm aufs Brandenburger Tor" nannten (geduldet von den
Westalliierten hatten antikommunistische Banditen die Sieges-Fahne vom
Brandenburger Tor herunter gerissen), und zum anderen, als die Engländer Max
Reimann wegen seines Protestes gegen die Demontagen einsperrten.
Dabei wurde uns die ganze Zerrissenheit deutlich, in der wir
uns damals befanden. Einerseits verlockte die Freiheitsdemagogie zur Option „für
den Westen", andererseits erkannten wir immer mehr, daß verantwortete
Freiheit sozial-ökonomische Gleichheit zur Voraussetzung hatte, und das zwang
zur Option „für den Osten".
Daß „unsere" Besatungsmacht erneut ein Opfer des
Faschismus einsperrte, empfanden wir als Skandal. Aber der Protest Reimanns
gegen die Demontagen gefiel uns auch nicht. Hatten wir sie nicht mehr als
reichlich durch die faschistischen Untaten verdient? Wir empfanden diesen
Protest als leichtsinnige Öffnung für den Beifall unbelehrbarer Nazis, die
sich gegen jegliche Wiedergutmachung durch Reparationen wehrten, und schrieben
Reimann einen, man könnte sagen, kritischen Solidaritätsbrief.
Erstaunlicherweise veröffentlichte ihn das in Ostberlin erscheinende „Forum",
und wir bekamen Besuch von prominenten Kommunisten, die uns auf den Weg zur
dritten Etappe unserer Befreiung, der sozialistisch-gesellschaftlichen nach der
reformatorisch-kirchlichen und politisch-demokratischen, führten.
Das schlug sich zunächst darin nieder, daß ich mich einem
„Arbeitskreis zum Studium des Marxismus" anschloß. Ihn leitete der linke
Sozialdemokrat Dieter Goldschmidt. Von mir abgesehen bestand dieser Kreis nahezu
ausschließlich aus Kommunisten. Er konnte damals einen Vertreter in den
Studentenrat entsenden und delegierte mich. So wurde ich zum Repräsentanten des
linken Flügels im Göttinger Studentenrat.
Der Göttinger Studentenrat wurde damals von zwei Themen
bestimmt: Einer „Patenschaft" mit der Studentenvertretung der
Universität Leipzig (sie sollte der Erhaltung der Einheit Deutschlands im Sinne
des Potsdamer Abkommens dienen), und dem damals eskalierenden Kampf gegen die
westdeutsche Remilitarisierung.
In beiden Fragen standen sich an der Universität zwei etwa
gleich starke Lager gegenüber: Der Demokratische Studentenbund (mit Peter
Bender), der Sozialistische Studentenbund (mit Peter von Oertzen) und der „Arbeitskreis
zum Studium des Marxismus" (schon kurze Zeit später, was alle wußten, was
aber keinen irritierte, verwandelt in die an den Universitäten bereits
verbotene FDJ-Hochschulgruppe) auf der einen Seite, auf der anderen Seite die
CDU-Hochschulgruppe, fast alle Vertreter der Forstwirtschaftlichen Fakultät und
insbesondere die wieder erstandenen Korporationen, damals der eigentlich
neo(?)faschistische Kern an den westdeutschen Universitäten.
Zunächst war - nicht nur an der Göttinger Universität,
sondern innenpolitisch wohl insgesamt - die Opposition gegen die
Remilitarisierung fast ebenso stark wie die Regierungsparteien von der CDU bis
zur äußersten Rechten, die uns aber als Vollzugsorgan des Willens der
us-amerikanischen und britischen Besatzungsmacht überlegen waren. Nicht zuletzt
deshalb liefen dann auch bald die Gewerkschaften und die SPD ins gegnerische
Lager über und die Regierung Adenauer begann konsequent mit dem Gegenangriff.
Sie konzentrierte ihn auf den linken Flügel unter den Gegnern der westdeutschen
Remilitarisierung, zuerst auf die schon von Heinemann kurz vor seinem Rücktritt
als Innenminister an den Universitäten und im Bereich des Staatsdienstes
verbotenen „13 Organisationen" (12 progressive, darunter die FDJ und VVN,
und als Feigenblatt eine neofaschistische, die „Sozialistische
Reichspartei"). Die Methode, einen Vernichtungsschlag gegen die Linke durch
ein Bauernopfer zur Rechten zu tarnen, wie sie heute bei der Novellierung des
Demonstrationsrechtes geübt wird, bewährte sich schon damals! Und dann kam man
zur eigentlich gemeinten Sache: einer immer intensiveren Kommunistenverfolgung,
die 1956 zum von Anfang an erstrebten KPD-Verbot führte.
Der Übergang zur sozialökonomischen Befreiung
Nun, als das Auseinanderbrechen der Antihitlerkoalition
zwischen den imperialistischen Konkurrenten und den sozialistischen Gegnern des
Faschismus bereits nicht mehr zu übersehen war, mußten wir, die wir uns noch
1948 als „Kamele zwischen Ost und West" gefühlt hatten, uns entscheiden,
wohin wir gehörten. Die letzte Etappe des Weges in die Freiheit - nach der
reformatorischen und politischen nun die soziale Wende - war zu beschreiten.
Sie fiel uns subjektiv schwerer als die beiden ersten
Etappen. Denn nun mußten wir uns - nicht einfach negierend, aber
kritisch-dialektisch - von unseren großen kirchlichen und politischen
Leitbildern auf dem Wege zur Freiheit lösen, von Karl Barth, Thomas Mann,
Albert Einstein und den vielen anderen, deren idealistisch-moralischer
Antinazismus uns bisher zureichend Wegweiser gewesen war. Nun bedurfte es des
Fortschritts zu historisch-dialektisch-materialistisch sozial begründetem
Antifaschismus. So erforderte diese letzte Etappe der Selbstbefreiung objektiv
den weitesten Schritt bei der Selbstreinigung von unfruchtbar gewordenen
Traditionen.
Denn bei dieser Selbstbefreiung ging es für uns um die
Lösung aus unserer, der in Westdeutschland noch herrschenden, Klasse, mit der
die Kirche nur allzu eng verbunden war. Diese Klasse hatte auf ihrem Wege zu
Imperialismus und Faschismus all ihre humanistisch-progressiven Traditionen
verleugnet und damit jedes Recht auf Führung der Nation verspielt. Trotzdem
fiel uns die Emanzipation von ihr schwer. Im Bürgertum, dem wir entstammten,
hatte man sich ja als herrschende Klasse mit der Gesellschaft gleichgesetzt: Nur
indem man zu dieser herrschenden Klasse gehörte, empfand man sich als „zur
Gesellschaft gehörig"; und wer nicht zu dieser Klasse gehörte, sie
verlassen oder verraten hatte, gehörte nicht mehr „zur Gesellschaft". So
war der Abschied von dieser Klasse für uns der Abschied von unserer
Gesellschaft. Er wurde uns erleichtert, durch unsere enge freundschaftliche
Verbundenheit mit den Göttinger Kommunisten. Aber in der neuen sozialistischen
Gesellschaft, in der DDR, in der wir nach diesem Abschied ankamen, gehörten wir
nur bedingt - als Bundesgenossen willkommen, aber nicht als Genossen betrachtet
(als parteilose Kommunisten waren wir das ja auch nicht) - dazu.
Für Bundesgenossen christlicher Provenienz war in der DDR
eigentlich die CDU als Blockpartei vorgesehen. Sie sollte für den Sozialismus
aufgeschlossene religiöse Kreise in die volksdemokratische Entwicklung
integrieren. Aber wir paßten in diese Konzeption nicht hinein, und das
bereitete der CDU, der SED und natürlich auch uns zuweilen einige
Schwierigkeiten. Wir waren (der SED wie der CDU unbegreiflich) nicht-religiöse
Christen, die sich darum frei fühlten, viel
historisch-dialektisch-materialistischer zu denken, als das für sie vorgesehen
war. Die in der CDU übliche Differenzierung zwischen der Bejahung des „historischen
Materialismus" und der Verneinung des „dialektischen Materialismus"
war uns so wenig möglich wie das Verständnis für diese - ja auch im Bereich
des Hochschul- und Bildungswesen übliche - undialektische Aufteilung
überhaupt. Wir waren für die CDU nicht religiös genug (damit hatte sie recht)
und für die SED zu „religiös", weil sie nie verstand, was wir mit
unserer strikten Unterscheidung zwischen Christusglauben und religiöser
Weltanschauung eigentlich meinten. So bedurfte es - noch einmal eine
paradoxe Erfahrung - erst der Konterrevolution, damit unsere kommunistischen
Freunde uns wieder so unbefangen begegnen konnten wie einst in den Anfängen
unserer Kampfgemeinschaft in Westdeutschland.
*
In gewisser Weise war 1952, als wir, nicht ganz freiwillig*,
in die DDR übergesiedelt waren, der Prozeß unserer Selbstbefreiung - nicht
beendet; beendet ist er nie, solange die Geschichte weitergeht und solange wir
leben, aber - zu seinem Ziel gekommen: Dem Ziel der Befreiung als Christen von
unserer babylonischen Gefangenschaft in der Bürgerlichkeit unserer Kirchen, dem
Ziel unserer Befreiung als Bürger von dem historischen Abstieg des Citoyen zum
Bourgeois, des Bourgeois zum Imperialisten und des Imperialisten zum Faschisten
und schließlich dem Ziel unserer Befreiung aus der bürgerlichen Gesellschaft
insgesamt, die ihre historische Mission erfüllt und darum keine menschliche
Zukunft mehr vor sich hatte.
Wir hatten bestätigt gefunden, was Dietrich Bonhoeffer im
Mai 1944 aus dem Gefängnis geschrieben hatte: „Auf unsere Privilegien werden
wir gelassen und in der Erkenntnis einer geschichtlichen Gerechtigkeit
verzichten können. Es mögen Ereignisse und Verhältnisse eintreten, die über
unsere Wünsche und Rechte hinweggehen. Dann werden wir uns nicht in
verbittertem und unfruchtbarem Stolz, sondern in bewußter Beugung unter ein
göttliches Gericht und in weitherziger und selbstloser Teilnahme am ganzen und
an den Leiden unserer Mitmenschen als lebensstark erweisen."*
Nicht zufällig schließe ich meine Reflexionen über den Weg
von der „Befreiung" durch die Antihitlerkoalition zu der Bewährung der
Freiheit in reformatorischer Theologie, demokratischer Besinnung und
schließlich in der Wende von bürgerlichen Traditionen zur revolutionären
sozialistischen Bewegung mit einem Bonhoeffer-Zitat.
Beim ersten Lesen seiner Gefängnisbriefe im Jahr 1951 merkte
ich, daß ich in der Bearbeitung dieses Erbes den Prozeß eigener kirchlicher,
politischer und sozialer Befreiung seit dem „Tag der Befreiung" am besten
reflektieren könnte. Die Grundzüge meines Bonhoeffer-Buches standen bei der
wichtigsten Zäsur meines Weges zur Freiheit, bei meiner Übersiedlung in
die DDR, fest. Heinrich Vogel taufte diesen „Beitrag zu der Beziehung des
Wortes Gottes auf die societas in Dietrich Bonhoeffers theologischer
Entwicklung" auf den Titel „Von der Kirche zur Welt". Zweifellos hat
dieser Titel die Verbreitung des Buches gefördert, aber auch ein
Mißverständnis nahe gelegt. Weder führte dieser Weg von der Kirche weg - ich
habe ein Leben lang versucht, sie auf diesem Weg mitzunehmen - noch führte er
undifferenziert zur Welt, sondern zu einer höchst kritischen Sicht der in sich
so widersprüchlichen Welt. Der Inhalt des Buches war viel dialektischer, als es
der schöne Name zeigt, den Heinrich Vogel ihm gab. Und wenn manche Rezensenten
später meinten, dies Buch sei ein typisches „DDR-Produkt", dann irrten
sie. Es war das Produkt des Weges zur Freiheit in der bürgerlichen Gesellschaft
Westdeutschlands, die, kaum daß sie hatte ahnen können, was Befreiung vom
Faschismus heißen würde, vor dieser Freiheit zurückschreckte und den Rückweg
in den Imperialismus einschlug, während ich ihn bis zur
historisch-dialektisch-materialistischen Einsicht weiter zu gehen versuchte.
*
Nach dem 8. Mai 1945 gab es noch einmal einen Tag der
Befreiung in Deutschland, nunmehr allerdings nur noch in einem Teil
Deutschlands: den 11. August 1961. Was wir damals gewonnen hatten, haben wir
inzwischen - auch durch eigene Schuld - wieder verloren. Ich erlebte diesen
Verlust der gewonnenen Freiheit wiederum ebenso paradox, wie ich 1945 ihren
Gewinn erlebt hatte: War damals wirkliche Freiheit für viele Deutsche nur
hinter Stacheldraht, sechzehn Jahre später nur hinter einem antifaschistischen
Schutzwall zu haben, so ist sie nun wieder nur in der verschworenen Gemeinschaft
derer präsent, die wissen, daß die Zukunft des Imperialismus nur Barbarei sein
kann - wie das Mittelalter nach dem Zusammenbruch der Antike - , wenn es denen,
die Geschichte verstehen, nicht gelingt, noch einmal revolutionär Geschichte zu
machen.
Drei Stimmen zur antifaschistisch-demokratischen Umwälzung
in deutschen Köpfen
Karl Barth:*
Hitler ist tot. Nehmen wir an, er sei es. Aber was hülfe das
der Welt und den Deutschen selbst, ... wenn sie etwa unter allen Zeichen des
Verdrusses und des ehrlichen Entsetzens über Hitler doch nur auf einen neuen
Staat der Herrschaft nach innen, der Drohung nach außen hoffen und zielen, wenn
sie statt auf 1848 aufs neue auf ein 1866 und 1870 zurückkommen wollten und
sollten? Der eigentlich gefährliche deutsche Feind war und ist nicht das Dritte
Reich. Das war nur der Schlangenkopf, die spektakulärste Erscheinung dieses
Feindes, die heute von außen zusammengeschlagen, von innen als böser Traum
ausgeträumt wurde. Der eigentlich gefährliche deutsche Feind war und ist der
Geist, die Gesinnung und Haltung derer, die als sogenannten „Deutschnationale"
nach dem letzten Krieg unter dem Pathos einer deutschen Befreiungsbewegung allen
Autoritarismus und Imperialismus, allen Kapitalismus und Militarismus der
vorausgegangenen Zeit jetzt erst - in der Opposition gegen Versailles und gegen
die allzu schwache Gründung von Weimar - zu vollen Ehren gebracht, die alles
Gute, das den Regelungen von 1919 immerhin nicht ganz abging, systematisch
sabotiert und die schließlich - betrogene Betrüger freilich - das deutsche
Volk dem Mann ausgeliefert haben, der es nun, indem er es zur Weltgefahr machte,
in den Abgrund geführt hat. Ob die Deutschen vom Nationalsozialismus so geheilt
sind, daß das Nachwachsen eines ähnlichen Schlangenkopfes auch innerlich, auch
von ihnen selbst aus, unmöglich ist, das ist die eine Frage, die heute, nach
dem Zusammenbruch des Dritten Reiches, noch offen ist. Denn sie ist damit nicht
beantwortet, daß die Gestalt jenes Staates der Herrschaft und der Drohung heute
von außen vorläufig zerschlagen ist. Eine Idee kann man nämlich nicht und
nicht einmal vorläufig von außen zerschlagen. Mit Potsdam ist Potsdam nur
äußerlich und also nicht wirklich zu überwinden. ...
Indem Hitler Rußland angriff, hat er eine Schleuse
geöffnet, die nun schwerlich wieder zu schließen ist. Anders als durch einen
dritten Weltkrieg, für den niemand willig und fähig zu sein scheint, ist die
Tatsache nicht rückgängig zu machen, daß Rußland heute bis nahe an die Mitte
Europas vorgedrungen ist ... vor allem: der russische Kommunismus, vor
dem die europäische Gesellschaft nun seit fünfundzwanzig Jahren so große
Angst gehabt hat. ...Die Kirche - und nun eben zuerst die deutsche Kirche - muß
damit rechnen, sich dadurch gewissermaßen an die Luft gesetzt sehen. Wird sie
die Kraft und die Freiheit haben, das nicht nur zu erleiden, sondern aus der
Erkenntnis ihrer eigenen Sache heraus gut zu heißen?
Was an Gefährdung ihres äußeren Bestandes drohen mag, das
muß nun überstanden werden. In ihrer Botschaft wird sie frei bleiben, wenn sie
sich nur nicht weigert, nun gerade von ihrer Botschaft her über die positive
Beziehung zur formalen Demokratie hinaus nach einer positiven Beziehung auch zur
sozialen Demokratie zu fragen - nicht nach irgendwelchen neuen Bindungen
nun an die Linksparteien, die diese Programm auf ihre Fahnen geschrieben haben,
wohl aber nach dem Wort, das das relative Recht, das hinter diesem Programm und
diesen Parteien steht, nicht aus- sondern in sich schließt. ...
Deutsche Nüchternheit würde jetzt ... darin bestehen, daß
man sich nicht darauf versteift, nun möglichst schnell und völlig zu den
Zuständen der Zeit vor 1933 zurückzukehren. Auch dann nicht, wenn man mit
Grund froh wäre, wenigstens das wieder zu haben, was man damals hatte. Es ist
wieder eine kleine Illusion, wenn man übersieht, und vielleicht geradezu
übersehen will, daß die Zustände der Zeit vor 1933 beherrscht waren von einer
Bewegung, deren Geist das Aufkommen des Nationalsozialismus nicht nur nicht
gehindert, sondern gefördert hat. ... Der beherrschende Geist jener Zeit war
der deutschnationale Geist, d.h. der Geist des als Fronde weiterlebenden
bismarckisch-kaiserlichen Deutschland. Seine Vertreter waren es, die Hitler
innerlich und dann auch äußerlich freie Bahn gegeben haben. Wer zu jenen
Zuständen zurückkehren will, der will dahin zurückkehren, von wo das Übel
seinen Anfang nahm. Die Katastrophe, die über Deutschland ergangen ist, hat
nicht nur den Irrtum des Hitlerreiches, sie hat auch den Irrtum in den Wurzeln
aufgedeckt, aus denen das Hitlerreich hervorgegangen ist. Restauration ...
allein heißt Reaktion, Wiederherstellung der alten Gefahrenquellen. ... Wäre
es nicht mutig und notwendig zugleich, sich jetzt wenigstens darüber einmal zu
einigen: was jetzt kommen muß, das müssen auf alle Fälle solche deutschen
Zustände und ein solcher deutscher Geist sein, in denen Möglichkeiten wie die,
die wir nun wirklich werden sahen, als solche und in ihrer Wurzel beseitigt
sind? Und weil der russische Kommunismus im künftigen Deutschland auf alle
Fälle eine politische, eine wirtschaftliche, eine geistige Macht sein wird, so
wäre es weise, hinzuzufügen: man wird dieser Begegnung nur dann gewachsen
sein, wenn man ihr ungehemmt durch überlieferte, ungehemmt auch durch gewisse
neu aufgekommene Vorurteile jedenfalls aufgeschlossen und verständniswillig
entgengeht. Und was jetzt kommen muß, das müssen auf alle Fälle solche
deutschen Zustände und ein solcher deutscher Geist sein, die es dem deutschen
Menschen erlauben, in der Auseinandersetzung mit dem heute für ihn so akut
gewordenen Ideen und Forderungen des Ostens ein gute Gewissen zu haben! Wenn
diese Kriterien gelten, dann ist es Reformation und nicht Restauration, was
heute not tut. Wer das ablehnt, wer jetzt immer noch nach rückwärts
liebäugeln zu sollen glaubt, der sehe zu, was er tut. Er weiß vielleicht
nicht, was er tut. Aber das ändert nichts daran: er geht gefährliche Wege.
Man vergißt es zwar immer wieder, aber man kann es heute
wissen, daß es im Krieg und zwar gerade in den von den großen Völkern und
Völkergruppen geführten Kriegen eigentlich und im Grunde immer um Kohle und
Kali, um Erz und Öl und Gummi geht, um Absatzgebiete und Kommunikationswege, um
sichere Grenzen und Einflußsphären als Basis für weitere Machtentfaltungen zu
weiterer Machtgewinnung „wirtschaftlicher" Art. Es ist heute vor
allem vor den Augen aller, die sehen wollen, daß es in der ganzen Welt eine
weitverzweigte, durch die moderne Technik gewaltig in Bewegung gesetzte und
vorwärtsgetriebene und diese ihrerseits immer weiter vorwärtstreibende
Industrie gibt, die als Kriegsindustrie mit allen ihren Verbindungen zu
Industrie, Technik und Handel anderer Art ein gebieterisches Bedürfnis danach
hat, daß von Zeit zu Zeit unter möglichst großem Verschleiß des vorhandenen
Materials und zur Anregung weiterer Nachfrage nach solchem aufs neue Kriege
geführt werden und also entstehen müssen.
Thomas Mann:*
Warum muß immer der deutsche Freiheitsdrang auf innere
Unfreiheit hinauslaufen? Warum mußte er endlich gar zum Attentat auf die
Freiheit aller anderen, auf die Freiheit selbst werden? Der Grund ist, daß
Deutschland nie eine Revolution gehabt und gelernt hat, den Begriff der Nation
mit dem der Freiheit zu vereinigen. Die "Nation" wurde in der
Französischen Revolution geboren, sie ist ein revolutionärer und
freiheitlicher Begriff, der das Menschheitliche einschließt und innenpolitisch
Freiheit, außenpolitisch Europa meint. Alles Gewinnende des französischen
politischen Geistes beruht auf dieser glücklichen Einheit; alles Verengende und
Deprimierende des deutschen patriotischen Enthusiasmus beruht darauf, daß diese
Einheit sich niemals bilden konnte. Man kann sagen, daß der Begriff der
"Nation" selbst, in seiner geschichtlichen Verbundenheit mit dem der
Freiheit, in Deutschland fremd ist. ... Die deutsche Freiheitsidee ist
völkisch-antieuropäisch, dem Barbarischen immer sehr nahe, wenn sie nicht
geradezu in offene und erklärte Barbarei ausbricht wie in unseren Tagen. Aber
das Ästhetisch-Abstoßende und Rüde, das schon ihren Trägern und Vorkämpfern
zur Zeit der Freiheitskriege anhaftet, dem studentischen Burschenschaftswesen
und solchen Typen wie Jahn und Maßmann, zeugt von ihrem unglücklichen
Charakter. Goethe war wahrhaftig nicht fremd der Volkskultur und hatte nicht nur
die klassizistische "Iphigenie", sondern auch so kerndeutsche Dinge
wie "Faust I", "Götz" und die "Sprüche in
Reimen" geschrieben. Dennoch war zur Erbitterung aller Patrioten sein
Verhalten zum Kriege gegen Napoleon von vollkommener Kälte, - nicht nur aus
Loyalität gegen seinen Pair, den großen Kaiser, sondern auch weil er das
barbarisch-völkische Element in dieser Erhebung widerwärtig empfinden mußte.
... Gewiß ist, daß das Verhältnis des deutschen Gemütes zur Politik ein
Unverhältnis, ein Verhältnis der Unberufenheit ist. Es äußert sich das
historisch darin, daß alle deutschen Revolutionen fehlschlugen; die von 1525,
die von 1813, die 48er Revolution, die an der politischen Hilflosigkeit des
deutschen Bürgertums scheiterte, und endlich die von 1918. ...
Politik ... schließt viel Hartes, Notwendiges, Amoralisches,
viel von "expediency" und Zugeständnis an die Materie, viel
Allzumenschliches und dem Gemeinen Verhaftetes ein, und schwerlich hat es je
einen Politiker, einen Staatsmann gegeben, der Großes erreichte und sich nicht
danach hätte fragen müssen, ob er sich noch zu den anständigen Menschen
zählen dürfe. Und dennoch, so wenig der Mensch nur dem Naturreich angehört,
so wenig ist die Politik nur im Bösen beschlossen. ...
Die zur Politik berufenen und geborenen Völker wissen denn
auch instinktiv die politische Einheit von Gewissen und Tat, von Geist und Macht
wenigstens subjektiv immer zu wahren; sie treiben Politik als eine Kunst des
Lebens und der Macht, bei der es ohne den Einschlag von Lebensnützlich-Bösem
und allzu Irdischem nicht abgeht, die aber das Höhere, die Idee, das
Menscheitlich-Anständige und Sittliche nie ganz aus den Augen läßt: eben
hierin empfinden sie "politisch" und werden fertig mit der Welt und
mit sich selbst auf diese Weise. Ein solches auf Kompromiß beruhendes
Fertigwerden mit dem Leben erscheint dem Deutschen als Heuchelei. Er ist nicht
dazu geboren, mit dem Leben fertig zu werden, und er erweist seine Unberufenheit
zur Politik, indem er sie auf eine plump ehrliche Weise mißversteht. ... Der
Deutsche, als Politiker, glaubt sich so benehmen zu müssen, daß der Menschheit
Hören und Sehen vergeht - dies eben hält er für Politik. Sie ist ihm das
Böse, - so meint er denn um ihretwillen recht zum Teufel werden zu sollen. ...
Oder nehmen Sie die vielleicht berühmteste Eigenschaft der
Deutschen, diejenige, die man mit dem sehr schwer übersetzbaren Wort
"Innerlichkeit" bezeichnet: ... Die deutsche Romantik, was ist
sie anderes als ein Ausdruck jener schönsten deutschen Eigenschaft, der
deutschen Innerlichkeit? Viel Sehnsüchtig-Verträumtes,
Phatastisch-Geisterhaftes und Tief-Skurriles, auch ein hohes artistisches
Raffinement, eine alles überschwebende Ironie verbindet sich mit dem Begriff
der Romantik. Aber nicht dies ist eigentlich, woran ich denke, wenn ich von
deutscher Romantik spreche. Es ist vielmehr eine gewisse dunkle Mächtigkeit und
Frömmigkeit, man könnte auch sagen: Altertümlichkeit der Seele, welche sich
den chtonischen, irrationalen und dämonischen Kräften des Lebens, das will
sagen: den eigentlichen Quellen des Lebens nahe fühlt und einer nur
vernünftigen Weltbetrachtung und Weltbehandlung, die Widersetzlichkeit tieferen
Wissens, tieferer Verbundenheit mit dem Heiligen bietet. Die Deutschen sind ein
Volk der romantischen Gegenrevolution gegen den philosophischen
Intellektualismus und Rationalismus der Aufklärung - eines Aufstandes der Musik
gegen die Literatur, der Mystik gegen die Klarheit. Die Romantik ist nichts
weniger als schwächliche Schwärmerei; sie ist die Tiefe, welche sich zugleich
als Kraft, als Fülle empfindet; ein Pessimismus der Ehrlichkeit, der es mit dem
Seienden, Wirklichen, Geschichtlichen gegen Kritik und Meliorismus, kurz mit der
Macht gegen den Geist hält und äußerst gering denkt von aller rhetorischen
Tugendhaftigkeit und idealistischen Weltbeschönigung. ...
Goethe hat die lakonische Definition gegeben, das Klassische
sei das Gesunde und das Romantische das Kranke. Eine schmerzliche Aufstellung
für den, der die Romantik liebt bis in ihre Sünden und Laster hinein. Aber es
ist nicht zu leugnen, daß sie noch in ihren holdesten, ätherischsten, zugleich
volkstümlichen und sublimen Erscheinungen den Krankheitskeim in sich trägt,
wie die Rose den Wurm, daß sie ihrem innersten Wesen nach Verführung ist, und
zwar Verführung zum Tode. ...
Und, heruntergekommen auf ein klägliches Massenniveau, das
Niveau eines Hitler, brach der deutsche Romantismus aus in hysterische Barbarei,
in einen Rausch und Krampf von Überheblichkeit und Verbrechen, der nun in der
nationalen Katastrophe, einem physischen und psychischen Kollaps ohnegleichen,
sein schauerliches Ende findet.
Albert Einstein: *
... Nun kann ich kurz sagen, worin ich das Wesen der
gegenwärtigen Krise sehe. Sie betrifft die Stellung des Individuums zur
Gesellschaft. Das Individuum fühlt sich mehr als je abhängig von der
Gesellschaft. Aber es fühlt diese Abhängigkeit nicht in positivem Sinne als
organische Verbundenheit, als Geborgen-Sein. sondern eher als eine Art
Gefährdung seiner natürlichen Rechte, ja seiner wirtschaftlichen Existenz.
Seine Stellung in der Gesellschaft ist ferner von solcher Art, daß seine
egoistischen Triebkomponenten in ihrer Entwicklung gefördert werden, die
ohnehin schwächeren sozialen Triebkomponenten aber weitgehend verkümmern. So
verschieden auch die Stellen der Individuen in der Gesellschaft sind, an dieser
Verkümmerung leiden sie alle. In der unsichtbaren Zelle ihres Egoismus
eingesperrt, fühlen sie sich unsicher, vereinsamt und der naiven und
unbekümmerten Daseinsfreude beraubt. Das Individuum mit seinem fragilen, kurzen
Dasein kann sein Leben nur als sinnvoll empfinden durch sein Wirken für die
Gesellschaft.
Ich sehe die eigentliche Wurzel des Übels in der partiellen
wirtschaftlichen Anarchie der Gesellschaft. Es ist eine riesige
Produktions-Gemeinschaft, deren Mitglieder dauernd danach streben, einander nach
Möglichkeit die Früchte der gemeinsamen Arbeit wegzunehmen - nicht mit Gewalt,
sondern unter im allgemeinen strikter Befolgung gesetzlich festgelegter Regeln.
Wesentlich ist dabei, daß es zugelassen wird, daß die sogenannten
Kapitalgüter, welche es den Arbeitenden ermöglichen, Konsumgüter (Nahrung,
Kleidung etc.) und neue Kapitalgüter herzustellen, Privatbesitz von Individuen
sein können und zum großen Teil sind. Diese Kapitalgüter sind teils
Naturschätze (Boden, Bergwerke etc.), teils Produkte menschlicher Arbeit
(Gebäude, Maschinen etc.).
Ich will nun im folgenden der Einfachheit halber die
Nicht-Kapitalbesitzer "Arbeiter" nennen, obwohl dies nicht genau dem
Sprachgebrauch entspricht. Der Kapitalbesitzer kann dem Arbeiter seine
Arbeitskraft abkaufen. Mit Benützung des Kapitals erzeugt der Arbeiter neue
Güter, die Eigentum des Kapitalbesitzers werden. Wesentlich ist bei diesem
Prozeß, wieviel der Arbeiter in Sachwert gemessen für seine Arbeit erhält im
Vergleich mit dem Sachwerte der von ihm erzeugten Güter. Insoweit der
Arbeitsvertrag "frei" ist, richtet sich die Bezahlung des Arbeiters
unter Berücksichtigung seiner Mindestbedürfnisse, nach der Zahl der
konkurrierenden Arbeiter im Verhältnis zu der Menge der vom Kapitalbesitzer
benötigten Arbeitskräfte und nicht nach dem Sachwerte der von ihnen erzeugten
Güter. Wesentlich ist: Die Bezahlung der Arbeit ist auch im Prinzip nicht
bedingt durch den Wert der durch sie erzeugten Güter.
Das Privatkapital hat die Tendenz, sich in wenigen Händen zu
konzentrieren, teils infolge der Konkurrenz zwischen den Kapitalbesitzern, teils
auch wegen des Umstandes, daß der technologische Fortschritt und die mit ihm
verbundene fortschreitende Arbeitsteilung die größeren Produktions-Organismen
gegenüber den kleineren begünstigt. Es resultiert eine Oligarchie des
Privatkapitals, deren Macht auch eine demokratische politische Organisation der
Gesellschaft nicht gewachsen ist. Dies hängt damit zusammen, daß die Wahl in
die gesetzgebenden Körperschaften von Vorschlägen der politischen Parteien
abhängt; die Finanzierung der Parteien aber ist weitgehend vom Privatkapital
abhängig, das auf solche Weise gewissermaßen zwischen die Wählerschaft und
die gesetzgebenden Körperschaften geschaltet ist. Dies bedingt, daß die
Volksvertreter die Interessen der nicht begüterten Volksteile nicht in
genügendem Maße vertreten. Außerdem ist es unter den obwaltenden
Verhältnissen unvermeidlich, daß das Privatkapital die Informationsquellen des
Publikums (Presse, Radio, Schulwesen) teils direkt, teils indirekt kontrolliert.
Dadurch wird es dem einzelnen schwer, sich ein objektives Urteil zu bilden und
von seinen politischen Rechten einen vernünftigen Gebrauch zu machen. Der so
skizzierte Zustand ist charakterisiert durch die beiden Grundsätze:
Die Arbeitsmittel (Kapital) sind Privatbesitz, und die
Besitzer verfügen frei über die Verwendung der Arbeitsmittel. Der
Arbeitsvertrag ist frei.
Eine in solchem Sinne rein privatkapitalistische
Wirtschaft gibt es nirgends. Insbesondere ist es den Arbeitern nach langen
politischen Kämpfen gelungen, eine etwas gemilderte Form des "freien
Arbeitsvertrages" für gewisse Kategorien von Arbeitern zu erreichen. Aber
im Ganzen genommen unterscheidet sich unsere Wirtschaft nur wenig vom
"reinen Kapitalismus"
Es wird produziert für den Profit, statt für den Bedarf. Es
ist nicht dafür gesorgt, daß die ganze arbeitsfähige Bevölkerung am
Produktionsprozeß beteiligt ist. Es gibt immer ein "Heer der
Arbeitslosen". Jeder muß um seinen Arbeitsplatz zittern, wenn er einen
hat. Für die Arbeitslosen und schlecht Bezahlten zu produzieren, lohnt
sich im allgemeinen nicht. Viel Not und Schrumpfung der Produktion von
Konsumgütern ist die Folge. Der technologische Fortschritt hat zur Folge, daß
die Arbeitslosigkeit zunimmt, statt die Arbeitslast aller zu vermindern. Das
Profitmotiv in Verbindung mit der Konkurrenz der Kapitalbesitzer bringt eine
Instabilität in der Verwendung des Kapitals mit sich, die zu den immer
häufiger sich wiederholenden "Depressionen" führt. Hemmungslose
Konkurrenz führt zu einer maßlosen Verschwendung von Arbeitskraft und zu der
schon erwähnten Verkrüppelung der sozialen Seite in der Veranlagung der
Individuen. Diese Verkrüppelung halte ich für das größte Übel, das der
"Kapitalismus" mit sich bringt. Dieses Übel macht sich schon im
Erziehungswesen geltend, in welchem das junge Individuum mit einem
übertriebenen kompetitiven Geist erfüllt wird: eine Vorbereitung für das
spätere Berufsleben.
Nach meiner Überzeugung gibt es nur einen Weg zur
Beseitigung dieser schweren Übel, nämlich die Etablierung der sozialistischen
Wirtschaft, vereint mit einer auf soziale Ziele eingestellten Erziehung: Die
Arbeitsmittel werden Eigentum der Gesellschaft und werden von dieser
planwirtschaftlich verwendet. Die Planwirtschaft mit ihrer dem elementaren
Warenbedarf der Gesellschaft angepaßten Gütererzeugung verteilt die zu
leistende Arbeit auf alle arbeitsfähigen Individuen und sichert alle gegen Not.
Die Erziehung des Individuums erstrebt neben der Entwicklung der individuellen
Fähigkeiten die Erweckung eines auf den Dienst am Nebenmenschen gerichteten
Ideals, das an die Stelle der Glorifizierung von Macht und Erfolg zu treten hat.
Planwirtschaft ist noch kein Sozialismus. Planwirtschaft kann
mit einer völligen Versklavung des Individuums verbunden sein. Der Sozialismus
hat es mit einem politisch-sozialen Problem zu tun, das nicht leicht zu lösen
ist: Wie bringt man es bei so weitgehender Zentralisierung der politischen und
ökonomischen Macht zuwege, daß die Bürokratie nicht zu mächtig wird und zu
sehr anschwillt, daß das Individuum nicht politisch verkümmert und mit ihm das
demokratische Gegengewicht gegen die Macht der Bürokratie?
Klarheit über die Ziele und Probleme des Sozialismus ist
für unsere Zeit des Überganges von größter Bedeutung. Leider ist bei dem
jetzigen Zustande der Gesellschaft die freie Diskussion dieser Dinge durch ein
mächtiges Tabu erschwert.
Das Vermächtnis von Buchenwald - gestern,
heute, morgen
von Horst Schneider
Buchenwald und Weimar werden im Jahre 2005 abermals in
spezifischer Weise ins Bewußtsein einer breiten Öffentlichkeit treten.
Anläßlich des 60. Jahrestags der Selbstbefreiung der Häftlinge des
Konzentrationslagers Buchenwald am 11. April 1945 - unmittelbar vor dem
Eintreffen von US-Truppen - wird Bundeskanzler Schröder an dem Gedenken
teilnehmen. Ein neuer Appell von Buchenwald ist in Vorbereitung.1 Der
Anlaß ist Grund genug, um an die Geschichte des Nazi-Konzentrationslagers
Buchenwald, die Entstehung und Geschichte der Mahn- und Gedenkstätte, den
Streit um die „doppelte Vergangenheit" und das aktuelle Vermächtnis
nachzudenken.
Weimar und Buchenwald symbolisieren in einzigartiger Weise
Größe und Tragik deutscher Geschichte. Der „ Geist von Weimar",
verkörpert in Dichtern wie Goethe, Schiller und Herder, Philosophen wie
Schopenhauer und Nietzsche, Komponisten wie Franz Liszt, hat sein Gegenbild in
Buchenwald, auf dem Rücken des Ettersbergs, der sich in Schriften eben dieser
Dichter wiederfindet, „ein Ort der Spazierritte, der Pirschgänge,
dichterischer Einfälle, holder Muße." 2
Die Weimarer Bürger wußten von der Existenz dieses Lagers,
sie mußten nicht erst durch US–Soldaten im Mai 1945 an die Stätte des
Verbrechens und Grauens geführt werden. Sie hatten, wie Arnold Zweig schrieb,
„oft genug Gelegenheit, auf Lastwagen herangeführte ‘Sträflinge’ mit
geschorenen Köpfen, viele den gelben Judenstern auf der Brust, vorüberfahren
sehen, zu Arbeitsplätzen am Rande der berühmten Stadt - und sahen nichts,
wußten nichts und glaubten nichts." 3
Arnold Zweig schrieb vom „ Rätsel der modernen Zeit."
Angesichts der Fortsetzung von Verbrechen an Menschen und der existentiellen
Bedrohung der Menschheit ist es höchste Zeit, zur Lösung des „
Rätsels" beizutragen. Es ist auch zwingend, jenen Verfechtern einer „Erinnerungskultur"
entgegenzutreten, die ihren Job mit der Verteufelung des Antifaschismus und der
„Abwicklung" antifaschistischer Tradition und Gedenkstätten sichern
wollen. Schiller nannte solche Leute in seiner Antrittsvorlesung als Historiker
in Jena am 26. Mai 1989 verächtlich „Brotgelehrte". 4
„Theoretische" Grundlage für die „Abwickler"
ist in der Regel die Totalitarismus-Doktrin, deren Kern der „Diktaturenvergleich"
ist, meist die Gleichsetzung des „SED–Unrechtsstaats" mit dem „Dritten
Reich." 5
Nach dem Willen der CDU soll die Totalitarismus-Doktrin sogar
in den Rang einer verbindlichen Gesetzesnorm erhoben werden. Im Entwurf, den sie
Anfang 2004 im Bundestag einreichte und der am 17. Juni (!) 2004 beschlossen
werden sollte, heißen die ersten Sätze:
„Der Bundestag wolle beschließen: Zu den konstitutiven
Elementen des wiedervereinigten Deutschland gehört das Gedenken an die Opfer
der beiden Diktaturen des 20. Jahrhunderts: Nationalsozialismus und Kommunismus.
Beide sind Bestandteile der deutschen Geschichte." 6
Der Widerstand vor allem des Zentralrats der Juden und
antifaschistischer Opferverbände führte dazu, daß der Vorstoß der CDU bisher
gescheitert ist. Es wäre jedoch blauäugig zu hoffen, daß die Einreicher des
Gesetzes künftig der historischen Wahrheit und der Vernunft die Ehre erweisen
werden. Gerade die Auseinandersetzung um das Vermächtnis von Buchenwald ist ein
Lehrbeispiel für den Inhalt und die Schärfe der aktuellen „Erinnerungsschlacht."
7 Ein Blick auf die Literatur zeigt das. 8
„Jedem das Seine"
Diese zynische Losung prangte über dem Eingang des
Konzentrationslagers Buchenwald, dessen Leidensgeschichte im Sommer 1937 begann.
9
Der Zeitpunkt war kein Zufall. Die Aggression gegen die
Tschechoslowakei stand bevor. Das existierende Lager in Dachau sollte für den
zu erwartenden „ Nachschub" entlastet werden. Der „innere"
Widerstand sollte unmöglich gemacht werden.
Himmler hatte schon Anfang 1937 vor Wehrmachts- und
SS-Offizieren erklärt:
Im Falle des Krieges gegen die Tschechoslowakei müsse jeder
Widerstand unterbunden werden. 10
Am 15. Juli 1937 trafen die ersten 149 Häftlinge, darunter
52 politisch Verfolgte (rotes Dreieck) auf dem Ettersberg ein. Anfangs wurden
auch Häftlinge der „ Aktion arbeitsscheu" in Buchenwald eingeliefert
(grüne Winkel) und am Aufbau des Lagers beteiligt.
Nach der „Reichskristallnacht" im November 1938 wurden
zeitweilig über 10.000 jüdische Häftlinge nach Buchenwald verschleppt.
Im Laufe der Jahre bis 1945 gab es außer dem zentralen Lager
auf dem Ettersberg noch 136 Außenlager mit insgesamt 250. 000 Häftlingen aus
35 Ländern.
Mehr als 56. 000 Buchenwald-Häftlinge wurden ermordet oder
kamen um.
Zum Lageralltag gehörte die „Vernichtung durch
Arbeit" ebenso wie die Verbrechen der SS an Gefangenen. Bruno Apitz hat das
Leben und Sterben in Buchenwald in „Nackt unter Wölfen" beschrieben. Die
DEFA drehte unter diesem Titel einen Film, in dem so hervorragende Schauspieler
wie Erwin Geschonnek und Gerry Wolf mitwirkten.
Emil Carlebach beschrieb das System des Terrors der SS in
Buchenwald in „Buchenwald ein Konzentrationslager" in den Kapiteln: Erziehung
zum Sadismus ;Die Lampenschirme der Kommandeuse; Das System der Strafen; Der „Sonderbau";
Medizinische Experimente an Gefangenen - im Interesse der IG Farben; Die
Genickschußanlage; Morde an alliierten Offizieren.
In Buchenwald führten Ärzte „ Sonderbehandlungen" an
Juden und Sinti und Roma durch, „erprobten" Impfstoffe an Häftlingen und
spritzten Arbeitsunfähige zu Tode. Über 8 000 sowjetische Offiziere wurden
ermordet, wofür außerhalb des Lagergeländes ein „Pferdestall" mit
Genickschußanlage errichtet wurde.
Auf Befehl Himmlers wurden in der Schlußphase des Krieges
Häftlinge ermordet, von denen zu erwarten war, daß sie eine führende Rolle
beim Neuaufbau Deutschlands übernehmen könnten. Zu den in Buchenwald zu Tode
Gekommenen gehörten der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann, der führende
Sozialdemokrat Rudolf Breitscheid, der Pfarrer Paul Schneider und 56.000 andere
Antifaschisten. Buchenwald wurde wie Auschwitz, Dachau und Maidanek zu einem der
Symbole faschistischen Verbrechens und Terrors.
„Widerstand hinter Stacheldraht"
Buchenwald war und bleibt aber auch leuchtendes Symbol des
„ Widerstands hinter Stacheldraht." Das ist bezeugt und bewiesen. 11
Der Widerstand zielte zunächst darauf ab, die
Haftbedingungen und Überlebenschancen für möglichst viele zu verbessern. Da
die SS wie auch in anderen Lagern eine Art „ Selbstverwaltung" der
Häftlinge zuließ, war die Besetzung von Funktionen und deren Nutzung ein
entscheidender Kampfabschnitt des Widerstandes. Anfangs hatten kriminelle
Totschläger wichtige Funktionen inne. Allmählich gelang es, Antifaschisten im
Lagerschutz, der Feuerwehr, im Sanitätstrupp und der Krankenbaracke
unterzubringen. Das erleichterte den Aufbau einer illegalen Lagerleitung und
ermöglichte, eine illegale bewaffnete Militärorganisation zu schaffen. Der
Krankenbau wurde zu einem Zentrum des illegalen Widerstandes, dem auch
gefährdete Kameraden das Überleben verdankten. Es ist kein Zufall, daß nach
1990 die kommunistischen Kapos Zielscheibe einer organisierten Medienkampagne
wurden, an der sich auch „Abwickler" beteiligten. 12
Nachdem BILD gedruckt hatte „Kommunisten mordeten gemeinsam
mit der SS," begann auch eine „wissenschaftliche" Kontroverse.
Ausgangspunkt und Grundlage waren Aktenfunde aus dem SED-Nachlass. Ende der
vierziger/ Anfang der fünfziger Jahre gab es „Parteiüberprüfungen,"
bei denen das Verhalten ehemaliger KZ-Häftlinge, die nach 1945 hohe Funktionen
bekleideten, daraufhin überprüft wurden, ob sie sich gegenüber ihren
Kameraden solidarisch und ehrenhaft verhalten hatten oder nicht. Auch
ungerechtfertigte Vorwürfe standen zur Diskussion.
Diese innerparteiliche und seit Jahrzehnten abgeschlossene
Prüfung mißbrauchten Nutzer der „Akten" zu einer weiteren
unappetitlichen Kampagne, in der sich Historiker zum Gralshüter der Moral
aufschwangen. Lutz Niethammer glaubte folgern zu dürfen:
„An die Futterkrippen - die Küchen und Magazine -…
erinnerten sich die Genossen, als sie 1943 um die Funktionsstellen
kämpften." 13
Daß von den Inhabern der „Funktionsstellen" Leben
oder Tod anderer abhängen konnte, scheint für einen Historiker (mit Lehrstuhl
in Jena, wo auch Schiller gelehrt hat) schwer begreiflich zu sein.
Später und an anderer Stelle relativierte Niethammer sein
Urteil über die Rolle der „roten Kapos." Akten seien kein Mittel, um die
„Kollaboration der KPD und der SS im KZ Buchenwald im Sinne einer totalitären
Denk- und Tatgemeinschaft nachzuweisen oder auch nur wahrscheinlich zu
machen." 14 Da bleibt zu fragen: Wer will eine „totalitäre
Denk- und Tatgemeinschaft" nachweisen und welche infamen Absichten hat er?
Warum soll die KPD in eine Reihe mit der SS gestellt werden? Geht es infamer?
Emil Carlebach, KZ-Häftling in Buchenwald und international geachteter
Antifaschist, hat den Fälschern und Verleumdern zum Thema „ rote Kapos"
die verdiente und überzeugende Abfuhr erteilt.15
Zu den Ergebnissen des illegalen Widerstandes gehört, daß
etwa 20.000 Buchenwald–Häftlinge die Zeit im Konzentrationslagers überlebten
und daß diese Überlebenden am 11. April 1945 den bewaffneten Aufstand wagen
konnten.
Wenige Tage später leisteten 21. 000 „ Männer und
Knaben" den Schwur von Buchenwald, in dem es heißt: „ …Unsere Sache
ist gerecht - unser muß der Sieg sein -. Wir führten in vielen Sprachen den
gleichen, harten opferreichen Kampf. Und dieser Kampf ist noch nicht zu Ende.
Noch wehen Hitlerfahnen! Noch leben die Mörder unserer Kameraden! Noch laufen
unsere sadistischen Peiniger frei herum!... Die Vernichtung des Nazismus mit
seinen Wurzeln ist unsere Losung! Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und
der Freiheit ist unser Ziel!" 16
„Das Ehrenmal ist kein toter Stein" (Otto Grotewohl)
In der DDR war es Ehrenpflicht, keineswegs „
verordneter" Antifaschismus, an die Kämpfer und Opfer in den
Konzentrationslagern zu erinnern und ihr Vermächtnis in Ehre zu halten.
Buchenwald spielte dabei eine besondere Rolle, auf die eingangs hingewiesen
wurde. Schon 1951 beschloß die Regierung der DDR, in Buchenwald eine würdige
Mahn- und Gedenkstätte zu errichten. Architekten, bildende Künstler, ehemalige
Häftlinge, eine breite Öffentlichkeit waren an der Diskussion um das Projekt
beteiligt. Als Ort der Gedenkstätte wurde der Südabhang des Ettersberges
bestimmt. Die Weihe des Ehrenmals erfolge durch Ministerpräsident Otto
Grotewohl.
Die Einweihung des Buchenwald-Denkmals am 14. September 1958
war Gelegenheit, den Buchenwald-Schwur vom April 1945 der aktuellen Situation
entsprechend zu erneuern. 17 Otto Grotewohl überschrieb seine Rede
„Mahnung für alle Zeiten" und nutzte sie, um auf die unterschiedliche
Entwicklung in der DDR und in der BRD aufmerksam zu machen: „Vor der Welt
stehen heute zwei deutsche Staaten. Der eine hat aus den Fehlern der Geschichte
gelernt. Er hat gute und richtige Lehren gezogen." Was er über den
aggressiven Charakter und die reaktionäre Entwicklung des anderen deutschen
Staates sagte, kann aus der Sicht von heute genauer geprüft werden, als es 1958
möglich war. 18 Korrigieren müßte sich Otto Grotewohl in seinen
grundsätzlichen Einschätzungen - leider - nicht.
Arnold Zweig schrieb anläßlich der Einweihung der Mahn- und
Gedenkstätte: „Jetzt aber geht von Buchenwald und seinem Widerspiel Weimar
die unbedingte Aufforderung aus, jeden Ansatz dessen zu zertreten, was noch
einmal zu ähnlichen Beschmutzungen unserer geistigen Welt, aller geschaffenen
Güter führen könnte." 19
(Bundeskanzler Willy Brandt besuchte anläßlich der „Erfurter
Begegnung" mit Willy Stoph am 14. März 1970 Buchenwald und legte in
Begleitung von DDR-Außenminister Otto Winzer einen Kranz nieder. Eine Rede
hielt er nicht. - Nun wird sich Gerhard Schröder an der Mahnung Otto Grotewohls
messen lassen müssen.)
Im Zentrum des Mahnmals steht unterhalb des Glockenturms die
Buchenwald-Gruppe von Fritz Cremer, Bronzefiguren von über 3 m Höhe, im
Mittelpunkt der „Schwörende", links ein Kind (von über 900 Kindern
unter 16 Jahren, die es im Lager gegeben hatte). Das Mahnmal in Buchenwald
sollte an den Weg der Inhaftierten erinnern von der ersten Stele, die den
Lageraufbau ins Bild bringt, die zweite, die die Kameradschaft unter den
Häftlingen würdigt, die dritte, die die Arbeit im Steinbruch darstellt (der
Steinarbeiter mit der erhobenen Faust ist Rudi Arndt), die vierte, die die
Ausbeutung der Häftlinge zeigt, schließlich die illegale Thälmannfeier, eine
Art Vorbereitung auf die Selbstbefreiung der Häftlinge. Schöpfer und Erbauer
des Denkmals war Fritz Cremer, die Verse schrieb Johannes R. Becher.
„Todesfabriken der Kommunisten"?
Nach 1945 diente das ehemalige Nazi-Konzentrationslager
Buchenwald der sowjetischen Besatzungsmacht zur Internierung von Nazi- und
Kriegsverbrechern, wie das z.B. die US-Besatzungsmacht in Dachau tat. Grundlage
dafür waren die Beschlüsse der Alliierten für die Nachkriegsbesetzung in
Deutschland, wie sie u.a. in Jalta verabschiedet wurden. Über das „Speziallager
2" in Buchenwald und andere gibt es inzwischen eine umfangreiche Literatur
mit sehr unterschiedlichen Wertungen. Für die einen sind das „Todesfabriken
der Kommunisten", 20 für die anderen die tragische, aber
unvermeidliche Konsequenz für die Verbrechen der (zum Teil) inhaftierten
Naziverbrecher. 21
Zu den Tatsachen gehört, daß in der DDR die Existenz von
sowjetischen Speziallagern nicht Gegenstand einer spezifischen Forschung und des
Gedenkens war, und eine Gedenkstätte für die „Opfer der USA-Besatzung",
z.B. in Dachau gibt es zu Recht natürlich bis heute nicht. Woraus resultiert
die besondere „ Liebe" von Totalitarismusforschern für das „Speziallager
2"?
In Buchenwald scheint eine historische Tatsache die
Behauptung von Totalitarismusforschern zu bestätigen. Auf dem Gelände des
Nazi-Konzentrationslagers errichteten sowjetische Organe nach 1945 das „Speziallager
2", eines in der Kette von Lagern, die die Alliierten in Ost und West zur
Inhaftierung von Kriegsverbrechern und Naziaktivisten verwendeten. Sie waren
keine GULAGS.
In Buchenwald wurde nach 1990 wie auch in anderen
Gedenkstätten der DDR angestrebt, die „doppelte Vergangenheit", die
aufeinanderfolgenden „zwei Diktaturen in Deutschland", zum Gegenstand der
Erinnerungskultur zu machen. Theoretische Grundlage für die entsprechenden
Konstruktionen liefert die Totalitarismus-Doktrin, die im Kern die Gleichheit
(bestenfalls Ähnlichkeit) der „nationalsozialistischen" Diktatur mit dem
„Unrechtsstaat" DDR behauptet.22
Über die Entstehung, Funktion und Entwicklung des
sowjetischen „Speziallagers 2" gibt es inzwischen Forschungsergebnisse.23
Das Lager wurde nach dem Abzug der USA-Truppen von August 1945 an zur
Inhaftierung von Kriegsverbrechern und Naziführern verwendet, die in 40
Holzbaracken untergebracht wurden. Das Krematorium wurde stillgelegt. Am 24.
Oktober 1945 betrug die Zahl der Inhaftierten 4.400; eine Zahl , die sich in den
folgenden Monaten erhöhte. Die Höchstziffer betrug im März 1947 16.377
Internierte. Die Zahl der in der Haft, vorwiegend an Hunger und Krankheit,
Verstorbenen betrug 7.113. Unter den Internierten gab es auch Leute, die unter
Werwolfverdacht standen, unerlaubt Waffen besaßen, auch Opfer von
Denunziationen. Zweifellos ist die Existenz von Internierungs-Speziallagern in
allen Besatzungszonen primär eine Folge der faschistischen Verbrechen und des
barbarischen Krieges. Ohne das Vorausgegangene wäre die Antihitlerkoalition
nicht entstanden, hätten die Sieger Deutschland nicht besetzen müssen. Es gilt
Ralph Giordanos Erkenntnis:„Und auch für das, was dann beim Einmarsch über
die deutschen Ostgrenzen geschah, hat selbstverständlich der deutsche
Aggressor, haben Hitler und seine Anhänger, die großen wie die kleinen, die
Primärverantwortung".24 Seit dem 25. Mai 1997 dokumentiert eine
ständige Ausstellung die Geschichte des Speziallagers 2 in Buchenwald.25
Die „ Erinnerungsschlacht" um Buchenwald
Den Begriff „Erinnerungsschlacht" verwendete Norbert
Frei in seinem Artikel in „ Die Zeit" vom 21. Oktober 2004 für seinen
Titel „ Die Erinnerungsschlacht um den 60. Jahrestag des Kriegsendes hat
begonnen".
Die „Erinnerungsschlacht" um die Gedenkkultur in
Buchenwald wie auch in anderen Gedenkstätten, die in der DDR an die Verbrechen
der Nazidiktatur und den Widerstand gegen den Faschismus erinnerten, tobt seit
1990 und war von Innenminister Schäuble verordnet.26 Der
Antifaschismus in der DDR war „abzuwickeln", der „Diktaturenvergleich"
durchzusetzen. Inzwischen darf der Interessierte das Ergebnis besichtigen.27
Anfang der neunziger Jahre wirkte im Auftrag der
thüringischen Landesregierung eine elfköpfige Expertengruppe unter Leitung von
Prof. Dr. Eberhard Jäckel (Stuttgart), in der u.a. Dr. Konrad Adam von der FAZ
und Barbara Diestel von der KZ-Gedenkstätte Dachau mitarbeiteten. Im Ergebnis
von drei Sitzungen entstanden Empfehlungen zur „Neuorientierung der
Gedenkstätte Buchenwald". 28 Zu ihren Vorschlägen gehörte,
„die Geschichte des Speziallagers zu erforschen und die Erinnerung an die
Opfer des Speziallagers und des Konzentrationslagers räumlich zu trennen".
29
Horst Schuh scheint die Quintessenz der „
Neuorientierung" besonders gut begriffen zu haben: „In Buchenwald sind
die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts nahtlos aufeinander gefolgt: Eines der
größten Konzentrationslager der nationalsozialistischen Zeit wurde von einem
Hunger- und Schweigelager abgelöst, um sodann vier Jahrzehnte als ‘antifaschistischer
Olymp’ des SED-Regimes zu dienen." 30 (Mit Verlaub: Wie wäre
dann die Nutzung des ersten Konzentrationslagers der Nazis, Dachau, durch die
US-Truppen zu werten? - Ein Denkmal für die vielen „Opfer" des
Internierungslagers Dachau existiert bisher nicht und wird wohl auch nicht
entstehen. Warum wohl nicht?)
Schuh bietet eine namenlose DDR-Schülerin als „Zeitzeugin"
auf, um die Notwendigkeit der „Neuorientierung" im (un)heiligen Geiste
der Totalitarismus-Doktrin zu begründen. Diese Autorin beschwert sich darüber,
dass sie im Literaturunterricht der DDR Bücher wie Bruno Apitz’ „Nackt
unter Wölfen," Anna Seghers’ „Das siebte Kreuz" und Dieter Nolls
„Die Abenteuer des Werner Holt" kennenlernte. Unter dem „Deckmantel der
Literatur" habe eine „Gleichsetzung" von Antifaschismus und
Kommunismus stattgefunden.31 Hier zeigt sich, wie unterschiedlich ein
Buch bewertet werden kann und welche ideologische Brille die Autorin inzwischen
bevorzugt. Anna Seghers trägt daran keine Schuld. Und es wird der „bekehrten"
Autorin keine Sorge bereiten, daß in dem Buch, in dem sie sich äußert, die
wahrheitswidrige und verleumderische Gleichsetzung der DDR mit dem Hitlerstaat
roter Faden ist. Die Konzeption, die Opfer des Faschismus nun auch mit den von
der Sowjetunion Inhaftierten zu „saldieren" 32 ,
Kriegsverbrecher und Naziaktivisten, die für den Krieg und die faschistischen
Verbrechen verantwortlich waren, in den Rang von Märtyrern „kommunistischen
Unrechts" zu erheben, mußte zwangsläufig zu heftigen Kontroversen in den
Opferverbänden und der Öffentlichkeit führen, die bis heute nicht beendet
sind.33
Für „gebrannte Kinder", für Kriegs- und
Hitlergegner, sind damit Zukunftsaufgaben bestimmt. Der schwarzbraunen Flut in
der Literatur der Rechtsextremen 34 und ihrer „willigen
Helfer" unter Geschichtsrevisionisten muß entschieden Widerstand geleistet
werden. Die antifaschistische Tradition muß verteidigt, gepflegt und entwickelt
werden. Der sächsische CDU-Landtagsabgeordnete Lars Rower glaubte in der
Landtagsdebatte über den Rechtsextremismus am 10. Dezember 2004 höhnen zu
dürfen: „Die alten Genossen würden am liebsten wieder Jugendweihefeiern an
der ‘Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald’ durchführen". 35
Warum nicht, wenn das die braune Pest zurückdrängt, wäre zu fragen.
Der von manchen geschmähte und gefürchtete Karl Eduard von
Schnitzler fand: „Wenn uns heute Ahnungslose, mehr noch als Böswillige einen
‘verordneten Antifaschismus’ vorwerfen, genügt die Gegenfrage: Wie gut
wäre es gewesen, wenn man in den Westzonen und in der BRD Antifaschismus
wenigstens verordnet hätte?" 36
Für das „ andere Deutschland", für anständige
Deutsche, bleibt der Schwur von Buchenwald gültig.
Naziaufmärsche gehören zur bundesdeutschen
Rechtsordnung
von Erich Buchholz
In Anrufen, Briefen und persönlichen Gesprächen beklagen
sich immer wieder Menschen darüber, daß an verschiedensten Orten den
Neofaschisten erlaubt wird, ihre provokatorischen Aufmärsche durchzuführen.
Überdies geht, so wird berichtet, nicht selten die Polizei gegen Antifaschisten
vor, die diese „braune Pest" nicht ertragen können und sich in den ihnen
möglichen Formen dagegen zu wehren suchen. - So etwas gab es in der DDR nicht!
Hat der Faschismus in Deutschland wieder eine Heimstatt oder doch zumindest
seine Duldung?
Ich bin gleichfalls empört und entrüstet über diese
sichtbare Wiederbelebung des Faschismus in Deutschland. Als Jurist darf ich aber
nicht nur empört sein. Zunächst sei zur derzeitigen Rechtslage in der
Bundesrepublik erläutert:
I.
Nach Art. 8 des Grundgesetzes (GG), das nach dem „Beitritt
der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes" auf das Staatsgebiet der
DDR, das sog. Beitrittsgebiet, erstreckt wurde, steht allen Deutschen (!) als
ein Grundrecht das Recht zu, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und
ohne Waffen zu versammeln. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses
Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.
Dieses Grundrecht als solches genießt in der Rechtsordnung
der Bundesrepublik einen hohen Rang. Das zeigt sich schon daran, daß in dem
vorgenannten Art. 8 - abgesehen von möglichen Beschränkungen durch Gesetz oder
auf Grund eines Gesetzes bei Versammlungen unter freiem Himmel - keinerlei
Einschränkung zu finden ist. Das Grundgesetz spart sich auch in diesem Artikel
jegliche inhaltliche Bestimmung der Grundrechte und jede inhaltliche Begrenzung
derselben. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung steht - zumindest zunächst -
auch Feinden der Demokratie, so den Neofaschisten, dieses Grundrecht zu.
In dem grundsätzlich unbeschränkten Grundrecht der
Versammlungsfreiheit wird nach bundesdeutscher Kommentierung und Rechtsprechung,
so auch der des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), eine wichtige Ergänzung zum
Grundrecht der Meinungsfreiheit gesehen. Insbesondere soll es der
Gewährleistung „kollektiver Meinungsbildung und -Kundgabe im Kampf der
Meinungen mit geistigen Mitteln" dienen; es wird als „ein wichtiges Recht
im Prozeß der demokratischen Meinungs- und Willensbildung" angesehen.
Wie alle anderen Grundrechte auch richtet sich das Grundrecht
der Versammlungsfreiheit nach der in der BRD herrschenden Grundrechtslehre gegen
den Staat, gegen die öffentliche Gewalt in allen ihren Erscheinungsformen.
Zugleich sei der Staat, die öffentliche Gewalt, durch dieses Grundrecht dazu
verpflichtet, eine rechtmäßige Versammlung, dazu zählt auch eine solche von
Neofaschisten, vor der Gewalt Dritter, so also auch vor eventuellen
Gegendemonstrationen von Antifaschisten, zu schützen!
Der Schutz der neofaschistischen Aufmärsche vor
Gegendemonstrationen von Antifaschisten durch Einsatz von Polizeikräften ist
somit durch die Rechtsordnung der Bundesrepublik geboten. Inwieweit
Polizeikräfte bei einem solchen Einsatz auf Grund ihrer persönlichen
politischen Einstellung oder aus anderen Gründen das gebotene Maß
überschreiten und - auf dem Hintergrund der Legitimität ihres Polizeieinsatzes
- gegen wirkliche oder angebliche Linksextremisten besonders brutal vorgehen
oder sie in einer „juristischen Grauzone" straflos schikanieren, ist eine
andere Frage.
Die Erfahrung mit entsprechenden Strafanzeigen gegen
Polizeibeamte zeigt, daß letztendlich zu oft das Recht nicht auf der Seite der
antifaschistischen Gegendemonstranten steht, daß die Strafanzeigen, auch wegen
der zeugenschaftlichen Kumpanei von Polizeibeamten, vielfach ins Leere gehen und
die Verfahren letztlich eingestellt werden oder mit geringen Strafen enden.
Bei den unter dem Schutz des Art. 8 GG stehenden
Versammlungen handelt es sich nicht um eine gewöhnliche Menschenansammlung, wie
wir sie besonders auf Märkten, bei Ausstellungen, in Theater- und
Filmvorführungen, Konzerten usw. erleben, sondern - wie es in den Kommentaren
heißt - „um Zusammenkünfte zur Erörterung bestimmter Gegenstände", wo
„Meinungen zwecks Einwirkung auf Dritte, so besonders die Öffentlichkeit
kundgetan" werden.
Art. 8 GG unterscheidet Versammlungen in Räumen - diese
können, soweit sie friedlich und ohne Waffen stattfinden, grundsätzlich ohne
Anmeldung oder Erlaubnis abgehalten werden - und Versammlungen unter freiem
Himmel: Bei diesen sind Beschränkungen zulässig; da sie öffentlich
stattfinden und auch öffentlichen Zugang erlauben, sind diese nicht nach außen
abgeschlossen. Wegen ihrer besonderen potentiellen Gefährlichkeit für den
öffentlichen Frieden kann bei solchen Versammlungen das Recht der
Versammlungsfreiheit unter Sicherheitsgesichtspunkten durch Gesetz unmittelbar
oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Deshalb bedürfen solche
Versammlungen einer Anmeldung bei der zuständigen Behörde.
Die Grundrechtsbestimmung des Art. 8 GG ist durch das Gesetz
über Versammlungen und Aufzüge (VersammlG) (i. d. F. vom 11. August 1999)
untersetzt. Erfreulicherweise überschreitet § 1 dieses Gesetzes die im Art. 8
GG zu findende Beschränkung dieses Grundrechts auf Deutsche. Im § 1 des
VersammlG wird das Versammlungsrecht im Einklang mit Art. 11 der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) jedermann, also allen Menschen, zugestanden,
nicht nur Deutschen.
Allerdings, darf der Jurist anmerken, findet sich diese
menschenrechtskonforme Formulierung nur in einem einfachen Gesetz und nicht im
auch nach 1990 unverändert gebliebenen Grundgesetz, das in der Bundesrepublik
die Funktion einer Verfassung erfüllt; auch gilt die zum Völkerrecht
gehörende Europäische Menschenrechtskonvention nach herrschender
bundesdeutscher staatsrechtlicher Meinung und Rechtsprechung innerstaatlich nur
als einfaches Bundesgesetz und steht somit unter dem Grundgesetz.
Bei Ausländern und Staatenlosen wird ihr Recht auf
Versammlungsfreiheit verfassungsrechtlich aus dem allgemeinen
Persönlichkeitsrecht des Artikels 2 Abs. 1 GG hergeleitet.
Nach Absatz 2 des § 1 VersammlG steht in Konkretisierung des
Art. 8 GG das Versammlungsrecht nicht demjenigen zu, der das Grundrecht der
Versammlungsfreiheit gem. Art. 18 GG verwirkt hat. Eine solche Verwirkung und
ihr Ausmaß müssen durch das BVerfG ausgesprochen worden seien. Bekanntlich
wurde gegen Veranstalter der neonazistischen Kundgebungen bisher eine solche
Verwirkung durch das BVerfG nicht ausgesprochen.
Weiterhin hat nach dem vorgenannten Absatz 2 des § 1
VersammlG auch derjenige nicht das Recht auf Versammlungsfreiheit, der mit der
Durchführung oder Teilnahme an einer solchen Veranstaltung die Ziele einer nach
Art. 21 Abs. 2 GG durch das BVerfG für verfassungswidrig erklärten Partei oder
eine Teil- oder Ersatzorganisation einer Partei fördern will. Ebenso ist einer
für verfassungswidrig erklärten Partei das Versammlungsrecht genommen.
Wie gut bekannt, wurde in der Bundesrepublik zwar die
Kommunistische Partei Deutschlands am 17. August 1956 nach Art. 21 GG verboten.
Aber weder die sich offen als neofaschistische Partei zeigende NPD noch die
nicht minder eindeutig faschistische DVU wurden bisher vom BVerfG als
verfassungswidrige Partei verboten. (Zum mißlungenen NPD-Verbot siehe auch
meinen Aufsatz in WBl 1/2002,S. 57 ff.)
Schließlich hat auch eine Vereinigung, die nach Art. 9
Absatz 2 GG durch die zuständige Behörde rechtskräftig verboten wurde, das
Versammlungsrecht nicht mehr. Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit
den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige
Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, können
nämlich gemäß Art. 9 Abs. 2 GG verboten werden. Ein solches Verbot muß aber
selbstverständlich in aller Form durch die zuständige Behörde ausgesprochen
worden und darf auch nicht etwa im Zuge eines verwaltungsgerichtlichen
Verfahrens aufgehoben worden sein, muß also rechtskräftig geworden sein.
Meines Erachtens bestehen in der Bundesrepublik durchaus
Vereinigungen, deren Verbot eine Reihe von Tatsachen nahe legen. Bestrebungen
gegen die verfassungsmäßige Ordnung und gegen den Gedanken der
Völkerverständigung liegen auf der Hand. Solange jedoch noch kein
rechtskräftiges Verbot verhängt ist, steht auch solchen Vereinigungen, die ein
Verbot verdient haben, das Versammlungsrecht grundsätzlich zu.
In der Bundesrepublik kommt es zu einer Einschränkung des
Rechts auf Versammlungsfreiheit, etwa für Feinde der Demokratie wie die
Neonazis erst dann, wenn, und erst dadurch, daß betreffende Personen, Parteien
oder Vereinigungen wegen ihrer Verfassungswidrigkeit rechtskräftig bzw.
justizförmig verboten wurden. Bis dahin können sie - und das kann Jahre dauern
- das Recht aus Art. 8 GG ausüben und gegen die Demokratie missbrauchen. (Mit
dem - illegitimen - Verbot der KPD hatte das BVerfG in „Karls-Ruhe" etwa
fünf Jahre zu tun!)
Betrifft § 1 Abs. 2 VersammlG die generelle Beschränkung
des Versammlungsrechts von Grundrechtsträgern im Ergebnis rechtskräftiger bzw.
justizförmiger Verbote (wie sie auch andere Grundrechte betreffen kann), so
regelt § 15 dieses Gesetzes die Voraussetzungen des Verbotes und der Auflösung
einer bestimmten Veranstaltung sowie die Erteilung von Auflagen für ihre
Durchführung.
Nach § 14 des VersammlG ist eine öffentliche Versammlung
unter freiem Himmel oder ein Aufzug spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe
der zuständigen Behörde unter Angabe des Gegenstandes der Versammlung oder des
Aufzuges anzumelden.
Ein Verbot, eine Auflösung oder eine Auflage ist nach § 15
des VersammlG zulässig, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung
erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der
Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.
Damit werden an ein Verbot, an eine Auflösung oder an die Erteilung von
Auflagen gegenüber dem Veranstalter einer Versammlung bzw. eines Aufzuges oder
Aufmarsches hohe Anforderungen gestellt. Das entspricht dem eingangs
bezeichneten hohen Rang des Rechts auf Versammlungsfreiheit.
Wer sich also z.B. veranlaßt sieht, das Verbot einer
neonazistischen Versammlung zu beantragen, muß somit hinreichende tatsächliche
Umstände vortragen, aus denen sich bereits im voraus eine unmittelbare
Gefährdung für die öffentliche Sicherheit bei der Durchführung der
Veranstaltung ergibt. Das dürfte, wie die Erfahrung zeigt, schwer sein. Denn
die Veranstalter solcher neofaschistischen Aufmärsche kennen die Rechtslage und
verstehen, sie für ihre antidemokratischen Zwecke auszunutzen; auch lassen sie
sich von Rechtskundigen beraten. Sie werden daher ihre Anmeldung so gestalten,
daß sich daraus keine Anhaltspunkte für ein Verbot, für eine Auflösung oder
für Auflagen ergeben. Auch haben sie bei der Durchführung ihrer Aufmärsche
zunehmend gelernt, diese frei von Symbolen zu lassen, die nach dem Strafgesetz
verboten und unter Strafe gestellt sind, so die Verwendung von Kennzeichen
verfassungswidriger Organisationen (§ 86 a StGB). Vielfach werden sie auch
vermeiden, Propagandamittel verfassungswidriger Organisationen (§ 86 StGB) zu
verbreiten, und sie werden auch eine nach § 130 StGB strafbare Volksverhetzung
oder eine strafbare Billigung von Straftaten (§ 140 StGB) (wie sie in Gestalt
von Landfriedensbruch, Sachbeschädigung, Körperverletzung bis zu Mord und
Totschlag in der „Reichskristallnacht" 1938, dem antijüdischen Pogrom,
von Nazis massenhaft begangen wurden) unterlassen.
Die allgemeine nachvollziehbare Besorgnis, daß die
provokativen neonazistischen Aufzüge und Aufmärsche zu Auseinandersetzungen
oder Tätlichkeiten führen können, genügt nach der Rechtslage für ein Verbot
und für eine Auflösung der Veranstaltung oder für die Erteilung von Auflagen
nicht.
II.
Als Grundsatzentscheidung zur Frage der Versammlungsfreiheit
darf der Beschluß des Ersten Senats des BVerfG vom 14. Mai 1985 angesehen
werden, in dem es um das Verbot von Demonstrationen gegen die Errichtung des
Kernkraftwerks Brokdorf ging.
Seit dieser Grundsatzentscheidung gab es insbesondere zwei
weitere vorliegende nicht uninteressante Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts, nämlich zu „Sitzdemonstrationen". Bei diesen
ging es darum, ob eine Bestrafung von Teilnehmern an diesen Demonstrationen
wegen Nötigung (§ 240 StGB) mit dem Prinzip der Strafgesetzlichkeit (Art. 103
Abs. 2 GG) sowie angesichts des hohen Ranges der Versammlungs- und
Demonstrationsfreiheit mit dem Art. 8 GG vereinbar ist.
Konnte das Gericht am 11. November 1986 wegen
Stimmengleichheit (4 zu 4) nicht feststellen, daß das Analogieverbot des
Artikels 103 Abs. 2 GG verletzt wird, wenn die Strafgerichte § 240 StGB bei
Sitzblockaden anwenden, so entschied am 10. Januar 1995 der personell anders
zusammengesetzte Erste Senat bei einem leichten Stimmenübergewicht von fünf zu
drei, daß die erweiterte Auslegung der vorgenannten Strafbestimmung und die
Verurteilung wegen Nötigung gem. § 240 StGB verfassungswidrig sei. - Es kommt
also auch beim BVerfG sehr auf den Zeitpunkt und die personelle Zusammensetzung
des Spruchkörpers an.
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu
Demonstrationen von Neonazis sind hier nicht bekannt.
Da die vorgenannte Grundsatzentscheidung für die Rechtslage
und die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Demonstrationen von Neonazis
Bedeutung haben dürfte, soll auf diese näher eingegangen werden. In ihr
gelangte das BVerfG zu der Erkenntnis, daß die in den Ausgangsverfahren
angegriffenen Maßnahmen sowie die zu Grunde liegenden gesetzlichen Vorschriften
die Beschwerdeführer in der im Art. 8 GG verankerten Freiheit beschränkten,
die geplanten Demonstrationen durchzuführen.
Der Schutz des Art. 8 GG ist, so betont das BVerfG, nicht auf
Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern
umfaßt vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen
Ausdrucksformen; auch solche mit Demonstrationscharakter gehören dazu, bei
denen die Versammlungsfreiheit zum Zwecke plakativer oder Aufsehen erregender
Kundgabe in Anspruch genommen wird.
Als Abwehrrecht, das auch und vor allem anders denkenden
Minderheiten zugute kommt - bzw. kommen soll -, gewährleiste, meint das BVerfG,
Art. 8 GG den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort,
Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung; zugleich untersagt diese Bestimmung
staatlichen Zwang, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr
fernzubleiben.
In einem freiheitlichen Staatswesen gewähre das Grundrecht
des Art. 8 GG das Recht, sich ungehindert und ohne besondere Erlaubnis zu
versammeln - als Zeichen der „Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit des
selbstbewußten Bürgers". In der Geltung für politische Veranstaltungen
verkörpere die Freiheitsgarantie zugleich eine Grundentscheidung, die in ihrer
Bedeutung über den Schutz gegen staatliche Eingriffe in die ungehinderte
Persönlichkeitsentfaltung hinausreiche.
Die Meinungsfreiheit werde seit langem zu den unentbehrlichen
grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens gezählt, das
für eine freiheitliche demokratische Staatsordnung konstituierend sei. Denn
dieses Recht ermögliche „die ständige geistige Auseinandersetzung und den
Kampf der Meinungen als Lebenselement dieser Staatsform."
In seiner idealisierten Vorstellung von dem bundesdeutschen
politischen System meint das BVerfG, es könne die Versammlungsfreiheit „als
Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe verstanden werden, auch wenn speziell
bei Demonstrationen das argumentative Moment zurücktritt, welches bei der
Meinungsfreiheit eine größere Rolle spielt".
Indem der Demonstrant seine Meinung in physischer Präsenz,
in voller Öffentlichkeit und ohne Zwischenschaltung von Medien kundgäbe,
entfalte auch er seine Persönlichkeit in unmittelbarer Weise. „In ihrer
idealtypischen Ausformung" - lesen wir weiter - „sind Demonstrationen die
gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, wobei die Teilnehmer
einerseits in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser
Überzeugung erfahren und andererseits nach außen gedanklich - schon durch die
bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die
Wahl des Ortes - im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren
Standpunkt bezeugen", heißt es wie in einem Lehr- oder Märchenbuch über
die freiheitliche demokratische Grundordnung in der vorgenannten Entscheidung.
Die Gefahr, daß solche Meinungskundgabe demagogisch
mißbraucht und in fragwürdiger Weise emotionalisiert werden könnte, könne im
Bereich der Versammlungsfreiheit ebenso wenig maßgebend für die
grundsätzliche Einschätzung sein wie auf dem Gebiet der Meinungs- und
Pressefreiheit, glaubt das BVerfG. Damit sichert es auch Feinden der Demokratie
wie den Neonazis die Ausübung der Versammlungsfreiheit zu - bis der jeweilige
Grundrechtsträger dieses Recht verliert.
Um die grundsätzliche Bedeutung der Versammlungsfreiheit zu
erfassen, müsse die Eigenart des Willensbildungsprozesses im demokratischen
Gemeinwesen berücksichtigt werden. So gehe die freiheitlich-demokratische
Ordnung, wie das BVerfG in seinem KPD-Verbotsurteil vom 17. August 1956 erklärt
habe, davon aus, „daß die bestehenden, historisch gewordenen staatlichen
gesellschaftlichen Verhältnisse verbesserungsfähig und -bedürftig
seien", womit „eine nie endende Aufgabe gestellt" sei, die durch
stets erneute Willensentscheidung gelöst werden müsse". Ob das BVerfG
dies auch heute so sieht und insbesondere, ob es in den Aktivitäten
neofaschistischer Kräfte einen Beitrag zu dieser nie endenden Aufgabe sieht,
wissen wir nicht. Jedenfalls meint das BVerfG: „Der Weg zur Bildung dieser
Willensentscheidung sei ein Prozeß von ‚trial and error’..., der durch
ständige geistige Auseinandersetzung, gegenseitige Kontrolle und Kritik ....
die beste Gewähr für eine (relativ) richtige politische Linie als Resultante
und Ausgleich zwischen den im Staat wirksamen politischen Kräften" biete.
In einer Demokratie müsse die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen und
nicht umgekehrt verlaufen; das Recht des Bürgers auf Teilhabe an der
politischen Willensbildung äußere sich nicht nur in der Stimmabgabe bei
Wahlen, sondern auch in der Einflußnahme auf den ständigen Prozeß der
politischen Meinungsbildung, die sich in einem demokratischen Staatswesen frei,
offen, unreglementiert und grundsätzlich „staatsfrei" vollziehen müsse.
Immerhin erkannte das BVerfG realistisch, daß „die Bürger
an diesem Prozeß in unterschiedlichem Maße beteiligt sind", daß „große
Verbände, finanzstarke Geldgeber oder Massenmedien beträchtlichen Einfluß
ausüben können, während sich der Staatsbürger eher als ohnmächtig erlebt.
In einer Gesellschaft, in welcher der direkte Zugang zu den Medien und die
Chance, sich durch sie zu äußern, auf wenige beschränkt ist, verbleibt dem
Einzelnen neben seiner organisierten Mitwirkung in Parteien und Verbänden im
allgemeinen nur eine kollektive Einflußnahme durch Inanspruchnahme der
Versammlungsfreiheit für Demonstrationen" !! Insoweit wird ein wichtiger
Grund für die Berechtigung von Demonstrationen dargestellt.
Die ungehinderte Ausübung des Freiheitsrechts wirke nicht
nur dem „Bewußtsein politischer Ohnmacht und gefährlichen Tendenzen zur
Staatsverdrossenheit" entgegen, meint das BVerfG, sie liege letztlich auch
deshalb im „wohlverstandenen Gemeinwohlinteresse", weil sich im „Kräfteparallelogramm
der politischen Willensbildung im allgemeinen erst dann eine relativ richtige
Resultante herausbilden" könne, wenn „alle Vektoren einigermaßen
kräftig entwickelt sind" – womit bereits damals auf ernste Probleme der
bundesdeutschen Demokratie aufmerksam gemacht wurde.
„Namentlich in Demokratien mit parlamentarischen
Repräsentativsystemen und geringen plebiszitären Mitwirkungsrechten" (!),
meint das BVerfG weiter, habe die Versammlungsfreiheit die „Bedeutung eines
grundlegenden und unentbehrlichen Funktionselements." „Andererseits",
erkennt das BVerfG, „ist hier der Einfluß selbst der Wählermehrheit zwischen
den Wahlen recht begrenzt, die Staatsgewalt wird durch besondere Organe
ausgeübt und durch einen überlegenen bürokratischen Apparat verwaltet."
Die Akzeptanz der Entscheidungen der Behörden werde davon beeinflußt, ob zuvor
die Minderheit auf die Meinungs- und Willensbildung hinreichend Einfluß nehmen
konnte. Demonstrativer Protest könne insbesondere notwendig werden, wenn die
Repräsentativorgane mögliche Mißstände und Fehlentwicklungen nicht oder
nicht rechtzeitig erkennen oder aus Rücksichtnahme auf andere Interessen
hinnehmen, erklärte das BVerfG bereits vor fast 20 Jahren. Und weiter: Die
stabilisierende Funktion der Versammlungsfreiheit für das repräsentative
System gestatte Unzufriedenen, Unmut und Kritik öffentlich vorzubringen und
abzuarbeiten und fungiere als notwendige Bedingung eines politischen „Frühwarnsystems",
das Störpotentiale anzeige, Integrationsdefizite sichtbar und damit auch
Korrekturen der offiziellen Politik möglich mache.
Ob das BVerfG auch im Jahre 2004 die Demokratie-Situation in
diesem Lande so vorsichtig umschreiben würde, darf man sich heute fragen.
Trotz des hohen Ranges ist - wie das BVerfG weiter feststellt
- die Versammlungsfreiheit nicht vorbehaltlos gewährleistet. Art. 8 GG
garantiere nur das Recht, sich „friedlich und ohne Waffen zu versammeln".
Hinzu kommt der Gesetzesvorbehalt für Versammlungen unter freiem Himmel. Denn
bei diesen Versammlungen besteht wegen der Berührung mit der Außenwelt ein
besonderer namentlich organisations- und verfahrensrechtlicher Regelungsbedarf.
Im Unterschied zur Weimarer Verfassung, die in Art. 123
ausdrücklich bestimmte, daß Versammlungen unter freiem Himmel „durch
Reichsgesetz anmeldepflichtig gemacht und bei unmittelbarer Gefahr für die
öffentliche Sicherheit verboten werden" konnten, begnügt sich das
Grundgesetz mit einem einfachen, scheinbar gegenständlich unbeschränkten
Gesetzesvorbehalt.
Die Geltungskraft dieser Grundrechtsverbürgung bleibt aber
nicht auf den Bereich beschränkt, den der Gesetzgeber ihr unter Respektierung
ihres Wesensgehaltes beläßt. Wie bei der Meinungsfreiheit, die nach dem
Wortlaut der Verfassung zwar ihre Schranken in den Grenzen der allgemeinen
Gesetze findet, deren Reichweite aber nicht beliebig durch einfache Gesetze
relativiert werden dürfe, sei zu beachten, daß der Gesetzgeber die Ausübung
der Versammlungsfreiheit nur zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter
unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit begrenzen
dürfe. So könne sich eine Notwendigkeit zu freiheitsbeschränkenden Eingriffen
im Bereich der Versammlungsfreiheit daraus ergeben, daß der Demonstrant bei
deren Ausübung Rechtspositionen Dritter beeinträchtigte. Aber auch bei solchen
Eingriffen hätten die staatlichen Organe die grundrechtsbeschränkenden Gesetze
stets im Lichte der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlich
demokratische Staat auszulegen und sich bei ihren Maßnahmen auf das zu
beschränken, was zum Schutze gleichwertiger Rechtsgüter notwendig sei.
Daraus folgt für unseren Gegenstand: Veranstaltern von
neofaschistischen Demonstrationen wird eine starke Rechtsposition zuerkannt.
Behördliche Maßnahmen, die über die Anwendung
grundrechtsbeschränkender Gesetze hinausgehen und etwaigen Zugang zu einer
Demonstration durch Behinderung von Anfahrten und schleppende vorbeugende
Kontrollen unzumutbar erschweren oder ihren staatsfreien unreglementierten
Charakter durch exzessive Observationen und Registrierung verändern, sind mit
den grundgesetzlichen Anforderungen unvereinbar, womit 1985 das Anliegen der
Kernkraftgegner gestärkt wurde.
Dies liest sich heute wie die Beschreibung eines
Idealzustandes, von dem die Bundesrepublik heute weiter entfernt ist denn je,
der indessen als Anforderung an die behördlichen Maßnahmen demokratiefeindlichen
neofaschistischen Kräften unvertretbaren Freiheitsraum gewährt.
Realistisch steht das BVerfG auch Bedenken gegen die
Unbestimmtheit der Eingriffsvoraussetzungen „Gefährdung der öffentlichen
Sicherheit oder Ordnung" gegenüber; sie würden um so problematischer, als
die Entscheidung über die Eingriffe im Ermessen der unteren
Verwaltungsbehörden und der Vollzugspolizei liegen.
Der Begriff „der öffentlichen Sicherheit" umfaßt
nach Polizeirecht den Schutz zentraler Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit,
Freiheit, Ehre, Eigentum und Vermögen des Einzelnen sowie die Unversehrtheit
der Rechtsordnung und der staatlichen Einrichtungen, wobei in der Regel eine
Gefährdung der öffentlichen Sicherheit angenommen wird, wenn eine strafbare
Verletzung dieser Schutzgüter droht.
Unter „öffentliche Ordnung" wird nach Polizeirecht
die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln verstanden, deren Befolgung nach den
jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerläßliche
Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines
bestimmten Gebietes angesehen wird.
Das BVerfG teilte die Bedenken, daß die Begriffserklärung
nach Polizeirecht allein noch keine verfassungskonforme Gesetzesanwendung
sichere. Verbot oder Auflösung setzten zum einen als ultima ratio voraus, daß
das mildere Mittel der Auflagenerteilung ausgeschöpft sei. Der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit begrenze nicht nur das Ermessen in der Auswahl der
Mittel, sondern ebenso das Entschließungsermessen der zuständigen Behörde.
Die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit habe nur dann
zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung
des Freiheitsrechts ergibt, daß dies zum Schutze anderer gleichwertiger
Rechtsgüter notwendig sei.
Die Frage, ob der Schutz der Demokratie vor
neofaschistischen, demokratiefeindlichen Aktivitäten zu solchen gleichwertigen
Rechtsgütern gehört, wurde in der Brokdorf-Entscheidung des BVerfG nicht
entschieden. Damals meinte dieses Gericht: keinesfalls rechtfertige jedes
beliebige Interesse eine Einschränkung dieses Freiheitsrechts; Belästigungen,
wie sie sich zwangsläufig aus der Massenhaftigkeit der Grundrechtsausübung
ergeben und sich ohne Nachteile für den Veranstaltungszweck nicht vermeiden
lassen, würden Dritte im allgemeinen ertragen müssen. Aus bloßen
verkehrstechnischen Gründen würden Versammlungsverbote um so weniger in
Betracht kommen, als in aller Regel ein Nebeneinander der Straßenbenutzung
durch Demonstranten und fließenden Verkehr durch Auflagen erreichbar sei.
Verbot und Auflösungen seien keine Rechtspflicht der zuständigen Behörde,
sondern eine Ermächtigung, von welcher die Behörde angesichts der hohen
Bedeutung der Versammlungsfreiheit im allgemeinen nur dann pflichtgemäß
Gebrauch machen dürfe, wenn weitere Voraussetzungen für ein Eingreifen
hinzukämen; sie seien also nur bei einer „unmittelbaren Gefährdung" der
öffentlichen Sicherheit oder Ordnung statthaft. Durch das Erfordernis der
Unmittelbarkeit werden die Eingriffsvoraussetzungen stärker als im allgemeinen
Polizeirecht eingeengt. Erforderlich sei im konkreten Fall eine
Gefahrenprognose. Die Grundlagen dieser Prognose, einer Wahrscheinlichkeit,
müssen ausgewiesen werden. Sie müssen auf „erkennbaren Umständen"
beruhen, auf Tatsachen, Sachverhalten und sonstige Einzelheiten; bloßer
Verdacht oder Vermutungen können nicht ausreichen. Angesichts der Bedeutung der
Versammlungsfreiheit darf die Behörde insbesondere bei Erlaß eines
vorbeugenden Verbotes keine zu hohe Anforderung an die Gefahrenprognose stellen,
zumal ihr bei irriger Einschätzung noch die Möglichkeit einer späteren
Auflösung verbleibt. Den besorgten Bürgern allerdings, die ein Verbot
neofaschistischer Demonstrationen fordern, wird diese Argumentation und
Sichtweise ins Gesicht schlagen.
Auf Grund von Erfahrungen mit anderen Demonstrationen, zu
denen aber nicht die neofaschistischen gehören, gilt, meint das BVerfG, bei
Klarstellung der Rechtslage sollten beiderseits Provokationen und
Aggressionsanreize unterbleiben; die Veranstalter sollten auf die Teilnehmer mit
dem Ziel friedlichen Verhaltens unter Isolierung von Gewalttätern einwirken;
die Staatsmacht sollte sich - gegebenenfalls unter Bildung polizeifreier Räume
(!) - besonnen zurückhalten und übermäßige Reaktionen vermeiden; eine
rechtzeitige Kontaktaufnahme wird empfohlen, bei der beide Seiten sich kennen
lernen, Informationen austauschen und möglicherweise zu einer vertrauensvollen
Kooperation finden, welche die Bewältigung auch unvorhergesehener
Konfliktsituationen erleichtert.
Jedenfalls sei die neuere verfassungsgerichtliche
Rechtsprechung heranzuziehen, wonach die Grundrechte nicht nur die Ausgestaltung
des materiellen Rechts beeinflussen, sondern zugleich Maßstäbe für eine den
Grundrechtsschutz effektuierenden Organisations- und Verfahrensgestaltung sowie
für eine grundrechtsfreundliche Anwendung vorhandener Verfahrensvorschriften
abgeben. An die staatlichen Behörden ergeht die Forderung, nach dem Vorbild
friedlich verlaufener Großdemonstrationen versammlungsfreundlich zu verfahren
und nicht ohne zureichenden Grund hinter bewährten Erfahrungen
zurückzubleiben. Diese Erfahrungen sollten nicht nur in Erwägung gezogen,
sondern auch tatsächlich erprobt werden.
Wie soll das bei neofaschistische Demonstrationen aussehen?
Die Bereitschaft Einzelner, als Veranstalter oder Leiter
verantwortlich in Erscheinung zu treten, mag auch deshalb abgenommen haben -
meint das BVerfG nicht ohne Grund -, weil das Risiko, straf- und
haftungsrechtlich herangezogen zu werden, mangels klarer Vorschriften und
kalkulierbarer Rechtsprechung zumindest zeitweise unabsehbar war. Es sei in
erster Linie Sache des Gesetzgebers, aus solchen Veränderungen und Erfahrungen
Konsequenzen zu ziehen. Bis dahin lasse sich nicht ausschließen, daß die
versammlungsrechtliche Regelung als lückenhaft beurteilt werden müsse.
(...) Ein Teilnehmer verhält sich jedenfalls dann
unfriedlich, wenn er Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen begeht. Von
den Demonstranten sei ein friedliches Verhalten um so mehr zu erwarten, als sie
dadurch nur gewinnen können, während sie bei gewalttätigen Konfrontationen am
Ende stets der Staatsgewalt unterliegen werden und zugleich die von ihnen
verfolgten Ziele verdunkeln. Aber für die Gesamtheit friedlicher Teilnehmer
müsse der von der Verfassung jedem Staatsbürger garantierte Schutz der
Versammlungsfreiheit auch dann erhalten bleiben, wenn einzelne andere
Demonstranten oder eine Minderheit Ausschreitungen begingen; denn es könnte zum
Fortfall des Grundrechtsschutzes führen, wenn es der „Täter" in der
Hand hätte, Demonstrationen „umzufunktionieren" und sie, entgegen dem
Willen der anderen Teilnehmer, rechtswidrig werden zu lassen. Darum sei ein
vorbeugendes Verbot der gesamten Veranstaltung wegen befürchteter
Ausschreitungen einer gewaltorientierten Minderheit nur unter strengen
Voraussetzungen und unter verfassungskonformer Anwendung des § 15 VersammlG
zulässig.
Seit der Brockdorf-Entscheidung des BVerfG hat sich, so weit
ich sehe, insoweit nicht viel getan; ergänzt wurde das Versammlungsgesetz
indessen durch das Vermummungsverbot und die Befugnis der Polizei zu Bild- und
Tonaufnahmen von Demonstrationen.
(Aus Raumgründen kürzen die WBl mit freundlicher
Genehmigung des Autors diesen Beitrag um die Darstellung des
Demonstrationsrechtes in der DDR in einem Teil III.)
IV.
Die politische Klasse der Bundesrepublik, die in ihr
herrschenden Klassenkräfte, wollten zu keiner Zeit eine scharfe Abgrenzung zum
Hitler-Faschismus und haben solche auch weder in der Gesetzgebung noch in
anderen politischen Maßnahmen vorgenommen.
Schon dem Grundgesetz als solchem - im Unterschied zu den
Verfassungen der DDR - ist nicht entnehmbar, daß das deutsche Volk vom
Hitlerfaschismus befreit wurde; die Masse der Deutschen und namentlich die in
der Bundesrepublik tonangebenden Kräfte sahen sich 1945 in erster Linie
besiegt, aber nicht befreit.
Die in der Bundesrepublik vorherrschenden staatsrechtlichen
Auffassungen gehen nicht davon aus, daß das Deutsche Reich, das Dritte Reich,
unter den Schlägen der Alliierten im Mai 1945 untergegangen ist. Vielmehr
bestand es für sie - auch während der Spaltung Deutschlands - zumindest de
jure fort. Zwischen Deutschem Reich und Bundesrepublik wird vielfach sogar
Identität angenommen. Das spiegelt sich auch darin wieder, daß sich die
Bundesrepublik selbst, ihre maßgeblichen staatlichen Behörden, auch die
Gerichte und namentlich der Bundesgerichtshof (BGH), in der Tradition des
Deutschen Reiches, der BGH in der Tradition des Reichsgerichts, auch des
nazistischen, stehend sieht.
Durch Art. 131 des Grundgesetzes wurden den ehemaligen
Angehörigen des öffentlichen Dienstes des Deutschen Reiches die wohlerworbenen
Versorgungen (Pensionen) gesichert. Diese Frage war den Vätern des
Grundgesetzes so wichtig, daß sie sie im Grundgesetz verankerten und nicht ein
einfaches Gesetz dafür als ausreichend ansahen. Alsbald wurde ein besonderes
„Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 GG fallenden
Personen" (zuletzt geändert am 27. Dezember 1993) erlassen.
Bekannt, ja offenkundig ist die umfängliche Übernahme von
Beamten, Richtern, Staatsanwälten, aber auch Offizieren, die bereits Hitler
gedient hatten, in Westdeutschland bzw. in der Bundesrepublik. Einige von ihnen,
auch Kriegsverbrecher und andere Militaristen, kamen in Schlüsselpositionen der
Bundesrepublik. Hitler-Generale, wie Speidel, Heusinger, Kammhuber, übernahmen
höchste Kommandostellen in der Bundeswehr. Als Minister und Staatssekretäre
der Bundesregierung fungierten ehemalige aktive Nazis, wie Oberländer, Globke
und Seebohm. 80 Prozent der Beamten des Bonner Außenministeriums waren schon in
der Nazizeit Mitarbeiter des faschistischen Auswärtigen Amtes gewesen. Nahezu
90 Prozent der Richter und Staatsanwälte in Westdeutschland bzw. in der
Bundesrepublik hatten diese Ämter bereits in der Nazizeit inne. Die
revanchistischen Landsmannschaften und militaristische Soldaten- und
Traditionsverbände treten immer stärker mit staatlicher Förderung hervor und
bestimmen mit ihren unverblümt expansionistischen Forderungen nach wie vor
zunehmend das Gesicht der Bundesrepublik. Aufgrund dessen ist und wäre es
ausgeschlossen, daß sich dieser Staat hinreichend scharf und eindeutig vom
Hitlerfaschismus abgrenzte und distanzierte.
Im ganzen Grundgesetz gibt es nur eine einzige spezielle
Vorschrift zum „Nationalsozialismus", nämlich den Art. 139 mit der
ursprünglichen Überschrift „Befreiungsgesetze" bzw. später „Fortgelten
der Vorschriften über Entnazifizierung", nach dem die zur „Befreiung des
deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus" erlassenen
Rechtsvorschriften von den Bestimmungen des Grundgesetzes „nicht
berührt" werden. Der in diesem Artikel 139 enthaltener Vorbehalt (!) gilt
ausdrücklich nur für das beim Inkrafttreten des Grundgesetzes vorhandene
Entnazifizierungsrecht, dessen Grundzüge besatzungsrechtlichen Ursprungs sind.
Die von den Alliierten geschaffenen Entnazifizierungsvorschriften konnte der
bundesdeutsche Gesetzgeber im Jahr 1949 wahrlich nicht außer Acht lassen.
Dazu gehörte das Verbot der NSdAP, ihrer Unter- und
Parallelgliederungen und aller ihrer etwaigen Nachfolgeorganisationen. Wäre
dieses Verbot zu einem klaren und bestimmenden Verfassungsgrundsatz geworden,
dann wäre damit auch die Wirkung von Art. 8 GG grundsätzlich insoweit
eingeschränkt, als faschistische, nationalsozialistischen Grundsätzen und
Traditionen verbundene oder so genannte neofachistische Parteien und
Organisationen automatisch verfassungswidrig und als illegal verboten gewesen
wären. Nicht ob sie verfassungswidrig, sondern nur, ob sie tatsächlich
Traditionsträger des Faschismus seien, wäre jeweils verfassungsrechtlich
zu entscheiden gewesen.
Statt dessen besteht in der Bundesrepublik lediglich darin
Klarheit, daß der Zweck dieser „Übergangsbestimmung" (!) sich darin
erschöpfe, die vorbehaltenen Vorschriften „unabhängig von ihrer
rechtsstaatlichen Problematik und ihrer Übereinstimmung mit den
Grundrechten" (!) in den neu geschaffenen Verfassungszustand zu
überführen und den planmäßigen Abschluß der Entnazifizierung ohne
Gefährdung ihrer Rechtsgrundlagen zu ermöglichen. Das allerdings ist bisher
kaum geschehen. Und tatsächlich will das Grundgesetz diese
Entnazifizierungsvorschriften bezeichnender Weise auch keinesfalls „konservieren,
d. h. nicht auf Dauer in ihrem Bestand schützen". Vielmehr gilt seit dem
letzten Entnazifizierungsabschlußgesetz im Jahr 1953 dieser Artikel 139 als
gegenstandslos! Seine Vorschrift enthält also, wie in Kommentaren ausdrücklich
betont wird, keine fortdauernde antinationalsozialistische Grundentscheidung der
Verfassung!
Soweit nationalsozialistische Bestrebungen im Parteien-,
Vereins- oder Versammlungsrecht eine Rolle spielen - was der Gegenstand dieses
Aufsatzes ist -, argumentiert die Rechtsprechung nicht mit Art. 139 GG! Sofern
überhaupt gegen faschistischen Bestrebungen „argumentiert" wird,
geschieht dies ausschließlich mit den oben dargestellten formalen Elementen des
Parteien-, Vereins- und Versammlungsrechts, und zwar in der Weise, wie sie oben
dargestellt wurde.
Demgegenüber enthielt die ursprünglich von den ostdeutschen
Ländern für ganz Deutschland vorgeschlagene, dann fast zwanzig Jahre für die
DDR geltende - Verfassung von 1949 jedenfalls in den Art. 5 und 6 eine
eindeutige antifaschistische Aussage, und im gleichen Sinne ist eine solche „Antifaschismusklausel"
in den Art. 6, 8 und 91 der Verfassung der DDR von 1968 zu finden.
Schon vor Jahren wurde die Wiederbelebung faschistischen
Gedankenguts so unübersehbar, daß sich der Präsident des Zentralrats der
Juden in Deutschland, Paul Spiegel, genötigt sah, zu erklären: „Wehret den
Anfängen, heißt es oft, wenn es um den Kampf gegen den Rechtsextremismus geht.
Doch wir sind längst über dieses Stadium hinaus. Was wir fast täglich
erleben, hat nichts mehr mit ‚Anfängen’ zu tun". Angesichts dieser
Situation in Deutschland brachte die Fraktion der PDS in den Bundestag eine
Vorlage ein, nämlich einen „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes", um eine Antifaschismusklausel in das Grundgesetz zu
bringen. Dieser Antrag wurde nicht nur, wie bekannt, abgelehnt und verworfen.
Vor allem wurde in der Debatte dieses Antrags am 16. Februar 2001 verbreitet die
Auffassung vertreten, dann bedürfe es auch einer entsprechenden Bestimmung
gegen den „Linksextremismus". (Siehe meinen Beitrag „Antifaschismusklausel
ins Grundgesetz?" in den WBl. 1/2001,S. 27 ff.)
In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß zu den
ersten politischen Aktivitäten der Bundesregierung noch unter der Kanzlerschaft
Adenauers, neben dem Einbringen des offen gegen die Kommunisten gerichteten 1.
Strafrechtsänderungsgesetzes, dem „Blitzgesetz", ein beim
Bundesverfassungsgericht gestellter Antrag auf Verbot der Kommunistischen Partei
Deutschlands vom 22. 11. 1951 gehörte.
In heuchlerischer Weise stellte diese Regierung bei diesem
Gericht gleichzeitig auch einen Antrag auf Verbot einer politisch unbedeutenden
rechten Partei, der „Sozialistischen Reichspartei", SRP, um den Anschein
zu erwecken, man wende sich sowohl gegen „Linksextremismus" wie auch
gegen „Rechtsextremismus". In der Praxis gab es jedoch große
Unterschiede: Gegen Kommunisten und solche, die für Kommunisten gehalten wurden
oder mit ihnen kooperierten, wurden in riesiger Zahl rechtswidrige
Strafverfahren durchgeführt, darunter auch solche, die das BVerfG später als
verfassungswidrig kennzeichnen mußte. Denn die DKP war bis zu ihrem Verbot eine
legale Partei und daher eine Strafverfolgung ihrer Mitglieder allein wegen
Zugehörigkeit zu ihr oder wegen legitimen Wirkens für sie unzulässig; die
darauf zielende Strafbestimmung des § 90 a Abs. 3 StGB war verfassungswidrig.
Diese Vorschrift verlegte lediglich die Strafverfolgung auf den Zeitraum
nach einem dahingehenden Verbotsurteil des BVerfG, wobei eine Strafbarkeit
entsprechender Handlungen gleichwohl auch rückwirkend angenommen wurde. Nach
dem Spruch des BVerfG vom 21. März 1961 war diese verfassungswidrige Bestimmung
nichtig.
Auf der gleichen heuchlerischen Linie, sich sowohl gegen den
Linksextremismus als auch gegen den Rechtsextremismus zu wenden, bewegte sich
die Debatte im Bundestag zu dem Antrag der PDS, eine Antifaschismusklausel im
Grundgesetz zu verankern. Heuchlerisch ist diese Argumentation, weil sie die
Offenheit einer Verfassung für historischen Fortschritt und für historischen
Rückschritt gleichsetzt. Tatsächlich aber muß jede demokratische Verfassung
für historisch gebotenen Fortschritt offen sein, aber ebenso jedem Rückschritt
in die Barbarei wehren. Der Bundestag des Jahres 2000 jedoch wollte keine
konsequente Abgrenzung gegen die Barbarei, zum Faschismus. Demgegenüber ist in
tatsächlicher Hinsicht über jeden Zweifel erhaben und durch die letzten Jahre
zunehmend belegt, daß Elemente faschistischen Gedankenguts, so besonders
Nationalismus, Ausländerfeindlichkeit und auch antisemitische Züge, sich nicht
nur auf den „rechten Rand" der Gesellschaft beschränken, sondern „in
der Mitte der Gesellschaft" beheimatet sind. Beispiele gibt es zur Genüge.
Schon zeigt sich das Ausland darüber besorgt.
Die vorstehend beschriebene Rechtslage und die
verfassungsrechtliche Rechtsprechung leisten faschistischen Bestrebungen
Vorschub; sie erleichtern und ermöglichen das Vordringen des Neofaschismus in
Deutschland.
Es besteht Veranlassung, an das Potsdamer Abkommen zu
erinnern, das für ganz Deutschland verbindliche Bestimmungen enthält. Dort
heißt es unter III A 3 III:
„Die nationalsozialistische Partei mit ihren
angeschlossenen Gliederungen und Unterorganisationen ist zu vernichten; alle
nationalsozialistischen Ämter sind aufzulösen; es sind Sicherheiten dafür zu
schaffen, daß sie in keiner Form wieder auferstehen können; jeder nazistischen
und militaristischen Betätigung und Propaganda ist vorzubeugen."
Es ist bemerkenswert, daß weder das BVerfG noch sonst
westdeutsche Politiker der etablierten Parteien auf diese Bestimmung des
Potsdamer Abkommens zurückgriffen. Scheut man das Potsdamer Abkommen wie der
Teufel das Weihwasser?
Bekanntlich wurden in Westdeutschland und in Westberlin
entgegen dem Potsdamer Abkommen keinerlei Vorkehrungen getroffen, um ein
Wiederauferstehen des Nazismus und von Naziorganisationen zu verhindern. Alsbald
nach 1945 konnten sich dort verschiedene Ersatzorganisationen der Nazipartei
unter unterschiedlichen Bezeichnungen bilden und betätigen, so Traditions- und
Kameradschaftsverbände, die Landsmannschaften, die HIAG usw. Sie unterlagen und
unterliegen keinem Verbot und keiner Verfolgung. In diesen verkappten
Naziorganisationen wurde und wird nazistischer Ungeist in unterschiedlichsten
Formen gepflegt, konserviert und der Zeit angepaßt. So blieb er in den Köpfen
vieler Deutscher lebendig.
Auch im Rahmen der so genannten etablierten Parteien,
besonders der CSU und CDU, konnte sich nazistisches Gedankengut erhalten; diese
Parteien hatten deshalb mehrfach Veranlassung, sich z.B. mit antisemitischen
Äußerungen einzelner ihrer Mitglieder zu befassen.
In Westdeutschland und Westberlin unterblieb die im Potsdamer
Abkommen vorgeschriebene konsequente und umfassende geistig-ideologische
Auseinandersetzung mit der nazistischen Ideologie und ihren Quellen wie dem
Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Militarismus usw. So konnten dort
Nationalismus, Rassismus. Militarismus und Antikommunismus weitgehend ungestört
zur Geltung kommen.
Dadurch wurden über Jahrzehnte hinweg Bedingungen dafür
geschaffen, daß neofaschistische Parteien, zunächst die SRP, in den letzten
Jahren die DVU und NPD, Zulauf bekamen und sogar in Landesparlamente gelangen
konnten.
Daß die Massenarbeitslosigkeit - wie wir aus den letzten
Jahren der Weimarer Republik wissen - politisch ungebildete und naive Menschen
dazu führen kann, rechten Parolen und Parteien zu folgen, ist bekannt. Wenn
jedoch CSU und CDU das als die Ursache für diesen Zulauf bezeichnen, um es der
derzeitigen Bundesregierung anzukreiden, dann verschweigen sie geflissentlich,
daß sich Massenarbeitslosigkeit bereits unter ihrer eigenen, der
CDU/CSU-Regierung Kohl, zu entwickeln begonnen und erhebliche Ausmaße erreicht
hatte. Vor allem aber verschweigen diese Politiker, daß insbesondere sie selbst
die gebotene Auseinandersetzung mit nazistischem Ungeist unterlassen und diesem
gegenüber eine Toleranz bewiesen haben, die nur als seine Förderung anzusehen
ist.
Während in Westdeutschland und West-Berlin die gebotene
konsequente Auseinandersetzung mit dem Faschismus und die erforderliche
Verfolgung neofachistischer Organisationen unterblieb, wurde bereits Ende der
vierziger Jahre und dann massiv in den fünfziger Jahren gegen sozialistische
und kommunistische Ideen und ihnen nahestehende Personen vorgegangen und über
sie ein ideologisches - und nicht nur ideologisches - Verdikt verhängt. Aus
allen Rohren der Medien wurde und wird gegen sie geschossen, und gegen
Sozialisten und Kommunisten und ihnen Nahestehende ging man mit dem Verbot von
Organisationen wie der FDJ und VVN sowie mit Strafprozessen und schließlich mit
dem KPD-Verbot vor. In dieser Richtung wurde und wird das ganze Arsenal der
Propaganda und psychologischen Kriegführung, der juristischen, polizeilichen
und anderer Machtinstrumenten eingesetzt.
Angesichts dieser Tatsache erweist sich der
neutralistisch-objektivistische Standpunkt zur Demonstrationsfreiheit und andern
bürgerlichen Freiheiten im Verein mit der seit Jahrzehnten geübten Toleranz
gegenüber nazistischem Gedankengut und nazistischen Organisationen nicht nur
als Heuchelei. Vielmehr beweist dies, daß die wirtschaftlich und politisch
herrschenden Kräfte in der Bundesrepublik die faschistische Ideologie und in
ihrem Sinne agierende Organisationen als Gegenkraft gegen jegliche
sozialistische Ideen und Bestrebungen benötigen.
Richtungskämpfe müssen ausgefochten werden
Analyse. Zwei Linien in einer Partei?
Über den programmatischen Streit in europäischen
kommunistischen Parteien
von Hans Heinz Holz *
Gegenwärtig werden die kommunistischen Parteien von heftigen
Richtungskämpfen erschüttert. Ob in Italien die Rifondazione Communista¸ in
Frankreich die Parti Communiste, in Spanien die kommunistische Linke, in
Österreich die Kommunistische Partei oder in Deutschland die DKP - überall
finden Auseinandersetzungen um die Programminhalte und Parteilinie statt. Es
wäre falsch, hier einfach von Opportunismus und Reformismus einerseits, von
Orthodoxie und Dogmatismus andererseits zu sprechen. Vielmehr müssen die
Ursachen geklärt werden, aus denen die Richtungsdifferenzen hervorgehen, um die
Wiederherstellung der gemeinsamen Grundlagen kommunistischer Politik in Angriff
nehmen zu können.
Die Erklärung Otto Bruckners zu seinem Austritt aus der KPÖ
ist ein Indiz für die tiefen persönlichen Zerwürfnisse, die sich aus dem
Kampf um eine Rekonsolidierung kommunistischer Identität ergeben haben.
Richtungskämpfe werden als Machtkämpfe ausgetragen. Machtkämpfe machen sich
an Personen fest. Das ist ein organisationssoziologischer Mechanismus, der
durchbrochen werden muß. Es geht darum, daß kommunistischen Parteien die
Klarheit ihrer revolutionären Programmatik, ihres marxistisch-leninistischen
Geschichtsverständnisses in einer defätistischen Reaktion auf die Niederlage
abhanden zu kommen droht. Die Reaktion darauf kann nicht sein, die Partei zu
verlassen, sondern sie von ihren Wurzeln her zu festigen. Und das schließt den
Kampf gegen falsche "Erneuerungs"parolen und gegen eine Reduktion auf
eine verschwommene "linke" Emotionalität ein. Darum müssen
Richtungskämpfe ausgefochten und dürfen nicht unter einem scheinbaren
Einverständnis versteckt werden.
Die Niederlage des Sozialismus in der Sowjetunion hat die
kommunistischen Parteien Europas in eine tiefe Krise gestürzt. Ich betone:
Europas. Denn kommunistischer Kampfgeist ist in Indien und Lateinamerika, im
Nahen Osten und in Südafrika und anderen Gegenden der kapitalistischen Welt
ungebrochen. Deren Verbindung mit der Befreiung aus der Abhängigkeit von den
imperialistischen Metropolen bedeutet für die soziale Revolution einen
bodenständigen Kraftquell, der Widerstand gegen den Imperialismus hat hier eine
zweifache Wurzel.
Anders in Europa. Der Sieg über den Faschismus im Zweiten
Weltkrieg, der Aufstieg zur zweiten Weltmacht und zum Träger einer
internationalen Politik des Friedens - so prekär er auch immer sein mochte -
machte die Sowjetunion zum zentralen Orientierungspunkt der kommunistischen
Parteien. Als dieses zentralisierende Zentrum zerbrach, zerfiel auch die
indentitätsstiftende Einheit der weltpolitischen Zielsetzung.
Ursprünge der Krise
Die außenpolitische Stärke des sozialistischen
Gesellschaftssystems hatte manche innere Schwäche verdeckt. Mängel und
Stagnationserscheinungen waren als nebensächlich abgetan worden oder
verschwanden in der großen welthistorischen Perspektive. Daß mit der
sozialistischen Produktionsweise die sich viel langsamer vollziehende
Entwicklung sozialistischen Bewußtseins nicht Schritt hielt, blieb in einer
technizistisch-ökonomistischen Fortschrittskonzeption oft unbeachtet; der
ideologische Klassenkampf erlahmte oder nahm Formen an, die der
Differenziertheit der Probleme nicht gerecht wurden. Das Verändern der
Eigentumsverhältnisse hat nicht gleichzeitig den Wandel der
Klassenverhältnisse zur Folge, zu denen eben auch das Bewußtsein gehört;
beide verlaufen als ungleichmäßiger Prozeß.
Die auf Standards der bürgerlichen Welt ausgerichtete
Konsumkonzeption und die moralisierende Verurteilung statt historisch
analysierender Kritik der während der Konsolidierungs- und Abwehrphase im
Aufbau der Sowjetunion begangenen Verbrechen hatten seit dem XX. Parteitag der
KPdSU eine Unsicherheit in Wertmaßstäben und Selbstbewußtsein der Kommunisten
erzeugt, die nicht nur den Widerstand gegen die Gorbatschowsche Konterrevolution
lähmte, sondern auch die Infiltration bürgerlicher Ideologie in die
westeuropäischen Parteien begünstigte.
Die Ereignisse der Jahre 1989/90 sind nur die letzte Phase
dieser Entwicklung gewesen. Phänomene wie der "Euro-Kommunismus", die
Illusionen des "Sozialismus mit menschlichem Antlitz", die
"Erneuerer-Fraktion" in der DKP und ähnliche Erscheinungen in anderen
europäischen kommunistischen Parteien gingen voran; ideologische Anfänge
reichen bis in die endsechziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurück.
In den Ländern des sozialistischen Aufbaus wurden die
Gesellschaftswissenschaftler vielfach zu Legitimationsinstrumenten der gerade
betriebenen praktischen Politik und verloren die Funktion, in kritischer
Auseinandersetzung mit der Realität vorwärts weisende Impulse auszulösen.
Damit begab sich auch die Partei ihrer Avantgarderolle, die ja im Aufbau des
Sozialismus darin zu bestehen hätte, sowohl einerseits die Stabilität der
bestehenden sozialistischen Gesellschaft zu verteidigen, als auch andererseits
kritisch über den jeweils erreichten Zustand hinaus auf die nächsten Schritte
zum Kommunismus zu drängen. Die Selbsttäuschung, man sei bereits auf der Stufe
eines "entwickelten Sozialismus" im Übergang zum Kommunismus, mußte
Enttäuschungen gegenüber dem tatsächlichen Zustand der Gesellschaft
befördern. Die während des Aufbaus des Sozialismus fort bestehenden
Klassenstrukturen und darin begründete Einstellungen wurden harmonisierend
verdrängt und zeigten sich erst in dem Augenblick, als die sozialistische
Gesellschaft gegen die Konterrevolution hätte verteidigt werden müssen.
Weltpolitische Rahmenbedingungen
Die weltpolitische Konstellation begünstigte die
gesellschaftspolitische Stagnation und Pragmatik in den sozialistischen Staaten.
Umringt von den durch permanente Hochrüstung immer bedrohlicher werdenden
imperialistischen Mächten unter der Führung der USA war die Politik der
sozialistischen Länder vordringlich auf die Erhaltung des Friedens und der
Stärkung der Friedenskräfte ausgerichtet. Das bedeutete auf allen Ebenen die
Herstellung breiter Bündnisse über die Klassenfronten hinweg, unter
Zurückstellung revolutionärer Ziele der kommunistischen Parteien.
Es gibt keinen Zweifel, daß diese strategische Orientierung
richtig war. Angesichts der Gefahr eines Krieges mit atomaren und anderen
Massenvernichtungswaffen hatte die Friedenssicherung höchste Priorität. Eine
solche Politik erfordert jedoch ein subtiles Auspendeln zwischen der Pragmatik
alltäglichen Handelns und dem Festhalten an den Prinzipien revolutionärer
Gesellschaftsveränderung.. Statt dessen wurde die Politik der friedlichen
Koexistenz mehr und mehr zu einem Prozeß der Öffnung für kapitalistische
Einflüsse - ökonomische und ideologische. Selbstverständlich mußte es auch
zu Widersprüchen zwischen nationalen Kampfbedingungen und Klasseninteressen und
den weltpolitischen Belangen der Vormacht Sowjetunion kommen, die theoretisch
hätten verarbeitet und ausgeglichen werden müssen, statt dessen aber
verkleistert wurden. So verblaßte das Bewußtsein von der Universalität des
Klassenkampfs und der Einschätzung seiner verschiedenen Fronten und Kampfformen
und des Zusammenhangs zwischen ihnen.
Voraussetzungen des Reformismus
Wo kommunistische Parteien stark waren und parlamentarische
Mehrheiten in Provinzen und Kommunen erringen konnten (wie z. B. in Italien und
Frankreich), wurden sie mehr und mehr in die bürgerliche Staatlichkeit
eingebunden; sie waren genötigt, praktische politische Verantwortung im Rahmen
eines gesamthaft hochkapitalistischen Systems zu übernehmen und wurden damit
praktisch auf die Möglichkeit systeminterner Reformen beschränkt. Wider Willen
reduzierte sich dann kommunistische Politik auf den Bereich sozialdemokratischer
Strategien und entwickelte auch ihre theoretischen Fragestellungen im Hinblick
auf diese zu bewältigenden Aufgaben. Der Abstieg des italienischen PCI von
Togliatti bis zu d'Alema belegt diesen Gang der Dinge.
So gab es im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in den
nationalen kommunistischen Parteien Europas mehrere objektiv widersprüchliche
Tendenzen, die zu einem Abbau revolutionären Potentials führten und die
ideologische Integration förderten:
Die relative Unbeweglichkeit der weltpolitischen Blockbildung
zweier antagonistischer, aber koexistierender Gesellschaftssysteme, die
Rücksichtnahme auf Partner klassenübergreifender Bündnisse im Friedenskampf;
das Versanden des Klassenkampfs in den im Aufbau begriffenen sozialistischen
Gesellschaften und die damit verbundene Fortdauer bürgerlicher
Bewußtseinsinhalte, die auch auf die Ideologiebildung der westlichen Parteien
abfärbte, die Konzentration auf (wenigstens vorläufig) reformerische
Aktivitäten im Rahmen des bürgerlichen Parlamentarismus, auf den ja auch
außerparlamentarische Bewegungen bezogen blieben. Wie auch immer subjektiv die
Handelnden ihre Absichten verstanden haben mögen - objektiv vollzog sich eine
"Sozialdemokratisierung" der kommunistischen Parteien in der Praxis,
während in den Köpfen das revolutionäre Selbstverständnis erhalten blieb.
Diese Konsequenz, die im politischen Alltag nicht offen in Erscheinung trat,
mußte im Augenblick der Krise ihre Wirkungen zeigen.
Mit der Zerschlagung des sozialistischen Blocks änderte sich
die Lage für die kommunistischen Parteien. Die Koordination unter dem
Gesichtspunkt der Erhaltung und Stärkung des sozialistischen Lagers und die
Unterordnung nationaler Interessen unter dieses gemeinsame weltpolitische Ziel
entfiel. Ihre nationalen Strategien waren aber auf pragmatisches Handeln im
Rahmen bürgerlicher Gesellschaften angelegt. Das konnte nicht ohne Folgen für
ihre politische Neupositionierung bleiben.
Das sozialistische Ziel
Die Niederlage des Sozialismus in Osteuropa und der
vorläufige Sieg des Kapitalismus hatten mit der Schwächung der
Arbeiterbewegung einen immensen Restaurationsschub zur Folge. Ausgerichtet auf
die bürgerliche Gesellschaft und in ihrer Mitgliederzahl stark geschrumpft,
sehen die kommunistischen Parteien heute ihre Aufgabe in der Verteidigung der in
den vergangenen Jahren erreichten Reformen zur Verbesserung der Lage der
Arbeiterklasse. Widerstand gegen den rücksichtslosen Sozialabbau, gegen die
Weltherrschaftsansprüche des US-Imperialismus, gegen die Formierungsideologie
des Neoliberalismus sind die Kampfziele, die die gebliebene Anhängerschaft
mobilisieren.
So weit, so gut. Aber politische Defensive ist kein positives
Ziel. Sie wird, insbesondere aus der Position der Schwäche, der offensiven
Ausbeutungsstrategie der herrschenden Klasse immer unterlegen sein und selbst
trotz möglicher Zwischenerfolge schließlich eine Niederlage erleiden. Nur im
Angriff auf die Wesensverfassung des Kapitals können die Ziele formuliert
werden, die in einem langen und opferreichen Kampf mehr und mehr die Massen
ergreifen und in Bewegung versetzen.
Ziele benennen eine Zukunft, sie sind Inhalt einer
Weltanschauung. Die Weltanschauung, die dem Kapitalismus revolutionäre Ziele
entgegensetzt, ist die Theorie von Marx, Engels und Lenin und den auf sie
folgenden marxistischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Sie ist der
begründete Entwurf einer offensiven Strategie zur Gesellschaftsveränderung. In
einer defensiven Haltung kann man wenig mit ihr anfangen: sie bleibt dann ein
"Hintergrundrauschen". An der Ernsthaftigkeit, mit der der
Marxismus-Leninismus zum Leitfaden und Inhalt des Handelns gemacht wird, erweist
sich die Klarheit kommunistischer Politik. In voller Offenheit und mit aller
Radikalität ist sie die Voraussetzung, die verunsicherten und nach Orientierung
suchenden Massen zu gewinnen; nicht durch Eingehen auf ihre Unsicherheit,
sondern durch kämpferische Darstellung einer Alternative, die sich auf den
Schauplätzen des Klassenkampfs bewährt. Das kann für eine Partei eine lange
Durststrecke bedeuten, aber ohne Bereitschaft dazu wird sie das System nicht
aufbrechen.
Viel Taktik und keine Strategie
Hier scheiden sich die Geister! Wer schon aus den vergangenen
Jahren die Einpassung in die Mechanismen des Systems mitbringt, wird in der
Niederlage lieber an den vertrauten Mustern festhalten und den scheinbar so
hoffnungslosen Sprung in eine offensive Minderheitsstrategie nicht wagen. Auch
wenn ich eine andere Position vertrete und sie mit zahlreichen Beispielen aus
der Geschichte untermauern könnte, meine ich das nicht als Vorwurf. Es ist
durchaus verständlich und ehrenhaft, einen einmal eingeschlagenen Weg weiter zu
verfolgen. Nur ersetzt der Respekt vor dem ehrlichen Willen nicht die Analyse
der Wirklichkeit! Und die zeigt, daß Pragmatik und Anpassung, Defensive und
Preisgabe grundsätzlicher Erkenntnisse zum Reformismus führen, in dem die
weltgeschichtliche Programmatik des Kommunismus untergeht.-
Wer also mit Marx radikal sein will, d. h. an die Wurzeln
gehen, um nicht die Symptome, sondern die Ursachen des menschenverachtenden,
menscheitsbedrohenden Kapitalismus zu beseitigen, der muß von den
Grundkenntnissen des Marxismus-Leninismus ausgehen. Er muß, nicht nur verbal,
sondern in der Praxis an der Lehre vom Klassenkampf festhalten, muß seinen
Klassenstandpunkt bestimmen und zur Geltung bringen. Er muß die Dialektik der
Widersprüche und das Verhältnis von Wesen und Erscheinung begreifen und danach
sein Handeln einrichten. Jede kommunistische Bewegung bedarf dieses
revolutionären, klassenbewußten, theoriegeschulten Kerns, der sie davor
bewahrt, sich in den Opportunitäten der täglich notwendigen Entscheidungen und
Kompromisse zu verlieren.
Das ist der grundsätzliche Gegensatz in den
Richtungskämpfen, die heute in den kommunistischen Parteien ausgefochten
werden. An welchen konkreten Problemen sie sich auch entzünden mögen -
Imperialismusfrage, Globalisierung, Sozialismusvorstellungen,
Parteiverständnis, Bündnisperspektiven - immer geht es letztlich darum, ob
eine defensive und pragmatische oder eine offensive und prinzipienfeste Politik
gemacht werden soll.
Kommunistische Identität
Aber sind wir nicht durch die Niederlage des Sozialismus in
die Defensive gedrängt? Müssen wir nicht auf eine multimediale Gehirnwäsche
Rücksicht nehmen, die den gesamten Versuch, den Sozialismus aufzubauen, als
eine Summe von Fehlern und Verbrechen darstellt? Ist der Sozialismus nicht
wirklich an seinen Mängeln gescheitert? Müssen wir nicht liebgewordene
Vorstellungen aus der Vergangenheit revidieren?
Natürlich sind diese Fragen berechtigt. Aber wer so fragt,
will Antworten, ehe er die Sache begriffen hat.
Die Sache ist: Es gab den Sieg der Oktoberrevolution und den
Aufbau der sozialistischen Gesellschaft unter den schwierigsten Bedingungen der
ökonomischen und politischen Unreife, der aggressiven Einkreisung, der
konterrevolutionären Klassenkämpfe. Es gab den Aufstieg dieser Gesellschaft
zur zweiten Weltmacht, den Sieg über den deutschen Faschismus. Es gab eine
grandiose soziale Besserstellung und kulturelle Bildung der Massen.
Die Sache ist auch: Dieser Weg forderte ungeheure Opfer. Auf
ihm wurden auch Verbrechen begangen, die nicht hingenommen und gerechtfertigt
werden dürfen. Es gab schließlich eine bürokratische Erstarrung, die die
Initiative der Menschen lähmte und die Weiterentwicklung zum Erliegen brachte.
Kommunisten brauchen sich dieser Epoche nicht zu schämen.
Ihre Aufgabe ist zu erklären, wie aus den Widersprüchen, unter denen das
Positive geleistet wurde, das Negative entsprang. Sie müssen die Dialektik der
Geschichte begreifen. Nur so kann für die Zukunft gelernt werden, was getan
werden muß und was zu vermeiden ist. Die Entwicklung der Menschheit verläuft
nicht in der Harmonie des Ideals, "hart im Raume stoßen sich die
Sachen" (Schiller). Wer die Geschichte moralisierend betrachtet, bezieht
den kleinbürgerlichen Ort des Lehnstuhls hinter dem Ofen. Auch das ist ein
Aspekt des Richtungsstreits in den kommunistischen Parteien.
Wir haben nicht nur die politische Schlacht um den
Sozialismus verloren, sondern auch die weltanschauliche um unser
Geschichtsverständnis. Das theoretische Instrument der materialistischen
Dialektik ist uns entglitten. Kleinbürgerliche Ideologie ist in den
wissenschaftlichen Sozialismus eingesickert. Gegen die eine wie die andere
Niederlage gilt es, offensiv den Kampf aufzunehmen und das heißt auch: Die
Identität der kommunistischen Bewegung in ihrer Gesamtheit zu bewahren. Das ist
die richtige Richtung, und darum sind die gegenwärtigen Richtungskämpfe ein
notwendiger Klärungs- und Reinigungsprozeß, dessen es bedarf, um dem Ziel des
Sozialismus wieder ein solides organisatorisches Fundament zu geben.
Arbeiterklasse, Zerfall, Organisation und
Perspektive
Von Manfred Sohn
Nach der Diskussion überarbeitete Fassung des Referats vor
dem Marzahner Gesprächskreis am 15. Januar 2005 in Berlin - Wie das Referat
vor der streitfreudigen Diskussion vom 15. Januar gliedert sich auch dieser
Artikel in kurze, dann etwas ausführlicher erläuterte Thesen, um die Debatte
auch in schriftlicher Form griffiger zu machen.
These 1: Die Arbeiterklasse schrumpft
Es liegt für Marxisten und Marxistinnen auf der Hand, daß
eine solche These ins Mark unseres Selbstverständnisses zu zielen scheint. Und
selbstverständlich hängt sie in hohem Maße von der Definition der
Arbeiterklasse ab.
Diese Definition hat von marxistischer Seite im Laufe der
letzten Jahrzehnte nach dem „Manifest" eine Reihe von Änderungen
erfahren, durch die überwiegend Teile produktiv tätiger oder von solcher
Tätigkeit ausgeschlossener Menschen in den Definitionskreis der Arbeiterklasse
aufgenommen wurden, die ihr vorher nicht angehörten.
Dadurch ist in unserer Literatur die Arbeiterklasse
kontinuierlich weiter gewachsen.
Wenn das eine wissenschaftlich korrekte Abbildung der
stattgefundenen Prozesse ist, kann die nicht zu leugnende Serie von Niederlagen
dieser stetig wachsenden Arbeiterklasse, die sie seit den 60er Jahren in Europa
erfahren hat, eigentlich nur durch innere Deformations- und Zersetzungsprozesse,
also subjektive Veränderungen, erklärt werden. Das führt aber in der
analytischen Konsequenz zu einer immer stärkeren Bewertung der Medien- und
Manipulationsmacht der Herrschenden bis dahin, daß in solchen Positionen dann
zunehmend nicht mehr das Sein das Bewußtsein, sondern das herrschende
Bewußtsein das Sein zu prägen scheint.
Aber dieser Schein täuscht.
Das Mysterium des schwindenden Einflusses einer doch
unentwegt wachsenden Klasse klärt sich dann, wenn wir uns auf die klassische
Analyse dieser Klasse zurück besinnen.
Ob im Manifest, in Lenin’s Früh- oder Lenin’s
Spätschriften, mit Arbeiterklasse war immer die „Klasse der städtischen
Arbeiter und überhaupt (der) Fabrikarbeiter, (der) Industriearbeiter"
gemeint, die „imstande ist, die ganze Masse der Werktätigen und Ausgebeuteten
zu führen im Kampf für den Sturz der Macht des Kapitals ...".
Die so definierte Arbeiterklasse wuchs tatsächlich von ca.
1800 bis ca. 1930 unentwegt, gespeist aus wachsenden Bevölkerungszahlen, der
Landwirtschaft und dem ausblutenden Kleinbürgertum.
Eine erste Abschwächung im Wachstumstempo - das ansonsten
nur periodisch durch zyklische Krisen unterbrochen wurde - setzte kurz vor dem
II. Weltkrieg und dann endgültig ab ca. 1960 ein und erfuhr einen realen
Rückgang in den entwickelten kapitalistischen Nationen mit Einsetzen der
wissenschaftlich-technischen Revolution.
Dieser Prozeß ist zeitweise konterkariert worden durch zwei
gegenläufige Prozesse: das Wachstum der eng mit der Arbeiterklasse verbundenen
wissenschaftlich-technischen Intelligenz und das Wachstum der Zahl der
Industriearbeiter in den stärkeren Entwicklungsländern, also vor allem in
Indien, China, Mexiko, Taiwan usw.
Diese gegenläufigen Prozesse sind inzwischen nicht mehr in
der Lage, das beschleunigte Schrumpfen der im kapitalistischen Industrieprozess
beschäftigten Arbeiterinnen und Arbeiter überzukompensieren. Daher kommt die
Internationale Arbeitsorganisation ILO zu dem Schluß, daß auch weltweit
inzwischen die Zahl der Industriearbeitsplätze rund 176 Millionen im Jahre 1997
gesunken sein dürfte.
Der Streit darüber, ob die Arbeiterklasse nun schrumpft oder
wächst oder in ihr nur einfach interessante Veränderungen stattfinden, die die
Frage überflüssig werden lassen, mag akademisch klingen. Er ist es aber
deshalb nicht, weil die Zugänge zum organisierten Handeln gegen die Macht des
Kapitals eben anders sind für einen, der mit 30.000 anderen jeden Morgen in die
Krupp-Werke zieht, als für einen 25jährigen, der statt Ausbeutung zu erfahren
nach der Schule durch diverse Beschäftigungsmaßnahmen gelaufen ist. Die Frage,
ob die Weichenstellungen, die zur Zeit stattfinden, marginal sind, kann getrost
für 20 Jahre auf Wiedervorlage gelegt werden. Meiner Meinung nach ist
offensichtlich, daß wir es in unserem Land, in Europa und den anderen
entwickelten kapitalistischen Nationen mit der Herausbildung einer besitzlosen
Schicht zu tun haben, die für die kapitalistische Verwertung überflüssig
sind, die also in den industriellen Ausbeutungsprozess niemals hineingezogen
wurden und niemals hineingezogen werden.
These 2: Das Schrumpfen der Arbeiterklasse hat mit dem
kommunistischen Ziel nicht nur nichts zu tun, es ist ihr Ziel.
Wir dürften uns einig sein: Unser Ziel ist nicht der
Sozialismus. Unser Ziel ist der Kommunismus, in dem unsere Urenkel morgens
jagen, nachmittags fischen, abends Viehzucht treiben und nach dem Essen
kritisieren können - oder andersherum. Das geht nur, wenn die Herstellung der
zum Leben notwendigen Dinge - Essen, Wohnungen, Kleidung, Gebrauchsgegenstände
- hocheffektiv organisiert ist. Selbst in der kapitalistischen Pervertierung
kommen wir diesem Ziel beständig näher. Der Zeitpunkt, in dem 1 Bauer 100
Menschen ernähren kann, ist längst überschritten. In einer Fabrik in einem
Dorf meines Kreises Peine ist jüngst eine Maschine installiert worden, die pro
Minute 200 Kugelschreiber automatisch erstellt. Wenn diese Maschine -
Wartungszeiten eingerechnet - eineinhalb Jahre läuft, haben die daran im
Dreischichtsystem stehenden drei Menschen aus meinem Nachbardorf jeden
Bundesbürger mit einem Schreiber versorgt. Sinnvoll organisiert könnten sie
danach ihre produktive Tätigkeit für das Reich der Notwendigkeiten für den
Rest ihres Lebens einstellen und sich wichtigeren Dingen wie Kindererziehung,
Beziehungsfragen, Kultur und Kunst widmen. Sowenig wie sich der Bauer des
Feudalismus eine gute Zukunft ohne schwere Ackerpferde vorstellen konnte so
wenig mögen wir uns eine gute Zukunft ohne Arbeiterinnen und Arbeiter
vorstellen können - aber im Kommunismus hat die Arbeiterklasse genauso wenig
verloren wie der Ackergaul im Kapitalismus.
These 3: Die Größe der Arbeiterklasse ändert nichts an
ihrer Funktion als Kern des revolutionären Prozesses
Unser Ziel ist die Aufhebung des Privateigentums an
Produktionsmitteln und Grund und Boden und damit einhergehend die Beseitigung
der Lohnarbeit.
Zum ersten Mal gelang das - für einige Jahrzehnte - den
russischen Revolutionären 1917. Dies war, wie Lenin wiederholt klargestellt
hat, keine Frage von Mehrheit und Minderheit, sondern eine Entscheidung „Klasse
gegen Klasse".
Weil die Arbeiterklasse danach beständig weiter wuchs -
tatsächlich und per Definition noch etwas länger - schien es zeitweise so,
daß die Frage „Klasse oder Mehrheit?" sich auflöste. Das ist aber nicht
der Fall. Die Kämpfe der Zukunft werden sich wieder klarer nicht nach
arithmetischen, sondern nach der Frage der Klasseninteressen sortieren lassen.
Revolutionen laufen immer nach einigem Zickzack auf die Frage
„Wer wen?" hinaus. Gegen die Eigentümer an Produktionsmitteln kann diese
Frage solange nicht positiv beantwortet werden, solange die revolutionären
Kräfte nicht die Höhen der materiellen Produktion besetzt halten und ggf. den
materiellen Reproduktionsprozeß unterbrechen können. Bevor nicht eine solche
Machtposition erarbeitet ist, bleibt auch in Zukunft jedes revolutionäre
Projekt Träumerei und Kinderkram.
Diese Frage hat aber mit der Frage, ob die Arbeiterklasse nun
die Mehrheit der Bevölkerung bildet oder nicht, überhaupt nichts zu tun -
genauso wenig wie 1917, als die überwiegende Mehrheit in Rußland nicht
Arbeiter, sondern Bauern und entwurzelte Soldaten waren.
These 4: Angesichts dieser Veränderungen wird die Rolle der
Partei komplizierter und vielfältiger
Ob die Partei Partei heißt, ist völlig egal. Sie kann auch
„Wohlfahrtsausschuß" heißen oder „Verein für das
Gemeineigentum". Entscheidend ist, daß sie in der Lage ist, die in unserer
Zeit objektiv auseinanderfallenden Elemente der kapitalistischen Gesellschaft
auf das Ziel ihrer Überwindung hin zu koordinieren.
Wenn aber richtig ist, daß der Kapitalismus beginnt, die
Arbeiterklasse selbst zu zersetzen und die industrielle Reservearmee in ein
stehendes Heer der Überflüssigen zu verwandeln, dann muß sich die
Rekrutierungsarbeit der Kommunisten ändern. Die Tatsache, daß dies durch
Fixierung auf den Irrglauben, die Arbeiterklasse wachse weiter, nicht geschieht,
ist einer der Gründe für das gegenwärtige Elend unserer Bewegung.
Hans Heinz Holz hat auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz der jungen
Welt und in der jungen Welt dazu aufgefordert, wieder stärker
offensiv zu denken. Er hat völlig recht. Das ist in der Politik genauso wie im
Krieg oder im Fußball: Die Kunst der Defensive ist überlebenswichtig
unmittelbar nach einer schweren Niederlage oder wenn der Gegner heftig angreift.
Aber wer sich auf Dauer in der Defensive einschnüren läßt, geht früher oder
später zugrunde. Noch niemals in der Geschichte des Fußballs ist ein Spiel in
der eigenen Hälfte gewonnen worden, egal, wie gut organisiert die Abwehr und
die glänzend der Torwart war.
Sowohl die erwähnte Konferenz als auch die Demonstration am
Tag darauf haben eine Sorge beseitigt, die im ersten Jahrzehnt nach unseren
Epochenniederlage von 1989 zu Recht da war: Die Sorge, ob nicht der rote Faden
der Geschichte reißt. Angesichts der Tatsache, daß auf der RL-Konferenz und
LLL-Demonstration die Grauköpfe wieder das sind, was sie sein müssen, nämlich
eine Minderheit, ist diese Frage positiv entschieden. Der rote Faden der
revolutionären Gesinnung ist in Deutschland nach 1989 nicht gerissen. Er mag
sich in Zukunft verwirren, aber er wird sich wieder entwirren - entscheidend
ist, daß er da ist und dafür steht eine inzwischen fünfstellige Zahl
Jugendlicher und junger Erwachsener.
Den Faden vertändeln hieße: In diesem langsam wieder
wachsenden Pflanzenteppich der Hoffnung den Schwerpunkt auf den Streit zu legen,
in welcher Organisation „mensch" am besten revolutionär wirkt - ob in
PDS, MLPD, Spartakus, DKP, KPD oder wo auch immer. Die Unverzichtbarkeit der jungen
Welt besteht im Moment darin, daß mit ihr eine Plattform existiert, die
eine Orientierung für alle MarxistInnen bietet, egal im welchem
organisatorischen Zusammenhang sie im Moment wirken.
Auf Dauer wird das nicht reichen. Aber es gilt die Weisheit
der Bauernkriege: Laßt nicht die rote Hähne flattern, bevor der Habicht
schreit. Entscheidend in der jetzigen Phase ist es, die Truppen zu sammeln, die
2017 oder 2049 die Entscheidungsschlacht schlagen und gewinnen können. Die
Gruppierung, in der das geschieht, ist jetzt überhaupt nicht auf der
Tagesordnung und darf auch nicht durch Leute auf die Tagesordnung gesetzt
werden, die vor allem die Fleischtöpfe parlamentarischer Positionen für die
Sanierung ihrer lädierten Parteikasse vor Augen haben. Entscheidend ist, in allen
vorhandenen Organisationen die Zahl der auf Marx, Engels, Lenin und die
Überwindung des Kapitalismus orientierten Menschen zu erhöhen. Die Sammlungs-,
nicht die Organisationsfrage ist im Moment auf der Tagesordnung.
These 5: Unsere geschichtliche Phase ist die der beginnenden
inneren Zersetzung des Kapitalismus; eine Art Verstetigung der früher von uns
analysierten allgemeinen Krise des Kapitalismus
Für die Bestimmung der richtigen Strategie und Taktik ist
die Vergewisserung des eigenen Ortes in der Geschichte wesentlich.
Der Oktober 1917 war auch deshalb ein so helles Fanal, weil
die Hoffnung bestand, daß damit eine geschichtliche Regel gebrochen war. Die
vorherigen Formationswechsel Sklavenhaltergesellschaft-Feudalismus und
Feudalismus-Kapitalismus waren so abgelaufen, daß die jeweils vorhergehende
Formation von ihrer Blütezeit einige Jahrhunderte hindurch abstieg bevor die
nachfolgende Formation sich durchsetzen konnte. Rom ging genauso wenig von der
Höhe seiner kulturellen und produktiven Entwicklung in das feudale Heilige
Römische Reich Deutscher Nationen über wie das im Hochmittelalter blühende
Frankreich in die Napoleonische Ära. Dazwischen lagen jeweils unterschiedlich
lange, aber nach Jahrhunderten bemessene Phasen des Zerfalls: Zerfall im
Produktivitätsniveau, im kulturellen und Bildungsniveau, Zerfall und Verrohung
vorher zivilisierter und geregelter gesellschaftlicher Strukturen, in weiten
Landstrichen auch Rückgang der Bevölkerung.
Dies alles zeichnete sich im ersten Jahrzehnt des 20.
Jahrhunderts zwar ab, hatte sich aber noch nicht ausgeprägt. Hätte der Anlauf
1917 also bis heute getragen, hätte - bei historisch gesehen relativ kurzen,
heftigen Ruckeleien zwischen 1917 und 1945 - die nachfolgende Formation, der
Sozialismus, also aufgesetzt auf einer noch nicht zersetzten Vorformation.
Diese Hoffnung ist dahin.
Also kehren wir gegenwärtig zurück zu einer geschichtlichen
Normalität: Das Neue kommt nicht, bis nicht das Alte völlig zersetzt ist.
Für Leser der Weißenseer Blätter braucht das
wahrscheinlich nicht weiter belegt zu werden. Jeden Tag stirbt in Deutschland
zur Zeit eine Bibliothek. In den Schulen liefern sich Perspektivlosigkeit und
Gewaltbereitschaft ein makaberes Wettrennen. In Berlin gehören Bettler wieder
zum Straßenbild. Dieser Zerfall wird sich fortsetzen und beschleunigen. Rosa
Luxemburg, die 86 Jahre vor dem Gespräch im Marzahner Kreis ermordet wurde,
wußte das alles schon: da der von ihr mitorganisierte Anlauf zum Sozialismus in
Europa vorerst besiegt ist, floriert wie von ihr geahnt und gesagt die Barbarei.
Angesichts dessen wird aus meiner Sicht die oben verfochtene
These 4 um so gewichtiger. Wir befinden uns nicht in oder kurz vor einem
revolutionären Schub. In einer revolutionären Situation entscheidet die Wahl
der richtigen Taktik alles. In der Sammlungsphase vorher korrigieren sich
taktische Fehler im Zeitverlauf. Deshalb ist der gelegentlich mit irrem
Zeitaufwand betriebene innerlinke Streit um Wahlbeteiligungen und den vorderen
Platz bei Demonstrationszügen so kindisch.
Es gibt Zeiten, in denen es richtig ist, 80 Prozent der
politischen Energie der Kader nach innen, in die den Massenkampf organisierenden
Maschinen wirken zu lassen - dann, wenn die Sammlung von Massen
geschafft ist. Davon sind wir aber weit entfernt und dennoch beschäftigen sich
Tausende von Linken vor allem mit sich selbst statt in Straßen, Betrieben,
Arbeitslosencafes und Kneipen die Menschen um Marx und Lenin zu scharen - in
welcher Interpretation auch immer.
Vor uns liegt eine noch viel elendere Strecke als die einer
allgemeinen Krise des Kapitalismus. Krise ist begrifflich etwas
vorübergehendes. Vor uns liegt eine Jahrzehnte umfassende Phase des langsamen
und sich langsam beschleunigenden Zerfalls dieser Formation, in die wir
hineingeboren oder hineinkolonisiert worden sind.
Unsere Aufgabe angesichts dessen ist nicht die Klärung der
Fragen von übermorgen, sondern die Sammlung antikapitalistischer Kräfte -
soviel wie jeder kann. Wir werden sie in einigen Jahrzehnten bitter brauchen.
Terrorismus - Grundlagen und
Charakteristisches
von Hans Kölsch
Eine Chrestomathie über die Auseinandersetzungen von Marx,
Engels und Lenin mit dem Terrorismus wäre für manche gegenwärtige Diskussion
sehr hilfreich. Aber hier sind Zitate mit den erforderlichen Erläuterungen zu
ihren konkret historischen Zusammenhängen nicht vorgesehen, zumal die Fragen
des Terrorismus so untrennbar mit den weithin bekannten
marxistisch-leninistischen Erkenntnissen über Klassen und Klassenkampf
verbunden sind.
Grundlage und Ausgangspunkt des Terrorismus ist das
Gewaltmonopol von Ausbeuterklassen (kapitalistische und vorkapitalistische)
gegenüber ihren Opfern. Obgleich die Opfer die Mehrheit der Bevölkerung bilden
und über das mögliche Potential eines Volkswiderstandes verfügen, so sind sie
doch ursächlich waffenlos und in ihren Widerstandsmöglichkeiten
eingeschränkt. Um diese Schwäche der Opfer, ihre faktische Machtlosigkeit,
aufrecht zu erhalten und ständig zu minimieren, nutzen die Ausbeuterklassen die
Vorteile ihres Machtmonopols, treiben sie die Gewaltanwendung bis zu
terroristischen Praktiken, wird der Terrorismus zu einer Gesetzmäßigkeit, die
erst mit der Beseitigung ihrer Grundlagen aus der Geschichte der Menschheit
getilgt werden kann. Der Terrorismus ist ein System vielgestaltiger Mittel der
Zuspitzung eines verschärften Klassenkampfes, das Bestandteil der politischen
Herrschaft von Ausbeuterklassen ist. Einzelne Methoden dieses Systems können
unter bestimmten Bedingungen Eingang in den bewaffneten Widerstand gegen die
Ausbeuter finden. Wenn es zu Verschärfungen des Klassenkampfes kommt, können
eventuell auch revolutionäre Kräfte dem Klassenfeind mit revolutionärem
Terror begegnen
Stützen des Terrorismus
Das Gewaltmonopol von Ausbeuterklassen stützt sich in erster
Linie auf die von ihnen beherrschten staatlichen Repressivorgane. Um wenigstens
ein bescheidenes Maß an demokratischem Image zu wahren, nutzen und fördern sie
für die terroristische Drecksarbeit auch nichtstaatliche Terrororganisationen.
Solche Banden sind wirksam als reaktionäre Offiziersverbände, als Freikorps,
als rassistische Organisationen wie der Ku-Klux-Klan, als Knüppelgarden der
faschistischen SA und deren neofaschistische Nachfolger, als Organisationen
militanter religiöser Fanatiker, als Todesschwadronen usw.
Wenn sich die reaktionärsten und aggressivsten
Ausbeutergruppen als militaristische, faschistische oder theokratische
Staatsmacht konstituieren, übernehmen sie in der Regel auch die Gesamtheit der
terroristischen Auswüchse der Gewaltanwendung mit einer dem dienstbaren Justiz.
Nach dem mittelalterlichen Scheiterhaufen-Terror gegen Ideenträger, die den
herrschenden und klerikal getarnten Ausbeutern verdächtig erschienen, hat die
Gewaltanwendung gegen Menschen im imperialistischen Terrorismus einen weiteren
barbarischen Höhepunkt erreicht.
Dem Gewaltmonopol der Ausbeuter vergleichbar, erzeugen
ökonomische und waffentechnische Überlegenheit von Ausbeuterstaaten im
Konkurrenzkampf gleichfalls die Tendenz und das Streben, in räuberischer
Absicht Schwächere zu unterwerfen. Sie nehmen hierbei in zunehmendem Maße die
Zivilbevölkerung der Überfallenen in mörderische Geiselhaft. Trotz der
heuchlerischen Haager und Genfer Konvention sind bis in die Gegenwart
Kriegsgefangene und andere Waffenlose Opfer von Mißhandlungen und Totschlag.
Einem besonders barbarischen Terror sind Aufständische ausgesetzt, die es
gewagt haben, sich den Ausbeutern zur Wehr zu setzen und als Unterlegene in
Gefangenschaft geraten. So haben Feudalherren im deutschen Bauernkrieg gegen
ihre Opfer gewütet und französiche Konterrevolutionäre 1871 gegen Kommunarden
und Nationalgardisten. Im Irak betätigen sich die imperialistischen Okkupanten
in gleicher Weise.
Trotz der internationalen Ächtung von Giftgas und anderen
Massenvernichtungsmitteln kommen ständig neue auch gegen Unbewaffnete zum
Einsatz. Die faschistische deutsche Legion Condor hat 1937 mit dem Bombenterror
gegen die Bevölkerung von Guernica den Weg zum Bombenterror im zweiten
Weltkrieg gegen die Zivilbevölkerung ganzer Städte vorgezeichnet. Das
Erschrecken der Weltöffentlichkeit über den Massenmord, den die Faschisten mit
Zyklon B in Auschwitz begangen haben, war noch frisch, als die USA in Hiroshima
und Nagasaki demonstrierten, wie in Sekundenschnelle weit über Hunderttausend
Menschen bei lebendigem Leib eingeäschert werden können.
Mit der Drohung der A-Waffe und der Bereitschaft, sie auch
unprovoziert einzusetzen, sind die Herrschenden der USA zur Hauptmacht des
Terrorismus in der Welt geworden. Sie haben das unter anderem auch mit der
Aggression gegen Vietnam und den Einsatz chemischer Massenvernichtungsmittel
belegt. Sie , die das größte Arsenal an Massenvernichtungsmitteln besitzen,
bezichtigen andere, mit ihren Waffen ein Gefahrenherd für die Menschheit zu
sein. Das diente auch als Vorwand für die Aggression gegen den Irak. Obgleich
allgemein bekannt war, daß es um die Eroberung von Erdölquellen und ein
strategisch wichtiges Gebiet für die Beherrschung der Golf-Region ging, wurde
die Weltöffentlichkeit noch einige Zeit mit der Lüge von den
Massenvernichtungswaffen beschäftigt. Als die Beutemacher durch unfreiwillige
Helfer Gewißheit hatten, daß sie im Irak nicht mit verlustreichen
Massenvernichtungsmitteln zu rechnen hatten, haben sie ohne zu zögern
zugeschlagen.
Grenzenloser Terrorismus
Die Hauptakteure des Terrorismus behaupten trotz besseren
Wissens, daß der Terrorismus durch Islamisten zu einer internationalen Gefahr
geworden sei. Ihre Medienmacher wiederholen das, ohne sich überhaupt die Frage
zu stellen, warum die von imperialistischer Ausbeutung, imperialistischen
Aggressionen und Okkupationen heimgesuchten Völker alle ihnen zur Verfügung
stehenden Mittel, unter Einschluß auch ihrer Religion für den Schutz vor
diesem Terror und den Widerstand nutzen. Wenn Bush jun. seine Religion in
fundamentalistischer Weise für seine Aggressionspolitik aufmacht, dann
geschieht ähnliches im Widerstand mit der gegenteiligen Zielsetzung. Das
gleitet allerdings dann zum Teil in terroristische Methoden ab, wenn statt der
Okkupanten und ihrer militanten Helfer Geisel genommen und getötet werden, die
mit dem Terror des Feindes nichts zu tun haben. Weil solche terroristischen
Methoden in diesen Kämpfen eine Hemmschwelle für solidarische Aktivitäten von
Sympathisanten errichten, werden sie oft als Provokation von Parteigängern der
Okkupanten gestartet. Im Gegensatz dazu schwächt der auch militärische
Widerstand die Okkupanten und verdient Solidarität. Er verdient auch deshalb
Solidarität, weil er das Völkerrecht auf Verteidigung dem imperialistischen
Recht auf Krieg und Terror entgegenstellt. Die Stärkung des Widerstandes ist
gegenwärtig auch davon abhängig, daß Parteien und Volksbewegungen im Irak und
international in politischen Aktionen den Abzug der Besatzer fordern.
Die imperialistischen Hauptakteure des Terrorismus haben
schon lange ihr Gewaltmonopol weit über die Grenzen des eigenen Landes hinaus
ausgedehnt. Im Kampf um die profitable Neuaufteilung der Welt sind auch andere
Großmächte dabei, ihr Gewaltmonopol über das eigene Land hinaus über ganze
Regionen auszudehnen. Dazu gehören auch Deutschland und die EU. Struck hat dazu
jüngst programmatisch gesagt, daß solches Streben nicht durch den Hindukusch
begrenzt sei. Zum Teil handeln auch Staaten so, die nicht zu den „Großen
7" gehören.
Die USA haben seit Jahrzehnten in Mittel- und Südamerika ein
indirektes Gewaltmonopol in der Form errichtet, daß sie kraft ihrer
ökonomischen Möglichkeiten die militärischen Führungskräfte dieser Länder
ausgebildet haben und unter Kontrolle halten, die besonders darauf gedrillt
sind, Volkswiderstände niederzuhalten und möglichst im Keim zu ersticken. Wenn
das mal nicht funktioniert, intervenieren USA-Streitkräfte selbst. Kaum ein
Land Mittel- und Südamerikas ist in den vergangenen Jahrzehnten von
Militärputschen und Militärdiktaturen verschont geblieben, in denen ähnlicher
Mordterror wie in Chile gehaust hat. Kuba ist seit dem Sieg der Revolution vom
imperialistischen Terror eingekreist. Konfrontiert mit einer ständigen
Interventionsdrohung und einer Blockadepolitik, soll die Bevölkerung des Landes
in die Knie gezwungen werden. Ähnliches ist gegen antiimperialistische
Veränderungen in Venezuela im Gange. Die Bevölkerung dieser Länder kann sich
in ihren Kämpfen auch auf die internationale Solidarität antiimperialistischer
Kräfte stützen.
Mit Hilfe auch deutscher Spezialisten versuchen die USA im
Irak bewaffnete Formationen aufzubauen, die wie in Lateinamerika funktionieren
sollen und die jeder beliebigen Regierung nur formell unterstellt sind, mit
Ausnahme einer eventuell von antiimperialistischen Kräften gebildeten, der das
Schicksal der Allende-Regierung vorgezeichnet ist. Andere, ausnahmsweise von
progressiven Militärs eingeleitete Versuche, ihr Land von der doppelten
Ausbeutung einheimischer und ausländischer Kräfte zu befreien, wie 1968 in
Peru, scheiterten an der medialen und ökonomischen Übermacht ihrer Widersacher
und der folgenden politischen Isolierung. Die fortschrittlichen Militärs, die
1958 im Irak die monarchistischen Handlanger der Engländer entmachtet und den
Erdölreichtum des Landes verstaatlicht haben, vernachlässigten in der
Folgezeit die Stärkung ihrer massenpolitischen Basis, was 1963 ihre Entmachtung
erleichtert hat.
Von doppelter Ausbeutung und dem Gewaltmonopol
imperialistischer Kräfte sind auch afrikanische Länder heimgesucht. In den von
Kolonialmächten willkürlich gezimmerten Staatsgebilden haben nach der
Überwindung der Kolonialherrschaft Afrikaner den Weg zum Fortschritt gesucht.
In rohstoffreichen Gebieten haben jedoch ausländische Konzerne nicht nur
mächtige Filialen errichtet, sondern gleichzeitig auch mit Söldnertruppen
separate Machtgebilde mit eigenen Gewaltmonopol geschaffen. Die dafür
genutzten, dort ansässigen ethnisch-religiösen Bevölkerungsgruppen werden zu
denen in anderen Bereichen des Staatsgebietes oder in Nachbarstaaten - nach dem
Prinzip: „teile und herrsche" - zu Konfrontationen getrieben. Das
Ergebnis sind Bürgerkriege mit terroristischen Auswüchsen und politischem
Massenmord an Hunderttausenden Menschen.
Die international ausgedehnten terroristischen Bestrebungen
imperialistischer Großmächte haben sich verstärkt, als in anderen Teilen der
Welt große Erdölvorkommen entdeckt worden sind. Für die Wirtschaft
imperialistischer Großmächte ist das Erdöl eine unentbehrliche Grundlage
nicht nur der Energieversorgung sondern auch ihrer expansiven Bestrebungen. Aus
heutiger Sicht auf die Kreuzritter des Kampfes gegen den Terrorismus erscheinen
folgende Tatsachen kurios. In der Zeit nach dem ersten Weltkrieg, als sich der
Erdölmarkt zu entwickeln begann, war unter anderem das Erdölgebiet von Mosul
Gegenstand besonderer Begehrlichkeit von Erdölfirmen der USA. Aber hier war
noch die Türkei mit ihrer Turkish Petroleum Co seßhaft. Scheinbar durch
Wunderkraft gaben die Türken den Begehrlichkeiten der USA-Firmen konfliktlos
nach und räumten das Erdölgebiet. Zeitzeugen jedoch glauben nicht an die Kraft
eines Wunders, sondern an die eines üblen Geschäftes, weil die USA-Diplomaten
im Völkerbund ihre harsche Kritik am Terror der Türken gegen die Armenier nach
der neuen Regelung in der Erdölregion von Mosul schlagartig eingestellt haben.
Die herrschenden Kräfte der erdölreichen Länder im Nahen
Osten sind in den folgenden Jahrzehnten politisch weitgehend unabhängig
geworden und durch ihr Erdöl zu enormen Reichtum und zu international
bedeutsamen wirtschaftlichen Positionen gekommen. In ihrer relativen politischen
Selbständigkeit galten sie für die vom Erdöl abhängigen Großmächte,
besonders der USA, als Unsicherheitsfaktor, der durch eine militärische
Besetzung ausgeschaltet werden sollte. Das ist zum Ausgangspunkt neuer
Aggressionen und weiteren Terrorismus geworden, beschleunigt noch durch
geplatzte Illusionen. Die von den USA zum Stellvertreterkrieg gegen die
Sowjetunion und die antifeudale Revolution in Afghanistan gerüsteten und
genutzten Fundamentalisten haben in der Folgezeit nicht nur in Gestalt der
Taliban eine solche Hilfsrolle abgelehnt, sie haben kritische und zum Teil
militante Positionen gegen ihre früheren Auftraggeber bezogen.
Einen Wutausbruch hatte im Weißen Haus auch König Faisal
von Saudi- Arabien ausgelöst. Der hatte, wie auch andere arabische
Oberhäupter, zu seiner Zeit kritisch registriert daß die USA-Regierung im
Konflikt zwischen den Israelis und den Palästinensern arabische Interessen
verletzt hatte. Er bekundete die Absicht, daraufhin die Erdöllieferungen nach
den USA zu kürzen. Den Politikern der USA kam, wie auch in manchen anderen
Fällen, „unerwartet" der Tod zu Hilfe. König Faisal wurde 1975
ermordet. Sein Nachfolger sicherte weiterhin ungekürzte Erdöllieferungen an
die USA.
Eine militärisch abgesicherte Versorgung mit Erdöl ergab
sich erst nach der Eroberung Kuweits durch die Iraker, wo die USA für den
militärischen Gegenschlag arabisches Aufmarschgebiet benötigten. Das stellte
Saudi-Arabien für die Zeit der Kuweit-Aktion zur Verfügung. Trotz
vertraglicher Regelungen dazu blieben auch danach noch militärische Kontingente
der USA vor Ort. Aber erst mit der Eroberung Iraks, die auch Tausenden
Zivilisten das Leben gekostet hat und noch kostet, haben die USA den strategisch
wichtigen Platz für die militärische Beherrschung der Golf-Region gewonnen,
von dem aus terroristische Aktivitäten in weitere Richtungen vorangetrieben
werden, allerdings erschwert durch den bewaffneten Widerstand gegen die
Okkupanten. Die Golf-Region ist das erdölreichste Gebiet der Erde. Es hat zwei
weitere Vorteile: Nach gegenwärtigen Schätzungen kann hier noch einige
Jahrzehnte Erdöl gefördert werden, wenn die Vorkommen in anderen Ländern der
Welt erschöpft sind. Außerdem bestehen hier so große Förderreserven, daß
unerwartete Ausfälle in anderen Ländern kurzfristig und ohne Schwierigkeiten
ausgeglichen werden können.
Terrorismus und Machtfrage
Gestützt auf geschichtliche und aktuelle Tatsachen, lassen
sich die charakteristischen Merkmale des Terrorismus skizzieren, aber auch die
erforderlichen Gegenmittel. Der Terror von Ausbeuterklassen zielt in seiner
schärfsten Form darauf, Menschen zu töten. Das soll den Widerstand gegen
Ausbeuter, Aggressoren und Okkupanten schwächen und Widerstandsbereite
einschüchtern. Weil die Terroristen Widerstand und Widerstandswillen nicht
aufheben können, ohne sich selbst zu entmachten, ist politischer Totschlag eine
Dauererscheinung in Ausbeutergesellschaften.
Die Politik revolutionärer Arbeiterparteien zielt im
Gegensatz dazu darauf, die Verhältnisse zu vernichten, unter denen Menschen
unwürdigen Bedingungen unterworfen sind. Die hierfür notwendigen
Veränderungen sind nur möglich, wenn Ausbeuter, Aggressoren und Okkupanten
entmachtet werden. Das Ausmaß des dafür erforderlichen politischen Zwanges ist
vom Widerstand dieser Klassenkräfte abhängig und nicht notwendig mit
revolutionärem Terror verbunden. Politische Gewalt ist hier nicht das Ziel,
sondern Mittel zum Zweck. Sie verliert im Sozialismus zunehmend an Bedeutung und
wird gegenstandslos, wenn auch internationale Bedrohungen durch Ausbeuterstaaten
nicht mehr gegeben sind.
So lange imperialistische Großmächte in der Nachbarschaft
revolutionärer Staaten ihr Unwesen treiben, wollen sie zu gegebener Zeit die
Frage „wer-wen?" zu ihren Gunsten entscheiden. Die revolutionäre Antwort
darauf ist die Politik der friedlichen Koexistenz. Sie ist eine besondere Form
des Klassenkampfes. Diese Politik sichert die Macht und Freiheit, die
antiimperialistischen und sozialistischen Errungenschaften und vor allem die
massenpolitischen Grundlagen der revolutionären Macht zu stärken und damit
auch ihre internationale Anziehungskraft. Diese Politik erhält durch die
internationale Solidarität von Friedenskräften Unterstützung, aber auch durch
das Streben von Kräften, die an normalen Wirtschaftsbeziehungen und Geschäften
interessiert sind.
Opportunistische und ähnliche Leute vom Fach deuten die
Politik der friedlichen Koexistenz zwischen Staaten unterschiedlicher
Gesellschaftordnung als eine Art partnerschaftliche Geschäftsbeziehung, die mit
Klassenkampf nichts zu tun habe. Wo diese Auffassung in sozialistischen Länder
Platz gegriffen hat, kam die Freiheit für die „Geschäftspartner" zum
Zug, mit ökonomischen, medialen oder kirchlich getarnten Maßnahmen die
antiimperialistischen und sozialistischen Errungenschaften zu unterwandern und
die massenpolitische Basis der revolutionären Macht zunehmend zu zerstören.
Als in wichtigen sozialistischen Ländern in der Realität
der politische Zersetzungsprozeß so weit fortgeschritten war, stellten auch die
Gewehre keinen Machtfaktor mehr dar. Doch die richtige Einschätzung der
faktische Machtlosigkeit kann schwerlich als ein Verdienst eingeschätzt werden,
wie das nachträglich einige ehemalige Verantwortungsträger tun. Die
Konterrevolution gelangte zum Erfolg, auch ohne ihr gesamtes terroristisches
Arsenal zu mobilisieren. Das holte sie mit einer neuen Waffe nach, mit der
Entfaltung des sozialen Terrors, mit dem die Existenzmittel für Millionen
Menschen radikal gekürzt und das physische Existenzminimum anvisiert worden ist
Dafür wurden vorausschauend und zielstrebig parteipolitische,
gewerkschaftliche, parlamentarische, mediale und andere Möglichkeiten eines
organisierte Widerstandes eingeschränkt und abgebaut.
Ein weiteres Merkmal des Terrorismus von Ausbeuterklassen
besteht darin, daß er sich in allen seinen Formen in der Regel gegen
Unbewaffnete richtet, die den Eigentümern der Produktionsmittel, den
Staatsgewaltigen und Medienbesitzen in diesen Bereichen unterlegen sind.
Demgegenüber sind alle Volkskräfte mit einem Gegner konfrontiert, der auf
Grund seiner Machtfaktoren mit überwiegend anders gearteten Mitteln bekämpft
und überwunden werden muß. Manche Widerstandswilligen glauben, daß sie Macht
und Gegenmacht vor allem oder auch allein aus Gewehren erlangen können. Doch
der Klassengegner kann dem in der Regel mit mehr und mächtigeren Waffen
begegnen, so daß ihm höchstens zeitweise Schaden und eine Schwächung bereitet
werden kann, ohne sein unmenschliches System zu gefährden. Strategische
Bedeutung können bewaffnete Widerstandsaktionen erlangen, wenn sie sich auf
volksverbundene Partisanenverbände oder Kampfgruppen stützen, die Bestandteil
eines strategisch geleiteten politischen Kampfes sind.
Die anders gearteten politischen Machtfaktoren gründen sich
auf die Arbeiterklasse und ihren Kampf. Mit ihren Interessen und revolutionärem
Kampf verfolgt sie humanitäre Ziele, die mit den Interessen der
Bevölkerungsmehrheit übereinstimmen Doch Zahlen fallen bekanntlich nur ins
Gewicht, wenn Kombination sie eint, wenn politische Organisiertheit der
revolutionären Kräfte im Bündnis mit anderen Volkskräften zur Einheit des
Handelns und zu einer politischen Massenbasis führen. Die zu erkämpfende
Massenbasis ist zugleich der Prozeß, der zur politischen Isolierung und damit
zur politischen Schwächung des Klassengegners führt. Nur im Zusammenhang mit
diesem Prozeß hat bewaffneter Kampf eine Erfolgschance, den Weg zu einer
besseren Welt mit menschenwürdigen Verhältnissen zu öffnen.
Politischer Massenmord und individueller Terror
Die Ausbeuterklassen sind mit ihrem Terror auf bereitwillige
Helfer und auch auf einen Teil der Öffentlichkeit angewiesen, die akzeptiert
oder toleriert, wenn der Terror zum politischen Massenmord in
Konzentrationslagern, Hinrichtungsstätten, Gefangenenlagern, Bürgerkriegen
usw. ausartet. Für diesen Zweck erfinden die Terroristen konfrontative
Verhältnisse und Lügen, mit denen der Anschein einer „Begründung" für
die Massenmorde erweckt werden soll.
Erinnert sei hier an die angeblich tödliche Konfrontation
zwischen verschiedenen Glaubensrichtungen oder solcher mit Heiden oder an den
Rassismus, der eine tödliche Konfrontation mit Juden und anderen
Bevölkerungsgruppen konstruiert, um einer todbringenden Politik den Weg zu
ebnen, oder an ein Volk ohne ausreichenden Lebensraum, der mit Krieg und Terror
von anderen Völkern zu holen sei, oder an die erfundene, ausbeuterfreundliche
Demokratiekonzeption, deren Hauptkriterium die Freiheit der Ausbeutung ist und
mit der kommunistische und sozialistische Kritiker als Feinde der Freiheit
gebrandmarkt werden, gegen die jegliche Form des Terrorismus gerechtfertigt sei.
Im Gegensatz dazu sind Elemente des Terrors in
revolutionären Volkskämpfen ausschließlich in Situationen zu verzeichnen, in
denen Konterrevolutionäre im Bund mit imperialistischen Interventen die
Existenz revolutionärer Errungenschaften zu vernichten drohten. Dafür
brauchten keine Konfrontationen konstruiert und erfunden zu werden. Es genügte,
die gegebenen Tatsachen richtig einzuschätzen, wie das zum Beispiel Lenin 1920
getan hat.
Im Arsenal der terroristischen Waffen der Ausbeuter hat der
individuelle Terror, die gezielte Tötung einzelner Personen, einen festen
Platz. Dieser Terror richtet sich vor allem gegen Führungskräfte der
Arbeiterbewegung, gegen Kommunisten und Sozialisten, gegen Führungskräfte auch
anderer Volksbewegungen - wie der Bauern oder nationaler Befreiungsbewegungen.
Damit reagieren Reaktionäre nicht nur ihren Haß auf revolutionäre Kräfte ab.
Das Hauptanliegen besteht darin, den Aufbau und die Stärkung von Organisationen
des Kampfes gegen Ausbeutung, Krieg und Unterdrückung zu verhindern, zu
erschweren oder zurück zu werfen
Kaum eine Kommunistische Partei ist von diesem Terror
verschont geblieben. Im Verlaufe der Geschichte mußten sie auf diese Weise
immer wieder Verluste und Rückschläge hinnehmen. In Deutschland stehen die
Namen von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg stellvertretend für viele Opfer
des Kampfes der Arbeiterklasse. Jedes Jahr findet in Übereinstimmung mit den
Erkenntnissen der ermordeten Revolutionäre eine Demonstration zu ihren Gräbern
statt, als organisierter Protest auch gegen die Parteigänger der Mörder, die
zum Teil heute noch an Schaltstellen der Macht sitzen. Opportunisten versuchen
zwar einen solchen organisierten Protest durch einen Spaziergang zu den Gräbern
und stilles Gedenken zu ersetzen, aber sie machen dadurch nur sichtbar, daß sie
gern auch die revolutionären Erkenntnisse der Ermordeten zu Grabe tragen
würden. Der individuelle Terror im Arsenal der Ausbeuterklassen trifft in
kritischen Situationen mitunter auch politische Führungskräfte aus den eigenen
Reihen, wenn sie mit ihren Auffassungen reaktionäre Wendungen tatsächlich oder
aber auch vermeintlich erschweren oder mit Chauvinisten in Konflikt geraten
Der individuelle Terror ist keine geeignete Waffe im Kampf
der Arbeiterklasse. Diese Einschätzung besagt keineswegs, daß damit Personen
wie der „Landvogt Gessler" oder schlimmere Gestalten als schutzwürdig
eingeschätzt werden Der individuelle Terror in Volkskämpfen nährt
folgenschwere Irrtümer. Einer besteht darin, daß mit der Beseitigung eines
verhaßten Volksfeindes das Schlimmste überstanden zu sein scheint und wieder
Zeit zum Kaffeetrinken angesagt ist, obwohl sich an den volksfeindlichen
Verhältnissen nichts geändert hat. Eine noch wichtigere Tatsache besteht
darin, daß die organisatorischen Anforderungen an die Vorbereitung eines
Attentates völlig ungeeignet sind im Vergleich zu den Anforderungen an die
Organisierung von Massenaktionen gegen Ausbeuter, Aggressoren und Okkupanten,
von denen letztlich der Erfolg des Kampfes abhängig ist. Ein Hemmnis kann auch
daraus entstehen, daß mit Politik noch wenig Vertraute nur Ähnliches wie beim
individuellen Terror der Ausbeuter zu sehen glauben, was auch deren Gewinnung
erschwert.
Damals Vietnam - heute Irak
von Gerhard Feldbauer
Die Parallelen zu Vietnam sind beim Überfall auf Irak
unübersehbar. Bei ihrer Einordnung können die Hinweise Sebastian Haffners
hilfreich sein, der sagte: „Historische Vergleiche beginnen immer zu hinken,
wenn man sie zu sehr ins einzelne verfolgt. Trotzdem, gewisse Parallelen sind
nicht zu übersehen." Der demokratischen Senator Ted Kennedy sprach bereits
offen von „Bushs Vietnam".
Mit dem Überfall auf Afghanistan und danach auf Irak hat der
USA-Imperialismus einen neuen Anlauf genommen, seine alten Weltherrschaftspläne
unter veränderten, für ihn zunächst günstigeren internationalen Bedingungen
durchzusetzen. Nach der Niederlage des Sozialismus in Europa erarbeiteten die
erzkonservativen Falken schon im Februar 1992 eine Defence Planing Guidance, um
zu verhindern, daß den USA je wieder ein ernst zu nehmender Rivale erwachsen
könnte. „Man kann daher mit Recht von einer Kontinuität der
US-amerikanischen Imperialpolitik sprechen", schätzte der
Strategie-Experte Rainer Rupp ein.
Die Hauptstoßrichtung der Expansion geht über den
erdölreichen Nahen und Mittleren Ost nach Zentralasien, zu den riesigen Öl-
und Gasreserven im Kaspischen Becken. Es geht im tatsächlichen Sinne um die
Weltherrschaft, um die Unterwerfung der Völker und Staaten unter den Willen der
USA. Jedes Land, das sich widersetzt, wird zum „Schurkenstaat" erklärt.
Offen erklärtes nächstes Ziel soll der Iran sein. Schon zeichnet sich ab, daß
China, das an sozialistischen Grundlagen festhält, zum Hauptfeind wird. Ebenso
soll weder von der EU noch Japan eine Konkurrenz zur Weltherrschaft zu gelassen
werden.
Eine weitere Parallele zieht sich von der
Tongking-Provokation im August 1964 zu den Terroranschlägen vom 11. September
2001. Unter realistisch denkenden Politikern und Experten ist inzwischen
unbestritten, daß die USA-Geheimdienste am 11. September ihre Hand im Spiel
hatten. Sie haben die Anschläge selbst herbeigeführt oder zumindest zugesehen,
wie sie vorbereitet und verübt wurden, meint z. B. der Geheimdienstexperte
Andreas von Bülow, früherer Bundesminister und Staatssekretär. Die dann unter
dem Vorwand, den Terrorismus zu bekämpfen, begonnenen Kriege, wurden schon
lange vor dem 11. September 2001 u. a. mit einem gigantischen neuen
Rüstungsprogramm vorbereitet. Daniel Ellsberg, der einst die Washingtons
Aggressionsplanung gegen Vietnam entlarvenden „Pentagon-Papiere"
herausgab, schrieb am 13. Februar 2003 in der „Süddeutschen Zeitung",
daß die im Irak-Konflikt verbreiteten Lügen, „denen des Vietnamkrieges in
nichts" nachstehen.
Nach der Invasion errichtete Washington seine Besatzungsmacht
und ist dabei, eine ihm hörige irakische Regierung und Verwaltung zu
installieren. Die Wahlfarce unter amerikanischen Bajonetten soll dem Regime
einen demokratischen Anstrich verschaffen. Mit dem Aufbau einer Marionettenarmee
und Polizei entfesselt die Besatzungsmacht einen Bürgerkrieg, in dem, ähnlich
wie einst in Vietnam, die Kräfte, die den Aggressoren entgegentreten und
bewaffneten Widerstand leisten, als die Schuldigen, als die Terroristen
abgestempelt werden.
Die verschiedenen Volksschichten setzen sich, wenn auch
unterschiedlich motiviert, mehrheitlich von Anfang an erbittert zur Wehr. Darin
widerspiegeln sich Jahrhunderte lange antikoloniale, antiimperialistische,
nationale Traditionen des Befreiungskampfes der unterdrückten arabischen
Völker, aber auch der Welt insgesamt. Er wächst, auch wenn er unter anderen
Bedingungen stattfindet. Er geht von Anfang an von den Städten aus, denn die
Wüste ist kein bergiges Dschungelgebiet, das in Vietnam geographischen Schutz
bot. Eine Integrationsfigur vom Format Ho Chi Minhs ist nicht zu sehen. Eine
zentrale und beispielsweise mit Vietnam vergleichbare Führung noch nicht
vorhanden. Teile der KP-Führung des Landes kollaborieren im Gegenteil in
opportunistischer Weise mit der Besatzungsmacht, sind in die
Marionettenregierung eingetreten und haben sich an der Wahlfarce beteiligt.
Dennoch haben sich bereits am 2. September 2004 unterschiedliche Kräfte
zusammen gefunden und ein Vier-Punkte-Programm beschlossen, das die
Rückgewinnung der Souveränität Iraks sowie eine Regierung der nationalen
Einheit fordert und sich zur Einheit des Landes als Teil der arabischen Welt
bekennt.
Gegen den unerwartet starken Widerstand geht die
Besatzungsmacht mit Mord, Terror und Folter vor, richtet sie die entscheidenden
militärischen Schläge von Anfang an gegen die Zivilbevölkerung. Mit noch
moderneren Waffen als einst in Vietnam wird ein erbarmungsloser Luftterror
ausgeübt. Die „New York Times" berichtete am 29. September 2004, daß
sich „die Luftangriffe inzwischen auf das gesamte Zweistromland"
erstrecken. Im September gab es 2.368 Angriffe, im Durchschnitt 80 pro Tag. Bei
dem Angriff auf Faludscha, das sich monatelang in den Händen der Rebellen
befand, wurden chemische Waffen eingesetzt, wehrlose Zivilisten niedergemetzelt
und Gefangene ermordet. Die britische Medizinzeitschrift „The Lancet"
veröffentlichte am 29. September 2004 in ihrer Online-Ausgabe eine auf
sorgfältigen Untersuchungen von amerikanischen und irakischen Wissenschaftlern,
vornehmlich Ärzten, von den renommierten Hochschulen John Hopkins (Baltimore),
Columbia (New York) und der Al-Mustansarija-Universiät von Bagdad basierende
Studie, nach der seit Beginn des USA-Überfalls und der andauernden Besatzung
etwa 100.000 Iraker, in der Mehrzahl Frauen und Kinder, ums Leben gekommen sind.
84 Prozent der Todesfälle resultierten aus Gewalteinsätzen der
Besatzungstruppen und 95 Prozent davon seien wiederum durch Angriffe der
amerikanischen Luftwaffe und Artillerie verursacht worden. Nach einem Bericht
des Kinderhilfswerks UNICEF wurden bisher auch fast 4.000 Schulen Opfer des
Krieges, darunter 700 durch Bomben massiv beschädigte.
Nach Schätzungen des IKRK waren Mitte 2004 in Irak bereits
10.000 bis 15.000 Menschen aus politischen Gründen inhaftiert. Der älteste
Gefangene war 75 Jahre, der jüngste gerade einmal elf. Der amerikanische
Journalist Seymour Hersh, der schon die Massaker in My Lai (Son My) enthüllen
half, veröffentlichte Ende April 2004 im „New Yorker" einen geheimen
Untersuchungsbericht der US-Armee über Abu Ghraib, in dem von „sadistischen,
himmelschreienden und mutwilligen Verbrechen" die Rede ist. Hersh nannte:
Häftlinge mit „phosphorhaltiger Flüssigkeit" übergießen; mit „Besen
und Stuhl schlagen"; an „die Zellwand werfen"; mit „einem
Leuchtstab" sexuell mißhandeln; vom „Hund beißen" lassen. Alles
durch „detaillierte Zeugenaussagen" und durch den Fund „extrem
anschaulicher fotografischer Beweismittel" belegt. Die Bilder zeigten „zu
amorphen Bergen aufgeschichtete Körper, die nackten Gliedmaßen ineinander
verschlungen. Kapuzen machen die Menschenpakete kopflos und identitätslos.
Fleischhaufen, die nichts sein sollen als namenlose Materie." Auf einem
Bild war „die junge Gefreite Lynndie England (zu sehen), wie sie grinsend auf
die Genitalien eines offenbar zur Masturbation gezwungenen Häftlings
zeigt."
Als diese Folterungen bekannt wurden, versuchte Präsident
Bush der Öffentlichkeit weis zu machen, es handele sich um das „beschämende
Verhalten einiger weniger Soldaten", das nichts mit der „grundlegenden
Politik der Regierung" gemein habe. Wie beim Erfinden des Besitzes von
Massenvernichtungswaffen als Vorwand für den Krieg ist Bush auch bei den
Folterungen als unverschämter Lügner überführt worden. Al Gore, unter
Clinton Vizepräsident, nannte Bush „den verlogensten Präsidenten seit
Richard Nixon". Das US-Nachrichtenmagazin „Newsweek" enthüllte am
24. Mai 2004, daß die ungeheuerlichen Folterpraktiken von höchsten Stellen,
darunter Justizminister John Ashcroft, Pentagon-Minister Donald Rumsfeld und
selbst von Präsident Bush angeordnet, autorisiert, legalisiert wurden. Die „Washington
Post" vermerkte „entsetzt", dem Präsidenten werde zugestanden,
amerikanisches und internationales Recht zu mißachten und die Folterung
ausländischer Gefangener zu befehlen. Der Jurist Lennox S. Hinds von der
Internationalen Vereinigung Demokratischer Anwälte schlußfolgerte, „daß
George W. Bush es war, der den Weg zur Anwendung von Folter geebnet hat".
Zu den Mächtegruppierungen, welche die USA als ernst zu
nehmende Rivalen betrachten, gehört die EU, als deren führende
imperialistische Kraft sich bereits heute, wenn auch zunächst noch Seite an
Seite mit Frankreich, die Bundesrepublik präsentiert. War die BRD in Vietnam
Hauptverbündeter der USA, so ist sie heute deren Hauptkonkurrent. Es ist nur
scheinbar ein Widerspruch, wenn sie gleichzeitig die USA auf vielseitige Weise
aktiv unterstützt. Mit ihrer Präsenz in Afghanistan und der wachsenden
Unterstützung der USA in Irak sucht die BRD ihrem Großkapital ökonomische
Einflußsphären zu sichern, den Bundeswehrmilitärs das Sammeln von
Kriegserfahrungen und die Beobachtung des Einsatzes der modernsten
US-Kriegstechnik. Wirtschaftlichen Interessen dient der Beschluß der
Bundesregierung, als Mitglied der Gläubiger-Lobby des „Pariser Clubs"
sich vor allem mit Frankreich und Rußland an einem Schuldenerlaß für den Irak
in Höhe von 30 Milliarden US-$ zu beteiligen. Als Gegenleistung erhalten
deutsche Konzerne nunmehr lukrative Aufträge in Irak. „Deutsche Exporte im
Irak steigen auf Vorkriegsniveau", berichtete die Financial Times
Deutschland am 11. Februar 2005. DIHK-Nahostexperte Jochen Clausnitzer forderte
„eine politische Flankierung" dieser Entwicklung. Dem sollte
offensichtlich auch der Besuch Bushs in Begleitung von Kanzler Schröder im
Februar dieses Jahres bei in Hessen stationierten US-Truppenteilen, die im Irak
eingesetzt waren und wieder werden, dienen.
Auch wenn die Bundeswehr bisher kein Militärpersonal in den
Irak schickte, erhielten die USA alle andere für sie entscheidende
Unterstützung. Uneingeschränkt konnten von Beginn an 25 US-Stützpunkte
logistisch für Truppen- und Kriegswaffentransporte nach Irak und die Versorgung
der dort stehenden Truppen genutzt werden. Von Ramstein, dem größten
Umschlagplatz der US-Air Force in Europa, starten und landen die C-130 Hercules
und die gigantischen C-5 Galaxy-Transporter. Auf der Rhein-Main-Airbase, der
zweiten US-Luftdrehscheibe, sind die mächtigen KC-135 Stratotanker stationiert.
Von Spangdahlen in der Eifel steigen die berüchtigten Tarnkappenbomber F-117-A
auf. Von Großbritannien kommend überfliegen die berüchtigten B-52-Bomber
Deutschland, um dann über Irak ihre todbringende Last von 32 Tonnen Bomben
auszuklinken. Aus Ansbach, Gießen-Friedberg, Bad Kreuznach, Bamberg,
Schweinfurth, Darmstadt, Hanau, Kitzingen und weiteren US-Stützpunkten wurden
mit Kriegsbeginn Divisionen, Brigaden und Bataillone in Stärke von circa 40.000
Mann nach Irak verlegt.
Die Bundesluftwaffe stellt Besatzungsmitglieder für die an
der türkisch-irakischen Grenze stationierten fliegenden AWACS-Maschinen,
lieferte der Türkei, einer Aufmarschbasis gegen Irak, Patriot-Luftabwehrraketen,
unterstützt die Besatzungstruppen mit ihren ABC-Spürpanzern „Fuchs" in
Kuweit, gewährt mit der Bundesmarine Geleitschutz für US- Kriegstransporte und
läßt die 62 Kasernen und Militäreinrichtungen der rund 70.000 US-Soldaten
durch 3.700 Bundeswehrsoldaten bewachen. Die AWACS-Basis befindet sich unter dem
Kommando von Bundeswehrgeneral Johann-Georg Dora in Geilenkirchen bei Aachen, wo
17 dieser fliegenden Gefechtsstände stationiert sind. Inzwischen werden
Fuchspanzer direkt nach Irak geschickt, die ersten 20 als Geschenk. Ebenfalls
kostenlos sagte die Hardthöhe im Sommer 2004 zu, 100 wüstentaugliche
Militär-LKW zu liefern. Der jüngste Schritt ist die Beteiligung an der
Ausbildung der Streitkräfte und der Polizei des US-hörigen Marionettenregimes.
Wenn die CSU sich mit der Forderung ihres Wehrexperten Christian Schmidt
durchsetzt, dann ist auch mit dem Einsatz von Bundeswehroffizieren in Irak zu
rechnen. Er soll lediglich durch einen NATO-Auftrag abgedeckt werden.
Ein Großteil der bisher weit über 10.000 verwundeten GIs
erhält seine erste Betreuung im zentralen US-Militärlazarett in Landstuhl.
Etwa 500 waren es allein im November 2004, von denen fast 100 bei den schweren
Kämpfen in Faludscha außer Gefecht gesetzt wurden.
In der BRD werden US-Soldaten für ihre verbrecherischen
Einsätze in Irak gedrillt. Auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr übte eine
US-Einheit aus der Kaserne in Vilseck (Bayern) den Sturmangriff auf Faludscha,
bei dem Giftgase eingesetzt und Gefangene ermordet wurden. Zum Training des
Häuserkampfes gehörte der Angriff auf islamische Gotteshäuser. Dazu war die
Attrappe einer Moschee aufgebaut.
Selbst US-Folterknechte sind in der BRD stationiert, von wo
aus sie zum Einsatz nach Irak geflogen werden und wieder zurückkehren. Das
ARD-Magazin „Report Mainz" berichtete am 5. Juli 2004, daß die
Zellenblöcke, in denen in Abu Ghraib mißhandelt und gefoltert wurde, dem Chef
der 205. Brigade des Militärischen Geheimdienstes des V. Army Corps, Oberst
Thomas Papas unterstanden. Die rund 850 Mann der Foltertruppe sind auf der
US-Luftwaffenbasis im hessischen Wiesbaden-Erbenheim stationiert. In die
Bundesrepublik kehrte auch der frühere Oberbefehlshaber der Besatzungstruppen
in Irak, Generalleutnant Ricardo Sanchez, zurück. Er ist Oberkommandierender
des erwähnten 5. Korps, dessen Stab sich in Heidelberg befindet. Durch „Report
Mainz" wurde bekannt, daß auch Hunderte Kinder inhaftiert, gefoltert,
Mädchen entkleidet und sexuell mißhandelt wurden, um ihre Väter zu Aussagen
zu erpressen. An den Verbrechen in Abu Ghraib ist ebenfalls das in Heidelberg
stationierte 203. US-Geheimdienstbataillon beteiligt.
Die BRD ist so an der völkerrechtswidrigen Aggression der
USA in Irak beteiligt. Sie bricht damit nicht nur Völkerrecht, sondern auch das
Grundgesetz und verstößt selbst gegen das NATO-Truppenstatut.
*
Wie stehen die Erfolgsaussichten des irakischen Widerstandes,
der gegenwärtig keine mit Vietnam vergleichbare, damals vom existierenden
weltweiten sozialistischen Lager ausgehende materielle, moralische und
politische Unterstützung erhält? Hier steht die Volksrepublik China objektiv
vor der Aufgabe, den Platz der früheren UdSSR einzunehmen. Auch wenn sie heute
noch nicht deren einstiges weltpolitisches Gewicht besitzt, sind ihre Resourcen
bereits größer als allgemein bekannt, und sie positioniert sich deutlich gegen
die USA.11
Zu sehen sind die gegenüber dem auf die Weltherrschaft
gerichteten Aggressionskurs der USA divergierenden Positionen anderer führender
imperialistischer Mächte, z. B. in der EU 12,
vor allem aber großbürgerliche Kräfte weltweit, darunter in der Dritten Welt
(Indien, die arabische Welt, afrikanische und lateinamerikanische Staaten),
deren Interessen mit diesem Kriegskurs schon heute in Konflikt geraten. Dann,
daß in Venezuela, Brasilien und Uruguay, im so genannten Hinterhof der USA,
relativ linke Kräfte an die Regierung bzw. die Präsidentschaft gekommen sind
und bisher den erbitterten Angriffen der von Washington unterstützten Reaktion
widerstehen. Nicht zuletzt ist das ein Ausdruck dafür, daß nationale
Befreiungsbewegungen ein antiimperialistischer Faktor mit zunehmenden Gewicht
bleiben bzw. wieder werden. Unter diesen Kräften ist auch die breit
gefächerte, sich neu formierende Weltfriedensbewegung einzuordnen.
Der irakische Widerstand ist also nicht chancenlos, und die
USA sind nicht, wie gelegentlich behauptet wird, unbesiegbar. Vor allem, wenn
man beachtet, daß die USA in Südvietnam nach zwei Jahrzehnten Okkupation
geschlagen wurden. In Irak ist der USA-Krieg kaum zwei Jahre alt.
___________________________
11 Aufschlußreich dazu ein zweiseitiger „jW"-Beitrag
R. Rupps: „Jahrhundertdeal mit Iran" vom 29. Jan. 2005.
12 Hier kann nicht auf die Frage eingegangen werden, daß die
Weltmacht USA von anderen Großmächten in der weiteren Entwicklung in die
Schranken gefordert werden könnte. Darauf deuten der forcierte Aufbau einer
EU-Streitmacht und die verstärkt zu beobachtende verfassungswidrige
Militarisierung in Japan, um nur zwei Beispiele anzuführen, hin.
Die DKP zur Besetzung des Irak (Auszug)
... Die DKP fordert die sofortige und bedingungslose
Beendigung der Besatzung des Irak durch die USA, Großbritannien und ihre
Verbündeten. Dafür muß der außerparlamentarische Druck international
verstärkt werden. ...
Die DKP fordert von der Bundesregierung die sofortige
Einstellung jeglicher politischer, organisatorischer und militärischer
Unterstützung der imperialistischen Besatzung. Alle Überflugsrechte für die
US-Luftwaffe sind zurückzunehmen und jegliche Mittätigkeit zur Organisierung
der völkerrechtswidrigen Besatzung aus US-amerikanischen Basen in Deutschland
ist sofort einzustellen.
Widerstand gegen die Besatzung des Iraks ist legitim. Daran
ändert auch nichts, daß der UN-Sicherheitsrat dem Krieg nachträglich ei-
ne Scheinlegitimation verschafft hat.
Die DKP unterstützt alle fortschrittlichen Kräfte, die für
einen souveränen, demokratischen Irak eintreten. Die Aggressoren müssen für
die Beseitung der Schäden durch Blockade, Krieg und Besatzung aufkommen.
Die DKP ist durch besondere Solidarität verbunden mit den
irakischen Kommunstinnen und Kommunisten. Wir bringen ihrem Kampf gegen
Besatzungswillkür und für soziale und demokratische Rechte große
Hochschätzung entgegen. Offene Fragen, so die Beteiligung an der
Marionettenregierung Allawi, wollen wir solidarisch diskutieren. Wir verurteilen
die von den Besatzungstruppen ausgeübte Folter, Massaker und Verfolgung, deren
Opfer in erster Linie die Zivibevölkerung ist.
Nach dem 17. Parteitag der DKP
von Karl Anders
Der Leitartikler der UZ konnte Entwarnung geben. „Wer von
diesem 17. Parteitag der DKP einen Eklat, Putsch-Versuche oder destruktiven
Streit erhofft oder befürchtet hat, mußte ... zur Kenntnis nehmen: Diese
kleine DKP ist nicht nur nah dran an den aktuellen Kämpfen und Problemen
unserer Zeit, sondern ... in der Lage souverän mit unübersehbaren
Meinungsverschiedenheiten umzugehen". Der Vorsitzende der DKP, Heinz Stehr,
zeigte in der UZ Erleichterung darüber, daß der Parteivorstand seine
Zielstellungen durchsetzen konnte und Zustimmung zu den getroffenen
Einschätzungen und Analysen erhalten habe. Die Vorsitzenden und der
Parteivorstand seien weitgehend wie geplant gewählt worden, die umstrittene „Politische
Erklärung" mit großer Mehrheit angenommen und schließlich sogar fast
einstimmig ein Beschluß zum Reizthema Irak gefaßt worden.
Richtig ist, daß die Delegierten des 17. Parteitages bereit
und in der Lage waren, eine inhaltliche und sachliche Debatte zu führen und
Meinungsverschiedenheiten, die unübersehbar waren und auch während der
Diskussion benannt wurden, nicht nur auszuhalten, sondern als produktives
Element der Entwicklung der Partei zu betrachten. Der „souveräne Umgang"
der Mehrheit des Parteivorstandes und insbesondere seines Sekretariats sah
allerdings in Vorbereitung des Parteitages anders aus. Im Interview der drei
Vorsitzenden in der UZ unmittelbar vor dem Parteitag wurde die entsprechende
Linie herausgegeben und die Unsicherheit in der Partei nochmals verstärkt.
Kritiker des Sekretariates oder ihre Argumente wurden nicht konkret benannt,
dennoch müsse man „den Zünder aus einer polarisierenden und lähmenden
Programmdebatte" herausdrehen. Ursache für Meinungsverschiedenheiten seien
„gezielte Aktionen von außen", angestrebte „Richtungskämpfe",
„Säuberungen" und Zuspitzungen würden eine „brandgefährliche
Situation" schaffen. Der alte Parteivorstand entfernte in dieser Logik
insbesondere Mitglieder aus Berlin und Hamburg von seinem Vorschlag für das
neuzuwählende Gremium. Die ansonsten vom Parteivorstand gescholtene
Tageszeitung „Junge Welt" assistierte mit der Einschätzung, daß „während
wohl der größte Teil der Parteimitglieder dem Vorsitzenden folgt, ... die
Kritiker vor allem in Ostdeutschland, Berlin, Hamburg, in Ruhr-Westfalen und bei
der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) zu finden" seien. Die
Einschätzung, die auch auf die Reihe von Anträgen verschiedener
Parteigliederungen verweist, die sich ablehnend mit Vorschlägen des
Parteivorstandes befassen, vernachlässigt jedoch, daß in der inhaltlichen
Auseinandersetzung und Diskussion in allen Organisationsgliederungen der DKP
kritische und ablehnende Haltungen zur Linie des Parteivorstandes zu finden
sind. Eine Einschätzung, die sich auch anhand von Äußerungen von
Führungsmitgliedern des Parteivorstandes zeigt, die vor der Verfestigung von
„Strömungen" in der Partei warnten.
Die traditionell zu Beginn des Parteitages stattfindende,
allgemeine Aussprache mit lebendigen und teilweise lebhaften Beiträgen im
Anschluß an das Referat des Parteivorsitzenden wurde im wesentlichen von
praktischen Erfahrungen und Arbeitsvorhaben beherrscht. Schwerpunkte waren die
Themen Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Kommunalarbeit, Bündnis- und
Aktionseinheitspolitik. Die Beiträge der Delegierten zeigten die Verankerung
der Mitgliedschaft in den Gewerkschaften, der Betriebstätigkeit und der
kommunalen Politik. Sehr beachtenswert waren die Beiträge von jugendlichen
Delegierten aus SDAJ und AMS–Erfahrungen auch zur Stärkung der Organisation,
die im Referat des Vorsitzenden kaum Beachtung finden. Mehrfach wurde über die
hier in den letzten zwei Jahren erreichten Erfolge berichtet.
Eine wirkliche Diskussion über die Entwicklung der Partei,
ihre Aufgaben anhand einer konkreten Kräfteeinschätzung oder die Grundlinien
des inhaltlichen Meinungsstreites konnte auf der Grundlage des nicht zum ersten
mal sehr allgemein und aufzählend gehaltenen Referates des Vorsitzenden nur
schleppend geführt werden. Es war das Verdienst der Genossen Hans Heinz Holz
und Patrick Köbele sowie des Bezirksvorsitzenden aus Hessen, Michael Beltz,
daß am Samstag doch noch inhaltliche Streitfragen benannt wurden und diskutiert
werden konnten. Durch diese und weitere Beiträge an beiden Tagen des
Parteitages wurden die inhaltlichen Streitpunkte benannt und damit auch den
nebulösen Darstellungen der Parteiführung über die Kontroversen entgegen
gestellt.
Der im Vorfeld in seinen Aussagen durch Führungsmitglieder
der Partei scharf angegriffene Hans Heinz Holz kritisierte den
Erarbeitungsprozeß für ein neues Parteiprogramm und die Mißachtung des
Beschlusses des 16. Parteitages durch den Parteivorstand u.a. mit den Worten:
„Gerade im Aushalten und Austragen von Widersprüchen erweist sich die Partei
als lebendig, als attraktiv und als richtungsweisend für andere - und erweist
sich die materialistische Dialektik als fruchtbar. Was geschieht statt dessen?
Argumente werden nicht als Ratschlag und Diskussionsbeitrag aufgenommen, sondern
als Opposition bekämpft. Was der Perspektive, die gerade die einiger
Sekretariatsmitglieder ist, nicht entspricht, wird verketzert, an den Rand
gedrängt, ausgegrenzt". Anträge zur Tagesordnung für die Aufnahme einer
Diskussion über das Parteiprogramm, sowie zur Aussprache über den Bericht der
Autorengruppe, die einen neuen Entwurf erarbeitet hat, wurden auf Initiative des
Parteivorstandes zu Beginn des Parteitages bereits abgelehnt".
Patrick Köbele, Vorsitzender des mitgliederstärksten
Bezirks der DKP, begründete in einem Beitrag die grundlegende inhaltliche
Kritik an der vorgelegten „Politischen Erklärung" und legte dar, daß
diese in dieser Form nicht zustimmungsfähig sei. Das vorgelegte Papier, dessen
erster Entwurf im Vorfeld des Parteitages auf erhebliche Widerstände gestoßen
war und dessen zweite Entwurfsfassung (in den Grundaussagen unverändert) auf
dem Parteitag diskutiert wurde, fixiere voreilig wesentliche programmatische
Aussagen, die in der Partei noch weitgehend umstritten seien. Dies beträfe vor
allem die Analyse des Imperialismus, Aussagen zu Sozialismusvorstellungen und
der Bewertung der bisherigen sozialistischen Staaten, Aussagen zum Verhältnis
Partei - Arbeiterklasse – Gewerkschaft - Bewegungen, allgemein der Bündnis-
und Aktionseinheitspolitik, sowie der Beschreibung von Charakter und Aufgaben
der Partei. Insbesondere der Teil zur Beschreibung der sozialen und politischen
Wirklichkeit des Kapitalismus in Deutschland sei ungenügend, auch im Vergleich
zur Beschreibung internationaler Prozesse. Nicht nur der Beifall zu den
Redebeiträgen, sondern viele Anträge von Parteigliederungen zur Veränderung,
Ablehnung oder Nichtbefassung der „Politischen Erklärung" zeigten, daß
große Teile der Mitgliedschaft die inhaltliche Kritik teilen. So ist die
letztliche Zustimmung des Parteitages mit ca. 70% der Stimmen zu diesem Dokument
weniger der Unterstützung der Inhalte der Parteivorstandsmehrheit geschuldet
denn der Sorge darum, der Parteitag stünde wie zwei Jahr zuvor ohne zentrales
Dokument da und würde sich nach außen hin als blockiert in der
Politikentwicklung darstellen.
Das hohe Verantwortungsbewußtsein der Delegierten zeigten
auch die Personaldebatte und die Wahlen zum neuen Parteivorstand. Wie von
Delegierten zu erfahren war, wurde die Herangehensweise des Sekretariats des
Parteivorstands in zwei wesentlichen Punkten zurückgewiesen. In der Diskussion
um die Wahl des Vorsitzenden und seiner Stellvertreter kam es zu einer über
halbstündigen Debatte um die Person Heinz Stehr, in dem ihm wiederholt die
Bereitschaft abgesprochen wurde, die bisherigen und anstehenden Diskussionen
über die Ausrichtung der Politik der Partei solidarisch und konstruktiv zu
organisieren. Die Wahl von H. Stehr (72%), N. Hager (66%) und R. Priemer (80%)
ist ein deutliches Zeichen dieser Unzufriedenheit, zumal die Zahl der
Nein-Stimmen jeweils sehr hoch war. Gegen den Willen der Parteiführung wurde
dann die Größe des neuzuwählenden Parteivorstandes auf 40 Genossen erhöht.
Die anschließende Diskussion wurde geprägt durch Beiträge, die ihr
Unverständnis mit dem vorliegenden Personalvorschlag äußerten und weitere
Genossen vorschlugen. Im Ergebnis der Wahlen läßt sich festhalten, daß
erheblich mehr zur bisherigen Linie des Sekretariates kritische Genossen
gewählt wurden. Die Delegierten und damit die Mehrheit in der DKP legen
offenbar starken Wert darauf, daß in allen Leitungsgremien der Partei
unterschiedliche Positionen diskutiert werden können, damit die Politik von den
entsprechenden Genossen mitbestimmt werden kann.
Zum Ende des Parteitages beschlossen die Delegierten einen
Antrag der Internationalen Kommission gegen die US-Besatzungspolitik im Irak.
Ein Kompromißpapier, das die Solidarität mit dem Widerstand gegen die
Besatzung ausdrücklich für legitim erklärt, „Schluß mit der
Besatzung" und „Freie Selbstbestimmung des Irak" fordert, sich
jedoch nicht von der Haltung der IKP abgrenzt. Diesem Antrag gaben die
Delegierten ebenso die Mehrheit, wie sie einen, auf Initiative des
Bundeskassierers zustande gekommenen Antrag auf Erhöhung der Beitragsanteile
des Parteivorstandes um 25% zu Lasten der Bezirke und Kreise ablehnten.
Den Abschluß des Parteitages bildete ein Bericht der stellv.
Parteivorsitzenden zur Arbeit der Autorengruppe für einen Entwurf eines
Parteiprogramms. Eine Aussprache hierzu sollte es nicht geben. Es liegt den
Mitgliedern des neuen Parteivorstandes dieser Entwurf vor, der auf der ersten
Sitzung am 5./ 6. März beraten und zur Diskussion in die Partei gegeben werden
soll. Die Organisierung der Diskussion durch den Parteivorstand wird zeigen, ob
die Führung der Partei zu einer demokratischen Auseinandersetzung bereit ist
und auf ihre bisherige Haltung des inhaltlichen Verwischens einerseits und der
Zuspitzung in der Administration andererseits verzichtet. Der Parteitag hat
gezeigt, daß die Mehrheit der Delegierten und auch die Mehrheit der Partei eine
inhaltlich qualifizierte, transparent organisierte und in sachlicher Weise auch
kontrovers geführte Diskussion wünschen, in der die oppositionellen Meinungen
und die sie vertretenden Personen gleichberechtigt auftreten können.
Nach dem 17 Parteitg der DKP
von Hans-Günter Szalkiewicz
Entnommen aus Anstoß, März 2005. S. 3
Das, was zu tun war, ist getan worden. Die 167 Delegierten
der 4.454 Mitglieder zählenden Partei haben am 12. Und 13. Februar in Duisburg
(im äußersten Westen des Landes) den statuarischen Verpflichtungen
entsprechend nach den Berichterstattungen die Leitungsorgane gewählt, ein
umstrittenes Grundsatzdokument, die „Politische Erklärung" mit großer
Mehrheit beschlossen und eine Erklärung „Schluß mit der imperialistischen
Besatzung - Für freie Selbstbestimmung des Irak" verabschiedet, deren
Endfassung nicht ganz dem entsprach, was Heinz Stehr mit anderen Mitgliedern den
Delegierten als Entwurf vorgelegt hatte.
Der vom Parteivorstand gestellte Antrag „Arbeitsvorhaben
der DKP für die Jahre 2005/2006 (Handlungsorientierung)" wurde unter
anderem aus Zeitgründen nicht behandelt und an den Parteivorstand
zurückverwiesen.
Die „Politische Erklärung", deren erster Entwurf im
Vorfeld des Parteitages auf einigen Widerstand in der Partei gestoßen war und
deren zweite Entwurfsfassung (in den Grundaussagen unverändert) auf dem
Parteitag kontrovers diskutiert wurde, fixiert programmatische Positionen der
Parteiführung. Das betrifft insbesondere die Imperialismusanalyse und das
Verhältnis Partei - Gewerkschaft - Bewegungen. Die Mehrzahl der Delegierten hat
damit die Vorgehensweise des Parteivorstands akzeptiert, den Beschluß des
vorhergehenden, 16., Parteitags nicht zu realisieren, die Diskussion um ein
neues Parteiprogramm zu vertagen und die dadurch entstehende „Lücke" mit
der „Politischen Erklärung" auszufüllen.
Nicht wenige Mitglieder des Partei leben dabei mit dem Credo
„Laßt uns jetzt handeln und später diskutieren". Die aktuelle
gesellschaftliche Situation bestimme die praktische Politik und ein
Parteiprogramm sei doch mehr eine „theoretische Sache". Es aufzuschreiben
sei schon deshalb schwierig, weil die politischen, ökonomischen und sozialen
Verhältnisse sich in einem schnellen Tempo verändern.
Diejenigen, die mit der Programmdebatte die Klärung von
politisch-ideologischen Positionen der Partei als Grundlage für ihre praktische
Tätigkeit seit langem fordern und dazu argumentieren, haben nach dem Parteitag
noch größere „Chancen" in der Rolle als „Störenfriede"
festgeschrieben zu werden.
Genosse Hans Heinz Holz sah sich veranlaßt, den Delegierten
zu sagen: „Gerade im Aushalten und Austragen von Widersprüchen erweist sich
die Partei als lebendig, als attraktiv und als richtungsweisend für andere -
und erweist sich die materialistische Dialektik als fruchtbar. Was geschieht
statt dessen? Argumente werden nicht als Ratschlag und Diskussionsbeitrag
aufgenommen, sondern als Opposition bekämpft. Was der Perspektive, die gerade
die einiger Sekretariatsmitglieder ist, nicht entspricht, wird verketzert, an
den Rand gedrängt, ausgegrenzt."
Nachdem Holz vor dem Parteitag in der Öffentlichkeit von
zwei Richtungen in der Partei gesprochen hatte, sahen der Vorsitzende und seine
Stellvertreter (auch noch vor dem Parteitag und auch öffentlich) die
Notwendigkeit, „den Zünder aus einer polarisierenden und lähmenden
Programmdebatte herauszudrehen" und die Gefahr von „Reinigungsprozessen",
„Säuberungen" und von Putschversuchen der Kritiker gegen die
Parteiführung.
Die zwei Richtungen unterschieden sich somit nicht nur durch
jeweilige Positionen zur Politik und zum Selbstverständnis der Partei, sondern
auch durch die Methoden, mit denen Differenzen in der Partei bewältigt werden
sollen.
Das kennzeichnet die Ausgangsposition zu Beginn der jetzt in
Aussicht gestellten Diskussion des Entwurfs für ein neues Parteiprogramm, der
von einer Autorengruppe ausgearbeitet worden ist. Wie die stellvertretende
Parteivorsitzende auf dem Parteitag erklärte, wird der sich auf der ersten
Tagung am 5. und 6. März konstituierende Parteivorstand damit befassen und ihn
nach einer kurzen Überarbeitungsphase veröffentlichen.
Und so stellt sich erneut die Frage, ob es gelingt, in
qualifizierter Weise, das heißt mit Argumenten, die für alle Mitglieder in
ihrer Substanz erfassbar sind, über die Standpunkte zu diskutieren, die zu den
wesentlichen Merkmalen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation, zum
Charakter der Partei und zu den Grundzügen ihrer Politik bestehen.
Wider die Islamophobie
Ein Brief des Jüdischen Kulturvereins Berlin e.V.
Zunehmend scheinen Antisemitismus und Islamophobie zwei
Seiten jener Medaille zu sein, in die stereotypes Handeln und neues
Unverständnis mit großen Lettern eingraviert sind. Es gibt keine rational
nachvollziehbare Erklärung für die aktuelle Hysterie, die gezielt und ohne
Rücksicht auf Verluste gegen Muslima und Muslime aller Länder, Sprachen,
kultureller und sozialer Identität geschürt wird.
Wer so zündelt, riskiert eine Feuersbrunst. Wir wollen das
nicht!
Was treibt Mächtige in der Politik, was veranlaßt manche
Medien zu einer Kampagne, an deren Ende es nur Verlierer geben wird? Was nährt
das Zerrbild vom Nachbarn?
Unübersehbar, und das ist unseres Erachtens das Grundübel,
benachteiligen soziale Verhältnisse die geduldeten wie hier beheimateten
Mitglieder der muslimischen Gemeinschaften und jene, die von Außenstehenden
dafür gehalten werden. Dumpf und zerstörerisch wird eine Islam-Feindschaft
hoffähig geredet und der Irrweg in einen Anti-Islamismus geebnet.
Wir erinnern daran, wann und wie aus religiöser oder
ökonomischer Judenfeindschaft mörderischer Antisemitismus geworden ist. Das
macht uns mißtrauisch gegen jede selbstgefällige Polemik, die den Islam und
mit ihm die gesamte muslimische Gemeinschaft zur verdeckt sprudelnden Quelle
jenes brutalen extremistischen Terrors erklärt, der gerade auch gegen unser
Volk gerichtet ist. Gegen diesen haben wir uns auch mit Muslimen verbündet.
Jahrzehnte sind ohne ein erkennbares gesellschaftliches
Interesse an anderen Lebenswelten verstrichen. Der Dialog im Neben- und
Miteinander setzt wissenden und gespürten Respekt voraus. Wir bedauern
zutiefst, daß die EU auch mit Deutschlands Stimme nicht dem Vorschlag Spaniens
gefolgt ist, den Erwerb von Kenntnissen über die Kulturen der Welt bei der
Integration ihrer Vertreter in den jeweiligen europäischen Provinzen für
unentbehrlich anzusehen.
Es geht nicht (?) um den Islam in Deutschland. Es muß an die
Aufklärung angeknüpft werden. Lessing hat durch seinen weisen Nathan ein
deutsches Leitbild der Toleranz geschaffen, auf das wir stolz sein können.
Berlin, 19.November 2004
Für den Jüdischen Kulturverein Berlin e.V.: Dr. Irene
Runge, 1. Vorsitzende, Ralf Bachmann, Vorstandsmitglied; Igor Chalmiev,
Intergrationsbeauftragter.
Entnommen aus: Politische Berichte Nr. 25 / 04, S. 20
Erschreckende Parallelen
von Hanfried Müller
Erinnert sich noch jemand an den Nazi-Propagandafilm „Ich
klage an"?
Die Fabel dieses Filmes ist schnell erzählt: Eine an
multipler Sklerose erkrankte Frau - immer mehr in ihrer Bewegungsfähigkeit
eingeschränkt, im übrigen aber bei klarem Bewußtsein und schmerzfrei -
verliert die Freude am Leben. Sie bittet ihren Mann, mit dem sie in herzlicher
Liebe verbunden ist, sie von ihrem Leiden zu erlösen, das heißt: sie auf ihren
ausdrücklichen Wunsch zu töten! Der Mann tut es im Bewußtsein, sich nach
geltendem Recht strafbar zu machen.
Als darum Angeklagter wird er zum Ankläger, nämlich einer
Justiz, die ihm verbietet, zu tun, wozu ihn seine Liebe getrieben hat!
Sentimental gedreht - und verführerisch.
Der Film verfolgte eine Absicht: Durch nur allzu menschliches
Mitleid, erweckt durch die Konzentration auf den Einzelfall, sollten die
Zuschauer bewegt werden, etwas Unmenschliches gut zu heißen, nämlich
das, was die Nazis „Euthanasie" nannten. Darum wurde der Film vielen
Schülern meines Jahrgangs gezeigt und im Unterricht diskutiert, um Akzeptanz
für die „Vernichtung lebensunwerten Lebens" zu schaffen.
*
Ist es absurd, daß ich mich daran erinnere, wenn sich heute
mit dem (völlig legitimen) Prozeß gegen den Polizei-Vizepräsidenten
Daschner, der in einem Gewissenskonflikt, um ein entführtes Kind zu retten,
mit Folter gedroht hatte, eine Pro-Folter-Agitation verbindet?
Damals gehörte ich im Einflußbereich der Bekennenden Kirche
zu der Minorität, die auf den Film „Ich klage an" (gelinde gesagt) in
der Haltung reagierten: „Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt!"
Und eben so reagiere ich heute auf die Presseresonanz zum
Fall Gäfgen/Daschner.
Wie die Beihilfe zur Selbstötung im Nazifilm ergibt sich die
Folterdrohung im Fall Daschner aus einer Konfliktsituation, die nur durch
Übertretung eines wohl begründeten gesetzlichen Verbotes lösbar scheint.
Solch konkretes Dilemma zwischen Moral und Recht im Einzelfall ist in der
Allgemeingültigkeit eines Gesetzes gerade nicht generell zu fassen; darum wird
solch Gewissenskonflikt in vernünftigen strafrechtlichen Regelungen so
behandelt, daß einerseits Verbot und Strafbarkeit der Tat gerichtlich
festgestellt, andererseits aber aus gutem Grund die gesetzlich vorgesehene
Strafe gemildert, eventuell sogar von einer Bestrafung des Täters abgesehen
werden kann.
Insoweit erscheint mir das Urteil im Falle Daschner gerecht.
Noch sauberer wäre der Fall gewesen, hätte Daschner, wegen der auf seine
Weisung angedrohten Folterdrohung Anzeige gegen sich selbst erstattet und sein
Amt von sich aus ruhen lassen. Jedenfalls aber führt der Gewissenskonflikt, ein
Kind nur retten zu können, wenn man sich selbst strafbar macht, zu einer Art
übergesetzlichen Notstandes, der als exzeptioneller Ausnahmefall niemals
gesetzlich zu verallgemeinern ist, ebenso wenig wie die Tötung auf Verlangen in
jenem Nazifilm.
Genau um diese Verallgemeinerung ging es aber den Nazis, die
mit ihrem Film „Ich klage an!" die Volksstimmung für die „Vernichtung
unwerten Lebens" reif machen wollten. Und genau um diese Verallgemeinerung
geht es in der imperialistischen Presse, die mit dem „Fall Daschner" die
Volksstimmung für die Erlaubnis der Folter reif machen möchte.
So wie man die wahre Absicht des Films „Ich klage an"
damals dem „Stürmer" und dem „Schwarzen Corps" im Klartext
entnehmen konnte, so - wie üblich in vergleichbarem Stil - der Bild-Zeitung,
was man mit der Popularisierung des Falles Daschner beabsichtigt:
„Das Frankfurter Landgericht hat den frühen
Polizeivizepräsidenten Wolfgang Daschner ... verurteilt. Die verhängten
Strafen wurden ausgesetzt. / Im Namen des Volkes wurde das Urteil nicht
gesprochen. Die Deutschen wollen, daß die Polizei das Leben der Opfer
rettet. Opferschutz geht vor Täterschutz. / Das Frankfurter Fehlurteil
verhindert das richtige Vorgehen der Polizei. Die Konsequenz ist: Wenn
wieder ein Kind entführt wird, darf die Polizei dem Täter keine Gewalt
androhen, um den Aufenthaltsort des Kindes zu erfahren. .../ Scheinbare
juristische Korrektheit hilft in diesem Fall nicht weiter. Das Urteil verlangt
nach einer Revision. Es darf keinen Bestand haben ...". (Hervorhebung -
H.M.)
Das Schlimmste aber an diesen Sätze ist, daß sie nicht
einmal von einem der mangelhaft „entnazifizierten" Bild-Journalisten
stammen, sondern von Oskar Lafontaine, einem Politiker, den man bislang, wenn
nicht gar für links, so doch zumindest allgemein für zivilisiert hielt. Wie
weit sind wir gekommen, wenn sogar solch ein Mann so schreibt, als solle das
Folterverbot nur solange gelten, wie es keinen Anlaß zur Folter gäbe.
Aber nicht einmal damit genug. Fast gleichzeitig erschien im
„Tagesspiegel" der Leserbrief eines Richters am Berliner Amtsgericht,
eines Mannes also, der von Berufs wegen Sensibilität für Recht und Gesetz
zeigen sollte. Er liefert die unsägliche Argumentation, der zur Offenbarung des
Verstecks seines Opfers durch Folterdrohung gezwungene Täter sei ein „Unmensch,
ein Nichtmensch, und damit eine ‘Niemand’" und folgert hemmungslos
demagogisch: „und ‘Niemand’ darf bekanntlich der Folter unterzogen
werden".
Die Verwirrung wird dadurch komplett, daß diejenigen, die
mit Recht darüber erschrecken, daß hier unter Ausnutzung eines
Gewissenskonflikts das Folterverbot gelockert werden soll, meinen, ihre wohl
begründete Haltung nur vertreten zu können, indem sie sich auf die unmögliche
Alternative einlassen: entweder das Kind zu retten oder das Folterverbot
aufrecht zu erhalten. Damit setzten sie sich dem Schein aus, ihnen gelte ein
totes Gesetz mehr als das Leben eines Kindes.
In diesem Sinne mißverständlich schreiben die „Politischen
Berichten" (Nr. 1, 2005 S. 19): „Zum Glück gibt es auch andere
Stimmungen. Mehrere große und wichtige Menschenrechtsorganisationen ... haben
... das Urteil gegen Daschner aus umgekehrter Sicht kritisiert. Sie kritisieren
die geringe Strafe und fürchten, daß damit das im Grundgesetz formulierte
absolute Folterverbot weiter geschwächt und gefährdet wird."
Diese Gefahr ist tatsächlich höchst akut. Sie geht aber,
meine ich, nicht von den gerechten und besonnenen Urteil im Fall Daschner aus,
sondern von der skandalösen Art, wie der Fall Daschner in der Bundesrepublik
publizistisch behandelt wird. Da gibt es Zeugnisse über Zeugnisse der „Volksstimme",
die alle in die Richtung gehen, „zum guten Zweck" sei die Folter doch
eigentlich zu erlauben.
Angesichts dessen, daß in erschreckendem Maße gegenüber
verdächtigten Ausländern und erst recht gegenüber vermuteten „Terroristen"
breite Massen von Bildzeitungskonsumenten an die Möglichkeit und dann die
Wirklichkeit von Folter gewöhnt werden bis dahin, daß auch an anderen Stellen
auf einmal in aller Form erhebliche Straftaten wie z.B. der Abschuß von
Zivilflugzeugen beim Verdacht, sie würden als Terrorinstrumente mißbraucht,
durch Gesetz legalisiert werden, habe ich den Eindruck, daß die publizistische
Behandlung des Falles Daschner ein gefährliches politisches Ziel verfolgt. Denn
so viel Publizität hat von den erschreckend zahlreichen bekannt gewordenen
Fällen von Polizei-Folter-Delikten kein anderes gefunden.
Warum? Weil kein anderes so geeignet erschien, die
Hemmschwelle des naiv gerecht denkenden Bürgers gegen jede Art von Folter zu
durchbrechen wie die Lebensrettung eines entführten Kindes?
Steht hinter der publizistischen Behandlung des Falles
Daschner in der Bundesrepublik Deutschland das gleiche propagandistische Kalkül
wie hinter dem Goebbels-Film „Ich klage an"? Nämlich das Kalkül,
menschliche Gefühle an einem Einzelfall so zu mobilisieren, daß sie
benutzbar werden für eine allgemeingültige Gesetzgebung verbrecherischer
Art - damals der Legalisierung des Mordes als „Euthanasie",
heute der Legalisierung der Folter als Mittel zur Lebensrettung bedrohter
Kinder?
Literaturhinweise
Klaus Eichner, Ernst Langrock,
Der Drahtzieher. Vernon Walters - Ein
Geheimdienstgeneral des Kalten Krieges *
Das Buch ist eine Gemeinschaftsarbeit. Ernst Langrock, von
Hause aus Naturwissenschaftler, wurde auf die Rolle nicht nur des
US-amerikanischen Geheimdienstes, sondern speziell Vernon Walters durch das
Buch "Das RAF-Symptom" von Wisnewski, Landgraeber und Sieker
aufmerksam, die die Rolle der RAF bei der Ermordung von Herrhausen und
Rohwedder in Frage stellten. Als Mitglied der Redaktionskommission der Reihe
"Spurensicherung" lernte Langrock Klaus Eichner kennen, der seit
1974 In der HVA des MfS tätig gewesen und seit 1987 bis zu dessen Auflösung
Leiter des Bereichs Auswertung/Analyse der Abt. IX (Gegenspionage) war.
Langrock gelang es, Eichner der ja aus der Zeit vor 1990 genügend Material
kannte, für das Thema Vernon Walters zu interessieren. So entstand dieses
Buch.
Ziel war es herauszustellen, "was für ein
US-amerikanischer Experte der Destruktion und Infiltration die Fäden an einem
der schicksalssträchtigsten Vorgänge von Bonn aus zog" (S. 14 f.) Denn
Vernon Walters war vom Präsidenten der USA mit den Worten "Dort wird es um
das Ganze gehen", gebeten worden, ab April 1989 als Botschafter der USA in
Bonn zur Verfügung zu stehen. Dieser Präsident aber war George W. Bush, der
frühere CIA-Direktor. Und Vernon Walters war von 1972-76 stellvertretender
Direktor eben dieses us-amerikanischen Geheimdienstes, inzwischen eigentlich
bereits im Ruhestand. Aber Anfang 1989 definierte er die ihm zugedachte Rolle
selbst zutreffend: "Ich werde nicht geschickt, wenn ein Erfolg
wahrscheinlich ist. Eine meiner Hauptaufgaben ist es, die Letzte Ölung zu
geben, kurz bevor der Patient stirbt." (S.19)
Das Buch stellt ausführlich die Rolle dar, die Walters,
stets persönlich anwesend, bei der Vorbereitung jeder, aber auch wirklich jeder
Konterrevolution auf der ganzen Welt spielte: sei es der Sturz Mossadeghs im
Iran 1953, die Beseitigung Goularts in Brasilien 1964, der Sturz und die
Ermordung Allendes in Chile1973, die Liquidierung der
"Nelkenrevolution" in Portugal 1974, der Aufbau konterrevolutionärer
Kräfte in Angola 1975, die Hilfe für die Reaktion in Guatemala 1981/85, die
Unterstützung der Contras in Nikaragua ab 1981 oder die höchstpersönliche
Beratung von Papst Woytila zugunsten der Solidarnosc ab 1980, bis er 1985-1988
UNO-Botschafter der USA wurde.
Und nun fragen die Autoren mit vollem Recht: "Allein der
Einsatz des Geheimdienst-Generals mit über dreißig Jahren Fronterfahrung bei
der weltweiten Durchsetzung der amerikanischen Interventionspolitik, Vernon
Walters, als Botschafter in Bonn, hätte in der Führung der KPdSU und des KGB
die Alarmglocken schrillen lassen müssen." (S. 165)
Aber, fragt sich der Leser, warum nur in der Führung der
KPdSU und des KGB, warum nicht in der Führung der SED und des MfS? Kein Ton
darüber. Stattdessen eine wenig befriedigende Analyse der DDR-Niederlage:
"Die USA haben seit 1945 immer wieder versucht, die 'Satelliten' der
Sowjetunion herauszubrechen, innere Unruhen zu erzeugen oder zu nutzen,
nationale und religiöse Gefühle zu verstärken, wirtschaftlichen Druck
auszuüben, also das ganze Programm der psychologischen Kriegführung und
subversiver Aktivitäten abzuspulen: Das ist ihnen über Jahrzehnte hin nicht
oder nur in Ansätzen gelungen - aber auf einmal funktioniert diese Strategie
und führt zum Kollaps des realsozialistiuaschen Systems in Europa: Die
Strategie war nicht neu und auch nicht besonders originell, die Akteure waren
auf westlicher Seite oftmals noch die gleichen bzw. mit der gleichen Denkart
ausgestattet. Das gehört zu den Fragen über die Ursachen des Zusammenbruchs
des Realsozialismus in Europa. Unsere Recherchen zeigen im historischen Abriß
die gewaltigen Anstrengungen der imperialistischen Seite, ihre Ziele
durchzusetzen. Wir sind aber nicht so lebensfremd, daß wir diese Aktionen als
die alleinigen, nicht einmal als die bedeutenderen Ursachen des Scheiterns des
Sozialismus in Europa ansehen. Die Zuspitzung der Widersprüche im Inneren der
Sowjetunion und der anderen RGW-Staaaten öffneten die Einfallstore für die
westliche ‘Grand Strategy’ Die Verschärfung der inneren Widersprüche wurde
sowohl durch das halsstarrige Festhalten der alten Parteibürokraten an alten
und falschen Methoden begünstigt, aber ebenso durch die inkonsequenten
Vorstellungen der 'Reformer', die meist nur mit pragmatischen Ansätzen ohne
eine durchdachte Strategie und Bewertung der Folgen in der Innen- und
Außenpolitik agierten. Das öffnete zudem auch jenen Kräften in der Führung
dieser Länder den Weg, die sehr schnell ihre Chance in der bedingungslosen
Durchsetzung der westlichen Interessen sahen." (S181 f.)
War da nicht Condolezza Rice, inzwischen Außenministerin der
USA, doch besser informiert? Sie schrieb 1997: "Westliche Beobachter hatten
seit langem vermutet oder gespürt, daß viele Ostdeutsche das Regime
verachteten oder haßten. Aber diese Verbitterung schien in passive, zynische
Resignation umgeschlagen zu sein. Offen kritisch trat nur eine winzige
Minderheit auf: Vertreter einer Gegenkultur aus Friedens-, Frauen- und
Ökologiegruppen, ein paar Figuren des literarischen Establishments und eine
handvoll kritischer marxistischer Intellektueller. Einen gewissen Schutz für
ihre Aktivitäten fanden sie in der evangelischen Kirche, die sich eine stets
gefährdete Unabhängigkeit von direkter staatlicher Kontrolle bewahrt hatte.
Die Dissidenten blieben jedoch eine Randerscheinung der ostdeutschen
Gesellschaft. ....Wenn es eine Bedrohung des Regimes in Ost-Berlin gab, dann kam
sie von reformerischen Kräften innerhalb der SED." *
Die Verfasser wollen jedoch anscheinend die Frage
"Scheitern der DDR" oder "Konterrevolution" offenlassen.
Schade! Denn die politische Biographie Vernon Walters beantwortet sie ja doch
wohl höchst eindeutig. Hervorzuheben ist übrigens, daß das Buch durch die
klare Unterscheidung von Zitat und Begleittext ungewöhnlich gut lesbar ist. R.
M.-ST.
2. Heft 23 von Topos
Alle zwölf Beiträge in dem jüngsten Topos-Heft sind der
Erinnerung an Peter Hacks gewidmet. Die Autoren: Heidi Urbahn de Jauregui,
Alfredo Bauer, Jens Mehrle, Johannes Oehme, Georg Fülberth, Volker Riedel,
Arnold Schölzel, Gisela Steineckert, Eberhard Esche, Hans Heinz Holz und Kurt
Gossweiler und „Aus den Archiven" je ein Brief von Peter Hacks an
Wolfgang Harich und Johannes Oehme und ein Essay von Peter Schütze „Über die
Bedeutung von Hack’s Stücken.
Im Editorial zu dem lesenswerten, alles andere als
eintönigen Bändchen heißt es, darin gewiß die Einmütigkeit aller Autoren
zum Ausdruck bringend: „Die Bewegung unserer Zeit, auf den Begriff gebracht,
ist der Fortgang auf dem Weg zum Sozialismus - trotz aller Hemmnisse und
Niederlagen. Daran hat Hacks auch in den Jahren nach 1990 nicht gezweifelt! Von
Goethe sagte er: ‘Hatte er seinerzeit lernen müssen, in einer Welt von wenig
Hoffnung zu leben, lebte er jetzt mit einer Hoffnung ohne Welt’. Das galt für
die Wende von 1800. Der hoffnungslose Zustand der deutschen Misere war in die
Utopie der französischen Revolution umgeschlagen; deren Hoffnungsgehalt,
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit hatte in der kapitalistischen Welt keinen
Platz gefunden, war aber nicht vergangen. Denn ‘Nie erscheint eine Krise so
ausweglos wie am Vorabend des Aufschwungs’. In dieser Lage ist Peter Hack’s
‘letztes Wort’, schon mehr als zwanzig Jahre vor seinem Tode ausgesprochen:
‘wenn der Dichter überhaupt nichts mehr zu wirken hat, wirkt er Wunder’.
Das Wirken seiner Dichtung wirkt über ihn hinaus".
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. (Bertolt
Brecht)
Einladung
zu einer festlichen Veranstaltung anläßlich des 60.
Jahrestages der Befreiung vom Faschismus
Samstag, dem 7. Mai 2005, 14 Uhr, Audimax der
Humboldt-Universität
Berlin Mitte, Unter den Linden 6
Begrüßung durch Prof. Wolfgang Richter (GBM)
Eröffnung der Veranstaltung durch Dr. Hans Modrow (PDS)
Musikalische Eröffnung durch das Ensemble Skripchenko
Es sprechen Prof. Dr. Moritz Mebel,
Kriegsveteranen der Sowjetunion u. a.
Die Veranstaltung wird von einem Kulturprogramm eröffnet.
Zum Abschluß zeigen wir den Film „Das Jahr 1945" von
Karl Gass.
Kartenbestellungen zum Preis von 8 (erm. 5 ) Euro können in
der Geschäftsstelle Weitlingstr. 89 in Berlin-Lichtenberg
persönlich, schriftlich oder telefonisch aufgegeben werden
(Tel.-Nr. 557 83 97) -E-Mail: gbmev@ t-online
de
Veranstalter: GBM (Gesellschaft zum Schutz von
Bürgerrecht und Menschenwürde e.V.) PDS
Mitveranstalter: u.a. DKP Deutsche Kommunistische Partei, OKV
(Ostdeutsches Kuratorium von
Verbänden), GRH Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären
Unterstützung,
epf Europäisches Friedensforum, Förderverein Rot-Fuchs, Zentralkomitee der
KPD
Unterstützer: Die Tageszeitung junge Welt Cuba sí
Weißenseer Blätter
Verlag und v.i.S.d.P. Hanfried Müller, Ehrlichstraße 75- D
- 10318 Berlin
Internet-Adresse der WBl.: www.weissenseerblaetter.de
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