Herausgegeben im Auftrag des Weißenseer Arbeitskreises

(Kirchliche Bruderschaft in Berlin)

Weißenseer Blätter Verlag und v. i. S. d. P. Hanfried Müller

Ehrlichstraße 75 - D - 10318 Berlin


Heft 2/2005

Inhalt:

  Zu diesem Heft

Zu den Bundestagswahlen

 Gemeinsame Erklärung der DKP, der KPD und der KPF der PDS des Landes Brandenburg vom 6. Juli 2005

 Zu den Wahlen
Alternativen vor zehn Jahren  Nachdrucke aus den WBl 3-5/95

 Kommunisten und Reformisten in einer Partei?
Zur „Gretchenfrage“ von Hanfried Müller von Ulrich Huar

 Zu Hanfried Müllers „cura ardente"
von Hans Heinz Holz

 Noch einmal: Sorge und Besinnung in der PDS und um die PDS
Zur Kritik von Ulrich Huar und Hans Heinz Holz von Hanfried Müller

 Einige Erwägungen zum Aufkommen einer neuen Wahlalternative
von Hanfried Müller

Gedenktage

 Rede zum 8. Mai
von Hans Heinz Holz

 „6. und 9. August 1945“*
Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki von Dieter Frielinghaus

 Nachwort: Einige Worte über das Heute.*
von Ervin Roznyai

 Halbmond und Roter Stern
Ein politischer Reisebericht aus der Türkei von Hans Heinz Holz


 

Zu diesem Heft

Das Bundesverfassungsgericht hat gesprochen. Die „eigentlich“ unabhängigen Richter, so der von ihm selbst unbemerkte Versprecher eines der Moderatoren, haben „zwischen Skylla und Charybdis“ (so beschrieben sie selbst ihre Lage) entschieden, wie es der Souverän in Deutschland, das Monopolkapital, gewünscht und die anderen Verfassungsorgane und alle Parlamentsfraktionen es vorentschieden hatten.

Überraschen konnte dies Urteil allerdings nur diejenigen, die die BRD ganz naiv für einen „Rechtsstaat“ gehalten hatten und einen Rechtsstaat für einen solchen Staat, in dem Richter am Gesetz messen, ob die Exekutive ihm entspricht. Die veröffentlichte Meinung, die lange vor dem Urteil eben dies Urteil gewünscht und erwartet hatte, bot ein peinliches Selbstzeugnis dafür, wie wenig sie wünscht, Deutschland möchte ein - zumindest bürgerlicher - Rechtsstaat sein.

*

Jedenfalls aber ist mit diesem Urteil für die Weißenseer Blätter der Weg zum Abschluß des Heftes 2/05 frei. Denn wenn wir auch nicht zu den Naiven gehörten, die ernstlich ein Urteil im Sinne des Grundgesetzes erwarteten, also eine Verwerfung des Theaters um das vom Kanzler erbetene und ihm gewährte Mißtrauensvotum, so konnten wir doch die Wahl nicht thematisieren, solange es, wie unwahrscheinlich immer, doch zumindest möglich und verfassungsrechtlich sogar geboten war, daß das Bundesverfassungsgericht die Auflösung des Bundestages, weil grundgesetzwidrig, aufhöbe und damit alle Wahlvorbereitungen beende.

Selbstverständlich steht die Bundestagswahl in diesem Heft nun an erster Stelle. Zuerst schliessen wir an die Inhaltsangabe „Zu diesem Heft“ die Gemeinsame Erklärung der DKP, der KPD und der KPF der PDS des Landes Brandenburg an, mit der wir voll und ganz übereinstimmen, zumal sie in erfreulicher Weise eine selten gewordene Einmütigkeit aller deutschen Kommunisten zeigt.

Dann fällt hinsichtlich der nun anstehenden Bundestagswahl unser Blick um zehn Jahre zurück. Damals hatten wir in den Weißenseer Blättern im Blick auf die PDS die Frage erörtert: „Wäre eine Partei hier und heute existenzfähig und wünschenswert, die ihre Massenbasis im unteren Drittel der kapitalistischen ‘Zweidrittelgesellschaft’ und einen Klassencharakter hätte, der nicht von der herrschenden Klasse bestimmt wird ... eine Partei also, die zwar systemimmanent und nicht systemsprengend und also reformistisch* (nicht aber unbedingt opportunistisch) die Interessen ihrer sozialen Basis zu vertreten sucht, ohne sich vom Kapital in dessen Interesse dirigieren zu lassen?“ Daran hatte sich eine Diskussion von Ulrich Huar und Hans Heinz Holz mit Hanfried Müller darüber angeschlossen, inwieweit in nicht revolutionären Zeiten eine durchaus nicht revolutionäre Partei, die unter imperialistischen Verhältnissen die Lebensinteressen von Marginalisierten verteidige, nützlich oder schädlich sei. Der Rückblick auf diese Diskussion scheint uns darum sinnvoll, weil die neu entstehende „Linkspartei/PDS“ diese Lücke im „normalen“ demokratischen Parteiensystem einerseits zu füllen scheint, andererseits kaum füllen kann, solange sie karrieresüchtigen Personen und Kräften als Steigbügel zum come back in Establish-Positionen dient. Inwieweit sie diese Gefahr bannt oder daran zugrunde geht, hängt sicher davon ab, inwieweit ihre Basis Einfluß auf ihre Führung bekommt oder inwieweit es ihrer Führung gelingt, sie dem herrschenden System anzupassen.

Bei diesem Rückblick erschraken wir darüber, wie sehr sich in den letzten zehn Jahren die Krise der bürgerlichen Gesellschaft verschärft hat. Wir meinten, das könne vor allem dadurch verdeutlicht werden, daß wir die ganze damals in den Weißenseer Blättern geführte Diskussion (nur am Schluß etwas gekürzt) noch einmal durch einen Nachdruck für diejenigen in Erinnerung riefen, die sie nicht nachschlagen können, weil sie die WBl entweder nicht gesammelt oder damals noch nicht bezogen haben. Wir haben diese Dokumentation unter der Überschrift: Alternativen vor zehn Jahren zusammengefaßt.

Erst an diese ungewöhnlich ausführliche Dokumentation schließen wir den Kommentar von Hanfried Müller zu den jetzt bevorstehenden Wahlen an: Einige Erwägungen zum Aufkommen einer linken nicht kommunistischen Wahlalternative in der BRD

Es folgen zwei Artikel zu den Gedenktagen an den Sieg über den deutschen Faschismus vor sechzig Jahren: Zuerst die Rede zum 8. Mai von Hans Heinz Holz, vor allem eindrucksvoll, weil sie deutlich macht, wie wenig der Sieg über die „Achse Berlin-Rom-Tokio“ bereits jede faschistische Gefahr gebannt hat und wie aktuell darum der antifaschistische Kampf noch heute ist, und dann der Rückblick von Dieter Frielinghaus: „6. und 9. August 1945“ Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, der erschreckend daran erinnert, wie der menschenverachtende faschistische Geist nicht mit den damaligen faschistischen Systemen zugleich unterging, sondern in den letzten Tagen des Sieges über den Faschismus bereits die imperialistischen Siegermächte infizierte.

Es folgt der historisch-politische Hauptbeitrag dieses Heftes, nämlich das letzte Kapitel aus dem 2003 in Budapest im Selbstverlag erschienenen Buch von Ervin Roznyai „Historische Faschismen (Mussolini, Hitler, Horthy)“: Einige Worte über das Heute (E. Kornagel hat es freundlicher Weise für die WBl übersetzt) und Ein politischer Reisebericht aus der Türkei von Hans Heinz Holz, den wir mit freundlicher Genehmigung der jungen Welt entnehmen: Halbmond und Roter Stern.

Zu den Bundestagswahlen

Gemeinsame Erklärung der DKP, der KPD und der KPF der PDS

des Landes Brandenburg vom 6. Juli 2005

Wir unterstützen die Wahlinitiative des Linksbündnisses aus PDS und WASG als gegenwärtig einzig reale Möglichkeit, der Herrschaft des Kapitals einen parlamentarischen Widerstand entgegen zu setzen.

Wir befürworten die Ziele des Linksbündnisses.

Wir unterstützen insbesondere die Notwendigkeit einer konsequenten Friedenspolitik und die Beendigung des Sozialabbaus. Wir fordern die Einhaltung der demokratischen Grundrechte und wenden uns gegen jede Form von Neonazismus und Ausländerfeindlichkeit.

Wir erwarten konsequente Maßnahmen zur Durchsetzung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums gemäß Grundgesetz durch rigorose Umverteilung des nationalen Reichtums von oben nach unten.

Wir vertreten die Auffassung, daß die parlamentarische Linke durch breit angelegte außerparlamentarische Aktionen unterstützt werden muß.

Wir sind in diesem Sinne zur Zusammenarbeit mit allen linken Kräften bereit.

Für den Landesvorstand der DKP (gez.) Brigitte Müller, Vorsitzende

Für den Landesvorsstand der KPD (gez.) Michael Berres, stellv. Vorsitzender

Für die KPF der PDS (gez.) Konrad Hannemann, Helmut Pannhausen,

Sprecher des Landeskoordinierungsrates


Zu den Wahlen

Alternativen vor zehn Jahren - Nachdrucke aus den WBl 3-5/95

I. Sorge und Besinnung in der PDS und um die PDS *

von Hanfried Müller

Fast erinnerte es an die einst berühmte päpstliche Enzyclica „Cura ardente“, als sich „In großer Sorge“ achtunddreißig Sympathisanten und Mitglieder der PDS zu Wort meldeten, um diese einzige in Deutschland Bundes- und Länder-parlamentsfähige Linkspartei vor einem weiteren Abdriften in die Anpassung an das herrschende System zu warnen. Auf eine hysterische Reaktion des Parteivorstandes folgte eine höchst moderate Versammlung der Besorgten (moderat auch darum, weil just zur rechten Zeit die Gauckbehörde erneut Gysi attackiert hatte und die berechtigte Empörung darüber den kaum minder begründeten Zorn über Gysi dämpfte). Zu ihr war öffentlich eingeladen worden, und viele, die im überfüllten Raum keinen Platz mehr fanden, mußten umkehren. Das meeting endete mit der bescheidenen Ankündigung, man wolle sich hinfort in einem marxistischen Forum der Theorie widmen. (Der Streit schlug sich tagelang vehement im ND nieder, und höchst unsachlich wurde das Gespenst der „Spaltung“ beschworen, bis Wolfgang Hübner und Gert Prokot in der Ausgabe vom 31. Mai auf S. 3 gemeinsam einen nüchternen Bericht über die Versammlung gaben und - zutreffend! - konstatierten, von „Spaltung ... hatte allerdings nur er selbst geredet“- der Parteivorsitzende Bisky.)

Die Sorge aber brennt weiter und ist nicht unbegründet. Immerhin meinte Hans Modrow, etwa die Hälfte der Partei teile die Sorgen der Achtunddreißig. Man darf vermuten, daß die Sorge unter den Wählern mindestens so verbreitet ist wie unter den Mitgliedern. Es geht also darum, ob und wie sich die PDS in der deutschen Parteienlandschaft behaupten kann.

Das könnte davon abhängen, ob sie sich als eine zwar reformistische und keineswegs revolutionäre, wohl aber als von sozial Marginalisierten selbst in ihrem eigenen Interesse konstituierte und nicht - wie die heutige SPD - im Interesse der Bourgeoisie und von ihr zur Wahrung des Klassenfriedens organisierte Partei entwickeln kann.

Etwas theoretischer gefragt: Wäre eine Partei hier und heute existenzfähig und wünschenswert, die ihre Massenbasis im unteren Drittel der kapitalistischen „Zweidrittelgesellschaft“ und einen Klassencharakter hätte, der nicht von der herrschenden Klasse bestimmt wird (wie zum Beispiel einst der der NSDAP im Sinne der reaktionär-repressiven oder wie gegenwärtig der der SPD oder der „Realo-Grünen“ im Sinne der liberal-sozialen bürgerlichen Taktik), - eine Partei also, die zwar systemimmanent und nicht systemsprengend und also reformistisch (nicht aber unbedingt opportunistisch) die Interessen ihrer sozialen Basis zu vertreten sucht, ohne sich vom Kapital in dessen Interesse dirigieren zu lassen?

(In gewisser Weise scheint mir die Sozialdemokratie noch im Anfang unseres Jahrhunderts eine solche Partei gewesen zu sein, solange sie die Erben des revolutionären Flügels um Bebel und Wilhelm Liebknecht und des reformistischen Flügels um das „Zürcher Dreigestirn“, noch Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, die „Bremer Linke“ und Bernstein, Ebert und Noske umfaßte, bis sie mit der Bewilligung der Kriegskredite den innerparteilichen Burgfrieden zwischen Marxisten und Reformisten zugunsten des nationalistischen Burgfriedens mit der bürgerlichen Rechten brach und damit zu einer proimperialistischen Partei entartete. Danach allerdings mußte sie, wenn die Krise des Imperialismus zu revolutionären Situationen führte, unvermeidlich auseinanderbrechen. Daß dabei in Deutschland konkret-historisch der konterrevolutionäre Flügel die Mehrheit bekam und der linke Flügel zunächst in USPD und KPD auseinanderging, scheint mir nicht historisch unabdingbar. In den Krisen des russischen Imperialismus zum Beispiel setzten sich die revolutionären, systemsprengenden, marxistischen Kräfte aus der Sozialdemokratie durch und gewannen sogar zuweilen die Mehrheit, eben darum Bolschewiki genannt.)

Sofern und solange die PDS eine solche Partei ist, deren politische Potenz gerade darauf beruht, daß sie einen sozialreformerischen und einen sozialrevolutionären Flügel verbindet, droht auch ihr nur von rechts Gefahr, nicht von links, und nur „von oben“, nicht „von unten“. Denn die Parteilinke beabsichtigt mit ihrer Warnung vor Opportunismus einen Kurs der Integration der PDS, nämlich das Zusammenwirken ihres sozialreformerischen und ihres sozialrevolutionären Flügels; ihr geht es darum, unter der Bedingung ihrer Pluralität die antiimperialistische Reinheit und Einheit der Partei zu wahren, um soziale Standards, die es in der BRD einmal gab und die nun abgebaut werden, zu verteidigen. Die Parteirechte hingegen zielt mit der von ihr initiierten Antistalinismus-, MfS- und „Gesellschaftsvertrags“-Debatte umgekehrt auf Integration der BRD-Klassengesellschaft („wir müssen in der BRD ankommen“, darum viele objektive DDR-Errungenschaften rigoros verleugnen, freilich die subjektiven „Biographien“ ihrer Bürger respektieren) und mit Ausgrenzungs-, Säuberungs- und Spaltungsdrohungen auf antikommunistische Reinheit der Partei um den Preis ihrer Einheit. Analog liegt der Basis kaum etwas mehr am Herzen, als unter der Pression der imperialistischen Sieger zusammenzuhalten, während manche Führungskader ihr - leider nicht immer erfolglos - suggerieren, nur wenn die Partei sich unter Preisgabe ihres linken Flügels dem herrschenden System als gesellschaftsfähig einfüge, könne sie überleben.

Vielleicht könnten, solange keine revolutionäre Situation entsteht, sowohl diejenigen eine solche Partei akzeptieren und wählen, die zur grundlegenden Wende der gesellschaftlichen Perspektive der Verelendeten die Aufhebung des Kapitalverhältnisses überhaupt und also eine Umwälzung des gesamten Gesellschaftssystems für nötig, wenn auch nicht willkürlich vollziehbar halten, als auch solche, die grundsätzlich nur seine Milderung durch soziale und humane Konzessionen im bürgerlich-„sozial-marktwirtschaftlichen“ Sinne zugunsten der Benachteiligten erstreben. Mehr können aber in einer nicht revolutionären Situation auch Revolutionäre nicht tun, und so hindert sie nichts an praktischer Kooperation im Kampf gegen die Auswirkungen der Diktatur des Kapitals, solange das Kapitalverhältnis selbst als unerschütterlich erscheint.

Eine solche Kooperation zwischen Vertretern des Wissenschaftlichen Sozialismus und des Demokratischen Sozialismus [1] - überdies in einer Partei - wäre wahrlich nicht einfach. Beide Seiten haben Anlaß, sie als Zumutung zu empfinden. Ist doch der Demokratische Sozialismus 1967/8 in der CSSR zum ersten Mal dadurch geschichtswirksam geworden, daß er die Realisierung des Sozialismus im marxistischen Sinne von innen heraus abzubrechen suchte, und hat er sich doch in den Augen der wissenschaftlichen Kommunisten im Gefolge Gorbatschows daran beteiligt, die Realisierung des Sozialismus 1989 konterrevolutionär zu beenden. Umgekehrt hat in den Augen der Repräsentanten des Demokratischen Sozialismus der Wissenschaftliche Sozialismus den Sozialismus durch die Art, wie er ihn realisierte, unheilbar diskreditiert, seine Akzeptanz durch breite Massen unmöglich gemacht und ihn so zugrundegerichtet. Zu Recht oder Unrecht wirft man sich gegenseitig Verrat vor: Einerseits Verrat an der Verwirklichung des Sozialismus als weltgeschichtlicher Macht, andererseits Verrat am Traum vom Sozialismus als einer von Macht unbefleckten Idee, Vision oder Utopie. Tatsächlich wurden auf der einen Seite, um den Sozialismus zu verwirklichen, nicht nur ungeheure Härten im Klassenkampf in Kauf genommen, sondern auch Ungerechtigkeiten zugelassen; auf der anderen Seite dagegen hat man nicht nur Kontakt, sondern auch Verständigung mit Klassenfeinden gesucht und dabei in Kauf genommen, zur fünften Kolonne des Imperialismus im sozialistischen Lager zu werden. (Von Lumpen, denen es dabei auf welcher Seite immer um private Interessen, um Karriere oder „Karriereknicke“ ging, sei hier gar nicht die Rede.) Verrat aber begründet Mißtrauen. Es belastet die nötige Bereitschaft zu antiimperialistischer Zusammenarbeit.

Durch „Vergangenheitsbewältigung“ oder gar die Forderung nach Schuldeingeständnissen kann dies Mißtrauen gewiß nicht beseitigt, vielleicht aber dadurch kompensiert werden, daß wissenschaftliche und demokratische Sozialisten im Widerstand gegen den heutigen deutschen Imperialismus bis zum Beweis des Gegenteils das Zutrauen zueinander gewinnen, der je andere werde standhaft und fest bleiben im Nein ohne jedes Ja zum Beispiel zum Arbeitsplatzabbau und Mietwucher, zu „Out-of-area-Einsätzen“ der Bundeswehr, zur Erweiterung von Polizeikompetenzen zu Lasten der Rechtssicherheit, zur Desolidarisierung nach innen und außen (gegenüber den Pauperisierten im eigenen Land wie in der „Dritten Welt“) und nicht zuletzt im kategorischen Nein zur Kriminalisierung der DDR als „Unrechtsstaat“ mit all ihren Folgen in der politischen Justiz, der Berufsverbotspraxis und im Rentenstrafrecht. Solch Zutrauen zueinander könnte gerade dann entstehen, wenn man sich gegenseitig ehrlich zugesteht, daß die Zusammenarbeit in dem Augenblick ihre Grundlage verliert, in der der Kapitalismus in eine revolutionäre Krise gerät und die einen sein Ende, die anderen aber seine Heilung erstreben werden.

Im Blick darauf sind zweifellos Wissenschaftlicher Sozialismus und Demokratischer Sozialismus unvereinbar. Aber schließt das aus, daß ihre Anhänger sich im Blick auf die Eskapaden des gegenwärtigen Imperialismus, im Kampf gegen seinen ökonomisch, sozial und militärisch aggressiven Expansionismus vereinen, solange es aktuell keine Chance zu seiner grundsätzlichen Überwindung gibt, wie wissenschaftliche Sozialisten sie für unabdingbar notwendig, demokratische Sozialisten jedoch, weil ihnen der Imperialismus reformwürdig und reformfähig erscheint, für überflüssig halten?

Eine Partei, die, allen Meinungsgegensätzen zum Trotz, wissenschaftliche Sozialisten mit demokratischen Sozialisten im Kampf gegen das vereinigte, was die einen für das Wesen, die anderen für bloße Unarten des Imperialismus halten, könnte freilich nur wirken, wenn sie als solche weder kommunistisch noch antikommunistisch [2] wäre. Sie müßte Kommunisten und Nichtkommunisten Raum bieten und einen offenen Meinungsstreit zwischen ihnen dulden, in dem beide ihre Würde wahren können und nicht gezwungen werden, ihre wahre Meinung zu verhehlen.

Voraussetzung solch freien Meinungsstreites ist die Fähigkeit, persönliche Eitelkeiten, die keiner Schonung bedürfen, von menschlicher Würde zu unterscheiden, die tabu bleiben muß, Kritik, auch harte Polemik, die der Partei helfen soll und kann, von politischer Diffamierung zu unterscheiden, die auf die Liquidierung der Partei zielt, und den Aufweis von Schwächen und Irrwegen der Parteiführung nicht als Denunziation mißzuverstehen oder zu mißdeuten.

Um am Schluß zu beginnen: Nicht der Ausdruck der Sorge der Achtunddreißig war, wie Bisky behauptete, eine Denunziation, wohl aber der Versuch von Teilen der Parteispitze beim Parteitag im Januar, sich den politischen Gegnern zu empfehlen, indem man  ihnen z.B. Sahra Wagenknecht als „Stalinistin“ „vorführte“.

Polemik und Diffamierung werden verwechselt, wenn Gysi in einem Interview am 13./14. Mai dem ND (S. 9) sagt: „Lesen Sie zum Beispiel die 'Weißenseer Blätter' ... Da wird eine Polemik gegen mich geführt, die ist härter, als ich sie von politischen Gegnern gewöhnt bin.“ Er fährt dann fort: „Gleichzeitig gibt es aber bei den politischen Gegnern  .... der PDS ... die Auffassung, daß man die Partei zumindest gegenwärtig am deutlichsten schwächen könnte, wenn es gelänge, Gysi aus der Politik zu drängen ... Und da treffen sich dann Leute ..., die an sich nichts miteinander zu tun haben wollen.“ Diese Argumentation ist nicht neu. Zeugen aus dem Fernsehen der DDR berichten glaubwürdig, das ZK der SED habe ihnen einst mitgeteilt: ‘Vorsicht vor den WBl! Das sind Feinde! Die tarnen sich als links und bekämpfen uns!’ Aber ein Irrtum in der SED wird im Munde der PDS nicht richtiger. Er beruht dort wie hier auf dem Mißverständnis, parteiliche Kritik sei in Wahrheit getarnte Feindschaft (ein Mißverständnis übrigens, das zuweilen sogenannte Stalinisten und Antistalinisten teilen und das durch die Eitelkeit von Leitungen gefördert wird, die ihr Renommee mit dem der Partei identifizieren). Immerhin gibt es zu denken, daß Gysi sich von den WBl „härter“ behandelt fühlt als von der Reaktion, während er selbst seine innerparteilichen Gegner nicht nur mit gleicher Härte, sondern in gleicher Richtung und mit den gleichen Unterstellungen wie die Reaktion attackiert hat, nämlich mit der Behauptung, sie seien „Stalinisten“. Demgegenüber haben die WBl Gysi nie etwas unterstellt, was er nicht selbst sein wollte. Als Repräsentanten des „demokratischen Sozialismus“ haben sie ihn auf die Versuchungen zum Antikommunismus angesprochen, die in dieser Strömung virulent sind, (so wie sie selbst auf sachbezogene Polemik nicht beleidigt reagieren, sondern sie als kritischen Denkanstoß werten, wie z.B. die Einwände von Dieter Kraft oder Dick Boer u.a. in WBl 5/94, S. 62 ff.).

Übrigens haben die WBl ihre Kritik nie auf die Person Gysi konzentriert (vielleicht gehört gerade das zur „Kälte“, die Gysi laut Interview empfindet, seitdem man ihm keine „Plüschtiere“ mehr schenkt?), sondern sich auf politische Strömungen konzentriert, denen sich Gysi zwar unglücklicherweise anschließt, die aber konzeptionell viel mehr mit Namen wie Brie und organisatorisch viel eher mit Namen wie Gehrke zu charakterisieren wären, wenn man schon, was meist politisch falsch  ist, Sachalternativen personalisieren will.

Dabei aber dürfte sie nicht zulassen, daß die einen die anderen verleumden, ausschalten oder ausschließen.

Dabei denke ich nicht nur an die peinlichen Schlammschlachten beim letzten PDS-Parteitag, in denen manche vermeintlich demokratische Mustersozialisten mit den vermeintlich stalinistisch schuldbeladenen wissenschaftlichen Sozialisten so umgingen, wie die bürgerlichen Parteien mit der PDS insgesamt umzugehen pflegen, sondern auch an Chancengleichheit bei der Diskussion in der Partei- und parteinahen Presse. Die Abdrängung einer so besonnenen und bedeutenden Mahnung wie die der Achtundreißig in eine bezahlte Annonce finde ich ebenso skandalös wie die Tatsache, daß das von der ganzen Partei verteidigte und gestützte „Neue Deutschland“ zunehmend nahezu exklusiv parteiisch gegen den wissenschaftlich-sozialistisch orientierten Teil der Partei redigiert wird, so daß dieser nur in kleinen, auf Spendenbasis erscheinenden Organen unzensiert zu Wort kommen kann und sich sogar nicht parteigebundene Organe wie z.B. die WBl (mit der Behauptung, sie seien eine „Zeitung der Kommunistischen Plattform“ irrt die „Templiner Zeitung Uckermarkkurier“ in einem Interview mit Bisky ebenso wie dieser selbst, wenn er meint, Kurt Gossweiler gehöre nicht der PDS an* ) zuweilen veranlaßt sehen, ihm so etwas wie symbolisches Asyl zu bieten. Hinzu kommt, daß das ND zwar keine PDS-Zeitung ist, aber von vielen Seiten als deren Parteiorgan gewertet wird und sich oft auch selbst so geriert, was der rechte Leitungs- und Parteiflügel schamlos ausnutzt, um die Parteimeinung sowohl einseitig in seinem Sinne zu prägen als auch in seinem Sinne einseitig öffentlich darzustellen.

Solange keine revolutionäre Situation die Entscheidung ermöglicht und fordert, die Diktatur des Kapitals zugunsten der von ihm Ausgebeuteten und Unterdrückten aufzuheben [3] , scheint eine solche „sozialistische“ Einheitspartei (in der viele unter „sozialistisch“ Unterschiedliches, ja Gegensätzliches verstehen mögen) objektiv möglich, wenn in ihr Revolutionäre gemeinsam mit Reformisten solche vom Kapital unterdrückten Interessen verfechten wie soziale Sicherheit für ökonomisch Schwache, Sicherung des Friedens und Verzicht auf militärische Abenteuer, internationalistische und antikolonialistische Solidarität, Abschaffung der biologistischen Normierung des deutschen Staatsbürgerrechtes und Unterdrückung anderer heimlich oder offen faschistischer oder faschistoider Intentionen.

Zwar wirkt eine derartige Partei in einer bürgerlichen Demokratie mit ihrem Reformismus objektiv durchaus systemimmanent, gilt aber den in ihr Herrschenden, je stärker diese Gesellschaft von imperialistischen Tendenzen zu Demokratie- und Sozialabbau und zu politischer und ökonomischer Expansion geprägt ist, als systemsprengend. Tatsächlich ist sie zumal dem deutschen Imperialismus insofern systemfremd, als sie, wenngleich selbst als solche keineswegs revolutionär, den wissenschaftlichen Sozialismus nicht ächtet. Diese Ächtung ist darum auch der Preis, den die bundesrepublikanische Gesellschaft von ihr fordert, bevor sie sie als anderen „demokratischen“ Parteien gleichberechtigt anerkennt. Zwar scheint die Anerkennung zu diesem Preis manchen PDS-Funktionären durchaus wohlfeil zu sein, und sie würden ihn gern zahlen. Ihr Dilemma aber besteht darin, daß sie um diesen Preis zugleich zu viele Wähler verlören, um noch sicher (zumindest auf Bundesebene) mit parlamentarischer Präsenz rechnen zu können. Darum wäre wahrscheinlich der Augenblick, in dem sie die PDS zu einer BRD-normgerechten (das heißt antikommunistischen) parlamentarischen Partei machten, zugleich der Augenblick, in dem die PDS aufhörte, bundesweit als parlamentarische Partei zu existieren, womit dann auch ihre Parlamentssitze verloren wären (sofern sie nicht Mandate von anderen Parteien erhielte), ein bitterer Verlust für solche, denen der Parlamentarismus das Lebenselexier ihrer politischen Existenz ist.

Dies Dilemma der PDS ist allerdings zugleich ein Dilemma ihrer Feinde. Was ist in deren Optik wünschenswerter: eine PDS, die sich keine eindeutig antikommunistischen Treueide leisten kann, solange sie antikapitalistische Kräfte in das parlamentarisch-imperialistische System einbindet, oder eine PDS, die zwar solche Treueide leistet, aber aus den Parlamenten verschwindet, womit sich Räume zur Verstärkung einer außerparlamentarischen radikaleren Linken öffnen (allerdings auch für deren weitere Zersplitterung), weite Teile des bisherigen PDS-Wählerpotentials fortan gar nicht mehr wählen und andere samt dem reformistischsten Teil der PDS-Mitglieder sich SPD und Grünen zuwenden werden? [4] Jedenfalls wird dabei die Desillusionierung über das bürgerlich-parlamentarische System zunehmen, und ob sie mehr der Linken oder der extremen Rechten zugutekommt, ist nicht sicher vorhersehbar.

Die Gretchenfrage in der gesamten Auseinandersetzung lautet: Vereinigen sich Revolutionäre und Reformer in der gegenwärtig nicht revolutionären Situation im Kampf um demokratische Rechte, soziale Sicherheit und internationalen Frieden gegen den deutschen Imperialismus, oder trennen sie sich an Fragen der „Vergangenheitsaufarbeitung“, fixiert auf Schlagworte wie „Totalitarismus“, „Stalinismus“, „Unrechtsstaat“ usw.? Das heißt: Entweder konzentriert sich die PDS auf den Widerstand gegen den Imperialismus der Gegenwart, oder sie spaltet sich im Streit um den Sozialismus der Vergangenheit. Entweder verhält sie sich antiimperialistisch und ist dann unverzichtbar, oder sie verhält sich antikommunistisch und ist dann überflüssig!

*

Was die wissenschaftlichen Sozialisten, also die Marxisten/Kommunisten betrifft, so müßten sie, denke ich, vorrangig versuchen, ihre vor allem unter dem Druck der Reaktion, aber auch unter dem unbewältigten Schwergewicht der KPdSU zur Zeit der weltgeschichtlichen Stärke des sozialistischen Lagers entstandene Zerplitterung zu überwinden und sich insbesondere theoretisch wieder verständigen. (Dazu gehört eine historisch-materialistisch-dialektische Analyse ebenso der bisherigen Geschichte der Realisierung des Sozialismus wie seiner Niederlage und der gegenwärtigen Weltsituation sowie eine daraus historisch-dialektisch-materialistisch gewonnene Perspektive.) Dann müßten sie, denke ich, auf der Basis wiedergewonnener ideologischer Gemeinsamkeit prüfen, welche Organisationsform und politische Arbeitsmethode ihnen heute international und national angemessen wäre. [5]

Dazu schiene es mir hilfreich, sich nach der gewaltigen Niederlage der sozialistischen Arbeiterbewegung daran zu erinnern, wie der wissenschaftliche Sozialismus begann, zu einer politischen Kraft zu werden. Ich denke etwa daran, daß Marx und Engels es im Kommunistischen Manifest durchaus für unter Umständen geboten hielten, daß Kommunisten in nichtkommunistischen Parteien arbeiteten, zum Beispiel damals, 1848 konkret: „In Frankreich schließen sich die Kommunisten an die sozialistisch-demokratische Partei an gegen die konservative und radikale Bourgeoisie, ohne darum das Recht aufzugeben, sich kritisch zu den aus der revolutionären Überlieferung herrührenden Phrasen und Illusionen zu verhalten; in der Schweiz unterstützen sie die Radikalen, ohne zu verkennen, daß diese Partei aus widersprüchlichen Elementen besteht, teils aus demokratischen Sozialisten im französischen Sinn, teils aus radikalen Bourgeois“.

Noch konkreter - und da sogar das Wort „demokratische Sozialisten“ fällt, heute fast anzüglich klingend - unterscheidet Friedrich Engels in den Grundsätzen des Kommunismus (einer noch katechismusartig gefaßten Vorarbeit zum Kommunistischen Manifest) drei „Klassen“, das heißt Sorten, von Sozialisten: Die „reaktionären Sozialisten“, die angesichts des proletarischen Elends patriarchalisch-feudale Vehältnisse zurücksehnen, sodann „Anhänger der jetzigen Gesellschaft“, die diese „beibehalten, aber die mit ihr verbundenen Übel beseitigen“ wollen und dazu einesteils „Wohltätigkeitsmaßregeln“, anderenteils „großartige Reformsysteme“ vorschlagen - Engels nennt sie schlicht „Bourgeoissozalisten“ -, und schließlich „demokratische Sozialisten, welche auf demselben Wege wie die Kommunisten“ Demokratie als „Mittel ..., das Privateigentum angreifender und die Existenz des Proletariats sicherstellender Maßregeln“ [6] wollen - bis hin zur „allmähliche(n) Expropriation der Grundeigentümer, Fabrikanten, Eisenbahnbesitzer und Schiffsreeder“ und zur Entwicklung einer starken „Staatsindustrie“, zur „Zentralisierung des Kreditsystems und Geldhandels in den Händen des Staates“, „bis zur vollständigen Aufhebung des Privateigentums“ [7] , „aber nicht als Übergang zum Kommunismus, sondern als Maßregeln, welche hinreichend sind, um das Elend aufzuheben und die Übel der jetzigen Gesellschaft verschwinden zu machen.“

Engels empfiehlt den Kommunisten, „sich mit diesen demokratischen Sozialisten zu verständigen und überhaupt mit ihnen für den Augenblick möglichst gemeinsame Politik zu verfolgen, sofern diese Sozialisten nicht in den Dienst der Bourgeoisie treten und die Kommunisten angreifen“, also - könnte man sagen - zu „Bourgeoissozialisten“ werden, mit denen Kommunisten - ebenso wie mit „reaktionären Sozialisten“ -  nichts verbindet.

Inwieweit die heutigen Demokratischen Sozialisten in der PDS mehr den damals so Genannten oder den Bourgeoissozialisten ähneln, die in Engels Beschreibung an heutige Sozialdemokraten erinnern, gehört zu der Streitfrage, um die gegenwärtig in der PDS gerungen wird. Dabei scheint mir das Kriteriumm, das Engels schon 1848 nennt, noch heute brauchbar: „Ja“ zu den demokratischen Sozialisten, „sofern diese Sozialisten nicht in den Dienst der Bourgeoisie treten und die Kommunisten angreifen“, wobei heute wie damals für die Kooperation von Kommunisten mit Demokratischen Sozialisten gilt, „daß diese gemeinsame Handlungsweise die Diskussion der Differenzen mit ihnen nicht ausschließt, ist klar.“ [8]

Ganz allgemein heißt es dann im Kommunistischen Manifest zu unserer Frage:

„Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den andern Arbeiterparteien. Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen ... Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, daß einerseits sie in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andererseits dadurch, daß sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten.“ ... Sie „kämpfen für die Erreichung der unmittelbar vorliegenden Zwecke und Interessen der Arbeiterklasse, aber sie vertreten in der gegenwärtigen Bewegung zugleich die Zukunft der Bewegung“ ... „Die Kommunisten unterstützen überall jede revolutionäre Bewegung gegen die bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zustände. In allen diesen Bewegungen heben sie die Eigentumsfrage, welche mehr oder weniger entwickelte Form sie auch angenommen haben möge, als die Grundfrage der Bewegung hervor. Die Kommunisten arbeiten endlich und überall an der Verbindung und Verständigung der demokratischen Parteien aller Länder.“ Dabei geht es in keiner Weise - diese Unterstellung wird durch Wiederholung nicht richtiger - um so etwas wie eine kommunistische „Unterwanderung“ anderer Parteien. Im Gegenteil: „Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen.“ [9]

Inwieweit könnte das heute für Kommunisten in der BRD im Blick auf die PDS, aber nicht nur im Blick darauf, Anleitung zum Handeln sein? [10]


Kommunisten und Reformisten in einer Partei?

Zur „Gretchenfrage“ von Hanfried Müller

von Ulrich Huar

In seinen „Vorbemerkungen“ zu einigen Artikeln über Politik und Theorie der PDS „Sorge und Besinnung in der PDS und um die PDS“ in den WBl 3/1995 berührt Hanfried Müller einige Probleme der marxistisch-leninistischen Parteitheorie in Verbindung mit Fragen der Parteientwicklung in der PDS. Seine Grundfrage: Können Revolutionäre und Reformisten in einer Partei in „friedlichen“ Zeiten, das heißt in einer Zeitperiode, in der keine revolutionäre Situation besteht, sich im Interesse des ausgegrenzten Drittels der bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft und zur Friedenserhaltung auf gemeinsame politische Aktionen verständigen bei einander ausschließenden theoretischen, idologischen und politischen Positionen? Bei Heranreifen einer revolutionären Situation wäre der Bruch zwischen Revolutionären und Reformisten unvermeidlich, die ersteren wollten die bestehende kapitalistische Ordnung revolutionär aufheben, den Weg öffnen für eine sozialistische Entwicklung, die letzteren den Kapitalismus verteidigen, von dem sie glauben, ihn durch Reformen von seinen häßlichen Seiten reinigen zu können.

Folgt man dem Kontext seines Artikels, scheint Hanfried Müller einerseits eine solche Partei für möglich zu halten, andererseits bindet er diese Möglichkeit an bestimmte Kriterien, nämlich daß sich die PDS konzentriert auf den Widerstand gegen den Imperialismus der Gegenwart, sich antiimperialistisch verhält. Sollte sie sich antikommunistisch verhalten, wäre dies allerdings ihr Ende. Hanfried Müller bedient sich in seiner Argumentation der Methode historischen Analogieschlusses, einer durchaus legitimen und nützlichen Methode, wenn man berücksichtigt, daß Analogie keine Identität der Ereignisse bedeutet, daß der Analogieschluß eine Hilfsmethode ist - aber das weiß Hanfried Müller auch.

Er gelangt dabei jedoch zu einigen Schlüssen, denen ich nicht zu folgen vermag. So fragt er, ob nicht eine Partei möglich sei, die „zwar systemimmanent und nicht systemsprengend und also reformistisch (nicht aber unbedingt opportunistisch) die Interessen ihrer sozialen Basis zu vertreten sucht, ohne sich vom Kapital in dessen Interesse dirigieren zu lassen?“ In „gewisser Weise“ scheint ihm die deutsche Sozialdemokratie vor dem Ersten Welkrieg eine solche Partei gewesen zu sein. Die deutsche Sozialdemokratie hätte sowohl einen reformistischen als auch eine revolutionären Flügel umfaßt. Erst mit der Bewilligung der Kriegskredite sei der innerparteiliche „Burgfrieden“ aufgebrochen und die Sozialdemokratie zu einer imperialistischen Partei entartet.

Dieser Erwägung von Hanfried Müller gegenüber möchte ich zu bedenken geben:

1. Die deutsche Sozialdemokratie vor dem 1. August 1914 war keine reformistische Partei. Bis Ende der neunziger Jahre hatte sich in ihr der Marxismus durchgesetzt. Die unbestrittene führende Rolle der Sozialdemokratie gegen das Bismarcksche „Sozialistengesetz“ (1878 - 1890) und in den scharfen Klassenkämpfen 1903 und 1905, darunter in den großen Streiks und Kämpfen gegen die Massenaussperrungen in Berlin, Gera, Glauchau, Greiz, Meerane und anderen Städten sowie in den Wahlrechtskämpfen 1905 belegen, daß die alte deutsche Sozialdemokratie keineswegs eine „systemimmanente“ Partei war. Um die Jahrhundertwende entstanden die bekannten drei Strömungen, die marxistische oder revolutionäre, die revisionistische und die zentristische. Die Existenz von drei Strömungen in einer Partei ist ein anderer Sachverhalt als eine reformistische Partei. Wenn Eduard Bernstein und andere versuchten, die Partei durch Revision der marxistischen Theorie in eine „systemimmanente“ Partei zu verwandeln, gelang ihm und seinem Anhang dies zunächst nicht. (In der PDS ist es umgekehrt, da stellen die Kommunisten zwar eine Strömung dar, bestimmen aber nicht den Charakter der Partei und konnten sich - bis jetzt jedenfalls - nicht gegen die reformistische Führung durchsetzen.) Welche der drei Strömungen sich durchsetzen, welche die andere marginalisieren oder rausdrängen würden, war um die Jahrhundertwende noch nicht abzusehen. Nur eines war deutlich: revolutionäre und reformistische Kräfte innerhalb einer Partei können dauerhaft - auch in „Friedenszeiten“ - nicht koexistieren.

2. Zwischen den drei Strömungen bestand keineswegs „innerparteilicher Burgfrieden“. Die politischen und theoretischen Auseinandersetzungen waren äußerst scharf, denn hier trafen zwei Klassenlinien aufeinander. Allerdings versäumten die Repräsentanten des revolutionären Flügels, sich organisatorisch rechtzeitig von den Revisionisten zu trennen. (Inwieweit sich die junge Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und andere damals hätten durchsetzen können, muß ich hier offen lassen. Karl Kautsky, um die Jahrhundertwende noch Marxist und zu dieser Zeit unbestritten der bedeutendste Theoretiker der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung, hatte sich scharf gegen den Bernsteinschen Revisionismus gewandt. Siehe seine Antikritik „Bernstein und das Sozialdemokratische Programm“ von 1899. Aber Kautsky forderte nicht den Ausschluß Bernsteins aus der Partei.)

3. Wie die geschichtliche Erfahrung zeigt, war dies ein verhängnisvoller Fehler. 1914 stand die Arbeiterklasse theoretisch, ideologisch und politisch vor einem Trümmerhaufen und konnte von den Imperialisten auf das Schlachtfeld geführt (verführt) werden. Da die organisatorische Trennung erst sehr (zu) spät erfolgte (Gruppe „Internationale“ 1915 - noch vor Heranreifen einer revolutionären Situation -, Spartakusgruppe Januar 1916, Spartakus-Bund November 1918, KPD Dezember 1918 / Januar 1919), konnte der revolutionäre Flügel in der Novemberrevolution auch nicht die Führung übernehmen; an deren Spitze stellten sich bekanntlich Noske, Ebert, Scheidemann, die die Revolution abwürgten und den deutschen Imperialismus und Militarismus aus der Niederlage in die Weimarer Republik hinüberretteten - mit dem 30. Januar 1933 als Langzeitfolge. Die nicht rechtzeitige organisatorische Trennung der Revolutionäre von den Revisionisten gehört zur historischen Schuld der revolutionären deutschen Linken.

4. Im Vergleich dazu haben sich die Revolutionäre in Rußland, die Bolschewiki, in der SDAPR 1912 auf der VI. (Prager) Parteikonferenz noch rechtzeitig organisatorisch von dem revisionistischen Flügel (den Liquidatoren) getrennt und sich auch dadurch befähigt, in Rußland die sozialistische Revolution zum Siege zu führen. „Innenpolitischer/parteilicher Burgfrieden“ in „friedlichen“ Zeiten kann sich verhängnisvoll auswirken, wenn eine revolutionäre Situation heranreift. Dann ist es zu spät für die organisatorische Trennung und die Niederlage vorprogrammiert.

5. Zur Frage des Mehrheits-Minderheits-Problems. Hanfried Müller meint, daß es nicht „historisch unabdingbar“ gewesen sei, daß der konterrevolutionäre Flügel in Deutschland die Mehrheit bekam. Soweit richtig; dies hängt sehr von den Bedingungen ab, vor allem davon, wer den Parteiapparat und die Parteipresse besetzt hat. Organisationsfragen erweisen sich immer wieder als politische Fragen. Spätestens der Vierte Parteitag der PDS hat deutlich gemacht, wer den Parteiapparat und die wichtigsten Publikationsorgane der PDS samt dem ihr nahestehenden „Neuen Deutschland“ besetzt. Daß zur Zeit der reformistische Flügel in der PDS-Führung die Mehrheit hat, ist sicher nicht „historisch unabdingbar“. Die oftmals zitierten Meinungsunterschiede zwischen „Basis“ und „Vorstand“ - „Die Basis ist ganz anders!“ - bedeuten ja nicht, daß die Basis kommunistisch, revolutionär, der Vorstand reformistisch ist. Wieweit war denn die Basis auf dem Vierten Parteitag der PDS überhaupt repräsentiert? Die Parteitags-Mehrheit war nach altbekanntem Muster von Funktionsträgern besetzt, wie seit Existenz von politischen Parteien seit zweihundert Jahren von allen Parteiführungen exerziert - wenn auch in früheren Zeiten noch nicht als „stalinistisch“ qualifiziert, es sei denn, daß der „Stalinismus“ als Idee embryonal schon vor Stalins Lebzeiten existiert hat, wie ein eifriger Publizist schon einmal bezüglich des Leninismus allen Ernstes behauptet hat.

Wir haben seit Existenz des bürgerlichen Parlamentarismus traditionell die Erscheinung, daß die Mehrheit in der Basis auf Parteitagen, in Medien und anderen Institutionen die Minderheit ist; so diktiert auch die Minderheit in der PDS als Mehrheit im Vorstand und auf den Parteitagen der dortigen Minderheit ihren Willen. Dies ist das Geheimnis der bürgerlich-paralmentarischen Demokratie als sicherster Form der Herrschaft einer Minderheit über eine Mehrheit. Diesbezügliche Methoden, wurden sie von der SED angewandt, waren a priori „stalinistisch“, werden die gleichen Methoden von der Führung der PDS oder anderer bürgerlicher und kleinbürgerlicher Parteien praktiziert, sind sie „demokratisch“.

Auf S. 4 meint Hanfried Müller, daß sich Repräsentanten des wissenschaftlichen Sozialismus und des demokratischen Sozialismus zu Recht oder Unrecht gegenseitig Verrat vorwerfen. Verlagert er damit nicht das Problem in den Bereich subjektiver Befindlichkeiten? Sicher ungewollt, nimmt er damit auch eine Gleichsetzung entgegengesetzter Argumentationen vor. Daß der demokratische Sozialismus im Gefolge Gorbatschows daran beteiligt war, „die Realisierung des Sozialismus 1989 konterrevolutionär zu beenden“ (S. 4), ist eine Tatsache, unabhängig davon, ob sie in den Augen der wissenschaftlichen Sozialisten beziehungsweise der demokratischen Sozialisten so erscheint oder nicht. Man kann natürlich auch die Zerstörung der Sowjetunion und des sozialistischen Weltsystems als „Sieg der Vernunft“, der „Demokratie“ über die „Diktatur“ etc. etc. „empfinden“. Zwischen theoretischer Reflexion (geschweige zwischen emotionaler Befindlichkeit) und geschichtlichem Sachverhalt ist doch wohl zu unterscheiden.

Für die theoretische Reflexion müssen objektive Kriterien zugrunde gelegt werden, und inwieweit die theoretische Reflexion den historischen Sachverhalt annähernd adäquat richtig oder falsch beziehungsweise teils richtig, teils falsch widerspiegelt, abbildet, muß an der Praxis überprüft werden. Objektives Kriterium für die Verifizierung der Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus sind seit Marx und Engels die Interessen der Arbeiterklasse und anderer werktätiger Schichten. An welchen Kriterien der demokratische Sozialismus mißt, muß ich aus Unkenntnis offen lassen. Die am demokratischen Sozialismus orientierte Politik Gorbatschows hat, gemessen an den objektiven Interessen der sowjetischen und internationalen Arbeiterklasse, katastrophale Ergebnisse erzielt. Die konterrrevolutionäre Zerstörung der Sowjetunion hat die internationale Arbeiterbewegung und antikoloniale Befreiungsbewegungen um hundert Jahre zurückgeworfen, die große Mehrheit der Werktätigen in der Welt, die pauperisierten Massen in Asien, Afrika, Lateinamerika und Osteuropa sowie auch in den kapitalistischen Zentren der unbestrittenen Herrschaft der großen Banken und multinationalen Konzerne unterworfen beziehungsweise deren Herrschaft zementiert. Die Konzeption des demokratischen Sozialismus hat noch nirgendwo zur Beseitigung des Kapitalismus geführt, aber progressive Entwicklungen blockiert und konterrevolutionäre Aktiviäten gefördert beziehungsweise selbst inszeniert.

Die von demokratischen Sozialisten angestrebten Reformen können zeitweilig den Druck des Kapitals auf die Werktätigen verringern, günstigere Bedingungen für den Verkauf der Ware Arbeitskraft bewirken; aber sie können die Lage der Werktätigen, darunter der neuen „Subunternehmer“, die noch schlechter dran sind als Lohnarbeiter und Gehaltsempfänger, nicht dauerhaft erleichtern. Das Kapital findet immer wieder neue Möglichkeiten, soziale Zugeständnisse, die sich die Werktätigen in oftmals harten Klassenschlachten gegen das Kapital erkämpft haben, wieder rückgängig zu machen, erkämpfte demokratische Positionen wieder einzuschränken oder aufzuheben, wie jüngste Vergangenheit und Gegenwart empirisch eindeutig beweisen.

Die Vorstellung, daß existentielle Interessen der Arbeiterklasse und anderer werktätiger Schichten innerhalb der kapitalistischen Produktionsverhältnisse - auch wenn man sie verklärend als „Marktwirtschaft“ umschreibt - zu realisieren seien, muß die Arbeiterklasse theoretisch, ideologisch und politisch entwaffnen, sie der Herrschaft des Kapitals widerstandslos ausliefern. Gemessen an den Interessen der Arbeiterklasse und anderer werktätiger Schichten ist der demokratische Sozialismus Irreführung - ob bewußt oder unbewußt, ist politisch und geschichtlich ohne Bedeutung. Die „ehrlichen“ Opportunisten sind die gefährlichsten. Gauner und Karrieristen, die Hanfried Müller ohnehin aus seiner Studie ausgeschlossen hat, sind relativ schnell zu erkennen und bloßzustellen und darum weniger gefährlich für die Arbeiterklasse als die ehrlichen, von ihrer Konzeption überzeugten demokratischen Sozialisten.

Kommunisten lehnen Reformen bekanntlich nicht ab. Alles, was den Werkätigen die Lebenslage erleichtert, sei es auch nur zeitweilig, wird von Kommunisten unterstützt. Aber Kommunisten setzen Reformen ins Verhältnis zur sozialen Revolution, ordnen die Reform den Erfordernissen der Vorbereitung der Werktätigen auf die soziale Revolution unter, auch und gerade in „friedlichen“ Zeiten, damit die Werktätigen fähig sind, wenn der Kapitalismus durch seine gesamte Existenzweise eine revolutionäre Krise erzeugt hat, diese auch für ihren Emanzipationskampf nutzen zu können, revolutionsfähig zu sein - was sie gegenwärtig in Deutschland nicht sind.

Die Trennungslinie zwischen demokratischen Sozialisten und Kommunisten in der PDS markiert gegensätzliche Klassenlinien, die auch in „Friedenszeiten“ dauerhaft nicht in einer Partei werden koexistieren können.

*

Bei Hanfried Müller findet auf S. 1 auch das „Zürcher Dreigestirn“ Erwähnung. Es lohnt sich, dazu den Zirkularbrief von Marx und Engels an Bebel, Liebknecht, Bracke u.a. vom 17./18. September 1879 1 zu lesen. Marx und Engels hielten den Bruch mit diesen Opportunisten nur für eine Frage der Zeit. An die Adresse der Zürcher Autoren gewandt, meinten sie, daß in einem so kleinbürgerlichen Land wie Deutschland die von den Zürchern geäußerten Vorstellungen sicher ihre Berechtigung hätten - aber „nur außerhalb der sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Wenn die Herren sich als sozialdemokratische Kleinbürgerpartei konstituierten, so sind sie in ihrem vollen Recht; man könnte dann mit ihnen verhandlen, je nach Umständen Kartell schliessen etc. Aber in einer Arbeiterpartei sind sie ein fälschendes Element.“2 Marx und Engls erklärten weiterhin, daß sie „unmöglich mit Leuten zusammengehen“ könnten, „die diesen Klassenkampf aus der Bewegung streichen wollen.“ 3

Die PDS-Führung hat mehrfach betont, daß diese Partei keine Arbeiterpartei, keine Klassenpartei, ist. Das ist ihre Sache. Wie sich die Kommunisten in dieser Partei verhalten und entscheiden, ist deren Sache.

Hier geht es um die Frage, ob Kommunisten mit Reformisten in einer Partei in „Friedenszeiten“ koexistieren können. Im Unterschied zu Hanfried Müller melde ich hier Zweifel an. Bündnisse zwischen einer kommunistischen Partei und der PDS sind möglich und sogar notwendig, zumindest Absprachen zur Durchführung solcher sozialer und demokratischer Anliegen, die von beiden vertreten werden und zu denen sie politisch übereinstimmende Auffassungen haben, und das sind ja nicht wenige. Aber bis jetzt jedenfalls ist die Bereitschaft der Führungsmehrheit der PDS bezüglich Bündnissen mit der DKP - gelinde gesagt - sehr gering, es sei denn, daß sie sich um deren Stimmen bei Wahlen bemüht. Antiimperialistische Bündnisse sind von Seiten der DKP immer möglich, wenn auch die andere Seite sie will.

*

Auf S.9 ff. untersucht Hanfried Müller Aussagen von Marx und Engels im „Manifest der Kommunistischen Partei“ und in Engels „Grundsätze(n) des Kommunismus“ und überprüft, inwieweit die dort gegebenen Hinweise unter den Bedingungen nach der Niederlage des europäischen Sozialismus von Kommunisten zu berücksichtigen seien. Dabei gibt es ein Interpretationsproblem. Hanfried Müller meint, daß Marx und Engels es unter Umständen für geboten gehalten hätten, „daß Kommunisten in nichtkommunistischen Parteien arbeiteten.“ Er zitiert aus dem „Manifest“: „In Frankreich schließen sich die Kommunisten an die sozialistisch-demokratische Partei an ...“, „... in der Schweiz unterstützen sie die Radikalen ...“ und aus den „Grundsätze(n)“ die Empfehlung von Engels: „ ... sich mit diesen demokratischen Sozialisten zu verständigen und überhaupt mit ihnen für den Augenblick möglichst gemeinsame Politik zu machen, sofern diese Sozialisten ... die Kommunisten nicht angreifen.“

Der Interpretation des „schließen sich ... an“, „unterstützen“, „sich ... verständigen“, „gemeinsame Politik“ als Arbeit von Kommunisten „in“ nichtkommunistischen Parteien kann ich nicht folgen. Das „schließen sich an“ könnte noch so interpretiert werden, das „unterstützen“, „verständigen“, „gemeinsame Politik“ schon nicht mehr.

Gegen diese Interpretation von Hanfried Müller spricht der gesamte Kontext des „Manifestes“ und die praktisch-politische Tätigkeit von Marx und Engels. Mit der Gründung des Bundes der Kommunisten wurde eindeutig auch die organisatorische Selbständigkeit und politische Unabhängigkeit der Kommunisten, die organisatorische Abgrenzung von nichtkommunistischen Parteien und Organisationen vollzogen. Wenn nicht um ihrer organisatorischen Selbständigkeit und politischen Unabhängigkeit willen, warum dann die Gründung eines Bundes der Kommunisten? An der organisatorischen Selbständigkeit und politischen Unabhängigkeit haben Marx und Engels bis ans Ende ihres Lebens festgehalten.

Das Manifest der Kommunistischen Partei ist wohl die „Geburtsurkunde“ des wissenschaftlichen Sozialismus, damit auch der marxistischen Parteitheorie - einschließlich der Organisationsstruktur der komunistischen Partei.4

Mit der „Geburtsurkunde“ war aber die Parteitheorie des wissenschaftlichen Sozialismus noch bei weitem nicht ausgearbeitet. Dies erfolgte im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts nicht zuletzt in den Altersbriefen von Engels und seit der Jahrhundertwende in den einschlägigen Werken Lenins.

In der Analyse der Tätigkeit des Bundes der Kommunisten in der Revolution 1948/49 gelangten Marx und Engels zu sehr eindeutigen Aussagen über das Verhalten der Kommunisten zu demokratischen kleinbürgerlichen Parteien. Da diese Frage für die hier behandelte Thematik von Bedeutung und für Kommunisten in der PDS sehr aktuell ist, sei der betreffende Abschnitt vollständig zitiert:

„Im gegenwärtigen Augenblick (1850 - U.H.), wo die demokratischen Kleinbürger überall unterdrückt sind, predigen sie dem Proletariat im allgemeinen Einigung und Versöhnung, sie bieten ihm die Hand und streben nach Herstellung einer großen Oppositionspartei, die alle Schattierungen in der demokratischen Partei umfaßt, das heißt, sie streben danach, die Arbeiter in eine Parteiorganisation zu verwickeln, in der die allgemein sozial-demokratischen Phrasen vorherrschend sind, hinter welchen ihre besonderen Interessen sich verstecken, und in der die bestimmten Forderungen des Proletariats um des lieben Friedens willen nicht vorgebracht werden dürfen. Eine solche Vereinigung würde allein zu ihrem Vorteile und ganz zum Nachteile des Proletariats ausfallen. Das Proletariat würde seine ganze selbständige, mühsam erkaufte Stellung verlieren und wieder zum Anhängsel der offiziellen bürgerlichen Demokratie herabsinken. Diese Vereinigung muß also auf das entschiedenste zurückgewiesen werden. Statt sich abermals dazu herabzulassen, den bürgerlichen Demokraten als beifallklatschender Chor zu dienen, müssen die Arbeiter, vor allem der Bund, dahin wirken, neben den offiziellen Demokraten eine selbständige geheime und öffentliche Organisation der Arbeiterpartei herzustellen und jede Gemeinde zum Mittelpunkt und Kern von Arbeitervereinen zu machen, in denen die Stellung und Interessen des Proletariats unabhängig von bürgerlichen Einflüssen diskutiert werden ... Für den Fall eines Kampfes gegen einen gemeinsamen Gegner braucht es keiner besonderen Vereinigung. Sobald ein solcher Gegner direkt zu bekämpfen ist, fallen die Interessen beider Parteien für den Moment zusammen, und wie bisher wird sich auch in Zukunft diese nur für den Augenblick berechnete Verbindung von selbst herstellen.“5

Erinnert sei noch daran, daß Marx und Engels bei aller Kritik an Lassalles theoretischen Auffassungen dessen Verdienst hervorgehoben haben, nämlich mit der Gründung des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins (1863) den organisatorischen Bruch mit allen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Organisationen vollzogen zu haben.

Verweise auf die Parteitheorie wären unvollständig, wenn nicht die theoretischen Erkenntnisse Lenins Berücksichtigung fänden. Die SDAPR stand nach der niedergeschlagenen Revolution 1905 vor ähnlichen Problemen. Auch hier führte die Niederlage zu theoretischer Konfusion, zur Aufgabe der marxistischen Theorie, die mit der Niederlage der Revolution angeblich widerlegt sei, wie auch zur Konfusion hinsichtlich der Organisation und Taktik der Partei. Auch damals gab es „Erneuerer“ unter den „Parteiintellektuellen“, die auf philosophischem Gebiet als „neueste“ Erkenntnisse den Empiriokritizismus anboten, auf dem Gebiet der Parteitheorie die Orientierung auf eine „legale“ sozialdemokratische Partei (unter den Bedingungen der Stolypinschen Reaktion eine Unmöglichkeit), die auf Revolution verzichten und sich auf parlamentarischen Kampf in der Duma beschränken sollte. Die geistige Anleihe bei Bernsteins Vortrag „Wie ist wissenschaflicher Sozialismus möglich?“ ist unverkennbar. Die Verwerfung des Marxismus, des „Alten“, brachte den „Erneuerern“ den Namen der „Liquidatoren“ ein. Die Marxisten, die „Alten“, waren die „Reaktionäre“ - die Etikettierung als „Betonköpfe“ blieb späteren Generationen von „Erneuerern“ vorbehalten - die „Erneuerer“ waren die Verfechter des Fortschritts, der Demokratie und anderer schöner Dinge. Die Existenz von „zwei Parteien“, einer bürgerlichen und einer kommunistischen, in einer Partei war unhaltbar. Auf der VI. Parteikonferenz in Prag (Januar 1912) wurden die Liquidatoren aus der Partei ausgeschlossen, beziehungsweise hatten sich außerhalb der Partei gestellt. Damals waren die Liquidatoren in der Minderheit. Lenin wandte sich in seiner Auseinandersetzung nicht gegen die Existenz von Gruppen und Strömungen in der Partei. Er hielt den Kampf zwischen ihnen für das „Leben der Partei“ und war gegen deren Ausschluß. Aber zwei entgegengesetzte Klassenlinien in einer Partei, das war nicht möglich.6

Es sei auch noch auf die Polemik Kautskys gegen Bernsteins Parteikonzeption - Umwandlung der Sozialdemokratie aus einer selbständigen Klassenpartei in eine große demokratische Partei - verwiesen. Die von Kautsky 1899 geäußerte Kritik ist noch nach hundert Jahren aktuell und sollte von Kommunisten und demokratischen Sozialisten nachgelesen werden. Kautsky argumentierte zu dieser Zeit noch als Marxist und analysierte die Konzeption der damaligen Sozialreformer. Sie erwarteten von einer demokratischen Reformpartei, daß sie eher die parlamentarische Majorität erlangen, eher regierungsfähig sein würde, zwar nicht die Macht, aber Macht erlangen könnte. Kautsky entgegnete: wenn die Partei „auch andere Klassen in sich aufnehmen und deren Klassenkämpfe .... führen“ würde, „so würde sie dadurch selbst ihre Angriffskraft lähmen und mit ihrer Einheitlichkeit auch ihre Einheit preisgeben.“ Dies würde ihr aber nichts nützen, denn die anderen Klassen unterwürfen sich nicht einer proletarischen Führung. „Eine demokratische Sammelpartei ist nur möglich unter bürgerlicher Führung.“7

Die PDS ist entstanden aus der ehemaligen SED unter Führung von Intellektuellen reformistischer Provenienz. Diese Führung hat sich im Laufe der letzten fünf Jahre durchgesetzt und bestimmt die Parteipolitik. Sie hat mit marxistisch-leninistishen Theorie und mit kommunistischen Traditionen gebrochen und bürgerliche, kleinbürgerlich-demokratische und utopisch-sozialistische Positionen bezogen. Wie sich Kommunisten in der PDS in Zukunft verhalten werden, müssen sie selbst entscheiden. Es ist unwahrscheinlich, daß sie den Charakter der Partei werden verändern können. Jedoch müssen ihre Gründe, in der PDS zu verbleiben, respektiert werden.

Bisherige historische Erfahrungen besagen, daß Kommunisten und Reformisten in einer Partei auch in „Friedenszeiten“ dauerhaft nicht vereint sein können. Sie repräsentieren entgegengesetzte Klassenpositionen. Die einen oder die anderen bleiben dabei auf der Strecke, in der Regel die Kommunisten. Eine „pluralistische“ Partei erweist sich letzten Endes als eine bürgerliche oder kleinbürgerlich-demokratische Reformpartei; ob mit oder ohne sozialistisches Aushängeschild, ist dabei ohne Bedeutung.

Bündnisse sind etwas anders. „Kartell“-Bildung, um mit Marx und Engels zu sprechen, ist mit kleinbürgerlich-demokratischen Parteien, also auch mit der PDS, für Kommunisten möglich, mehr noch, sogar notwendig, wobei die Frage offen bleibt, ob die gegenwärtige Führung der PDS zu „Kartell“-Absprachen mit der DKP bereit ist. Dies wäre unter den gegenwärtigen Machtverhältnissen in der BRD allerdings gleichbedeutend mit dem Verzicht auf Akzeptanz durch die etablierten Bundestagsparteien


Zu Hanfried Müllers „cura ardente“

von Hans Heinz Holz

Hanfried Müller ist ein theoretischer Kopf. Mit Recht ist er mißtrauisch gegen bloß pragmatisches Argumentieren, das zu leicht in nackten Opportunismus überzugehen in Gefahr ist. Wenn er also danach fragt, warum Kommunisten sich für die (oder gar in der) PDS engagieren sollen, dann möchte er dafür theoretisch fundierte Gründe haben.

So schlägt ihm seine gedankliche Gründlichkeit ein Schnippchen. Er hat nämlich zum Begreifen und Bewältigen der durchaus transitorischen Situation, die aus der Annexion der DDR durch die BRD hervorgegangen ist und die unmittelbar nur pragmatische Verhaltensstrategien zuläßt, aber auf Sicht prinzipielle Entscheidungen fordert, einen eigenen politiktheoretischen Typus konstruiert, nämlich die (gedankliche) Möglichkeit einer Partei, „die zwar systemimmanent und nicht systemsprengend und also reformistisch (nicht aber unbedingt opportunistisch) die Interessen ihrer sozialen Basis zu vertreten sucht, ohne sich vom Kapital in dessen Interesse dirigieren zu lassen“. Und damit ist er da gelandet, wo er sich selbst bei der ihm eigenen messerscharfen Logik am widerwärtigsten fühlen muß: auf dem dritten Weg. Und weil ich weiß, daß das nicht nur das Letzte, sondern das Überhaupt-nicht sein kann, worauf er hinaus wollte, füge ich dieser (freundschaftlich gemeinten) Publikumsbeschimpfung noch einige Erläuterungen hinzu.1

Für die Begründung meiner Auffassung stimme ich weitgehend den Ausführungen von Ulrich Huar zu, die HM mir liebenswürdigerweise zum Zweck dieser Stellungnahme zugänglich gemacht hat.* Huar argumentiert im wesentlichen entlang einer Linie historischer Parallelen. Ich möchte diese Perspektive um einige „wesenanalytische“ Gesichtspunkte erweitern.

1.   Jede Partei, die ihre Reformpolitik an die grundsätzliche Bejahung der Systemstruktur bindet, die sie reformieren will, stützt nicht nur das System, sondern trägt zu seiner Perfektionierung bei. Reformen des Kapitalismus 2 führen zu vollkommenerem Kapitalismus. Kapitalismus ist aber seinem Wesen nach Akkumulation des Kapitals, private Aneignung des Mehrwerts, Ausbeutung; würde ihm diese Bewegungsform genommen, wäre es kein Kapitalismus mehr. Vollkommenerer Kapitalismus ist also immer vollkommenere Ausbeutung. Daran ändert sich auch nichts, wenn eine reformistische Partei (beziehungsweise deren Repräsentanten) subjektiv ehrlich die Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse erstrebt. Objektiv bewirkt sie das Gegenteil. „Wir wären lieber gut statt roh, doch die Verhältnisse, die sind nicht so.“

2.   Eine systemimmanent reformistische Partei endet notwendigerweise im Opportunismus. Reformen im System stoßen allerdings irgendwann an die Grenze, wo sie zu Reformen am System, also systemverändernd, letztlich systemsprengend werden müssen. Wer dann systemimmanent bleiben will, muß mehr und mehr Zugeständnisse an das machen, was er eigentlich verändern will. Anpassung wird zur Strategie, um immer kleinere Reformen noch erreichen zu können - bis zur völligen Integration. Wer von vornherein sich zur Erhaltung des bestehenden Systems bekennt, hat diesen Weg schon eingeschlagen - programmatisch und tatsächlich. Auch Politiker, die eine revolutionäre Systemveränderung im Sinn haben, sind gegen die Gefahr nicht gefeit; aber man kann sich immerhin mit ihnen noch über die subjektiv nicht gewollten Konsequenzen ihrer Taktik auseinandersetzen, mit programmatischen Reformisten aber nicht, denn sie wollen ja gerade diese Konsequenzen.

3.   Ein Kampf für systemverändernde Reformen mit dem letztendlichen Ziel des revolutionären Übergangs zu einer neuen Systemform (Gesellschaftsformation) ist dauerhaft und schließlich erfolgreich nur zu führen, wenn es eine politische Organisation gibt, die dieses Kampfziel programmatisch ansteuert, es auch in Reformperioden im Bewußtsein hält und in sich revolutionär zuspitzenden Krisensituationen zum Kristallisationskern aller auf Umwälzung ausgehenden Kräfte werden kann. Um diese Aufgabe auch über lange Strecken nicht-revolutionärer politischer Scharmützel und kleiner Reformen (oder gar Rückschritte) nicht aus dem Blick zu verlieren, bedarf es einer Fundierung der Politik einer solchen Organisation in einer klaren Gesellschafts- und Geschichtstheorie. Die von Marx, Engels, Lenin und ihren Nachfolgern ausgearbeitete theoretische Grundlage - ich sage: der Marxismus-Leninismus - liefert die Vorausetzungen für diese Fundierung. Nur eine Kommunistische Partei, die den Marxismus-Leninismus in ihr Programm und Selbstverständnis aufgenommen hat, kann der Ort für eine solche revolutionäre Orientierung sein3 . Wer sich gemäß dieser Zielsetzung als Kommunist versteht, kann sich sinnvollerweise auch nirgends anders als in einer Kommunistischen Partei organisieren.

Was hier formuliert wird, sind nicht einfach „Meinungen“, denen gegenüber man „anderer Meinung“ sein könnte, sondern immanente Notwendigkeiten der Verhaltenslogik. Wer ihnen widersprechen will, müßte zeigen, daß der Satz vom ausgeschlossenen Dritten für (1) und (2) nicht gilt und ad (3), daß Ziele ohne eine bestimmte Zielsetzung verfolgt werden können. Natürlich gibt es immer Menschen, die eine ihnen unbequeme Logik als Dogmatik abtun und sich in pluralistische Beliebigkeit flüchten; aber sie werden letzten Endes von der Geschichte widerlegt.

Ist so die Gretchenfrage Müllers nach der „Vereinigung von Revolutionären und Reformern“ (warum sagt er da auf einmal Reformer statt Reformisten?) aus grundsätzlichen Erwägungen als sinnlose Frage zurückzuweisen (weil eine solche Vereinigung die Selbstaufgabe der Revolutionäre bedeuten würde und dann keine Vereinigung zweier Verschiedener wäre), so bleibt doch der Realitätsgehalt von Müllers Problem - und darin liegt der Sinn und Wert seiner Frage -: Es gibt die PDS als eine Partei, in der trotz ihres klar nicht-kommunistischen Programms zahlreiche Kommunisten organisiert sind. Huar ist über dieses Problem leider diskret hinweggeglitten.

Hier kommt ins Spiel, was ich die transitorische Funktion der PDS nennen möchte. Die BRD hat sich die DDR in einer Weise angegliedert, durch die nicht nur das politische System, sondern die gesamte gesellschaftliche Lebensform der Menschen in der DDR zerschlagen wurde. Der Preis war nicht nur die Verarmung, ja Verelendung breiter Schichten, sondern der Verlust von Personidentität, Lebenserfahrung und Gemeinschaftssinn auch vieler von denen, die materiell wenig oder nicht geschädigt wurden. Die Wirkung dieser sozialen Dekompensation war um so deprimierender, als die DDR-Bürger sich eingestehen müssen, daß ihre Zustimmung zu diesem Prozeß durch Vorspiegelung falscher Erwartungen erschlichen wurde; sie müssen sich nicht nur als Gedemütigte, sondern auch noch als Betrogene vorkommen.

Die PDS ist nun für viele Menschen in der DDR - unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung - die einzige Institution, die ihnen die Bewahrung ihrer lebensgeschichtlichen Identität anbietet, zugleich für sie einen Platz in der neuen staatlichen Wirklichkeit hält und vor Ort für ihre durch die Annexion zerstörten oder gefährdeten Lebensbedingungen kämpft. Das sind unmittelbare Interessen vor und unabhängig von der Entscheidung für Sozialismus oder Kapitalismus, für Reformen oder gar für eine ferne Revolution. Kommunisten und Nichtkommunisten können als ehemalige DDR-Bürger in der PDS ihren Ort finden. Diese geschichtliche Lage ist der Boden dieser Partei, darum findet sie aber auch in den Ländern der alten BRD so wenig Anklang. Dabei geht es nicht um Nostalgie (die man den DDR-Bürgern gern hämisch unterstellt), sondern es handelt sich um die Fortdauer der ideellen Kraft einer zwar gestürzten historisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit, die aber doch aus dem Lebensgefühl der Menschen nicht eliminiert ist.

Die Politik der PDS-Führung trägt diesem Lebensgefühl teilweise real und vor allem verbal Rechnung. Darum kann sie eine, auch im einzelnen teilweise widerstrebende, Parteibasis hinter sich vereinigen. Lang- oder sogar mittelfristig läuft die Strategie der Parteiführung jedoch darauf hinaus, die Integration in das kapitalistische Deutschland zu betreiben, also die sozialen und historisch-politischen Interessen ihrer Klientele preizugeben. Das ist objektiv opportunistisch. Dazu gehört auch der Verzicht auf eine integrierte Theorie, die das Schicksal der Menschen aus geschichtlich-gesellschaftlichen Prozessen begreiflich machen würde; statt dessen wird der unverbindliche Pluralismus zum Prinzip erhoben. Er webt den ideologischen Schleier, unter dem nicht erkennbar wird, daß der Anspruch, das Selbstbewußtsein der DDR-Büger zu vertreten, bloßer Schein ist. Denn die Wirklichkeit, aus der dieses Selbstbewußtsein gewachsen ist, war die den Sozialismus aufbauende Gesellschaft - wie unvollkommen und in einiger Hinsicht schlecht sie gewesen sein mag. Sie war das Andere zum Kapitalismus (die bestimmte Negation), und wer die menschenverachtende Praxis des Kapitalismus fühlt oder erkennt und ihr widerstehen will, der muß sich auf die Alternative zu kapitalistischen Produktionsverhältnissen beziehen.

Wenn auch ein Blick auf das Programm der PDS und auf die Reden und Schriften ihrer Spitzenfunktionäre zeigt, daß sie die ihnen aus der geschichtliche Situation zugefallene Rolle gar nicht zu übernehmen bereit sind, so muß doch jede pragmatische Politik damit rechnen, daß die Anhänger der PDS ihre Partei in dieser Rolle sehen. Daß das positive Erbe, das aus vierzig Jahren DDR-Gesellschaft zu bewahren ist und gerade auch gegenüber den negativen Seiten dieser Gesellschaft als das eigentlich Vorwärtsweisende erhalten zu werden verdient, nur von einer wirklich sozialistischen, das heißt kommunistischen Partei angetreten werden kann, wird erst durch eine intensive historisch-politische Bildung bewußt gemacht werden können, die ein Verständnis von Geschichte und eine kritische Aneignung der eigenen Vergangenheit mit dem politischen Erfahrungen der Gegenwart verbindet. Daß Kommunisten, deren Lebensgeschichte mit der Geschichte der DDR verknüpft ist, diese Auseinandersetzung auf dem Boden der Partei führen wollen, die diese Lebensgeschichte noch in einer gewissen nationalen Breite als Bewußtseinsgehalt ihrer Mitglieder an sich trägt, ist verständlich. Sie werden diese Auseinandersetzung allerdings nur organisiert führen können, sonst verlieren sie ihren menschlichen und geistigen Zusammenhalt. Und sie werden es im Kontext mit den Kommunisten in Deutschland und international tun müssen, sonst würden sie als lokale Gruppierung verkümmern.

Daß sie die PDS zu einer wahrhaft sozialistischen, das heißt nicht-reformistischen Partei machen könnten, glaube ich nicht. So werden sie, wenn sie ihre Identität als Kommunisten erhalten und ihre geschichtlichen Einsichten realisieren wollen, irgendwann die PDS verlassen müssen. Daß dieser prinzipiell unvermeidliche Übergang pragmatisch einige Zeit dauern kann, hängt mit der beschriebenen Situation zusammen. Solange diese Unentschiedenheit dauert, ist der Widerstand gegen den Opportunismus (und nicht die duldende Koexistenz) die Front, an der sich die Kommunisten in der PDS zu behaupten haben.

Hanfried Müller hat auf dieses Problem in seiner Widersprüchlichkeit aufmerksam gemacht - wenn er auch versuchte, diese Widersprüchlichkeit zu neutralisieren. Gerade dadurch wurde deutlich, daß es kein Neutrum gibt. Die Diskussion, die er auslösen wollte und zu der er in der Tat den Anstoß gegeben hat, wird zu begrifflichen Klärungen führen.


Noch einmal: Sorge und Besinnung in der PDS und um die PDS

Zur Kritik von Ulrich Huar und Hans Heinz Holz

von Hanfried Müller

In WBl 3/95, S. 16 hatte ich keineswegs als These, sondern wirklich als, auch für mich selbst, offene Frage gemeint: „Ob und wie sich die PDS in der deutschen Parteienlandschaft behaupten“ könne, „könnte davon abhängen, ob sie sich als eine zwar reformistische und keineswegs revolutionäre, wohl aber als von sozial Marginalisierten selbst in ihrem eigenen Interesse konstituierte und nicht ... im Interesse der Bourgeoisie und von ihr zur Wahrung des Klassenfriedens organisierte Partei entwickeln“ könne. 1 Die Häufung fraglicher Möglichkeiten signalisierte schon meine Unsicherheit gegenüber dem Problem, und Hans Heinz Holz hat nicht ohne Grund scharfsinnig beobachtet, daß „die große Zahl extensiver Fußnoten mit ergänzenden, relativierenden, präzisierenden Bemerkungen“ darauf hindeutete, „daß H. M. sich bei seinem Diskussionsvorschlag selbst nicht ganz wohl fühlt.“ 2 Das hat erfreulicher Weise nicht, wie zu befürchten, nur Staub aufgewirbelt, sondern, mehr als zu hoffen war, konstruktive Kritik und weiterführende Gedanken hervorgerufen.

Tatsächlich liefen bei der Entwicklung des von mir gemeinten Problems mehr Gedanken ineinander, als ich in der flüchtigen Formulierung einer Einleitung zur Diskussion präzise zu koordinieren und zu formulieren vermochte.

Zum einen wollte ich die PDS - angesichts dessen, daß sie ihre politische Bedeutung der Tatsache verdankt, daß revolutionäre und reformistische Kräfte sie wählen - ermutigen, sich mit vereinigten Kräften der Konterrevolution entgegenzustemmen und deshalb die Kernstücke konterrevolutionärer Demagogie in den eigenen Reihen, die Diffamierung der Realisierung des Sozialismus als „Stalinismus“ und der DDR als „Diktatur“ oder „Unrechtsstaat“, zu überwinden. Es ist schade, daß diese Überlegung bisher nur Kommunisten, nicht aber antiimperialistische Reformer zu Stellungnahmen angeregt hat.

Zum anderen ging es mir perspektivisch darum, wie die „Marginalisierten“, die in den imperialistischen Zentren immer mehr aus dem Produktionsprozeß und schließlich aus der Gesellschaft Ausgestoßenen, sich vor der Manipulation durch imperialistische Rattenfänger hüten und ihre eigenen Interessen zur Geltung bringen könnten. Dabei war mir klar (ich habe aber versäumt, das deutlich werden zu lassen), daß die PDS keine solche Partei ist.

So flossen vor allem folgende drei Fragen verwirrend ineinander:

1.   Ob überhaupt unter den gegebenen sozial-ökonomischen Verhältnissen eine zwar reformistische, aber nicht vom Kapital manipulierte Partei „existenzfähig und wünschenswert“ sei,

2.   wenn ja, inwieweit die PDS eine solche Partei werden könne oder solle,

3.   welche geschichtlichen Erfahrungen etwa helfen könnten, sich - analogice - diesbezüglich zu orientieren.

I. Die theoretische Frage

Allen am Gespräch Beteiligten ist klar, was der Anlaß meiner Überlegungen war: nämlich die Widersprüchlichkeit, in der die PDS als in den Augen ihrer Sympathisanten wie ihrer Gegner systemkritische Partei ihre Wahlerfolge erzielt und den Haß der Reaktion hervorruft, während ihre Vorstandsmehrheit sie dem herrschenden System der BRD zu integrieren sucht: Von der Diffamierung der DDR über die Glorifizierung der BRD als „zivilisatorisch“ bis jüngst zur Öffnung für imperialistisch-militaristische Optionen: „Wir sind in der BRD angekommen!“

Nicht unbegründet sehen die am Gespräch Beteiligten - insbesondere Hans Heinz Holz - aber auch, daß ich durch die PDS-Problematik allenfalls veranlaßt, keineswegs aber auf sie begrenzt, „einen eigenen politiktheoretischen Typ“ zur Diskussion stellte, „nämlich die (gedankliche) Möglichkeit einer Partei, 'die zwar systemimmanent und nicht systemsprengend und also reformistisch (nicht aber unbedingt opportunistisch) die Interessen ihrer sozialen Basis zu vertreten sucht, ohne sich vom Kapital in dessen Interesse dirigieren zu lassen“.

Damit, meint Holz, sei ich, wenn auch gänzlich wider Willen, auf dem dritten Weg gelandet. Das ist ein Mißverständnis! Aber es ist nicht, wie Holz meint, entstanden, weil „gedankliche Gründlichkeit“, sondern im Gegenteil gedankliche Konfusion mir „ein Schnippchen“ geschlagen hat. Ich habe nämlich leider nicht sauber zwischen dem Anlaß meiner Überlegungen, der deutschen Misere samt PDS, und ihrem Inhalt, der theoretischen Reflexion über Konsequenzen der gesamten Entwicklung des Imperialismus in den letzten Jahrzehnten unterschieden.

Statt in jener „Vorbemerkung zu den folgenden Beiträgen“ nur mit einigen Gedankensplittern zur Diskussion einzuladen, hätte ich gut getan, die Frage, wie die PDS zwar als politische Kraft zu erhalten, aber daran zu hindern sei, als solche auf dem „dritten Wege“ ins Lager der Bourgeoisie überzulaufen, sorgfältig von den anderen Fragen zu unterscheiden, die - wie Holz meint - zur „Konstruktion“ eines „eigenen politiktheoretischen Typus“ führen. In jener „Vorbemerkung“ glitt beides ineinander über, so sehr, daß es zum Beispiel schien, als meine ich, die PDS sei eine Partei der „Marginalisierten“, während ich mich nur peripher fragte, ob sie, wenn sie dauerhaft eine Funktion unter den vorhandenen Parteien gewinnen wolle, das eventuell werden könne und wie eine solche Entwicklung zu beurteilen sei. Dies Durcheinander unzureichend abgegrenzter Gedanken mußte zu Mißverständnissen führen. Sie hätten sich allerdings allenfalls durch eine gründliche theoretische Untersuchung vermeiden lassen. Soweit, sie bieten zu können, war ich aber noch nicht und bin es auch jetzt noch nicht.

Immerhin möchte ich, bevor ich auf die Kritik von Huar und Holz im einzelnen eingehe, noch einmal, allerdings wieder nur skizzieren, welche Fragen ich, zwar durch die PDS-Problematik veranlaßt, aber weit über sie hinausgreifend, zur Diskussion stellen wollte.

Um neuen Mißverständnissen vorzubeugen, stelle ich voran:

1.   Ich halte daran fest, daß der Grundwiderspruch des Kapitalismus zwischen Kapital und Arbeit durch imperialistische Expansion immer universaler wirksam wird und zu globalen Problemen führt, die auf der Basis des Kapitalverhältnisses unlösbar sind; in diesem Sinne bleibe ich bei der Charakterisierung unserer Epoche mit dem Begriff „allgemeine Krise des Kapitalismus“.

2.   Ich halte daran fest, daß darum das Kapitalverhältnis aufgehoben werden muß, wenn nicht alle bisherige Kultur untergehen soll; in diesem Sinne bleibe ich bei der Bestimmung der „Grundfrage“ unserer Epoche als „Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus“.3

3.   Ich halte daran fest, daß der Vollzug dieses Überganges die „historische Mission der Arbeiterklasse4 ist und daß sie diese Aufgabe - gewiß dialektisch mit evolutionären Entwicklungen verbunden und historisch langfristig - nur revolutionär vollziehen kann und muß.

Aber ich denke, all diese Punkte müssen neu durchdacht werden; die Gründe dafür skizziere ich in umgekehrter Reihenfolge:

1. Die Arbeiterklasse hat ihre historische Mission historisch bisher nicht zu erfüllen vermocht. Zwar ist nicht - wie unbesonnen oder absichtlich demagogisch oft formuliert wird - der Sozialismus „gescheitert“, wohl aber der welthistorisch bedeutendste und fast ein ganzes Jahrhundert prägende Versuch, vom Kapitalismus zum Sozialismus überzugehen und damit die Grundfrage der Epoche zu lösen.

Dies Versagen insbesondere der europäisch/nordamerikanischen Arbeiterklasse mit all seinen globalen Folgen hing offenbar damit zusammen, daß die schon von Friedrich Engels für England beobachtete „Verbürgerlichung“ aller Klassen (möglich aufgrund der Extraprofite des Kolonialismus) auf alle entscheidend wichtigen entwickelten imperialistischen Länder in dem Maße übergriff, in dem die Arbeiterklasse dort als potentiell revolutionäres Subjekt reifte. 5

Neben dieser „Verbürgerlichung“ (begründet darin, daß auch die Arbeiter in den imperialistischen Zentren aus deren Neokolonialimus, und also aus imperialistischer Ausbeutung, Nutzen zu ziehen scheinen) veränderte die „wissenschaftlich-technischen Revolution“ den Charakter der Arbeiterklasse. Sie führte unter den Bedingungen der Profitmaximierung zu einer Überproduktivität, derentwegen auch in Zeiten der Hochkonjunktur Arbeitsplätze massenhaft beseitigt werden; so entsteht nicht mehr nur übergangsweise in zyklischen Krisen eine „Reservearmee“ von Arbeitsplatzlosen, sondern sie wird (wie schon seit langem in der „Dritten Welt“) vom Kapital nur noch als Druckmittel und nicht mehr als „Reserve“ gebraucht und darum dauerhaft der absoluten Verelendung preisgegeben. So breitet sich in der „Zweidrittelgesellschaft“ jenes „Drittel“ aus, von dem man sich fragen kann, ob es nicht bereits als „große Menschengruppe“ zu verstehen ist, die sich „nach ihrem Platz in einem geschichtlich bestimmten System der gesellschaftlichen Produktion ..., nach ihrer Rolle in der gesellschaftlichen Organisation der Arbeit und folglich nach der Art der Erlangung und der Größe des Anteils am gesellschaftlichen Reichtum“ von der Arbeiterklasse zu unterscheiden beginnt.6 Immerhin ist es ein erheblicher Unterschied, ob die soziale Existenz auf Lohnarbeit oder auf Sozialfürsorge ruht, und überdies trennen objektive Interessengegensätze die in „Langzeitarbeitslosigkeit“ Verstoßenen von denen, die zwar immer wirksamer ausgebeutet, aber bei der Verteidigung ihrer Arbeitsplätze permanent zur Desolidarisierung getrieben werden - greifbar zum Beispiel an ihren Reaktionen auf die „Standortdemagogie“ der Konzerne.

2. Aus der Grundfrage unserer Epoche haben sich immer wieder (dem Ziel als Weg zu- oder untergeordnet) kurzfristigere Hauptaufgaben ergeben: Zum Beispiel die Hauptaufgabe, den Faschismus zu vernichten, wenn überhaupt die Grundfrage lösbar bleiben sollte. Dabei verbindet sich die Grundfrage mit der Hauptaufgabe keineswegs immer widerspruchsfrei, sondern höchst dialektisch. So war zum Beispiel der Sieg über den Faschismus zugleich die Bedingung, ohne die die Sowjetunion nicht hätte weiterexistieren können, aber auch die Grundlage, auf der die USA als imperialistische Führungsmacht gegen den Sozialismus gewaltig erstarkten und alsbald zum Rückhalt gefährlichster Restauration und Innovation des Imperialismus wurden. So trug die Lösung der Hauptaufgabe, einen atomaren Weltkrieg zu vermeiden, weil er die Grundfrage unlösbar gemacht hätte, widersprüchlicherweise dazu bei, im sozialistischen Lager wie in der sozialistischen Weltbewegung einen Neutralismus zu fördern, der schließlich wesentlich zum Versagen in der Grundfrage beitrug.

Wenn die Hauptaufgabe nicht unmittelbar mit der Lösung der Grundfrage verbunden ist (wie etwa einmal die Hauptaufgabe der Industrialisierung der Sowjetunion oder der „allseitigen Stärkung der DDR“), kann sie in die Dialektik führen, sich der Lösung der revolutionäre Grundfrage des Klassenkampfes vermittelt durch Reformschritte oder auch Klassenkoalitionen zu nähern; diese Mittelbarkeit kann unverzichtbar sein, um die Lösung der Grundfrage offen zu halten, birgt aber oft zugleich die Gefahr, sich von der Lösung der Grundfrage zu entfernen.

Trotzden sehe ich die Hauptaufgabe der revolutionären Bewegung in den imperialistischen Zentren derzeit nicht in einer unmittelbaren Vorbereitung auf revolutionäre Möglichkeiten, sondern vorerst darin, die immer noch fortschreitende konterrevolutionäre Bewegung zu stoppen.

In diesem Gedankenzusammenhang stieß ich auf die Frage, wie man - solange es konkret darum geht, eine Gegenrevolution zu stoppen, und nicht darum, eine Revolution zu entfachen - den Marginalisierten (möchten sie auch noch weit davon entfernt sein, selbst zu einem revolutionären Subjekt zu werden) helfen könne, ihre eigenen Interessen selbst zu vertreten und zu vermeiden, daß die herrschende Klasse sich wieder einmal ihr Elend zunutze und sie mittels einer Demagogie den Interessen des Kapitals gegen ihre eigenen Interessen dienstbar mache.7

3. Der Kapitalismus vermag seine allgemeine Krise keineswegs zu lösen. Vielmehr weitet der Imperialismus sie permanent global aus, und sie verschärft sich durch neue Technologien, solange das Kapital diese durch sie mögliche Erhöhung der Arbeitsproduktivität dazu benutzt, um immer mehr Arbeitsplätze überflüssig zu machen. So verelenden bei ständig wachsender Mehrwertakkumulation immer größere Massen. Damit wird die Revolution immer notwendiger, zugleich aber scheint das Subjekt, das sie zu vollziehen vermöchte, sowohl quantitativ hinsichtlich der Masse von produktiven Lohnarbeitern als auch qualitativ hinsichtlich ihres revolutionären Bewußtseins, keineswegs zu erstarken.

Ob das revolutionäre Subjekt der Zukunft durch den tiefgreifenden Wandel der Lohnarbeiterklasse durch die technologische Umwälzung in den imperialistischen Metropolen entsteht oder aus dem neuen Industrieproletariat, das sich wider Willen das Kapital überall in der Welt schaffen muß, wohin es sich im Bestreben, wohlfeile „Standorte“ zu nutzen, begibt, ist schwer voraussehbar. Gewiß ist, daß eine revolutionäre Situation und ein revolutionäres Subjekt sich gegenseitig bedingen. Solange beides nicht gegeben ist, kann eine politische Bewegung zwar hinsichtlich ihres Bewußtseins an ihrem revolutionären Gehalt, hinsichtlich ihrer Taten jedoch nur daran gemessen werden, wie energisch und wie wirksam sie dem Fortschreiten der Gegenrevolution widersteht. Nur so wird der Weg offen gehalten für die kommende Phase der Revolution.

II. Das Problem und die Erfahrungen der deutschen Arbeiterbewegung

Zu den Einwänden von Ulrich Huar gegen die angemerkten Analogien.

Ich beginne mit den sich mir im historischen Rückblick aufdrängenden Analogien - nicht Parallelen! 8 - sowohl im Blick auf Glanz und Elend der deutschen Sozialdemokratie im preußisch-deutschen Kaiserreich als auch im Blick auf die Ratschläge von Marx und Engels zum konkret-politischen Verhalten der Kommunisten in der Zeit der Entstehung des „Manifestes“. Mit ihnen wollte ich allerdings meine Frage nicht begründen, sondern nur erläutern. Wenn sie verfehlt sein sollten, bleibt doch „der Realitätsgehalt von Müllers Problem ...: Es gibt die PDS als eine Partei, in der trotz ihres klar nichtkommunistischen Programms zahlreiche Kommunisten organisiert sind“, wie H. H. Holz konzediert, obwohl er „die Gretchenfrage Müllers nach der 'Vereinigung von Revolutionären und Reformern' 9 „als sinnlose Frage“ zurückweist.

Damit bleibt aber auch die Alternative: Ist es notwendig, probabel oder unzulässig, daß Kommunisten in der PDS wirken? Darum geht es mir! Und ich registriere, daß mir alle bisherigen Gesprächspartner darin zustimmen, es sei pragmatisch hier und heute zulässig - ihr Einspruch richtet sich dagegen, daß ich das Problem zu theoretisch und damit zu allgemeingültig angesprochen und mich hinsichtlich der historischen Bezüge auf die Geschichte der Arbeiterbewegung geirrt hätte.

Hinsichtlich der Geschichte der Arbeiterbewegung bin ich Amateur, wenn nicht sogar verglichen mit Sachkennern wie meinen Kritikern Huar und Holz schlicht Dilettant. Darum nehme ich (a) die von Ulrich Huar angemeldeten fünf Bedenken gegen meine Vermutung, die deutsche Sozialdemokratie habe bereits in der Zeit vor dem ersten Weltkrieg einen sozialrevolutionären und -reformerischen Flügel umfaßt, als Bereicherung meines Wissens in allerlei Punkten dankbar zur Kenntnis und überprüfe (b) auch gern meine Interpretation der Aussagen von Marx und Engels in der Mitte des vorigen Jahrhunderts über das Verhalten der Kommunisten zu anderen Parteien.

Allerdings habe ich zu den von Huar geforderten Korrekturen meiner Geschichtssicht einige Gegenfragen:

a) Zur Geschichte der deutschen Sozialdemokratie

Wenn die Sozialdemokratie vor dem 1. August 1914 „keine reformistische Partei“ war 9 und ihr Parteivorstand in der Tat noch am 25. Juli 1914 die deutschen Arbeiter zum Massenprotest gegen die österreichischen und russischen Kriegsabsichten aufrief, wie kam es dann, daß ihre Reichstagsfraktion nur eine Woche später am 3. August 1914 (nach dem Überfall auf Luxemburg!) mit 78 zu 14 Stimmen beschloß, im Reichstag die Kriegskredite einstimmig zu bewilligen, und das am 4. August (nach dem Überfall auf Belgien!) auch tat 10 und daß sogar Karl Liebknecht erst vier Monate später am 2. Dezember 1914 im Reichstag als einziger die Fraktionsdisziplin brach und gegen die Kriegskredite stimmte?

Ich hatte (immerhin nur in einer Anmerkung und in der Anmerkung in Klammern!) die deutsche Sozialdemokratie im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts insgesamt - mit ihrem zentristisch zusammengehaltenen revolutionären und revisionistischen „Flügel“ - als reformistische Partei betrachtet. Dem widerspricht Huar entschieden: „Die deutsche Sozialdemokratie war vor dem 1. August 1914 keine reformistische Partei. ... Die Existenz von drei Strömungen in einer Partei ist ein anderer Sachverhalt als eine reformistische Partei. Wenn Eduard Bernstein und andere versuchten, die Partei durch Revision der marxistischen Theorie in eine 'systemimmanente' Partei zu verwandeln, gelang ihm ... dies zunächst nicht. ... Nur eines war deutlich: revolutionäre und reformistische Kräfte innerhalb einer Partei können dauerhaft - auch in 'Friedenszeiten' - nicht koexistieren. ... Zwischen den drei Strömungen bestand keineswegs ein 'innerparteilicher Burgfrieden' ... Allerdings versäumten die Repräsentanten des revolutionären Flügels, sich organisatorisch rechtzeitig von den Revisionisten zu trennen. ... “ [11]

Tatsächlich hatte ich einem „innerparteilichen Burgfrieden“ (zwischen Revolutionären und Reformisten) den „nationalistischer Burgfrieden“ (der Sozialdemokratie mit der Reaktion) entgegengesetzt, um den Umschlag vom August 1914 zu pointieren. Diese Wahl des Begriffs „Burgfrieden“ war gelinde gesagt leichtfertig und unglücklich (insoweit hat Huar zweifellos Recht). Immerhin aber setzt ein „Burgfrieden“ ja nicht einmal den Schein des Friedens, sondern das Bild einer belagerten Festung voraus, und die Frage, gegen wen die Burg gehalten wird, ist ebenso wichtig wie die Frage, wer in der Burg in wessen Interesse den „Frieden“ wahrt. Huar spricht immer wieder von „friedlichen“ oder „Friedenszeiten“; dabei markieren die Anführungszeichen nicht etwa, wie man irrtümlich meinen könnte, Zitate aus meinem Text, sondern besagen, daß Huar die gemeinten Zeiten allenfalls für scheinbar, nicht aber wirklich „friedlich“ hält; damit hat er recht, verschiebt aber ein wenig die Alternative. Denn ich habe nicht einmal in Anführungsstrichen von „friedlichen Zeiten“ gesprochen, sondern von „nicht revolutionären Situationen“; sie können, müssen aber nicht als „friedlich“ erscheinen. Gegenwärtig befinden wir uns in der Situation einer immer brutaler fortschreitenden Konterrevolution, die nicht von ferne „friedlich“ erscheint. Sie halte ich für so gefährlich, daß ich ihr gegenüber die Zusammenarbeit von Revolutionären mit Reformern in einer Partei erwägenswert fand und finde, sofern diese Reformer, wenn auch prinzipiell antirevolutionär, konkret gegen die Konterrevolution und nicht etwa für sie wirken. [12] Ich fragte und frage mich, ob solche „Koexistenz“ nicht zweckmäßig wäre, um der Konterrevolution Kräfte zu entziehen, die sich hinsichtlich einer Revolution neutral oder skeptisch verhalten?

Dabei kam es mir auf den Klassencharakter einer solchen von widersprüchlichen Strömungen geprägten Partei im Verhältnis zur ihrer Massenbasis an [13] . Im Blick darauf hatte ich geschrieben, mir „schiene“ die Sozialdemokratie damals (vor 1914) eine zwar „reformistische und keineswegs revolutionäre“, aber auch keine „im Interesse der Bourgeoisie ... zur Wahrung des Klassenfriedens“, manipulierte, also bürgerliche, Partei gewesen zu sein, sondern eine „im eigenen Interesse“ der „sozial Marginalisierten“ organisierte, also eine, wenn auch reformistische, so doch proletarische Partei. [14] , die - wie ich meine - erst 1914 definitiv die historische Aufgabe der Arbeiterklasse verraten hat.

Huar meint, auch in „Friedenszeiten“ könnten revolutionäre und reformistische Kräfte nicht in einer Partei koexistieren und die deutsche Sozialdemokratie sei vor dem ersten Weltkrieg keine „reformistische Partei“ gewesen. Ihm ist es anscheinend gewiß, daß Reformismus immer und überall zum „Klassenverrat“ führen müsse, wenn er es nicht schon per se ist; mir aber ist das zweifelhaft, wenn auch der Reformismus per se die Versuchung zum Klassenverrat enthält und darum jederzeit dazu führen kann und also ein sehr großes Risiko birgt.

Nachdem Huar konstatiert hat: „Die deutsche Sozialdemokratie vor dem 1. August 1914 war keine reformistische Partei“, wirkt es unerklärlich unvermittelt, wenn er fortfährt: „1914 stand die [doch von dieser Partei geführte und repräsentierte - HM] Arbeiterklasse theoretisch, ideologisch und politisch vor einem Trümmerhaufen.“ [15] Ist es da nicht einleuchtender, den Klassenverrat der Sozialdemokratie im August 1914 durch die quantitative Verschiebung der innerparteilichen Kräfteverhältnisse nach rechts vermittelt zu sehen? Solche Verschiebung droht in einer reformistischen Partei immer - eben das Risiko! -, und kann wie 1914 zum qualitativen Umschlag des sozialistischen in den bürgerlichen Klassencharakter solcher Partei führen, die dann aus einer reformistischen Partei des Proletariats zu einer imperialistische Partei für das Proletariat (nämlich zu einem Instrument der herrschenden Klasse zu seiner Domestizierung) wird. Eben diese Versuchung und Gefahr müssen Kommunisten überall und immer bekämpfen - aber ob sie das hier und heute wirksamer „von innen“ oder „von außen“ kön-nen, sollten sie jedenfalls gemeinsam und jeweils konkret entscheiden. Dazu jedoch muß die Alternative erst einmal als offene und nicht längst entschiedene Frage gestellt werden - und das wollte ich mit meinen Bemerkungen tun.

Ich selbst gehöre keiner Partei an, aber ich möchte politisch aktiv helfen, den Imperialismus zu überwinden, mit dem die Welt dem Abgrund zuläuft. Darum möchte ich geklärt wissen, auf welchem Weg das am besten zu erreichen ist: Dadurch, daß man wie etwa die „Kommunistische Plattform“ innerhalb der PDS um deren antikapitalistische Kampfkraft ringt? Oder dadurch, daß man wie etwa die DKP seine Mitglieder auf den „offenen Listen“ der PDS kandidieren läßt, ihre Wahl empfiehlt und zugleich als Bündnispartner von außen versucht, ihren Opportunismus zu bremsen? Oder indem man selbst PDS und DKP gleichermaßen als revolutionäre Alternative entgegentritt, wie andere kommunistische Parteien und Gruppen das versuchen?

Ich denke, diese Frage kann nur richtig entschieden werden auf Grund einer sorgfältigen Analyse der gegenwärtigen sozialökonomischen und politisch-ideologischen Situation und Kräfteverhältnisse und insofern theoretisch - auch wenn Holz meint, gerade mein Wunsch nach „theoretisch fundierten Gründen“ [16] habe mich irregeführt. Immerhin wird H. H. Holz ja der Letzte sein, der kein Verständnis für Marx' Dictum hat: „Ehe das Proletariat seine Siege auf Barrikaden und in Schlachten erficht, kündigt es seine Herrschaft durch eine Reihe intellektueller Sieg an.“ Ganz offensichtlich hat doch neben vielem anderen das Erschlaffen des theoretischen Bewußtseins in der kommunistischen Bewegung seit Anfang der fünfziger Jahre ganz wesentlich zu ihrer Stagnation und dem Untergang des sozialistischen Lagers beigetragen.

Darum geht es mir zwar um theoretisch begründete, keineswegs aber um abstrakte Entscheidungen, die überall und immer gelten müßten, sondern um eine sehr konkrete Entscheidung, die, auch wenn sie richtig wäre, von heute auf morgen falsch werden könnte. Denn nicht nur - wie Huar richtig feststellt - „zu spät“ können sich Revolutionäre und Reformisten in einer Partei trennen, sondern auch zu früh. Und überdies ist eine Entscheidung, die man zur rechten Zeit versäumt hat, oft nicht mehr dadurch zu korrigieren, daß man sie zur Unzeit voreilig nachholt. Wahrscheinlich wäre eine Spaltung der SED angesichts der Konterrevolution zukunftsträchtiger gewesen als ihre Transformation in die PDS. Aber was damals versäumt worden ist, kann jetzt nicht mehr nachgeholt werden. [17]

b) Die Partei und die Parteien

Hier bedarf es der Klärung, was „Partei“ heißen soll: Das, was z. B. Lenin unter „der“ Partei verstand oder was im bürgerlich-parlamentarischen Verfassungsrecht so heißt? Dabei erschwert es möglicherweise meinen Gesprächspartnern das Verständnis, daß meine politisch-historische Identität überwiegend ideologisch und nicht (wie die ihre durch die Trennung von der - auch „Unabhängigen“ - Sozialdemokratie im Gründungsakt der KPD) wesentlich auch organisatorisch geprägt ist.

Huar hält es für verfehlt, daß ich Begriffe wie „anschließen“, „unterstützen“, „Kartell-“ oder „gemeinsame Politik“ machen, die in Engels Grundsätzen und im Kommunistischen Manifest vorkommen, dahin interpretiere, es ginge um die Möglichkeit für Kommunisten, „in“ nichtkommunistischen Parteien zu arbeiten: „Mit der Gründung des Bundes der Kommunisten wurde eindeutig auch die organisatorische Selbständigkeit und politische Unabhängigkeit der Kommunisten, die organisatorische Abgrenzung von nichtkommunistischen Parteien und Organisationen vollzogen. Wenn nicht um ihrer organisatorischen Selbständigkeit und politischen Unabhängigkeit willen, warum dann die Gründung eines Bundes der Kommunisten?“ fragt Huar.

Genau um das Wiederentstehen eines Bundes aller Kommunisten oder eines Analogons zur Ersten Internationalen geht es mir und in diesem Sinne durchaus um „die organisatorische Selbständigkeit und politische Unabhängigkeit der Kommunisten“ und um ihren Zusammenschluß in einer Partei der Kommunisten. Das meinte ich mit dem Satz, daß die Kommunisten „ihre vor allem unter dem Druck der Reaktion, aber auch unter dem unbewältigten Schwergewicht der KPdSU zur Zeit der weltgeschichtlichen Stärke des sozialistischen Lagers entstandene Zersplitterung ... überwinden, ... sich insbesondere theoretisch wieder verständigen“ und „auf der Basis wiedergewonnener ideologischer Gemeinsamkeit prüfen [sollten], welche Organisationsform und politische Arbeitsmethode ihnen heute national und international angemessen wäre.“ Eine Avantgarde - ganz in dem Sinn, wie Holz das meint (Vgl. Anm. #17) - als verschworene Gemeinschaft, aber keineswegs als Gemeinschaft von Verschwörern, halte ich für unverzichtbar, ihre Auflösung für unannehmbar: sie darf weder in der Gesamtarmee auf- noch untergehen, muß aber in sie eingehen. Denn ohne Verbindung mit einer Gesamtarmee wäre sie zwecklos, als Selbstzweck von ihr abgelöst, würde sie aus einem Bahnbrecher zu einer puristischen Sekte.

Dieser Begriff der „einen Partei der Kommunisten“ hat aber einen anderen Inhalt als der Begriff der vielerlei „Parteien“, der zum Beispiel dem Art. 21. GG oder dem „Parteiengesetz“ der BRD zugrundeliegt.

Auch wenn Holz daran zu zweifeln scheint, daß wir darin einig sind, stimme ich ihm doch zu, daß „ein Kampf für systemverändernde Reformen mit dem letztendlichen Ziel des revolutionären Übergangs zu einer neuen Systemform“ einer politischen Organisation bedarf, „die dieses Kampfziel programmatisch ansteuert, es auch in Reformzeiten im Bewußtsein hält und in sich revolutionär zuspitzenden Krisensituationen zum Kristallisationskern aller auf Umwälzung ausgehenden Kräfte werden kann“ - der Kommunistischen Partei. [18] Ist aber die Exklusivität zwingend, mit der Holz fortfährt: „Wer sich gemäß dieser Zielsetzung als Kommunist versteht, kann sich sinnvoller Weise nirgends anders als in einer Kommunistischen Partei organisieren“? [19] Ich habe zwei Gegenfragen: Warum schreibt Holz hier in „einer“ (einer beliebigen unter mehreren?) und nicht in „der“ Kommunistischen Partei samt der Auskunft, welche das ist? Und: Muß, wer sich so als Kommunist versteht, sich nicht vielmehr überall da engagieren und, wenn zweckmäßig, auch organisieren, wo er in der Gesellschaft derer ist, in deren besonderen Interesse es einer Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse bedarf? Sind Kommunisten darum nicht aus gutem Grund bis heute in Einheitsgewerkschaften organisiert und wirken deren Reformismus und Opportunismus eben nicht als „Rote Gewerkschaftsopposition“ von außen, sondern von innen entgegen? Warum gelten die gleichen Argumente nicht im Blick auf die PDS? Nur darum nicht, weil sie „Partei“ heißt? Gemessen an dem, was Kommunisten unter ihrer Partei verstehen, halte ich das für eine „res solo titulo“, das heißt für eine bloße Frage der Bezeichnung.

Außer Streit steht ja, daß Kommunisten sich in antiimperialistischen Massenbewegungen organisieren; sie haben das in der alten Bundesrepublik vierzig Jahre lang getan; dabei repräsentierten diese Massenbewegungen - gegen die Remilitarisierung, gegen die Atombewaffnung, gegen die Pershing-Stationierung - zeitweilig außerpalamentarisch die Bevölkerungsmehrheit, und Kommunisten spielten dabei sogar zuweilen eine führende Rolle - nicht als „fünfte Kolonne“ konspirativ-subversiv, wie der Gegner diffamierend behauptete, sondern indem sie die Themen aufwarfen, die die Massen mobilisierten. Aber die politische Wirksamkeit dieser außerparlamentarischen Bewegungen fand ihre Grenze an der Stelle, wo es auf die Frage, „wen sollen wir in Parlamente wählen?“ keine politikfähigen Antworten gab: die „Bewegung“ konnte ja als solche keine Kandidaten präsentieren, und eine Empfehlung, etwa KPD oder DKP oder Splitterparteibündnisse zu wählen, wäre - ganz abgesehen von der Frage, ob das nicht sektiererisch gewirkt hätte - schon wegen der antidemokratischen Fünfprozenklausel ineffizient geblieben. Wenn nun Massen ihren Protest gegen die konterrevolutionäre Annexion der DDR durch die Wahlstimmen für die PDS demonstrieren, ist dann die Tatsache, daß dieser Verein „Partei“ heißt und diese Demonstration nicht nur außerparlamentarisch wirkt, ein zureichender Grund, sich mehr zurückzuhalten als bei anderen Organisationen und Bewegungen antiimperialistischen oder antikapitalistischen Charakters, die doch oft ebenso halbseiden waren wie die PDS?

Ich halte einen organisierten und disziplinierten, ideologisch historisch-dialektisch-materialistisch und ökonomisch sozial und politisch revolutionär orientierten Zusammenschluß aller Kommunisten durchaus für unverzichtbar, also in diesem Sinne des Wortes noch einmal: eine Kommunistische Partei. Sie aber ist gegenwärtig in Deutschland so nicht vorhanden. Denn quantitativ finden sich wahrscheinlich immer noch die meisten deutschen Kommunisten in der PDS, die gewiß keine kommunistische Partei ist; viele gehören zur DKP, die aber keineswegs alle deutschen Kommunisten in sich vereinigt; und andere sind in verschiedenen Parteien und Bünden organisiert und zugleich zersplittert, von denen sich einige (mit oder Zusatz) KPD nennen, aber keineswegs einen repräsentativen Teil der Kommunisten in Deutschland umfassen.

Daß es demgegenüber eine „Partei der Kommunisten“ im Sinne des Kommunistischen Manifestes geben müßte, steht für mich nicht zur Disposition. Das ist eine strategische Frage.

Ihr aber steht eine taktische Frage gegenüber, und sie stelle ich zur Disposition, nämlich: Hält es diese Partei der Kommunisten für zweckmäßiger, ausschließlich selbst im bürgerlich-verfassungsrechtlichen Sinne der Grundordnungen ihrer respektiven Länder oder Territorien als „Partei“ aufzutreten? Oder hält sie es für zweckmäßiger, daß Kommunisten vorrangig in Zusammenschlüssen als Vorkämpfer wirken, in denen sich unter bürgerlicher Klassenherrschaft Leidende oder gegen sie Aufbegehrende sammeln, auch wenn diese im bürgerlich-verfassungsrechtlichen Sinne als „Parteien“ (und nicht nur als Massenbewegungen oder -organisationen) auftreten?

Das, meine ich, müßte „die Partei“ (in jenem grundsätzlicheren Sinne des Wortes) an ihrem strategischen Ziel messen und von Fall zu Fall, und also nicht willkürlich, allerdings auch nicht prinzipiell, wohl aber verbindlich entscheiden und dann permanent ihre Genossen dazu anleiten, diese ihnen von „der Partei“ gestellte politische Aufgabe in solchen „Parteien“ so optimal zu erfüllen, wie zum Beispiel auf der anderen Seite der Klassenfront die römischen Kirche in vielen sogenannten christdemokratischen Parteien wirkt, ohne daß je der Schrei „Subversion“, „Konspiration“ oder „Unterwanderung“ laut würde - übrigens aus gutem Grund, solange hier nichts geheim, illegal oder verschwörerisch, sondern alles offen und öffentlich geschieht.

Um solche taktischen Entscheidungen des Bundes der Kommunisten über regionales Verhalten ihrer Partei scheint es mir an den Stellen zu gehen, die ich aus Engels Grundsätzen und dem Kommunistischen Manifest zitiert hatte. Deshalb möchte ich die Begriffe „schließen sich ...an“, „unterstützen“, „sich verständigen“ usw. nicht über einen Leisten schlagen, sondern sie in ihrem je eigenen Gehalt unterschiedlich verstehen; ich sehe in ihnen kein Rezept für alle Situationen und halte es darum auch für keinen Widerspruch, wenn Marx und Engels zwei Jahre später eine „allgemeine Einigung und Versöhnung“ in „einer großen Oppositionspartei“, ablehnen, weil sie in der nun konkret gegebenen Situation befürchten, dabei würden kleinbürgerliche über proletarische Interessen dominieren. Darum habe ich an die von mir zitierten Sätze auch weder die These geknüpft, es bedürfe überhaupt keiner organisatorisch selbständigen und politisch unabhängigen kommunistischen Partei, noch pauschal die These, Kommunisten hätten grundsätzlich politisch in anderen Parteien zu arbeiten, sondern nur die Überlegung, hier und heute könne es konkret sinnvoll sein, zu prüfen, inwieweit Kommunisten nicht nur den bürgerlich-verfassungsrechtlichen Parteistatus für sich in Anspruch nehmen, sondern politisch auch so wirken könnten, daß sie um die und in der - allerdings reformistischen und nicht kommunistischen - PDS kämpfen, um den Fortgang der Gegenrevolution zu hemmen. Insofern finde ich Huars Einspruch gegen meine Interpretation etwas zu schematisch.

Meine Überlegung stößt allerdings noch vor allen theoretischen schon auf erhebliche praktische Schwierigkeiten.

Leider nämlich beschreibt Huar den gegebenen Zustand durchaus treffend: „Wie sich Kommunisten in der PDS in Zukunft verhalten werden, müssen sie selbst entscheiden. Es ist unwahrscheinlich, daß sie den Charakter der Partei werden verändern können. Jedoch müssen ihre Gründe, in der PDS zu verbleiben, respektiert werden.“ [20] Ich halte es für fatal, daß jeder Kommunist individuell für sich selbst entscheiden muß, ob er sich einer derjenigen kommunistischen Parteien (und dann welcher?) anschließt, die zwar einen bürgerlich-verfassungsrechtlichen Parteienstatus haben, aber nicht allzu viel damit anfangen können, weil die gesellschaftlichen Verhältnisse der Bundesrepublik die mit diesem Status eigentlich gemeinte, nämlich parlamentarische Wirksamkeit fast unmöglich machen, oder ob er „in der Partei bleibt“, beziehungsweise sich der PDS anschließt. Aber ich frage: Vielleicht wäre es, wenn alle Kommunisten es zur Hauptaufgabe erklärten, den Charakter der PDS auf diesem Wege zu bessern, nicht ganz so unwahrscheinlich, daß ihnen das gelänge, wie Huar meint? Und wäre es demgegenüber, wenn man an eine solche Änderung zum Besseren überhaupt nicht „glaubt“- wie anscheinend Hans Heinz Holz [21] - nicht besser, wenn alle Kommunisten sich darauf einigten, diese unhaltbare Stellung zu räumen, statt in ihr Kräfte zu vergeuden?

Darum schiene es mir nötig, daß nicht lauter vereinzelte Individuen, sondern alle Kommunisten gemeinsam dies Problem diskutierten und entschieden, also - absichtlich paradox formuliert -: die Kommunistische Partei müßte entscheiden, ob die Kommunisten unter gegebenen Bedingungen politisch wirksamer arbeiten können, indem sie sich ausschließlich als „Partei“ im Sinne bürgerlichen Verfassungsrechtes betätigen [22] oder vorrangig in der PDS, die, wenn alle Kommunisten sie verließen, kaum noch fähig wäre, der herrschenden Klasse in Deutschland immerhin mehr Angst einzujagen - wie das ja, oh Wunder!, immer noch zu geschehen scheint - als alle politisch-ideologisch saubereren, aber kleineren kommunistischen Kräfte zusammen. Aber diese Kommunistische Partei, nämlich den Bund aller Kommunisten und Marxisten in PDS, DKP und anderen kommunistischen Parteien und Organisationen, gibt es nicht. Darum kann sie auch nicht diese Entscheidung treffen.

Immerhin deutet sich in der Diskussion dieser Frage unter den bisher Beteiligten ein Konsens über ein Interim an, in dem beide Wege als legitim gelten sollen, wenn auch jedem einzelnen die Entscheidung zugeschoben wird, welchen er geht. Das kann nur ein Anfang sein.

Auf der anderen Seite bietet die innere Entwicklung in der PDS immer weniger Hoffnung, man könne mit ihr ein ernsthaftes Hindernis gegen den Fortgang der Konterrevolution aufbauen. Auch Kommunisten in ihr beginnen ebenso ängstlich um „Anerkennung“ durch „ihre“ Parteiführung zu buhlen wie diese um Anerkennung durch SPD und Grüne, welche ihrerseits durch Anpassung an die CDU/CSU „politikfähig“ zu werden trachten (und dabei das Gegenteil bewirken), während die CDU/CSU so weit nach rechts marschiert, daß es der „Republikaner“ gar nicht mehr bedarf. Das Ganze kullert wie angestoßene Billardkugeln nach rechts.

So möchte ich gegenüber der Skepsis von Huar und Holz fast die Flagge streichen und ihnen uneingeschränkt Recht geben.

Aber die PDS erweist sich in den Wahlen in Ostdeutschland - zuletzt in Berlin - als nahezu unverwüstlich, sicher nicht darum, weil ihre Wähler eine „andere Sozialdemokratie“ möchten (sogar der „richtigen“ laufen sie ja weg [23] ), sondern weil die Beobachtung von Hans Heinz Holz stimmt: „Die PDS ist nun für viele Menschen in der DDR ... die einzige Institution, die ... für ihre durch die Annexion zerstörten oder gefährdeten Lebensbedingungen kämpft. Das sind unmittelbare Interessen vor und unabhängig von der Entscheidung für Sozialismus oder Kapitalismus, für Reformen oder gar eine ferne Revolution. Kommunisten und Nichtkommunisten können als ehemalige DDR-Bürger in der PDS ihren Ort finden.“ „Und dabei geht es“, meint Holz, „nicht um Nostalgie (die man den DDR-Bürgern gern hämisch unterstellt), sondern ... um die Fortdauer der ideellen Kraft einer zwar gestürzten historisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit, die aber doch aus dem Lebensgefühl der Menschen nicht eliminiert ist.“

Genau das dürfte auch die Erklärung dafür sein, warum die (von braun über schwarz, blau, gelb, rosa bis grün vereinigte) deutsche Reaktion über jeden Wahlerfolg der PDS - wie charakterlos auch immer deren Führung dem Antikommunismus Weihrauch streut - mehr lamentiert als über alle kommunistischen Parteien und Bewegungen außer der PDS zusammen. Denn der Maßstab, an dem die Bourgeoisie mißt, was sie integrieren und was sie ausmerzen will, ist - mehr als ein abstraktes Verhältnis zu Marxismus, Kommunismus, Sozialismus überhaupt - die konkrete Stellung zur DDR. So meint einer ihrer klügeren Repräsentanten, nämlich Richard von Weizsäcker, (diplomatisch, wie er ist, unter Berufung auf Hörensagen), es sei auch „innerhalb der PDS gar nicht ein Gegensatz zwischen hartgesottenen Kommunisten und Reformsozialisten anzutreffen ...; es gäbe mehr einen Unterschied zwischen solchen, die sich ernsthaft auf die Einheit eingelassen haben und sie auch voll und ganz bejahen, und anderen, die der Einheit gegenüber nach wie vor Vorbehalte hätten.“ [24]

*

Nach meinem Eindruck gibt es zwischen meinen Kritikern und mir mehr Konsens, als diese zu vermuten scheinen. Ich nenne in Anlehnung an Holz die Übereinstimmmung:

·      in der Beobachtung, daß die Strategie der PDS-Führung (so gewiß ihr Einfluß darauf beruht, daß sie „teilweise real und vor allem verbal“ dem Lebensgefühl ihrer DDR-Basis Rechnung trägt) darauf hinauslaufe, „die Integration in das kapitalistische Deutschland zu betreiben, also die sozialen und historisch-politischen Interessen ihrer Klientele preiszugeben“ [25] ;

·      in der These: „... die Wirklichkeit, aus der dieses [DDR-Bürger-]Selbstbewußtsein gewachsen ist, war aber die den Sozialismus aufbauende Gesellschaft ... und wer die menschenverachtende Praxis des Kapitalismus fühlt oder erkennt und ihr widerstehen will, der muß sich auf die Alternative zu kapitalistischen Produktionsverhältnissen beziehen“;

·      in dem Hinweis auf den Widerspruch, daß die PDS-„Spitzenfunktionäre ... die ihnen aus der geschichtlichen Situation zugefallene Rolle gar nicht zu übernehmen bereit sind“, während „die Anhänger der PDS ihre Partei in dieser Rolle sehen“;

·      in dem Verständnis für Kommunisten, die „diese Auseinandersetzung auf dem Boden der Partei führen wollen“ und endlich in der Meinung, diese Kommunisten in der PDS würden das nur „organisiert“, „im Kontext mit den Kommunisten in Deutschland (? [26] ) und international“ tun können.“ [27]

Auch darin stimme ich Holz völlig zu, daß „solange diese Unentschiedenheit dauert ... der Widerstand gegen den Opportunismus (und nicht die duldende Koexistenz) die Front [sei], an der sich die Kommunisten in der PDS zu behaupten haben“. [28] Warum aber erklärt er dann fast ebenso resignativ wie apodiktisch, „daß sie [diese Kommunisten] die PDS zu einer wahrhaft sozialistischen, daß heißt nicht-reformistischen Partei machen könnten, glaube ich nicht.“ [29] Müßte er sie nicht, wenn er das meint, von dieser „Front“ zurückrufen oder ihnen erklären, aus welchem strategischen oder taktischen Grund sie auf diesem verlorenen Posten ausharren müssen?

III. Das Porblem des „Neutralismus“

a) Zum Thema „Demokratischer Sozialismus“

Ulrich Huar fragt, ob ich nicht ungewollt das Problem Demokratischer Sozialismus und Wissenschaftlicher Sozialismus „in den Bereich subjektiver Befindlichkeiten“, verlagerte, indem ich objektivistisch konstatiere, daß ihre Repräsentanten sich „zu Recht oder Unrecht gegenseitig Verrat vorwerfen“.

Natürlich stimme ich mit ihm überein, daß „für die theoretische Reflexion ... objektive Kriterien zugrunde gelegt werden“ müssen. [30] Überdies halte ich alles, womit solche, die „Wissenschaftliche Sozialisten“ sein wollten, ihrer eigenen Sache geschadet haben, für Puppensünden, gemessen an dem Schaden, den diejenigen dem gesamten Fortschritt der Menschheit zugefügt haben, die sich „Demokratische Sozialisten“ nannten. Wie ich objektiv-historisch über die Paralyse der kommunistischen Weltbewegung denke, ist kein Geheimnis. Sie begann mit der Unfähigkeit, nach Stalins Tod einen klaren Kurs zu steuern, und wurde manifest beim XX. Parteitag der KPdSU, von dem jeder weiß, daß ich ihn für ein Unglück hielt und halte; hinter ihm stand schon latent das, was nach dem „Jännerplenum“ in der CSSR, von dem jeder weiß, daß ich es für den Auftakt zu einer Konterrevolution hielt und halte, seit dem Frühjahr 1968 immer offener unter der Chiffre Demokratischer Sozialismus den Sozialismus destabilisierte.

Aber an der Stelle, die Huar kritisiert, ging es mir nicht um diese Geschichte selbst, sondern um ihre widersprüchliche Wahrnehmung. Dieser Aspekt gehört von vornherein „in den Bereich subjektiver Befindlichkeit“ und muß darum nicht erst in ihn verlagert werden. In diesem Zusammenhang sehe ich besonders im gegenseitigen Mißtrauen zwischen „wissenschaftlichen“ und „demokratischen Sozialisten“ ein Hindernis ihrer Zusammmenarbeit gegen die Konterrevolution, die doch nicht etwa alle Demokratischen Sozialisten gewollt, sondern lediglich nicht als solche erkannt haben und leider zum großen Teil bis heute nicht erkennen. Eine Wurzel dieses Mißtrauens finde ich darin, daß damals (seit Anfang der fünfziger Jahre) die fällige offene politisch-ideologische Feldschlacht nicht stattgefunden hat. Stattdessen versanken beide Seiten im Sumpf von Intrigen, Unterminierung und Subversion und gerieten in einen Kampf im Dunkeln, bei dem sich Freund und Feind ebensowenig gegenseitig wie untereinander noch zu erkennen vermochten.

Dabei ist es keine müßige, aber eine hier nicht auszudiskutierende Frage, welche Faktoren bei dieser verhängisvoll nachhaltigen Desorientierung der Massen zusammenwirkten: Die Bequemlichkeit von Parteiführungen, die „keine Konflikte liebten“, die Umschaltung der imperialistischen Generalstrategie vom flagrant-offenen Angriff auf subversiv-verdeckte Unterminierung des Sozialismus, ein Erschlaffen sowohl des revolutionären Elans als auch des theoretischen Bewußtseins in weiten Kreisen der Arbeiterklasse ebenso wie in Führungskadern ihrer Parteien, die Ausstrahlungskraft des sich ausbreitenden bürgerlichen ideologischen Skeptizimus und Indifferentismus bis in die sogenannte „sozialistische Intelligenz“ hinein, der sich in vielen Führungsapparaten durchsetzende nackte Pragmatismus, in dem man ein Sichabfinden mit dem status quo „Realismus“ nannte und seinen Opportunismus mit „Sachzwängen“ rechtfertigte und was sonst noch alles?

Das hat seine Spuren hinterlassen. Weniger auf den Feind als vielmehr auf den Verräter sind viele noch im politischen Kampf orientiert, eben weil sie zu oft Feinde für Freunde gehalten und sich dann von ihnen mehr verraten als geschlagen gefühlt hatten. Das sind „subjektive Befindlichkeiten“. Gewiß ändern sie nichts daran, daß es objektiv Feinde und Verräter gibt. Aber um den Blick dafür, wer Freund, wer falscher Freund und Verräter, wer getarnter und wer offener Feind ist, wieder zu gewinnen, hielt ich es für sinnvoll, diese subjektiven Befindlichkeiten zunächst einmal zur Kenntnis zu nehmen, um sie zu überwinden. Darum habe ich versucht, den Gegensatz zwischen „demokratischen“ und „wissenschaftlichen“ Sozialisten so zu beschreiben, daß diejenigen, die sich selbst so nennen - womit ja wiederum noch keineswegs feststeht, ob sie das sind - sich nicht schon bei ihrer Charakterisierung mißverstanden oder gar mißdeutet - jawohl!: - „fühlen“; und darum habe ich die Frage „zu Recht oder Unrecht?“ für die, die ich ansprechen wollte, offen gelassen, statt sie selbst zu beantworten.

Denn ich möchte ja aus allen Lagern der Vergangenheit so viele wie möglich zum Kampf gegen den Imperialismus in der Gegenwart gewinnen, und ich halte dafür, daß es vielen leichter fällt, hier und heute diesen Kampf aufzunehmen, als ihre ganze Lebensgeschichte noch einmal neu unter dem Gesichtspunkt zu durchdenken, ob sie sich in der Frage des Revisionismus 1953, 1956, 1968 oder gar, betört von den Friedenssirenentönen Gorbatschows, von 1985 bis 1989 richtig oder falsch verhalten, vielleicht so oder so gar die Misere selbst mitverursacht haben, gegen die sie nun aufstehen müssen.

Wenn sie heute zu richtiger Parteinahme finden - und darauf kommt es mir an! -, dann werden sie schon aus Gründen intellektueller Redlichkeit spontan das Bedürfnis spüren, ihr bisheriges Geschichtsbild zu revidieren, und das wollte ich ihnen nicht durch etwas erschweren, was ihnen doch nur als „Besserwisserei“ und „Gängelei“ erschienen wäre.

Ich spreche aus Erfahrung! Als bürgerlicher Hitlergegner war ich auch 1944 meiner Klasse noch so fest verbunden, daß ich über das Mißlingen des Putsches vom 20. Juli 44 tief enttäuscht war - subjektive Befindlichkeit! Aus den Erfahrungen der westdeutschen Nachkriegsrestauration erwuchs spontan das Bedürfnis, dieses elitär-bürgerlich-antinazistische Geschichtsbild zu revidieren. Dabei haben mir Kommunisten geholfen, gerade indem sie nicht die Frage „wie stehst du zum 20. Juli“, sondern die Frage: „wie stehst du zur Rehabilitierung der Faschisten und zur Remilitarisierung Westdeutschlands“ in den Mittelpunkt stellten und mit mir in dem Duktus sprachen: „ob du dir zu Recht oder Unrecht vom Putsch der deutschnationalen Generale 1944 Gutes versprochen hast, heute möchten wir mit dir zusammen im Sinne des Schwurs von Buchenwald handeln!“

Wenn wir mit denjenigen, die in Gorbatschow einen Hoffnungsträger für eine verjüngende Belebung des Marxismus-Leninsmus gesehen haben, und mit denjenigen, die dem fassungs-, aber auch wirkungslos gegenübergestanden haben, gemeinsam der Konterrevolution begegnen und dem Imperialismus widerstehen wollen, dann - denke ich - müssen wir damit anfangen, uns darüber zu einigen, wie man (beiderseits besser als zuvor) gegenwärtig Geschichte macht; während man das tut - dessen bin ich mir sicher -, wird es dann beiderseits leichter, sich über vergangene Geschichte zu verständigen.

b) Zum Thema „Dritter Weg“

Hans Heinz Holz hat völlig Recht: Der Dritte Weg ist „nicht nur das Letzte, sondern das Überhaupt-nicht“, auf das ich hinaus wollte; bin ich wirklich dort gelandet? Ich denke kaum! Holz begründet seinen Vorwurf in drei Thesen. [31]

In seiner erster These meint Holz, auch wenn es einer reformistischen Partei subjektiv ehrlich um die Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse gehe, bewirke die Bindung der Reformpolitik „an die grundsätzliche Bejahung der Systemstruktur, die sie reformieren will“, doch deren „Perfektionierung“ und damit das Gegenteil dessen, was beabsichtigt sei.

Schlußfolgerung in der zweiten These: „Eine systemimmanent reformistische Partei endet notwendigerweise im Opportunismus“. Zwar konzediert Holz: „Reformen im System“ (das hatte ich „systemimmanent“ genannt) „stoßen allerdings irgendwann an die Grenze, wo sie zu Reformen am System, also ... letztlich systemsprengend werden müssen.“ An dieser Stelle, meint er, führe der Reformismus spontan zum Opportunismus, zur Anpassung und schließlich „völligen Integration.“

In der dritten These konstatiert er, zum „Kampf für systemverändernde Reformen mit dem letztendlichen Ziel des revolutionären Über-gangs zu einer neuen Systemform“ bedürfe es nicht nur einer Kommunistischen Partei, sondern jeder, der sich „mit dieser Zielstellung als Kommunist“ verstehe, könne „sich sinnvoller Weise nirgends anders als in einer Kommunistischen Partei organisieren.“

Kompliziert wird die Diskussion nun darum, weil ich all diesen Thesen gar nicht widerspreche, obwohl Holz sie doch meinen Fragen entgegensetzt. (Eine Ausnahme bildet nur mein sehr differenzierten Einwand gegen die Exklusivität - das „nirgends anders“ - im allerletzten Zitat, den ich schon artikuliert habe.)

Ich hatte (in dem von Holz sogar selbst einleitend zitierten Satz) gesagt, die mir vorschwebende „zwar systemimmanent(e) und nicht systemsprengend(e) und also reformistisch(e)“ Partei dürfe nicht „opportunistisch“ sein. Gerade um zu verhindern, daß sie sich „vom Kapital in dessen Interesse dirigieren“ lasse, hatte ich ein Engagement sozialrevolutionärer Kräfte in ihr empfohlen. Dabei hatte ich durchaus die stets virulente Versuchung einer solchen Partei im Auge, sich gegen die Interessen der ihr vertrauenden Massen denen des Kapitals anzupassen; darum ging es mir keineswegs um eine „duldende“, sondern um eine höchst streitbare „Koexistenz“ in solcher Partei. Schließlich war auch ich davon ausgegangen, daß solche Partei auseinanderbrechen müßte, wenn eine „revolutionäre Situation“ einträte, um es mit Holz' Worten zu sagen: die „Grenze“ erreicht sei, „wo „Reformen im System ... zu Reformen am System, also systemverändernd, letztlich systemsprengend werden müssen“. Dann aber meine ich, würden die innerparteilichen Kräfteverhältnisse hinsichtlich der Frage „systemimmanent oder systemverändernd“ desto günstiger sein, je mehr Kommunisten in solcher Partei die Perspektive der Systemveränderung und -sprengung vorausgesehen und offen gehalten hätten.


Einige Erwägungen zum Aufkommen einer neuen Wahlalternative

von Hanfried Müller

 

Die Erinnerung daran, worüber wir vor zehn Jahren in den WBl debattierten, zeigt erschreckend, wie sehr in der Welt und in Deutschland der politische Zustand seit damals nicht nur stagniert, sondern sich verschlimmert. Der durch die Konterrevolution entfesselte Imperialismus eskaliert weiterhin nach innen und außen. Der Sozialabbau hat mit der Agenda 2010 und den Hartzgesetzen in Deutschland einen damals kaum vorhergesehenen Höhepunkt erreicht. Der Weltfrieden ist an vielen Stellen nachhaltiger, als von vielen befürchtet, gestört worden und das imperialistische Deutschland beteiligt sich immer ungenierter und unmittelbar daran - von der Zerstörung Jugoslawiens bis zu immer mehr „out-of-area-Einsätzen“ der Bundeswehr.

Blickt man heute zurück auf die Vorstellungen, die wir noch 1995 hinsichtlich der Möglichkeit linker politischer Alternativen erörterten, fühlt man sich an die Geschichte von den Sibyllinischen Büchern erinnert: Bekanntlich verbrannte die Sibylle einen beträchtlichen Teil ihrer Bücher, nachdem ihr erstes Angebot ausgeschlagen worden war, und verlangte für den verbleibenden Rest einen vielfachen Preis.

So bietet nun auch die „Linkspartei/PDS“, die sich aus WASG und PDS um Lafontaine und Gysi formiert, den Marginalisierten weniger als das, was noch vor zehn Jahren möglich gewesen wäre, wenn sich damals die PDS zu einer Partei gemausert hätte, „die zwar systemimmanent und nicht systemsprengend“ und also reformerisch und nicht revolutionär (deshalb aber keineswegs unbedingt opportunistisch) „die Interessen des unteren Drittels in der kapitalistischen ‘Zweidrittelgesellschaft’“ vertreten hätte, „ohne sich vom Kapital in dessen Interesse dirigieren zu lassen“. Sie hat aber das Gegenteil getan, und darum bringen ihre Politstars und politisch verkommenen Nachwuchskader aus der Verfallszeit des Sozialismus womöglich noch selbstverständlicher antikommunistische „Kröten“ in die neue „Linkspartei/PDS“ ein, als sie schon vor zehn Jahren derjenige schlucken mußte, der damals PDS wählte. Insofern bietet die „Linkspartei/PDS“ diesmal nicht nur „weniger“, sondern das, was sie bietet, der Sybille gleich, überdies zu einem höheren Preis.

Aber ist das Fazit dieser zehn Jahre nur negativ?

Vor zehn Jahren wurde die durch den Erfolg der Konterrevolution drohende Verelendung eines erheblichen Teils der Bevölkerung fast nur im Blick auf Ostdeutschland und von Ostdeutschen wahrgenommen. Dabei wurde ihr möglicher Widerstand durch den paradoxen Wunsch paralysiert: „Erhaltet uns, was wir durch die ‘Wende’ bekommen haben (vor allem die DM), ohne uns zu nehmen, was uns der Sozialismus geboten hatte (vor allem die ‘zweite Lohntüte’, die soziale Sicherung)“. Demgegenüber empfanden die Westdeutschen seit dem Sieg der Konterrevolution vor allem den Verlust von sozialen Erleichterungen, die sie zwecks Ruhigstellung im internationalen Klassenkampf erhalten hatten, als schmerzlich und wünschten: „Erhaltet uns das, womit ihr uns vor der Wende im antisozialistischen Kampf bestochen hattet (das ‘soziale Netz’)“.

Bisher wirkte sowohl in Erinnerung an das, was die Ostdeutschen an sozialen Errungenschaften und sozialer Sicherheit mit dem Sozialismus verspielt hatte, als auch in Erinnerung an das, was die Westdeutschen an sozialem Standard mit der gegen die gefürchtete sozialistische Revolution geschaffenen „sozialen Marktwirtschaft“ (des rückblickend so genannten rheinischen Kapitalismus: „Sozialbindung des Eigentums“) verloren hatten, als Hemmnis bei der Verteidigung von durch die Konterrevolution bedrohten sozialen Errungenschaften. Denn diese Erinnerung verdrängte den sozialen Aspekt zugunsten eines territorialen Verständnisses der Misere.

Und die Betroffenen akzeptierten in nahezu unbegreiflicher Weise diese „Ost-West-Demagogie“, ganz so wie individuell Verzweifelte zum Rauschgift greifen.

Den Nutzen daraus zog das nach Maximalprofit strebende Kapital. Es konnte den in der Konterrevolution zielbewußt von ihm verschärften sozialen Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit jahrelang als territorialen Interessenwiderspruch zwischen Ost- und Westdeutschland auszugeben und sich darauf verlassen, daß er auch spontan so wahrgenommen werde. Dieses quid pro quo diente ihm als wesentliches demagogischen Instrument zur Spaltung derer, die ein elementares Interesse an der Wahrung oder Rückgewinnung ihres Lebensstandards gegenüber der immer rüderen Durchsetzung von Profitinteressen hatten.

Diese Täuschung wird nun brüchig. Denn mit Entstehung der WASG wurde endlich auch in Westdeutschland die dort mit der Konterrevolution für das untere Drittel der Gesellschaft (es könnte bald mehr als ein Drittel sein) zunehmende Verelendung thematisiert, und zwar sozial (wie sehr sozial machen die, allerdings nicht allzu wörtlich zu nehmenden, fast klassenkämpferischen Passagen in Lafontaines Reden deutlich ) und nicht territorial. (Territorial allerdings immer noch von der PDS, deren konterrevolutionären Führer wie z.B. Gysi sich gerade in die Festung einer Ostpartei einschließen möchten, um der Parteinahme und dann eventuell der Selbstentlarvung in der sozialen Frage zu entgehen).

Zwar ist auch die Wahlalternative keineswegs eine sozial-ökonomische Alternative. Sie bestünde in der Aufhebung jeder Macht des Kapitals, die derzeit jeden Erfolg einer gesellschaftlich-politischen Alternative auszuschließen scheint. Die Aufhebung dieser Monopolmacht aber kann nur von den Produzenten des gesellschaftlichen Reichtums - und produktiv ist nicht das Kapital und seine Eigentümer, sondern die gesellschaftliche Arbeitskraft - realisiert werden, also indem die Lohnarbeiter Verhältnisse schaffen, unter denen sie nicht mehr für das Kapital, sondern für sich selbst produzieren. Das aber kann nur geschehen, wenn sie aufhören, individualisiert um Almosen von den über allen gesellschaftlichen Reichtum Verfügenden zu bitten, und beginnen, kollektiv allen gesellschaftlichen Reichtum ihrer eigenen Verfügung zu unterwerfen, also nur durch eine sozialistische Revolution.

Der aber steht vorerst die - durch den Sieg der Konterrevolution in Osteuropa, aber nicht nur dadurch, sondern schon vorher durch die „sozialstaatliche“ Variante imperialistischer Politik in Westeuropa erreichte - Rückentwicklung der Arbeiterklasse von einer Klasse für sich zu einer Klasse an sich entgegen. Anschaulicher gesagt: In Osteuropa wurde der revolutionäre Elan der Arbeiterklasse dadurch gebrochen, daß sie angesichts der - zweifellos durch eigene Fehler mit verursachten - Niederlage im Vollzug der sozialistischen Revolution an dieser selbst resignierte. In Westeuropa aber war sie schon vorher durch die Nachkriegs-„Sozial“-Politik korrumpiert worden, die ihr beigebracht hatte, mit dem „rheinischen“ Kapitalismus habe sie jedenfalls mehr zu verlieren als nur ihre Ketten.

So fürchtete ein erheblicher Teil der Arbeiterklasse, gerade auch hinsichtlich krisenbedingter Rückschläge, den Verlust mühselig akkumulierten Kleineigentums weit mehr als den Verlust klassenmäßiger Solidarität gegenüber dem Großkapital. Von ihm fühlten sich die Werktätigen nicht nur immer abhängiger, sondern waren es auch tatsächlich. Und bis heute sehnt sich gerade der sozial und ökonomisch relativ sicherste Teil dieser „Klasse an sich“, an ihrem wirklichem kollektiven gesellschaftlichen Klasseninteresse resignierend, allenfalls zurück in den goldenen Käfig jenes „Rheinischen Kapitalismus“, der doch der Bourgeoisie nur solange nützlich war, wie sie ihr Kapital revolutionär gefährdet sah, strebt aber nicht mehr oder noch nicht wieder als „Klasse für sich“ vorwärts zu einer gesellschaftlichen Umwälzung im kollektiven eigenen Interesse gegen die Macht des Kapitals.

So ist der in seiner Existenzsicherheit bedrohte Teil der Arbeiterklasse ebenso wie breite kleinbürgerliche, krisengeschüttelte oder bereits desozialisierte Schichten im heutigen Deutschland durchaus für die Hoffnungen ansprechbar, die ihnen die eben jetzt entstehende „Linkspartei/PDS“ vermittelt: Zwar ist es für die Linke bei dieser Wahl gar nicht möglich, solchen parlamentarischen Einfluß zu gewinnen, daß sie die künftige Politik vom Parlament aus positiv mitbestimmen könnte. Immerhin aber kann sie mit der Wahl ein Signal setzen, das Signal: Unsere Geduld mit denen, die in Deutschland in den letzten Jahren die Politik bestimmten oder mitbestimmten und jedenfalls durchsetzten, ist zu Ende!

Je deutlicher dieses Signal gesetzt wird, das heißt je mehr Stimmen die „Linkspartei/PDS“ bekommt, desto leichter wird es sein, den parlamentarischen Einbruch für den Start zu einem außerparlamentarischen Durchbruch zu nutzen. Insofern halte ich die Grundlinie der meisten Wahlempfehlungen aus kommunistischen Kreisen: „Wählt die Linkspartei/PDS und entwickelt eine breite außerparlamentarische antiimperialistische Opposition gegen Militarismus und Sozialabbau!“ für völlig richtig. (Vgl. dazu die Dokumentation S. 2).

Die Linkspartei wählen heißt zuerst nur Protest: Nein zur weiteren Eskalation des deutschen Imperialismus in außenpolitischer Aggressivität und innenpolitischem Sozialabbau! Dieses Nein allein, wenn es massenhaft gesagt wird, ist bereits ein Haltsignal gegenüber der weiteren imperialistischen Eskalation. Um diese imperialistische Politik jedoch umzukehren, bedarf es noch eines weiten Weges, beginnend mit der antiimperialistischen Konzeption einer gesellschaftlich-ökonomischer Alternative zur kapitalistischen Gesellschaft als solcher.



Gedenktage

Rede zum 8. Mai

von Hans Heinz Holz

Zwei Tage im 20. Jahrhundert sind es, deren wir als Ruhmestage in der Geschichte der Arbeiterklasse zu gedenken haben: des Tages der Oktoberrevolution und des Tages der Befreiung vom deutschen Faschismus.

Zwei Weltkriege waren es, in denen der Imperialismus unsägliches Leiden über die Menschen gebracht hat. In zwei Weltkriegen erwies sich, daß der Kapitalismus unfähig ist, den gesellschaftlichen Reichtum, den die arbeitenden Menschen schaffen, zum Wohl aller produktiv zu machen. Kolonialismus und Unterdrückung, ökonomische Krisen und schließlich Kriege sind es, die aus der pivaten Aneignung der in gesellschaftlicher Arbeit erzeugten Werte entspringen.

Wenn wenige von der Ausbeutung der Vielen leben und auf deren Kosten immer reicher werden, brauchen sie Macht, um ihre Vorherrschaft zu erhalten und das bestehende System vor Veränderungen zu bewahren. Der Kapitalismus hat seine Geschichte begonnen mit der Forderung nach der Freiheit des Individuums. Er muß damit enden, die Freiheit aller zu unterdrücken, um den Profit der Wenigen zu garantieren. Der Faschismus war kein Unfall und kein Irrweg im Kapitalismus, sondern dessen notwendige Konsequenz. Und er ist mit dem Sieg vom 8. Mai 1945 nicht überwunden worden, sondern eine ständige Gefahr, solange es das kapitalistische System gibt.

Wer von diesem System der Ausbeutung keinen Vorteil hat, kann es kompromißlos bekämpfen. Das ist die Arbeiterklasse. Arbeiterinnen und Arbeiter haben nur ihre Arbeitskraft, die sie auf den Markt bringen können; aber diese Arbeitskraft ist es, dank derer produziert wird, was den Wohlstand der Gesellschaft ausmacht. Daß die Produzenten des Reichtums, also die arbeitenden Menschen, auch die Verfügung über die Verwendung des Reichtums zum allgemeinen Wohl haben sollen, ist logisch sinnvoll und ethisch gerecht. Die ersten, die sich zu diesem Ziele zusammenschlossen, nannten sich „Bund der Gerechten“. Das war die Geburtsstunde der kommunistischen Bewegung. Zehn Jahre später schrieben Marx und Engels das „Kommunistische Manifest“.

Da haben wir gelernt, die Geschichte als eine Geschichte von Klassenkämpfen zu begreifen. Gerechtigkeit, auch Brüderlichkeit haben zu allen Zeiten die Religionen und Philosophien als Ziel der Gesellschaft und als Leitfaden des Verhaltens der einzelnen gelehrt. Aber nicht die Bosheit der Menschen, nicht das Wirken eines Teufels bringen Unterdrükkung und Ausbeutung in die Welt; und es reicht nicht aus, guten Willens zu sein, um dem Unrecht zu widerstehen und Gleichheit, Solidarität und Frieden zu schaffen. Marx, Engels und Lenin haben uns gezeigt, daß es die Produktionsverhältnisse sind, die den Zustand der Gesellschaft und die Widersprüche in ihr hervorbringen.

So bilden die Oktoberrevolution, der Faschismus und der Sieg über den deutschen Faschismus einen historisch-gesellschaftlichen Zusammenhang. Der Aufbau des Sozialismus in einem Sechstel der Erde gab dem Klassenkampf eine neue weltpolitische Dimension. Die ökonomische Krise in den hochkapitalistischen Staaten verschärfte zugleich die Konkurrenz zwischen den imperialistischen Mächten und die sozialen Auseinandersetzungen. In dieser Situation griffen die Imperialisten zu brutaler Gewalt, um ihre Herrschaft zu erhalten. Sie errichteten - mit den Worten Dimitroffs - „die offen terrorristische Diktatur der reaktionärsten, der am meisten chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“. Das bedeutete die Unterdrückung der Arbeiterklasse im eigenen Land und Krieg gegen andere Länder.

Diese Strategie zerbrach an dem unbeugsamen Abwehrkampf der sozialistischen Sowjetunion und dem Widerstand der Völker gegen die deutschen Okkupanten. Als Stalin das Erbe Lenins antrat, hatte die Sowjetunion die Erschütterungen von Krieg und Bürgerkrieg gerade hinter sich. Unter großen Opfern wurde in zwanzig Jahren eine Gesellschaft errichtet, die den Menschen soziale Sicherheit gewährte; eine industrielle Produktion und wissenschaftliche Forschung entstanden und bildeten die Voraussetzung dafür, daß die Völker der Sowjetunion die deutschen Faschisten besiegen konnten. Stalins forcierte Aufbaupolitik hatte sich als richtig erwiesen.

Die nächste Etappe auf dem Weg zu einer Welt des Friedens stand nun auf der Tagesordnung. Als Hitler 1942 erklärte „Wir werden Rußland vernichten, so daß es sich niemals wieder erheben kann“, entgegnete Stalin in der Rede zum Jahrestag der Oktoberrevolution: „Wir haben nicht die Aufgabe, Deutschland zu vernichten, so wie es unmöglich ist, Rußland zu vernichten. Aber den Hitlerstaat vernichten kann man und muß man.“

Und in der Proklamation am 9. Mai 1945, anläßlich des Sieges, nahm Stalin noch einmal Bezug auf diese Drohung Hitlers und auf dessen Ankündigung, er werde Rußland zerstückeln; und er wiederholte nochmals im Augenblick des militärischen Triumphes: „Die Sowjetunion feiert den Sieg, wenn sie sich auch nicht anschickt, Deutschland zu zerstückeln und zu vernichten.“ Stalin skizzierte dann die Idee einer Weltordnung, in der statt der Machtpolitik der Großen „eine dauerhafte wirtschaftliche, politische und kulturelle Zusammenarbeit der Völker, begründet auf gegenseitigem Vertrauen und gegenseitiger Hilfe“ bestehen solle. So haben wir die Sowjetunion in den Jahren nach der Befreiung erlebt: hilfreich in den Notzeiten des Wiederaufbaus nach den Kriegszerstörungen, bemüht um eine Friedenspolitik, Freund und Verbündeter der Völker, die sich vom Kolonialismus befreiten.

Der Sieg über den deutschen Faschismus war ein Sieg der fortschrittlichen Kräfte in der Welt. Und wir, die wir 1945 jung waren und aus dem antifaschistischen Widerstand kamen, hatten die Hoffnung und den Willen, eine neue friedliche und von Ausbeutung freie Welt aufzubauen.

Die Gründung der UNO war ein Ausdruck dieser Zukunftsvision. Es sollte eine Völkergemeinschaft des Rechts, in Frieden und Freiheit entstehen. Gleichberechtigung und Respekt voreinander in der Vielfalt der Kulturen war das Programm. Und vergessen wir nicht, daß in der Satzung der UNO viele jener Inhalte aufgenommen wurden, die 1936 in der Verfassung der Sowjetunion festgelegt worden waren.

Unsere Gesellschaft ist definiert durch den Klassengegensatz von Bourgeoisie und Proletariat.

Die Klassenherrschaft der Bourgeoisie führt tendenziell zum Faschismus. Aber wir müssen wohl unterscheiden: Nicht alle Angehörigen der bürgerlichen Klasse identifizieren sich mit faschistischen Herrschaftsformen, nicht alle Fraktionen der Bourgeoisie haben ein Interesse an der Gewaltanwendung im Dienste des Monopolkapitals.

Die bürgerliche Gesellschaft ist entstanden aus dem Geiste der Aufklärung. Sie hat für Vernunft und Menschenrechte gegen die Unvernunft und die Willkür des Feudalismus gekämpft. Ihre Ideale waren die der Emanzipation aller Menschen. Es war eine Illusion, daß dies unter den Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise möglich sei. Aber es war, wie Marx sagte, eine „heroische Illusion“. Der Individualismus der vielen kleinen Privateigentümer, der Handwerker und Kaufleute und kleinen Bauern hat die Freiheit des einzelnen im Sinn und nicht die Machtkonzentration der Monopole. Von diesem Individualismus kann durchaus ein Weg führen zur freien solidarischen (und nicht egoistischen) Assoziation der Bürger. Die Herrschaft der Monopole ist ihrem Lebensinteresse genau so feindlich wie dem Lebensinteresse der Proletarier. Gegen Imperialismus und Faschismus gibt es eine gemeinsame Front, ein Bündnis aller Menschen, die unter der Diktatur des Kapitals dessen beraubt werden, was sie zu Menschen macht: der Vernunft, aus eigener Einsicht entscheiden und handeln zu können.

Der Kapitalismus erniedrigt die Menschen zu bloßen Instrumenten im Mechanismus der Kapitalverwertung. Das höchste Stadium des Kapitalismus ist der Imperialismus, die Konzentration des Kapitals in immer weniger Händen und die extreme Aggressivität dieser Kapitalmächte in der Konkurrenz gegeneinander und in der Unterdrückung der Ausgebeuteten. Der Faschismus ist die Herrschaftsform, in der die Imperialisten ihre menschenverachtende Politik gegen die große Masse der Menschen mit brutaler Gewalt durchsetzen.

Doch es war eine Illusion, zu glauben, mit der Zerschlagung des deutschen Faschismus seien auch die Ursachen des Faschismus überhaupt beseitigt worden. Solange die Gesellschaft kapitalistisch organisiert ist, üben die Eigentümer der Produktionsmittel die Herrschaft aus über die Arbeitenden, die die Produktionsmittel bedienen, schöpfen den Mehrwert ab, um immer weiter Kapital zu akkumulieren und unterdrücken jeden Widerstand, der sich gegen die Ausbeutung erhebt. Auf diesem Boden wächst immer von neuem die Giftpflanze des Faschismus.

Und der Faschismus hat viele Gesichter! Fixiert auf das Erscheinungsbild des deutschen Nationalsozialismus streiten sich die Wissenschaftler, in welchen Fällen man sonst von Faschismus sprechen dürfe. Waren das Regime des Generals Franco in Spanien, des Generals Pinochet in Chile etwa nicht faschistisch? Gewiß, Spanien und Chile waren keine imperialistischen Mächte - dazu fehlte ihnen die ökonomische und militärische Stärke. Aber die Franco und Pinochet übten ihre Gewaltherrschaft im Einverständnis mit den imperialistischen Zentren aus, um den Sieg emanzipatorischer Bewegungen in ihren Ländern zu verhindern. Man könnte von einem „Compradoren-Faschismus“ sprechen, den die Lakaien des Imperialismus praktizieren.

War der Terrorkrieg der US-Army in Vietnam, sind die Kerker von Guantanamo nicht faschistisch, nur weil die USA insgesamt nicht - noch nicht - ein faschistischer Staat sind?

Der Faschismus droht überall, wo der Imperialismus wütet. Wir gedenken des 8. Mai 1945 nicht als eines fern liegenden historischen Datums, sondern weil wir wissen, daß wir immer noch in einem Kampf auf Leben und Tod mit jenen Kräften stehen, die bereit sind, ihre Interessen mit unmenschlicher Gewalt durchzusetzen. Das sind jene, für die Krieg Profit bedeutet und Terrorherrschaft und Besitz sichern soll.

Wohin wir schauen, wird in den imperialistischen Monopolen - in den USA, in Europa, in Japan - die Demokratie demontiert. In allen diesen Staaten wird gerüstet und Krieg vorbereitet. Offen beanspruchen die imperialistischen Großmächte, dem „Rest der Welt“ (wie der USA-Präsident Bush verächtlich sagte) vorzuschreiben, was diese Staaten tun dürfen und wie sie leben sollen. Nationale Eigenständigkeit wird mit Waffengewalt bedroht. Was seit einem halben Jahrhundert mit dem palästinensichen Volk geschieht, ist ein langsamer permanenter Genozid.

Das Kapital kann sich nicht vermehren ohne Produktion, und um zu produzieren, braucht es die natürlichen Ressourcen dieser Erde. Die Metropolen müssen die Energiequellen und Naturschätze der anderen Länder ausplündern, wenn ihr Kapital weiter wachsen soll. Das ist das gemeinsame Interesse der Imperialisten, dafür halten sie zusammen. Aber jeder will den größten Anteil an der Beute haben, und jeder muß den anderen vom Markt verdrängen, um selbst zu wachsen. Das ist der Widerspruch im kapitalistischen System, und alle Völker werden in diesen Widerspruch hineingezogen.

Von den zerstörerischen Widersprüchen im System befreit uns nur der Widerspruch gegen das System. Er entsteht, weil das Kapital selbst sein Gegenteil nötig hat und hervorbringt. Es gäbe kein Kapital, wenn es nicht die Lohnarbeit gäbe, die nicht nur die Güter produziert, die wir brauchen, sondern dazu den Mehrwert, der das Kapital wachsen läßt. Alle Widersprüche im kapitalistischen System erwachsen aus dem Grundwiderspruch des Systems, dem Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital.

Darum ist der Sieg der Arbeiterklasse das Ende des Kapitalismus, der uns in die Barbarei des Faschismus geführt hat und immer wieder zu führen droht. Schon 1892 hat Karl Kautsky geschrieben: „Ein Beharren in der kapitalistischen Zivilisation ist unmöglich; es heißt entweder vorwärts zum Sozialismus oder rückwärts in die Barbarei.“ Rosa Luxemburg hat daraus den Kampfruf gemacht: Sozialismus oder Barbarei!

Am 8. Mai 1945 konnte die fortschrittliche Menschheit einen denkwürdigen Sieg über die Barbarei erringen. Die Konterrevolution hat uns viel davon wieder abgenommen - aber keineswegs alles. Die in kolonialer Abhängigkeit gehaltenen Länder konnten wenigstens ihre formelle Selbständigkeit gewinnen, einige von ihnen sind heute Großmächte, die sich den imperialistischen Mächten entgegenstellen können.

Aber nicht auf der Ebene der Staaten wird die Entscheidung über die Zukunft der Menschheit fallen, sondern im Klassenkampf, den die Massen in internationaler Solidarität und Kampfgemeinschaft führen. Das ist die Lehre und Hoffnung des 8. Mai.


 

„6. und 9. August 1945“*

Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki

von Dieter Frielinghaus


Diese*beiden Tage im August mahnen uns Jahr für Jahr an die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Sie kündigten eine furchtbare Gefahr für das Überleben der Menschheit an.

Die Nachricht war kurz. Sie wies auf die Neuartigkeit der Waffe hin. Ich hörte davon mit 16 Jahren im zerstörten Braunschweig. Die Erwachsenen ahnten Dunkles und sprachen bedrückt von entfesselter Zerstörungskraft. Doch bald nahmen ihre Sorgen in den Trümmern wieder überhand. Gern wüßte ich, ob die Zeitungen schon bald Angaben über die Masse der Opfer und Erörterungen der neuen Lage brachten. Aber daß ich das Wort „Verbrechen“ über diese böse Tat damals weder gehört noch gelesen habe, weiß ich noch.

Dagegen hört man immer wieder von dem möglichen Selbstmord der Menschheit reden. Dies halte ich für eine bare Frechheit. Die Menschen wollen es nicht und tun es nicht. Die mörderische Möglichkeit liegt bei denen, welche diese Waffe haben und haben wollen, weil sie zu ihrem Einsatz bereit sind. Zuweilen läßt sich eine Person dafür benennen. Der wirkliche Name des Täters heißt Imperialismus.

Das scheußliche Verbrechen hat viele Seiten. Durch die beiden Bomben auf Japan starben gegen 150 000 Menschen sofort und ebenso viele unter den grauenvollen Qualen infolge der Verstrahlung noch immer bis heute. Den Verantwortlichen ist es für lange Zeit gelungen, die Strahlenkrankheit weithin zu verheimlichen.

Man brauchte die Bombe nicht, um Schlimmeres zu verhüten. Mit dem Schlimmsten geht das nicht. Ihr nächster Zweck war, die Sowjetunion einzuschüchtern, also Verrat an der Allianz der Völker. Am Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Aufrüstung für den Dritten Weltkrieg betrieben. Mit Hiroshima wurde der Kalte Krieg gegen den Sozialismus eingeleitet. Mißbraucht wurden die Wissenschaftler und Techniker, welche die Bombe hergestellt hatten. Diese hatten es tun müssen, weil die Nazis sich um die Bombe bemühten und sie im Erfolgsfalle eingesetzt haben würden. Sichere Vergeltung sollte sie davon abhalten. Nach dem Sieg über sie wollten die Konstrukteure in den USA statt der Anwendung einen Test vor der Weltöffentlichkeit. So hätte gerade diese Waffe die erste werden können, die zu ihrer Abschaffung gebaut wurde und andere nach sich gezogen hätte.

Aber die Besitzer der Bombe wollten den Bau einer gerechteren Welt mit täglicher Todesgefahr bedrohen. Demgegenüber war der Bruch ihres Monopols im August 1949 mehr als eine erste Entlastung für die Sowjetunion, es war eine Tat für den Frieden.

Die Bombe um ihrer Abschaffung willen noch zu haben, war nur ein Bestandteil umfassender Friedenspolitik der Sowjetunion, die ihren Verzicht auf den Ersteinsatz garantierte. Immer überlegenere Rüstung zur Erpressung des sozialistischen Lagers zu erringen, war die Politik des Kalten Krieges der USA. Sie haben die Bereitschaft zum Erstschlag stets ausdrücklich festgehalten. Dies tun sie auch jetzt nach dem Wegfall der angeblichen „Bedrohung aus dem Osten“. Dies beweist, daß der höhere Zweck der Atomwaffen für den Imperialismus darin besteht, die Menschen, die Völker niederzuhalten.

Das haben die Völker verstanden. Im März 1950 rief der Weltfriedensrat den Stockholmer Appell zum Verbot und zur Ächtung der Atomwaffen aus und weltweit unterschrieben 500 Millionen Menschen. Dies geschah unter Verleumdung und Verfolgung der Streiter für den Frieden in den Ländern des Imperialismus, zumal in den USA.

Heute sprechen viele in der Friedensbewegung kaum noch von der Atomgefahr. Dabei ist sie sogar noch größer geworden. Der Imperialismus droht an vielen Stellen der Welt mit der Bombe, was Gegenwehr hervorruft, die verzweifelt werden kann. Er will dekretieren, welche Staaten als terroristisch zu gelten haben, und sich selbst alle Zerstörungskraft sichern, um als der in Wirklichkeit einzige Terrorist Angst und Schrekken zu verbreiten.

Die Bundesrepublik ist daran unmittelbar beteiligt. Als Unterzeichner des Nichtweitergabe-Vertrrages sowie anderer Bindungen darf sie atomare Waffen weder besitzen noch herstellen, lagern oder anwenden. Trotzdem läßt sie die USA mindestens 150 Atombomben auf deutschem Territorium stationieren. Mehr noch, die Bundeswehr läßt eigene Soldaten zum Fliegen und gegebenenfalls zum Abwerfen der tödlichen Fracht ausbilden und stellt sie der US-Army zur Verfügung. Dagegen erhebt sich sogar namhafter Protest. Die internationale Organisation von Ärzten gegen nuklearen Krieg (IPPNW) hat diese Ungeheuerlichkeit auch in diesem Jahr gebrandmarkt. Über 120 Bürgermeister deutscher Städte haben sich in einem Offenen Brief an die Bundesregierung angeschlossen. Zur Unterstützung dieses Protestes haben Genossen unserer Partei (scil.: DKP - Red. WBl) zahlreiche Unterschriften in der Bevölkerung gesammelt. Aber das alles wird in den herrschenden Medien unterdrückt.

Der 60. Jahrestag der ersten Proklamation dieser Gefahr will unsere Überzeugung erneuern, daß der Kampf um Gerechtigkeit, Frieden und Freundschaft auch der Kampf gegen die atomare Rüstung sein muß.


 

Nachwort: Einige Worte über das Heute.*

von Ervin Roznyai

I. Die Wurzeln des Faschismus in der Struktur des Imperialismus der Gegenwart


Seit langem als besiegt geltende Krankheiten sind wieder auferstanden: die Lungenschwindsucht, die Cholera, die Pest ; die gefährlichste von allen aber ist der Faschismus. Die einst unter die Erde vertriebenen Schreckgestalten werden wieder lebendig, die braune, schwarze und grüne Hemden tragenden Gespenster der Vergangenheit. Hier verschleiert, dort aber - immer öfter - nisten sie sich ein mit schamloser Offenheit in staatliche Einrichtungen, in die Presse, in die Nervenzentren des Geistes und der Kultur, zersetzen sie das Denken mit ihrem Gift. Wenn wir die Ursachen der Erscheinungen, ihre heutigen Eigenheiten und die Aussichten sie zu bremsen durchschauen wollen, dann müssen wir die gegenwärtige transnationale Phase des Imperialismus vergleichen mit der vorherigen staatsmonopolistischen Phase, welche ursprünglich den Faschismus zur Welt brachte.

In zwei wesentlichen Momenten unterscheidet sich die transnationale Phase von der vorangegangenen: in technisch-wirtschaftlicher Beziehung durch die Entfaltung und Ausbreitung der wissenschaftlich-technischen Revolution, in politischer Beziehung durch die Selbstauflösung der Sowjetunion und die strategische Niederlage der internationalen Arbeiterbewegung. Das zweite Moment ist jenes, welches es dem internationalen Kapital ermöglichte, die wissenschaftlich-technische Revolution überhaupt durchzuführen und für sein eigenes Wohl nutzbar zu machen, sowie dabei die außerordentlich hohen Kosten des Strukturwechsels auf die arbeitende Bevölkerung der Zentren und hauptsächlich auf die „dritte Welt“ zu übertragen. Ohne die radikale Umwälzung der politischen Machtverhältnisse wäre der Imperialismus kaum imstande gewesen, die Ausbeutung in einem solchen Ausmaße zu steigern und die Oberhand über die Kostenpunktkrise der siebziger Jahre zu gewinnen.

Die wissenschaftlich-technische Revolution brachte qualitative Veränderungen in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Struktur des Imperialismus hervor.

Die Veränderungen pflegt man gewöhnlich als Bewegungen des Überbaues – wirtschaftspolitischer und ideologischer Art – zu charakterisieren: es geschieht „Entstaatlichung“: der Staat verläßt die Wirtschaft. Natürlich ist daran etwas Wahres. Nach unseren Erfahrungen zeigt sich jedoch das Wesen der neuen Phase des Imperialismus nicht in der staatlichen Regulierung, in den Daten der quantitativen Neuverteilung, sondern in einer qualitativen Veränderung, darin, daß sich infolge der Revolution der Produktivität, also der organischen Zusammensetzung des Kapitals und die tendenziell-sprunghaft fallenden Profitrate die Bedingungen der Akkumulation umgestalten und die zyklische Bewegung des Kapitals neue, globale Formen annahm.

1.   Die Revolution der Produktivität – die wissenschaftlich-technische Revolution - potenziert oder vervielfacht die Herstellungs- und Unterhaltungskosten des konstanten Kapitals (c) und verringert damit gleichzeitig den Bedarf an lebendiger Arbeit (v), so daß in den Ländern des Zentrums die absolute Zahl der Industriearbeiter abnimmt. (Auch früher verringerte sich das Verhältnis v zu c regelmäßig, aber mit der Ausbreitung der Erzeugung wuchs in der Industrie trotzdem die absolute Zahl der Arbeiter; jetzt ist damit Schluß.)

2.   Wegen der stärker als in allen früheren Zeiten wirkenden fallenden Tendenz der Profitrate ist die Erzeugung nur dann lohnend, wenn das Kapital (das Monopol) unausgesetzt die Ausbeutung (die Mehrwertrate) und die verkaufte Warenmenge (die Menge des Profits) vergrößert. Das heißt, es benötigt sich erweiternde Märkte, während es mit der immer breiteren Anwendung der wissenschaftlich-technischen Revolution selbst die Märkte enger macht. Dieser Widerspruch ist nur mit globaler Weltmarktausdehnung lösbar. Auf dem Weltmarkt kämpfen die Riesen miteinander, und derjenige wird der Sieger sein, welcher bei der Hetzjagd nach Verminderung der Selbstkosten einen Vorteil erlangt. Zum Zwecke der Erweiterung der Märkte muß man also ohne Pause die arbeitskraftsparende, marktverengende Automatisierung und Rationalisierung fortsetzen, sich von „unfruchtbaren“ sozialen Kosten freimachen, „verschlanken“, „flexibilisieren“, in Niedriglohnländer umsiedeln. Perspektivisch verschlimmern sich die chronische Arbeitslosigkeit und der auf den Löhnen lastende Druck, unvermeidlich glühen die gesellschaftlichen Spannungen auf.

3.   Die „überflüssigen“ Kapitalien, welche der Unsicherheit der Profitrate wegen aus der Industrie ausscheiden, suchen teilweise in den Dienstleistungen Ersatz, wo die Zusammensetzung niedriger ist. Sie rufen Arbeitskräftenachfrage hervor. Danach kommt hier ein Teil der „überflüssig“ gewordenen Arbeiter unter – hauptsächlich in den am schlechtesten zahlenden Zweigen des Sektors. Das Realeinkommen der Arbeiterklasse und ihr Anteil am Nationaleinkommen nimmt ab, die Klasse zerstreut sich, ihre Organisationen des Interessenschutzes werden schwächer. Die proletarisierten Massen selbst wiederum vermehren sich schnell, und der Verfall ihrer Lebensverhältnisse erzwingt früher oder später ihre organisierte Selbstverteidigung.

4 Die aus der Erzeugung ausscheidenden „überzähligen“ Kapitalien drängen sich überwiegend in die Spekulation, das auch sonst unsichere Gleichgewicht der ganzen Wirtschaft weiter lockernd. Die Unbeständigkeit und Irrationalität der Lage könnte man mit einer Vielzahl von Beispielen illustrieren. Beschränken wir uns auf zwei:

Das eine ist jenes, daß neben stagnierender Erzeugung und dem immer schwerer ausgleichbaren Fallen oder Sinken der Profitrate mächtige Börsengewinne entstehen, und sich für das Kapital die Anlage heute nicht lohnt, wenn sie einen Ertrag niedriger als 12% verspricht. Die andere Merkwürdigkeit ist verbunden mit der Rolle des Staates. Bei der Hetzjagd nach Senkung der Selbstkosten ist die Grundregel der von der wissenschaftlich-technischen Revolution bestimmten Weltmarktkonkurrenz, daß, was fällt, gestoßen werden soll, daß man Technologien, die sich entwerten, nicht künstlich am Leben erhält, sondern sie dem Untergang überläßt oder in Niedriglohnländer umsiedelt, wo man sie noch wirtschaftlich nutzen kann. Das Überleben im Dschungelkampf ist das Vorrecht der Starken; die Starken aber muß man stärken, nicht mit überflüssiger staatlicher Regulierung und Entziehungen belasten. Die Besitzer großer Kapitalien und Spekulationsgüter sind nicht länger interessiert an den mit den vom Lohn lebenden Massen geschlossenen „Wohlstands“-Kompromissen. Die neuen Verhältnisse spiegeln die neoliberale Theorie und die wirtschaftspolitische Praxis wider, mit Losungen wie „Deregulierung“ und der sich auch bis auf die öffentlichen Dienstleistungen erstreckenden „Entstaatlichung“.

In Privathand gelangen Unterricht, Gesundheitswesen, Wasser – und Energieversorgung, Post, in entwickelteren Ländern auch der Strafvollzug. Die Gesellschaft wird zu einem einzigen Privatgefängnis.

Andererseits fordern die Transnationalen vom Nationalstaat, daß er gleichzeitig mit Liberalisierung und Auszug aus der Wirtschaft aktiv in die Wirtschaft eingreift mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, mit seiner Arbeitsmarkt-, Finanz-, Steuer- und Zollpolitik, mit seinen Subventionen, Amortisierungs-, Abschreibungsregeln usw. die Verwertung der größten Kapitalien unterstützt. Der Imperialismus kann in seiner neuen Phase die Macht des Nationalstaates im Verhältnis zur vorangegangenen staatsmonopolistischen Phase noch steigern, nicht selten aber mit Integrationsstrukturen und Entwicklungsmechanismen, die den Nationalstaat überschreiten. In der neuen Phase bläst der Staat mitnichten zum allgemeinen Rückzug, im Gegenteil: im forcierten Tempo baut er seine Unterdrückungs- und Manipulierungsfunktionen aus, immer entschlossener die Gruppeninteressen der stärksten Multi’s zur Geltung bringend .1

In diesen Verhältnissen sind die Wurzeln des Faschismus der Gegenwart verborgen.

Man könnte glauben, daß nach dem Zustandekommen der „einpoligen“ Welt der Faschismus – zumindest vorläufig – seine Existenzmöglichkeit verloren hat: es gibt keine Spur von revolutionärer Lage, kaum revolutionäre Gruppierungen; gegen niemanden muß offene terroristische Diktatur ausgeübt  werden. Vergessen wir jedoch nicht, daß die geschichtlichen Faschismen die präventiven Waffen der Bourgeoisie waren, welche die Revolution verhüten sollten: eine solche Rolle besetzten der italienische und der deutsche Faschismus, ja auch der von Horthy, welcher nach der Niederschlagung der Räterepublik an die Macht gelangte, aber mit dem Ziel die Revolution mit Stumpf und Stiel auszurotten, und ihrer Wiederholung vorzubeugen. Die heutige Lage ist natürlich nicht vergleichbar mit der damaligen, nach der Auflösung der Sowjetunion muß die Bourgeoisie in absehbarer Zeit nicht mit einer Revolution rechnen. Erschütterungen aber kann sie nicht vermeiden. Der im Zeichen des Neoliberalismus entfesselte Wettbewerb des Weltmarktes – wir wiederholen es aufs neue – bringt teilweise für die Industriearbeiterschaft und sozialen Einrichtungen der Zentren notwendigerweise ihren Abbau mit sich, teilweise spornt er die größten Kapitalien und die durch sie bewegten Regierungen zur Ausplünderung und Unterwerfung der Völker der „dritten Welt“, zur Weltherrschaftsausdehnung an; all dies löst von Zeit zu Zeit explosionsartige Proteste der geschädigten Massen und Völker aus (siehe Seattle, Prag, Genua usw.). Grundlegende Aufgabe des neoliberalen Staates ist, daß er die Freiheit des Wettbewerbs, das ungestörte Zur-Geltung-Kommen der Marktgesetze vor den Angriffen der fordernden Volksschichten schützt. Deshalb greift er gelegentlich zum offenen Terror – desto heftiger flammt in der Wechselwirkung mit der Entfaltung der wissenschaftlich-technischen Revolution der Wettbewerb auf dem Weltmarkt auf.

Der von Fall zu Fall angewandte Terror ist an sich noch kein Faschismus, er ist „nur“ Ausdruck der Neigung zur oder des Prozesses der Faschisierung. Es wäre schwer, den künftigen Verlauf dieses Prozesses voraus zu sagen; soviel jedoch können wir als bestimmt annehmen, daß sich mit dem Fortschreiten der Akkumulation der Wettbewerb verschärfen wird, seine Lasten werden um so schwerer auf den Massen drücken. Es ist also wahrscheinlich, daß sich von Seiten der Massen der Widerstand gegenüber der neoliberalen Marktdiktatur verschärfen wird, von der Seite der Multis aber der offene Terror gegenüber den die Marktgesetze hemmenden Massen. Weder die eine noch die andere Seite hat eine andere Wahl: auf die Massen warten Sklaverei und Untergang, wenn sie sich nicht wehren, auf die Multis wartet der Bankrott, wenn sie die Ungehorsamen nicht Mores lehren. Nun könnte vielleicht jemand sagen: der Terror ist die Folge des Widerstandes, also man darf die Bestie nicht reizen, sondern muß eher versuchen ihr zu gefallen, andernfalls zieht man den kürzeren. Aber in Wirklichkeit ist der neoliberale Marktterror das, was er den Massen in die Ohren posaunt, daß die einzige Aussicht für ihr Überleben der Selbstschutz ist. Ein Kampf auf Leben und Tod ist im Gange, es gibt keine Möglichkeit ihm zu entgehen. In diesem Kampf greifen die Transnationalen desto mehr zu faschistischer Gewalt, je weniger sie die wirtschaftlichen Pfeiler ihrer Diktatur in Sicherheit wähnen: die Freiheit des Wettbewerbes, die neoliberale Praxis. In unserer Zeit bringt also der in der Sache der „Menschenrechte“ so eifrige Neoliberalismus den Faschismus hervor als für seine eigene Tätigkeit unentbehrliches Instrument. So erweist er auf eigene Weise Marx’ Klassenkampfidee die Ehre.

Wirtschaftlicher und außerwirtschaftlicher Zwang, Neoliberalismus und Faschismus: wenn sie auch dem ideologischen Anscheine nach gegensätzlich sind, ist ihr Inhalt doch derselbe, als zusammengewachsenes Paar helfen und ergänzen sie einander bei der ständigen Neuaufteilung der gesellschaftlichen Existenzbedingungen zugunsten der schlagkräftigsten Interessengruppen. Gemeinsam sorgen sie dafür, daß das Kapital vom Nationaleinkommen einen um so größeren Anteil, die mächtigsten Monopole vom gesellschaftlichen Gesamtprofit, die wirtschaftlich stärksten Länder aus den rohstoffreichen oder strategisch wichtigen Ländern der Welt erhalten. Eine besonders große Rolle erhält die Gewaltanwendung in der internationalen Politik der USA. Als einzige Supermacht verheimlichen die USA nicht ihre Weltherrschaftsansprüche, unter Vorwänden, welche sie selbst nicht ernst nehmen, zertreten sie souveräne Staaten und fremde Völker, unverschämt bedrohen sie ihre ausgewählten Opfer. Ihr Verhalten auf dem internationalen Kampfplatz unterscheidet sich weder im Charakter noch im Stil von dem der einstigen Achsenmächte. Es unterscheidet sich nicht von dem, was der Begriff des Faschismus bezeichnet.2

Nach der Definition von Dimitroff ist der Faschismus „die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, aggressivsten Gruppen des Finanzkapitals“. Diese Definition von 1935, welche die theoretischen Ergebnisse der früheren Beratungen der III. Internationale zusammenfaßt, wurde seitdem mehrmals durch die geschichtliche Erfahrung bestätigt. Es gibt auch heute keinen Grund, ihre Gültigkeit in Frage zu stellen. Ja, logischerweise können wir sie als Muster betrachten, insofern mit der beispielhaften Vereinigung von Klasseninhalt und politischer Form das Subjekt (die führende Kraft) der untersuchten gesellschaftlichen Erscheinung von den übrigen Gruppen des Finanzkapitals, die angewandte Herrschaftsmethode von der parlamentarischen Demokratie abgegrenzt wird. Es ist wahr, die das Subjekt qualifizierenden Attribute („reaktionärste“, „chauvinistischste“, „aggressivste“) sind jedes für sich allein nicht die genauesten, aber Dimitroff widmete seine Rede nicht einer wissenschaftlichen Dissertation, sondern der Bestimmung der neuen strategischen Aufgaben und der praktischen Mobilisierung. Bei seinen Zuhörern konnte er voraussetzen, daß sie auf Grund ihrer Erfahrungen genau verstehen, wovon die Rede ist. Es ist kaum zu bezweifeln, daß sich die aufgezählten Attribute auf die konzentriertesten und zentralisiertesten, gewalttätigsten Finanzkapitalgruppen beziehen, welche wegen ihrer dem Durchschnitt weit übersteigenden Mehrwert- und Profitrate, im Interesse ihrer Markt- und Börsenhegemonie am meisten die äußere Eroberung und die harte innere „Disziplin“ betreiben. Nazideutschland betreffend verweisen diese Attribute unmißverständlich auf die führenden Monopole der Schwer-, Elektrizitäts- und Chemieindustrie, die durch sie qualifizierten Personen können wir aber auch mit ihren Namen benennen: Krupp, Thyssen, Flick, Kirdorf usw.

Ebenso können wir auch die heutigen us-amerikanischen Hauptmonpopolisten beim Namen nennen, die Familie Bush, Cheney, Powell, Rumsfeld, Wolfowitz, Rice, Ashcroft ... ; und wir können auf die hinter ihnen stehenden Interessenten im Kreise des Ölgeschäftes, der Rüstungsindustrie, des Waffenhandels usw. verweisen.

Funktioniert der auf dem internationalen Schauplatze ausgeübte offene Terror auch „nach innen“? Einfacher gesagt: ist das gegenwärtige politische System der USA faschistisch?

Vermutlich ist es genauer von einem Prozeß der Faschisierung, der Anhäufung von Elementen des Faschismus zu sprechen. Der bürgerlich-demokratische „rechtsstaatliche“ Rahmen verengt sich; die Macht der Exekutive - der Präsident und seine Gruppe - zieht gesetzgeberische und richterliche Befugnisse an sich, mit gesetzlicher Billigung macht sie das alltägliche Regieren zur Willkür.3

Der ideologische Terror ist erdrückend, hauptsächlich seit den Attentaten des 11. September 2001, welche dem bis dahin wenig beliebten Präsidenten und seiner Mannschaft die Gelegenheit gaben, unter dem Vorwand des „Kampfes gegen den Terrorismus“ den aufgepeitschten Nationalismus bis zur Hysterie zu steigern. Die „patriotische“ Demagogie, die die äußere Aggression, auf besondere Weise die irakische, begleitete, schmiedete eine breite „nationale Einheit“ zusammen, sie ergriff auch die Gewerkschaften und die überwiegende Mehrheit der Arbeiterschaft. In dieser Atmosphäre wirkte die Millionenmassen und namhafte Persönlichkeiten mobilisierende Protestbewegung gegen den Irakkrieg gleichsam als Überraschung. Der Widerstand jedoch ist vorerst nur vereinzelt und eine Rolle spielt dabei die ohne Pause von den Medien fortgesetzte Gehirnverschmutzung, die wirtschaftliche und ideologische Einschüchterung, begründet aber die seit der Beendigung des zweiten Weltkrieges immer wieder neu auftretende innere Gewalt. 4

Zum Teil ist es der Schwäche des Widerstands zu zuschreiben, momentan zumindest, daß die herrschende Klasse statt der offenen terroristischen Diktatur sich mit verborgenen „verfeinerten“ Formen des Terrors begnügte. In erster Linie begründet die gegenwärtige wirtschaftliche Struktur des Imperialismus, warum für die amerikanischen Monopolisten in vielen Fällen die „demokratischen“ und „liberalen“ Methoden zweckmäßiger sind als die traditionellen Methoden des Faschismus.

In unseren Tagen liegt die Liberalisierung vor allem im Interesse der stärksten Monopole. Die Interessen der Monopolisten der Achsenmächte in den 1930er Jahren waren dem entgegengesetzt, sie wären im Gegensatz zu ihren mächtigen englischen, französischen und amerikanischen Konkurrenten durchgefallen, wenn ihre Regierungen nicht mit gewaltsamer Zentralisierung alle möglichen Kraftquellen zu ihrer Unterstützung mobilisiert hätten. Der geschichtliche Unterschied läßt sich auf dem Gebiet der inneren Verhältnisse verfolgen. Eines der dringendsten Probleme der „klassischen“ Faschismen war die Bewältigung der 1929 rasch zunehmenden Massenarbeitslosigkeit: man unterwarf die Arbeiter militärischer Disziplin, und mit der Organisierung öffentlicher Arbeiten oder auf andere Weisen stellte man sie für die Schwerindustrie, die Landwirtschaft, die Entwicklung der Infrastruktur zur Verfügung, dabei gleichzeitig die Reallöhne durch staatlichen Zwang niedrighaltend. Das augenfälligste Beispiel der ausserwirtschaftlichen Gewalt ist vielleicht, daß nach dem Aufsaugen des Reserveheeres, als die Großindustrie schon Arbeitskräftesorgen bedrängten, die deutsche Regierung (zwangsweise) Kleinbetriebe schloß und ihre Besitzer als Lohnarbeiter zu den großen Unternehmen lenkte. Heute sehen wir den umgekehrten Prozeß. Denn die Transnationalen lindern nicht, sondern verschärfen vielmehr die Arbeitslosigkeit in den Ländern des Zentrums mit Automatisierung, Hinausverlegung, „Verschlankung“ (was unter anderem einschließt: aus einem Teil der Angestellten werden „Selbständige“, die kleineren Firmen werden als Zulieferer an die Großunternehmen angegliedert.) So senkt man die Erzeugungskosten, nicht zuletzt die Lohnnebenkosten, die vom Gesichtspunkt des Kapitals unproduktiven sozialen Ausgaben (Krankheits-, Unfall-, Renten-Versicherung usw.). Die neue sozialpolitische Anschauung bekommt auch einen Namen: „Eigenvorsorge“ taufte sie der schwarze Humor der Multis; jeder ist seines eigenen Glückes Schmied! Entweder vermehrt die abgebaute Industriearbeiterschaft das Reserveheer, oder sie zerstreut sich in den Dienstleistungen und in den sich wieder vermehrenden Kleinbetrieben (welche auf eigenartige Weise die Begleiter der beispiellosen Konzentration und Zentralisation des Kapitals sind.) Sowohl die Zerstreuung wie auch die chronische Arbeitslosigkeit schwächen weiter die übrigens auch wegen der strategischen Niederlage der internationalen Arbeiterklasse verunsicherten Gewerkschaften; das zeigt nicht nur die Schwäche der Gewerkschaften, wie es auch den Verfall der Fähigkeit der Arbeiterschaft, sich selbst zu schützen, steigert. Immer hemmungsloser zerbröselt das Kapital die Reallöhne, gleichzeitig bemüht es sich zielbewußt, die wertproduzierende Klasse in eine Menge isolierter Einzelwesen zu zerschlagen, sie in ihre Atome zu zerlegen.

Die Angriffe gegen die Solidarität und Kollektivität der Arbeiter, welche die ganze Geschichte des Kapitalismus durchziehen, verstärkten sich besonders in den 1970er Jahren, die Schwächung des internationalen Gewichtes der Sowjetunion und die durch die Spitzentechnik ermöglichten neuen Möglichkeiten der Arbeitsorganisation ausnutzend. Die Reform der Arbeitsorganisation richtete sich nicht nur nach den modernen Technologien oder den Umgestaltungen der Erzeugnisse, sondern man setzte sich auch zum Ziel, daß die Leitung die Angestellten wirksamer kontrollieren und ihre Organisierung verhindern könnte. Wo es möglich war vertraute man die Arbeit verhältnismäßig selbständigen Arbeitsgruppen an, welche sich mit allen übrigen Gruppen in scharfem Konkurrenzkampf befinden, ihre eigenen Mitglieder aber untereinander zu Antreibern erniedrigen. Das Kapital ersetzt lieber die mit gewerkschaftlicher Vermittlung vereinbarten Kollektivverträge (Tarifverträge für Industriezweige - E. Ko.) mit langer Laufzeit durch für kurze Zeit gültige Einzelvereinbarungen, seine Angestellten damit ewiger Furcht vor dem Morgen aussetzend. Seine Findigkeit alle Arten Furcht wach zu halten, ist einfach grenzenlos.5 Während man unter der Überschrift „Deregulierung der Arbeitsbeziehungen“ den gewerkschaftlichen Schutz der Arbeiter methodisch abwickelt, spricht die Ideologie von „individueller Freiheit“, vom persönlichen Recht zur Entscheidung. Das Individuum ist alles, die Klasse nur eine Erfindung von Umstürzlern. Die Propaganda ist auf das Individuum konzentriert, es ist der Anfangs- und Endpunkt in der sich formenden Weltordnung. Statt Gemeinschaftsleben oder Bildung glotzt es uns auf dem Bildschirm an und richtet, zur einzigen Lebensart verfestigt, schon allein zugrunde. Als wesentlich wird immer mehr verstanden, was auf den Bildschirmen erscheint oder nicht erscheint. Die Angelegenheiten öffentlichen Interesses verschwinden und die Privatangelegenheiten avancieren zur Angelegenheit von öffentlichem Interesse. In der wimmelnden Einsamkeit der privatisierten Individuen wird das Gewöhnliche zum geistigen Leckerbissen des Publikums. Das Lieben wird öffentlich zur Schau gestellt, der tierisch entblößte Trieb ist das Pfand der Zuschauerquote. Entfesselter Zorn unter der Überschrift Musik, Rasen anstatt Gefühl; herausfordernde Geschmacklosigkeit und Pornographie hüllen die Politik in wohltätige Giftwolken. Aber auch die Moral wird nicht vergessen. Wenn du dazu fähig bist, kannst du vorankommen: dein wird die Dame oder der Fürst deiner Träume, und alles Übrige was konsumierbar ist; die Wahrheit siegt, der Gute gewinnt seinen Preis.6

In der traditionellen Ideologie des Faschismus verschlingt der Staat das Individuum, in der des Neoliberialismus verschlingt das Individuum die Welt (das Atom den Kosmos – in der Philosophie nennt man das Solipsismus). Statt des Fetisch des Staates der Fetisch des Individuums: zwei gegensätzliche Extreme. Aber sind sie wirklich so gegensätzlich? Ein um wie viel besseres Schicksal ist es im Neoliberialismus ein Gott zu sein als ein Nichts im Faschismus? Das Individuum erlahmt gesellschaftlich so oder so, obwohl man seine Hilflosigkeit in dem einen Falle als „Freiheit“, als „Demokratie“, als „Souveränität der Persönlichkeit“ anpreist, im anderen als „nationalsozialistische Volksgemeinschaft“, oder man handelt es mit einem diesem ähnlichen Namen auf dem ideologischen Trödelmarkt.

Die Faschisten schmähen wütend die Demokratie, den Liberalismus und den „Kommunismus“; die Neoliberalen verdammen im allgemeinen die Diktaturen, dabei Faschismus und „Kommunismus“ über einen Kamm scherend, sie bewerfen alles mit Dreck, worin sie „Kommunismus“ wittern. Ihr „Antifaschismus“, welcher in Wirklichkeit blinder Kommunistenhaß ist, trägt den Faschismus in sich.7

Faschisten und Neoliberale führen heute in ihrem Haß auf den Kommunismus nicht nur dieselbe Sprache, sondern sie stimmen zumeist auch darin überein, daß sie sich Demokraten nennen. Auch noch die Nazis wurden „Demokraten“ – aus „nationalen Sozialisten“ wurden „nationale Demokraten“-, obwohl sie irgendwann die Demokratie fast so haßten wie den Sozialismus im Namen ihrer eigenen Partei. Was verbirgt sich hinter dem Wechsel der Decknamen: der Ansehensverlust des Sozialismus? Natürlich auch dieser, aber das Wesentliche ist tiefer in den strukturellen Veränderungen der Weltwirtschaft verborgen.

Die traditionellen Faschismen entstanden aus den verheerenden wirtschaftlichen und politischen Krisen: der Kapitalismus von heute verfügt, trotz seiner Unbeständigkeit, noch über ansehnliche Reserven zum Aufschub einer Katastrophe des Ausmaßes von 1929. Durch den sowjetischen Zuammenbruch fielen ihm mächtige kolonisierbare Gebiete in den Schoß, mit der radikalen Veränderung der internationalen Kräfteverhältnisse eröffnete sich ihm eine ganze Reihe von Möglichkeiten, mit welchen er seine gesellschaftlichen Spannungen ableiten kann. Die Globalisierung verschiebt die Entwertung der konstanten Kapitalien - die Krise -, die Börsenspekulationen erwecken die aus der Produktion hinausgedrängten Geldkapitalien zu neuem Leben. Vorerst durchleben die Massen nicht jenen Zustand der Verzweiflung, in welchem sie bereit wären, die Herrschaft des Kapitals in Frage zu stellen. Einen Teil der „überflüssigen“ Arbeitskraft saugen die Dienstleistungen auf, die arbeitsorganisatorischen Manöver usw.; den organisierten Widerstand der proletarischen Mehrheit erschwert die atomisierende Zerstreuung, der strukturelle Abbau der Arbeiterklasse. Dieser Abbau ist die organische Folge der heutigen wirtschaftlichen und politischen Prozesse, welcher übereinstimmt mit den Interessen der großen Gesellschaften, gleichzeitig zerbröselt er die Fähigkeiten der Arbeiterschaft zum Selbstschutz und ihren Anteil am Nationaleinkommen. Die großen Gesellschaften schneiden also gut ab, wenn die wirtschaftlichen Gesetze störungsfrei, ohne äußere – staatliche und gewerkschaftliche – Beschränkungen ihre unbewußten (spontanen) Wirkungen entfalten können: die Steigerung der Ausbeutung in der Erzeugung, der Sieg der Starken im geschäftlichen Wettbewerb. Deshalb findet das Kapital heute den Kultus des isolierten privaten Individuums nützlicher als den faschistischen Kasernengeist, das Schlagwort der „Demokratie“ nützlicher als das Schlagwort des Sozialismus, die neoliberale Anarchie der Monopole nützlicher als die zentrale Regulierung der Wirtschaft.8

Die Prozesse der Globalisierung und Integration können auch die größten kapitalistischen Haie zu „demokratischen“ und „antifaschistischen“ Stellungnahmen ermuntern. Zum Beispiel traten kürzlich deutsche Großindustrielle mit ihrem sie begleitenden Gefolge von Lehensmännern, den rechten Politikern in Übereinstimmung für das Verbot der Partei der Neonazis ein. Wurden sie vielleicht zu Bannerträgern der Volksfront? Ihre nicht sehr kämpferische Stellungnahme nährte teils das Verständnis für billige fremde Arbeitskraft, teils aber die Sorge, daß Hitlers heutige Verehrer mit ihrem nationalen Gehabe die ausländischen Geschäftsfreunde verschrecken. Aus solchen Erwägungen kann das transnationale Kapital - der Geburtsort und die Räuberhöhle des Faschismus - zum Bollwerk der Demokratie werden.

Der die Autonomie und die demokratischen Rechte des Individuums betonende Liberalismus ist in Übereinstimmung mit der Liebeeralisierung des internationalen Handels, welche die gleichen Rechte jeder Firma und jeden Landes aussagt. Die Kleinen und die Großen verbrüdern sich in diesem Paradies der Freiheit unter dem sich bis zum Horizont wölbenden Regenbogen der Demokratie. Wo ist hier der Faschismus? Nun, gerade hier springt er herum, vor unseren Augen schlüpft er aus dem demokratischen Ei. Die Großen fressen ganz legitim die Kleinen auf, die noch Größeren die Großen gemäß dem klassischen Muster; und über allen strecken sich dort die USA als „Idealtypus“ des gegenwärtigen Imperialismus aus, welche durch die augenblicklich stärkste Armee des Erdkreises Staatsterror faschistischen Typus auf dem internationalen Schauplatz ausüben, um damit zu Gunsten ihrer eigenen reaktionärsten Monopolisten die Neuaufteilung der Welt zu erreichen. 9 Dieser nach außen ausgeübte offene Terror läßt einen echten Mannaregen auf die amerikanische Wirtschaft fallen: er hält die Rüstungsindustrie und die angeschlossenen Zweige in Schwung, bremst das Wachstum der Arbeitslosigkeit, zertrümmert Länder, damit die aggressivsten Monopole Anteil erhalten am Wiederaufbaugeschäft; schließlich, aber nicht zuletzt, begründet er die „demokratische“ und „patriotische“ Demagogie, welche die ausgebeuteten privaten Individuen zu Mitgliedern der großen „nationalen Gemeinschaft“ befördert und sie vor den Karren ihrer Ausbeuter spannt. Letzten Endes ermöglicht die systematische äußere Anwendung des Terrors faschistischen Typus der Regierung der USA, daß sie die inneren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Spannungen des Landes ohne die systematische Anwendung der offenen terroristischen Diktatur überwiegend mit wirtschaftlichen und ideologischen Druck dämpft (einstweilen).

Es ist also eine Art Halbheit und Phasenverschiebung im internationalen und im heimatlichen Verhalten der USA-Regierung wahrnehmbar: schonungslose Waffengewalt gegenüber jenen fremden Ländern, welche nicht bereit sind, auf die erste Aufforderung hin die weiße Fahne zu hissen (Jugoslawien, Afghanistan, Irak), zu Hause wiederum eher „nur“ wirtschaftlicher und ideologischer Terror (letzterer über die Medien und die bearbeitete öffentliche Meinung); der polizeiliche und richterliche Terror durchdringt vorerst nicht jede Pore des gesellschaftlichen Lebens. Faschismus nach außen, zuhause die Anhäufung faschistischer Elemente; dies ist von ferne weder bürgerliche Demokratie, aber – im heimatlichen Maßstab – auch noch nicht der entfaltete Faschismus, „bloß“ der Prozeß der Faschisierung, welcher Schritt für Schritt die zurückweichende, obwohl zeitweise bedeutenden Widerstand beweisende bürgerliche Demokratie verdrängt. Was diesen Widerstand betrifft, ist die große Frage, was wird historisch seine Qualifizierung sein: Nachhutgefecht oder Kräfte sammeln zum Gegenangriff?

Die amerikanische Wirtschaft verfügt heute über die modernsten Unternehmen der Welt mit mächtigen Produktionskapazitäten; ihnen verdankt sie ihre herrschenden Positionen auf dem Weltmarkt. Der Wettbewerbsvorteil bringt aber bekanntlich komplizierte Widersprüche mit sich. Den wachsenden Kapazitäten steht eine abnehmende zahlungsfähige Nachfrage gegenüber, und der Ersatz der fehlenden Kaufkraft fällt dem Staate zu. Obgleich die Welt „einpolig“ wurde, ist die Militarisierung auch weiterhin erstrangiges Erfordernis der Funktionsfähigkeit der kapitalistischen Wirtschaft; die Wirtschaft der USA würde zusammenbrechen ohne die von Jahr zu Jahr in bestürzendem Ausmaße wachsenden Militärausgaben. Natürlich ist der sich auf Hunderte Milliarden belaufende Militärhaushalt dann wirklich nützlich, wenn man die Armee als Instrument außerwirtschaftlichen Zwanges benutzt: für Eroberungen, für Beutemachen, für die Erpressung anderer Länder, für das ihren Völkern auf-die-Nase-Setzen von Lakaienregierungen - nichts ist edler als die edle Freiheitsmission, welche die Profitraten und die Börsenkurse hoch hält ... Verzeihung, was das Banner der Demokratie hoch hält, die Welt vor dem Terrorismus schützt, das amerikanische Volk vor den Massenvernichtungswaffen des Irak und anderer Supermächte (auch dann wenn sie nicht existieren).

Ohne Zweifel soll alles das der beschützten Welt eingebleut werden, daß es nicht ratsam ist mit Amerika Händel zu suchen. Was jedoch auf kurzer Strecke stabilisiert wird sich vermutlich in der Geschichte als Destabilisierung erweisen. Obgleich die USA mit ihren Aggressionen die übrigen Teile der Welt heute noch zum Gehorsam zwingen, isolieren sie sich letzten Endes selbst und geraten in die Falle. Nicht nur politisch und moralisch, auch wirtschaftlich. Die die „Nachfrage ersetzende“ Aufrüstung und der Krieg, dieser vor Geschwüren stinkende Keynesianismus erlegt dem Staatshaushalt vielmals größere Lasten auf als die einstige „Wohlstandspolitik“. Bei Außenhandels- und Haushaltsdefizit, kann der in seinem Durchschnitt ungerechtfertigt hohe innere Lebensstandard nicht ewig durch Einpumpen äußerer Kraftquellen gedeckt werden, der Vorstoß der Rivalen auf dem Weltmarkt nicht aufgehalten werden. Der Euro untergräbt die Vorherrschaft des Dollar, die amerikanischen Weltherrschaftspläne, die allmählich aufschließende europäische Integration. (aber in größerer Perspektive wahrscheinlich auch die vielversprechende chinesisch-indische Annäherung ) Die Armee allein löst nicht die wirtschaftlichen Widersprüche, wieviel Geld auch immer für sie investiert wird; beziehungsweise je mehr für sie ausgegeben wird, um so größere Sorgen belasten die Wirtschaft. Die Produktivitätsrevolution, welche fortwährend den Wettbewerb auf dem Weltmarkt beschleunigt, überschüttet die Gesellschaft mit immer neuen Beschäftigungsproblemen, international jedoch hält sie ständig die Neuaufteilung der Welt auf der Tagesordnung.. Es ist unmöglich, daß sich bis zur Glut erhitzende Spannungen nicht bis zu massenhafter Unzufriedenheit, Widerstand heranreife ; ebenso unmöglich ist es auch, daß die herrschende Klasse nicht zum offenen Terror greift, wenn die traditionellen Formen des Regierens schon wirkungslos sind.

Die Halbheit – nach außen offener, nach innen begrenzter – Faschismus kann kein endgültiger Zustand sein.

Massenhafte Unzufriedenheit kann leicht auch selbst faschistische („national“–populistische) Formen annehmen. Die den „Herren“-Faschismus ergänzende populistische Demagogie dient gerade jenem Ziel, daß die Wut des wildgewordenen Kleinbürgertums und der sich mit ihm vermischenden unbewußten Lumpenelemente teils mit radikal klingenden Losungen statt auf das Kapital auf die „Fremden“, beziehungsweise auf ethnisches, politisches oder sonstiges Anderssein verkörpernde, kriminalisierte Personen gerichtet werden. Mussolinis große Erfindung ist bis zum heutigen Tage das Vorbild: mit der Verbindung von Terror und Demagogie für das Finanzkapital eine Massenbasis zu rekrutieren aus den vom Kapital Ausgeraubten.

Die „nationale“ populistische Demagogie hat nicht nur in den unteren Klassen der Länder des Zentrums einen festen Grund: der äußere Faschismus der USA und die international ausgeübte wirtschaftliche Diktatur der Multis setzen weltweit Verteidigungsreaktionen der Verlierer der Globalisierungsprozesse in Gang. Die Bewegungen organisieren sich gegen das Eindringen aus dem Ausland, aber es greift auch unorganisierter, spontaner, selbst stimmungsabhängiger Widerstand um sich. Weil die Eindringlinge mit ihrer Tätigkeit die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung verletzen, stehen ihnen vielerlei gesellschaftliche Schichten unfreundlich oder feindlich gegenüber: „nationale“ Mittel- und Kleinbesitzer, Besitzlose; und es kommt öfter vor, daß die zurückgebliebenen gesellschaftlichen Elemente der unterworfenen Länder auf die Großmachtaggressivität der Eindringlinge mit ihrem eigenen „verteidigenden“ oder „Gegenfaschismus“ antworten. Auch machen sie die Schandtaten des multinationalen Kapitals rasend, aber nicht deshalb weil es Schandtaten des Kapitals sind, sondern weil dieses Kapital amerikanisches, also allgemeinbekannt jüdisches ist. (Das faschistische Gesindel nimmt sich ebenfalls der Sache der Palästinenser an – nicht deshalb, weil es eine gerechte Sache ist, welche die israelische Habichtsregierung mit faschistischem Terror niedertritt, sondern weil die Juden allgemein als Schurken bekannt sind.) Der faschistische Schmutz drängt sich an die fortschrittlichen Bewegungen (wie wir das in Ungarn auf globalisierungskritischen und Antikriegsdemonstrationen wahrnehmen konnten), die fortschrittlichen Bewegungen haben jedoch nicht immer genügend Erfahrung, um die auch von den Linken bekannten Ziele hervorhebend diese beschmutzenden faschistischen Horden von sich fern halten. Die Dinge kehren sich um, kundige Hände verdrehen ihre wahre Bedeutung wie den Hals des Hühnchens.

In welche Richtung kann sich der im Zielland des ausländischen Eindringens gedeihende, „verteidigende“ Faschismus entwickeln? Weil das seine Massenbasis bildende „wildgewordene“ Kleinbürgertum – das ihm anhaftende Lumpenproletariat einbegriffen – keine unabhängige Klasse ist, kein zur Modernisierung der Produktion fähiger selbständiger, wirtschaftlicher Faktor, sondern wirtschaftlich und ebenso politisch im Schlepptau des größeren konzentrierten Kapitals treibt, gibt es hinter den lärmenden Phrasen keine eigene Kraft, und so kann diese Abteilung des Faschismus nichts anderes sein als Satellit im Dienste der Kompradorenbourgeoisie, also mittelbar im Dienste der Multis. Sie bekommt i die Peitsche n die Hände, die sie über die Ungehorsamen und Verdächtigen schwingen auch Schläge an sie austeilen kann, wenn es ihr Freude macht. Keinerlei patriotische Prahlerei kann aber verhüllen, daß sie auf fremdes Pfeifen hin tanzt und mit ihrer Dienstbotenunterwürfigkeit sich die vom Tisch ihrer Herren abgeräumten Speisereste verdienen muß. Der Faschismus ist also auch dort die Diktatur des Monopolkapitals, wo es selbständiges heimatliches Monopolkapital nicht gibt. Seine Bewegungsfreiheit ist in diesem Falle so groß, das er bei Verschiebung der Kräfteverhältnisse aus dem Sold der einen ausländischen Herrschaft in den einer anderen wechseln kann, immer auf seinen derzeitigen Befehlshaber achtgebend, wann man zu einen kleinen Straßenkrawall herbeiruft, wann er den Zigeuner, den Juden, den Araber, den Nigger, den in der Reihe folgenden Sündenbock zu Brei schlagen kann.

Es ist gleich, ob sich der Faschismus in „eindringender“ oder „verteidigender“ Form zeigt, seine zu erwartende Entwicklung hängt immer auf das engste zusammen mit der der Sozialdemokratie: der Bankrott der Letzteren und der faschistische Vorstoß sind zwei Seiten der selben Medaille.

II. Sozialdemokratie und Faschismus

Marx schrieb: „ Der eigentümliche Charakter der Sozialdemokratie faßt sich dahin zusammen, daß demokratisch-republikanische Institutionen als Mittel verlangt werden, nicht um zwei Extreme, Kapital und Lohnarbeit, beide aufzuheben, sondern um ihren Gegensatz abzuschwächen und in Harmonie zu verwandeln. Wie verschiedene Maßregeln zur Erreichung dieses Zweckes vorgeschlagen werden mögen, wie sehr er mit mehr oder minder revolutionären Vorstellungen sich verbrämen mag, der Inhalt bleibt derselbe. Dieser Inhalt ist die Umänderung der Gesellschaft auf demokratischem Wege, aber eine Umänderung innerhalb der Grenzen des Kleinbürgertums.“ 10

Heute ist die Funktion der Sozialdemokratie keine andere, als sie es zu Marx’ Zeiten war, normalerweise ist sie jedoch nicht mehr mit revolutionären Phantasien herausgeputzt. Mit solcher Verzierung schmückt sich heute viel eher der Faschismus (besonders sein populistischer Flügel) – welcher übrigens schon vor geraumer Zeit mit der Sozialdemokratie in Wettbewerb trat, die Vermittlung und die Schaffung von Harmonie zwischen Kapital und Arbeit betreffend, ja, für unsere Tage übernahm er von ihr diesen deklarierten Wirkungskreis beinahe vollständig. Und wenn wir bei Marx weiterlesen, können wir auf neuere interessante Untertöne aufmerksam werden: „Man muß sich nur nicht die bornierte Vorstellung machen, als wenn das Kleinbürgertum prinzipiell ein egoistisches Klasseninteresse durchsetzen wolle. Es glaubt vielmehr, daß die besonderen Bedingungen seiner Befreiung die allgemeinen Bedingungen sind, innerhalb deren allein die moderne Gesellschaft gerettet und der Klassenkampf vermieden werden kann.“ 11

Passen diese Zeilen nicht auch auf den Faschismus? Das Kleinbürgertum, welches Marx charakterisiert, kann ebenso die Basis für die Sozialdemokratie wie auch für den Faschismus sein. Was natürlich nicht dies bedeutet, daß es kein grober strategischer Fehler wäre, wenn wir unter Berufung auf funktionelle Kreuzungspunkte Gleichheitszeichen setzten zwischen der Sozialdemokratie und dem Faschismus, zwischen dem bürgerlichen Parlamentarismus und der mit offenem Terror durchgesetzten bourgeoisen Diktatur. Es bedeutet nur so viel, daß wir neben den Widersprüchen auch die Übereinstimmungen in der gesellschaftlichen Funktion der beiden politischen Richtungen bemerken müssen. Beide bemühen sich, die Massen mit, die Klassenkonflikte vertuschender, sozialer Demagogie in den (Schaf-)Stall des Kapitals zu treiben; und welcher von den Beiden die führenden Klassen der Gesellschaft die Stabilisierung ihrer Herrschafts– und Besitzverhältnisse anvertrauen, dies bestimmen immer die wirtschaftlichen und politischen Bedingungen. 12

Nach dem 2. Weltkrieg erhielt die Sozialdemokratie in erster Linie die Aufgabe den Gegensatz von Kapital und Lohnarbeit zu dämpfen und in Harmonie zu verwandeln. Ihre Beauftragung kann man drei Hauptursachen bzw. Gründen zuschreiben. Der erste leicht verständliche Grund: Der Faschismus mit seinen Raubzügen und Gemetzeln wurde weltweit verhaßt. (Der sowjetische Sieg reinigte wie ein Sturmwind die ideelle Atmosphäre der Erde.) Der zweite und wichtigste Grund: Die bloße Existenz und das stark gewachsene Ansehen der Sowjetunion zwang das Kapital in seinen Zentralländern, ‘Wohlstandsmaßnahmen’ zu treffen, den Massen und ihren Gewerkschaften politische und soziale Zugeständnisse zu machen. Der dritte Grund ist wirtschaftlicher Art (wenn auch kaum sichtbar, ist seine Wichtigkeit aber unbezweifelbar), nämlich: eine gewisse Umgestaltung der Verteilung zugunsten der Massen schuf eine Zeitlang Kaufkraft zugunsten des Kapitals, und was die Firmen mit so ergreifender Selbstlosigkeit von ihren Gewinnen für dieses Ziel opferten, das bekamen sie in noch größerem Maße wieder zurück. Die Sozialdemokratie konzentrierte ihre Tätigkeit auf die Verwirklichung der im zweiten Punkt aufgezählten Aufgaben, und sie bot eine hervorragende Leistung in der Rolle „als Arzt am Krankenbett des Kapitalismus“. Sie rettete den in einen kritischen Zustand gelangten Kranken, in ihrer heilsamen Praxis nicht zum ersten Male.

Die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingetretenen radikalen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen aber brachten der Sozialdemokratie eine geschichtliche Niederlage bei. Die wirtschaftliche Wende begann sich Ende der 1960er Jahre zu entfalten, als die keynesianische Stimulierung der Nachfrage, bzw. die sich an die Vollbeschäftigung annähernde Expansion die Profitrate niederdrückten und eine Reihe von Krisen auslösten. Das Überleben des Kapitals hing von der Durchführung der wissenschaftlich-technischen Revolution ab - was wiederum die Hetzjagd auf dem Weltmarkt, die Umgruppierung der Mittel aus der „Wohlstands“-Sphäre in die Kasse der transnationalen Monopole mit sich brachte. Damit läutete über der Sozialdemokratie die Totenglocke. Natürlich vergessen wir dabei nicht, daß der kapitalistische Staat die notwendige Bedingung, um sich auf dem Weltmarkt zu behaupten, nämlich den „Wohlstands“Abbau nicht hätte verwirklichen können, wenn die Sowjetunion nicht zerfallen wäre. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet hing das Schicksal der Sozialdemokratie von dem der Sowjetunion ab.

So sehr auch die rechten sozialdemokratischen Führer die Sowjetunion haßten, hätten sie die sozialen Zugeständnisse nach 1949, welche ihre reformistischen Erfolge begründeten, den Unternehmern keineswegs abringen können, wäre das Kapital nicht gezwungen gewesen, mit dem „Supermachtansehen“ der Sowjetunion zu rechnen. Die konterrevolutionäre Wendung – so sehr die Sozialdemokratie sie auch aktiv mit vorbereitet und begeistert begrüßt hatte, schlug vor ihr die Tür zu.13

In ihrer kleinbürgerlichen Klassenbestimmtheit gefangen und in Abhängigkeit von den Zwangsgesetzen des Wettbewerbes auf dem Weltmarkt treibt die heutige Sozialdemokratie unvermeidlich in die Richtung des Liberalismus, immer offener wird sie zur Hilfstruppe der Großbourgeoisie und verkommt sie zum Hausdiener der Monopole. Früher leitete und organisierte sie noch den Kampf um höhere Löhne; heute ist es ihre vorrangige Aufgabe, die Arbeiter davon zu überzeugen, daß wir alle in einem Boot mit dem Vorstand rudern, daß eine jede Lohnforderung den Weltmarktpositionen der Firma schadet, also den eigenen Aussichten der Arbeiter auf Erhaltung ihrer Arbeitsplätze. Am anschaulichsten ist vielleicht der Niedergang der friedlich in den Imperialismus hineingewachsenen kleinbürgerlichen Arbeiterpartei in Deutschland. Die deutschen Sozialdemokraten verkündeten 1994 einen umfassenden Sozialabbau, welcher mächtige Summen freimacht „für die Modernisierung der Gesellschaft“. Die Landes-, Gebiets- und städtischen Leiter der Partei waren alle Meinung, daß heute unter der „Modernisierung der Gesellschaft“ nicht die Emanzipation und der kulturelle Aufstieg der Massen zu verstehen sei, auch nicht die Erweiterung der Demokratie, wie in den 1960 er - 1970 er Jahren. Vielmehr müsse man, weil auf dem Weltmarkt ein entsprechender Gewinn nur von Erzeugnissen der Spitzentechnik erwartet werden könne, den Konzernen für ihre Entwicklung öffentliche Subventionen zukommen lassen. Heutzutage nehmen Sozialdemokraten als gesellschaftspolitisches Axiom zur Kenntnis, daß „Modernität“ in unseren Tagen gleichbedeutend mit der Verringerung der Arbeitslöhne und der „Lohnnebenkosten“ für Soziales und Arbeitsschutz sei und machen sich, solange das Kapital sie dazu braucht, zu Protagonisten vermeintlich „neoliberaler“ imperislistischer Wirtschaftpolitik. Peter Glotz, welcher gemeinsam mit anderen die heutige Politik der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands ausarbeitete, schrieb schon im Jahre 1984: „Man muß es klar und deutlich aussprechen, daß die Linke in Deutschland vernünftige Bedingungen für die Verwertung des Kapitals garantiert.“ Im Zeichen dieser Zielstellung berief zur Zeit der Wahlen von 1994 der damalige SPD–Kanzlerkandidat den Chef von Daimler-Benz, Edzard Reuter, einen der mächtigsten Industriemagnaten Europas, zum wirtschaftlichen Ratgeber und bemühte sich, neben ihm die angesehensten Vertreter des deutschen Finanzkapitals zu gewinnen, darunter den Vorsitzenden des Industriellenverbandes Hans-Olaf Henkel. 14

Die Sozialdemokratie hört auch heute nicht auf „reformistische“ Partei zu sein, nur daß der Inhalt der Reformen von heute das genaue Gegenteil dessen ist, was er früher war. Die Gesundheitsreform bedeutet die Umstellung von der staatlichen Fürsorge auf die „Selbstvorsorge“, die „soziale“ Reform die Liquidierung der sozialen Errungenschaften der Arbeiterschaft; die Unterrichtsreform versperrt den unteren gesellschaftlichen Schichten die Bildungsmöglichkeiten.15 Diese eigenartige Reformtätigkeit führt die politische Gegenreformation aus, ziemlich oft durch sozialdemokratische Regierungen, welche die „schmutzige Arbeit“, ohne mit der Wimper zu zucken, übernehmen. Zum Teil löst sich der „Wohlstands“reformismus der sozialdemokratischen Parteien auf, zum Teil wendet er sich Utopien zu.16 , in ihrer praktischen Politik aber verkommen die Sozialdemokraten zu schamloser Lakaienhaftigkeit im Dienste der finstersten Bestrebungen des Imperialismus. Sie selbst sägen den Ast, auf dem sie bisher saßen, unter sich ab und stoßen ihre eigenen Wähler von sich. Das Tragikomische ist, daß ihre ihnen auf den Leim gegangenen betrogenen Wähler ihnen von Zeit zu Zeit trotzdem unter die Arme greifen und ihnen von neuem Ministersessel unterschieben. Warum?

So sehr auch die Sozialdemokraten dem konservativ-liberalen Flügel der Bourgeoisie ähnlich werden, finden sie sich doch ungewollt plötzlich auf der linken Seite wieder, wenn selbst Clinton und Blair als „Linke“ an „linken“ Treffen teilnehmen. Solche „Linksorientierung“ allerdings ist überaus fraglich, und die Sozialdemokratie füllt sich immerwährend mit gefährlichen rechten Elementen auf, aber solange es keine konsequent linke große Massenpartei gibt, sind die Sozialdemokraten das einzige bedeutende Hindernis auf dem Wege des Faschismus - obgleich sie selbst den Weg des Faschismus pflastern und als Hindernis ihm gegenüber kaum wirkungsvoller sind als über kreuz gelegte Strohhalme. Wie lange können sie ihre fragwürdige Rolle spielen? Je mehr sich der „Wohlstands“staat in das „Elend“ umkehrt - wofür die zeitgenössischen objektiven Gesetze der Akkumulation des Kapitals mit absoluter Sicherheit sorgen, - desto weniger kann die Bourgeoisie die Sozialdemokratie für den demagogischen Ausgleich des Gegensatzes von Arbeit und Kapital benutzen. Diese Funktion zu versehen wird früher oder später nur noch der Faschismus in der Lage sein. Obgleich der Faschismus ähnlich wie die Sozialdemokratie die sozialen Spannungen mit den Methoden der Neuverteilung abzuleiten wünscht, beabsichtigt er nicht die Deckung für seine Versprechen durch das Abpumpen von Kapital aufzubringen, sondern auf Kosten des „fremden Kapitals“, durch Ausplünderung „terroristischer Schurkenstaaten“ usw.; und ohne Bedenken verbindet er dabei die Demagogie mit der für seine Räubereien unentbehrlichen Anwendung von äußerer und innerer Gewalt.17

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, welchen die politischen Schwindler euphorisch feierten, verstärkten sich die gefährlichen Prozesse. In der wieder „einpolig“ gewordenen Welt arbeitet die Zeit einstweilen für den Faschismus, Tag für Tag ist die gewaltsame Neuaufteilung im Gange, und im Besitz von Kernwaffen nähert sich die Menschheit dem Zeitpunkt, zu dem sie sich selbst ausrottet. Gibt es eine Aussicht zur Veränderung der verhängnisvollen Entwicklungsrichtung ?

Sehen wir uns einige theoretische und geschichtliche Zusammenhänge der Frage an.

III. Theoretische Zusammenhänge und geschichtliche Erfahrungen.

Das entscheidende Kettenglied

Nach Marx gestalten die Menschen selbst die Geschichte mit ihren Entscheidungen und ihrem Tun, aber unter fertig vorgefundenen objektiven Umständen. Letztere entstanden auch aus vorangegangenen sich auf Entscheidungen gründenden Handlungen, heute liegen diese aber schon hinter uns, und in unserer gesellschaftlichen Umgebung nehmen sie jederzeit eine abgeschlossene, „fertig vorgefundene“ Gestalt an. Wir haben über sie keine Macht mehr; die Vergangenheit ist eine tatsächliche Gegebenheit, welche wir nicht wählen, auch können wir sie nicht verändern. Das wiederum, was zu einem Zustand erstarrte, von der Umwelt verfestigt wurde, läuft weiter als lebendiger gesellschaftlicher Prozeß in die niemals endgültige Zukunft, eröffnet verschiedenartige objektive Möglichkeiten, und die subjektive Handlung bestimmt, welche von ihnen sich in der Geschichte verwirklichen werden. Natürlich sprechen wir nicht von der angeblich vom „freien Willen“ bestimmten individuellen Handlung (Das Individuum kann genauso wenig die allgemeinen Verhältnisse der Gesellschaft verändern, wie ein einziger Wassertropfen den Stein lösen kann.), sondern vom Handeln der Massen, vom Klassenkampf. Nichts ist im voraus bestimmt: das letzte Wort hat der Klassenkampf. Auch erscheint es naheliegend, daß der Klassenkampf nur innerhalb gewisser Grenzen den Gang der Geschichte bestimmen kann, abhängend von der gesellschaftlichen und geschichtlichen Lage der Klassen, von jenen objektiven Möglichkeiten welche das zur Gegenwart geronnene Vergangene entläßt und die von selbst auseinandertreiben. Ganz kurz: das subjektive Handeln wird objektive Tatsache, die Gesamtheit der Tatsachen wird zur Möglichkeit neuer Alternativen.18

Die objektiven Möglichkeiten unterscheiden sich voneinander nach dem Grad ihrer Wahrscheinlichkeit: um so näher sie der Verwirklichung sind, desto konkreter und realer sind sie, beziehungsweise umgekehrt, je wieiter sie davon entfernt sind, um so abstrakter und formaler sind sie. Die abstrakte, formale Möglichkeit kann über das Nacheinander zahlloser sich miteinander vermengender Grade zur konkret – realen Möglichkeit werden, aber ebenso kann sie im Zustand der Inkubation bleiben, oder sie kann auch verkümmern, für sich genommen bedeutet es nicht mehr, als daß die Sache „nicht unmöglich“ ist, daß mit der Zeit sich ihre konkreten Bedingungen entfalten können, obgleich sie augenblicklich vielleicht noch nicht einmal aufgetaucht sind, oder sie sind kaum wahrnehmbar. Je formaler die Möglichkeit, um so eher ist ihre Verwirklichung zufällig; je realer, um so näher gelangt sie zur Notwendigkeit (welche sich als Spiegelkategorie der „Möglichkeit“ gleichfalls auf der Bahn zwischen dem Abstrakten und dem Konkreten bewegt, wie weit sie demgemäß von der Verwirklichung ist)19

Der Kapitalismus beinhaltet selbst von Anfang an die abstrakte Möglichkeit seiner revolutionären Überwindung. Er beinhaltet sie deshalb, weil er sie selbst zustandebringt und ständig als Bedingung seiner eigenen Existenz seinen Totengräber unterhält, das Proletariat. Entgegen dem der Ausbreitung der Spitzentechnik anhaftenden Anschein ist das auch heute nicht anders: obgleich die Produktivitätsrevolution die Reihen des Industrieproletariates der Länder des Zentrums gründlich lichtet, kann das Kapital niemals die vollständige Automatisierung der Arbeitsprozesse vollbringen, weil es mit der Aufhebung der mehrwertproduzierenden Klasse sich selbst abschaffen würde. Während der gnadenlose Wettbewerb auf dem Weltmarkt dazu zwingt, daß die Produktivitätsrevolution ohne Unterlaß die Zusammensetzung und die fallende Tendenz der Profitrate steigert, zwingt andererseits die fallende Tendenz genauso unaufhörlich dazu, die Zusammensetzung durch die Proletarisierung immer neuer Massen zu verringern; damit werden gleichzeitig „überflüssig gewordene“ Millionen von Menschen aus der Produktion heraus - und in die Reservearmee hineingestoßen, und Millionen von Niedriglöhnern werden in die Produktion und in die Dienstleistungsbetriebe hineingezerrt zur Fortsetzung der ungestörten Erzeugung des Mehrwertes. Auf welches Niveau das Kapital auch die Produktivitätsrevolution hebt, kann es doch nicht einen einzigen Augenblick lang existieren ohne den Raub lebendiger Arbeit; seine Opfer gelangen notwendigerweise früher oder später an den Scheideweg: entweder sie gehen zugrunde, oder sie zügeln ihre Zerstörer. In dieser Alternative ist die ununterbrochen anwesende abstrakte objektive Möglichkeit des revolutionären Umsturzes des Kapitals verborgen.

Von der abstrakten Möglichkeit der Revolution sprechen wir zuzeiten, wenn weder (wie in unseren Tagen) die objektiven Bedingungen vorhanden sind noch das Proletariat zur revolutionären Selbstverteidigung bereit ist. Obgleich seine Unterdrücktheit objektive Tatsache ist, reicht sie selbst noch nicht aus, daß die Klasse sich ihrer eigenen gesellschaftlich- historischen Lage und ihrer daraus folgenden objektiven Klasseninteressen bewußt ist. Klassenlage und Klassenbewußtsein sind durchaus nicht das gleiche: aus der objektiven Lage folgt nicht automatisch die genaue Erkenntnis dieser Lage, noch weniger die zu ihrer Veränderung nötige Handlung, welche gewöhnlich mit schweren Opfern verbunden ist. In dieser Hinsicht gibt es einen großen Unterschied zwischen der herrschenden und der unterdrückten Klasse: die erste verteidigt im allgemeinen ganz bewußt ihre Interessen, die zweite erhebt sich nur schwer auf diese Stufe der Bewußtheit. Wegen der von der Bourgeoisie ausgeübten Gewalt und des ideologischen Druckes ist das Proletariat nur in seltenen Augenblicken, in den Grenzsituationen der Geschichte fähig, als selbständige politische Kraft zu handeln; nur in äußerste Verzweiflung gehetzt, entschließt es sich selbst zu seiner Befreiung. Bis dahin steht es in kleinerem oder größerem Maße unter dem Einfluß der herrschenden Klasse. Sein Denken und Verhalten ist von anderen Klassen, überwiegend den Mustern des Kleinbürgertums angesteckt, und anstatt daß es als geschichtliches „Subjekt“ bewußt sein eigenes Schicksal gestaltete, ist es eher bloßes Objekt des Handelns der besitzenden Klassen.

Von ihrer Tendenz her schreitet die Klasse von unbewußter Spontaneität voran der Bewußtheit entgegen, ihre geschichtliche Marschroute ist perspektivisch bestimmt von der Akkumulation des Kapitals, welche zugleich durch die Ausbeutung, die Unsicherheit der Existenz, die Anhäufung von lokalen – und Weltkriegsdrohungen sozusagen die Selbstschutzreflexe der Klasse herausfordern. Diese tendenzielle Entwicklung ist jedoch bei weitem nicht gleichmäßig und geradlinig: hier wölbt sie sich empor, dort nimmt sie ab, zuweilen bricht sie aus und schlägt hoch, ein anderes Mal verflacht sie und ist eine Zeit lang kaum wahrzunehmen. Über einen längeren Zeitraum zeichnen sich dennoch zwei Hauptentwicklungsstufen ab: das gewerkschaftliche Bewußtsein und das revolutionäre Klassenbewußtsein. Das erste entsteht auf dem wirtschaftlichen Boden des Klassenkampfes, in den Lohnkämpfen, welche die Arbeiter eines Betriebes, Industriezweiges, Landes für die Veränderung der Verteilungsverhältnisse ausfechten. Der wirtschaftliche Kampf ist ein bedeutender Schritt nach vorn im Verhältnis zum hilflosen Ertragen des Schicksals, insbesondere wenn er sich mit politischen Teilforderungen verbindet. Er kann Ausgangspunkt sein für die weitere Entwicklung. Aber wenn er nicht sich selbst übertreffend aus eigener Erfahrung zur Einsicht gelangt, sich nicht bis dahin entwickelt, daß er die Besitzverhältnisse der kapitalistischen Ordnung aufs Korn nimmt, dann ergreift früher oder später die Arbeiteraristokratie die Führung: jene Schicht, welche ihr Verhältnis zu den Produktionsmitteln an die Arbeiterklasse, ihre Lebensweise und Ideologie an die unteren Schichten des Kleinbürgertums bindet.

Daran ist die politische Reife der proletarischen Massen meßbar, daß und ob sie über die sich auf die Verteilung beziehenden Forderungen (über das gewerkschaftliche Bewußtsein) hinausgehend als selbständige Klasse für die Schaffung der politischen Bedingungen der den Kapitalismus ablösenden Gemeinschaftsgesellschaft eintreten. Dies ist eine schwere Frage. Unter den Verhältnissen der kapitalistischen Sklaverei ist, wie Lenin schrieb, „das Proletariat nicht bloß in Rußland, welches eines von den zurückgebliebensten Ländern war, sondern auch in allen anderen Ländern so sehr zersplittert, so sehr unterdrückt, hier und da bestochen“, daß es „ in seiner Mehrheit nicht fähig ist in sich selbst das völlig klare, sozialistische Bewußtsein, die sozialistische Überzeugung und die Festigkeit des Charakters zu entwickeln.“20 , und es schließt sich noch nicht einmal der Gewerkschaft an, obgleich diese eine einfachere Organisation ist und sie den Schichten mit weniger entwickeltem Bewußtsein näher steht. 21 Im Zeitalter des Kapitalismus „kann die politische Partei nur die Minderheit der Klasse vereinigen; wie die wahrhaftig selbstbewußten Arbeiter nur die Minderheit der Klasse bilden. Deshalb sind wir gezwungen anzuerkennen, daß nur die selbstbewußte Minderheit die breiten Arbeitermassen führen und hinter sich aufstellen kann.“22

„Nur die kommunistische Partei – wenn sie tatsächlich die Vorhut für die revolutionäre Klasse ist, wenn sie in sich die sämtlichen besten Elemente der revolutionären Klasse vereinigt, wenn sie aus ganz selbstbewußten und selbstlosen, durch zähen revolutionären Kampf aufgeklärten, gestählten Kommunisten besteht, wenn sie sich mit dem ganzen Leben der Klasse und durch dieses mit der gesamten Masse der Ausgebeuteten zu einer unzertrennlichen Einheit verbinden und in dieser Masse völliges Vertrauen erwecken konnte - nur eine solche Partei ist fähig das Proletariat im erbarmungslosen, entscheidenden, letzten Kampf gegen die gesamten Kräfte des Kapitalismus zu führen.“23

In Rußland gab es eine solche Partei, und im Oktober 1917 zeigte sie, daß sie sich für ihre historische Mission vorbereitet hatte. Auch hat es sich erwiesen – nicht zum ersten Male – daß die revolutionären Augenblicke, welche in der Geschichte fast so außergewöhnlich sind wie in der Geschichte der biologischen Arten die günstigen Mutationen, sich durchaus nicht von selbst, nicht automatisch ergeben. Nach dem Februar 1917, als in Rußland praktisch eine Doppelherrschaft entstand, hätten die Sowjets mehrmals die Gelegenheit gehabt die ganze Macht an sich zu reißen - sie taten es trotzdem nicht, statt dessen traten die Führer der Menschewiken und Sozialrevolutionäre in die Regierung ein, und sie übergaben die Macht der konterrevolutionären Bourgeoisie. Von den objektiven Alternativen wählten die Sowjets die für sie ungünstigste, weil sie von der das Land überschwemmenden kleinbürgerlichen Strömung mit gerissen waren, „steckte sie die wichtigste Sünde der kleinbürgerlichen Schichten an, die Leichtgläubigkeit gegenüber den Kapitalisten.“ 24

Lenin und die Bolschewiki sahen wohl, daß was zu tun wäre, aber die  Massen, ohne welche es keine Möglichkeit gibt, die Geschichte in die revolutionäre Richtung zu lenken, konnten sie einstweilen nicht überzeugen. Später, unter den Peitschenhieben der Gegenrevolution überzeugten sich die Massen von ihrem Irrtum, und sie stellten sich auf die Seite der Bolschewiki. Die Revolution errang den Sieg.

Was folgte auf den Sieg? Intervention, Bürgerkrieg, Hungersnot, Elend. Die Aussichten der Revolution auf die Niederlage waren tausendfach größer als auf den Sieg. Dennoch, sie festigte sich, innerhalb von zehn Jahren errichtete sie die zweitstärkste Industrie der Welt, danach warf sie mit unglaublicher Kraftanstrengung und Opfern die fürchterlichste, aggressive Koalition der Geschichte nieder. Dies war eine übermenschliche Leistung, der Triumph der subjektiven Handlung über als unüberwindbar geltenden objektive Schwierigkeiten.

Aber gehen wir weiter, während sieben Jahrzehnten der Revolution stellte sich ganz klar heraus, daß das Wachsen des Selbstbewußtseins der Klasse und ihr revolutionäres Verhalten kein endgültiges Ergebnis sind; daß die um den Preis von Millionen Menschenleben errungene Wende sich als zeitweilig erweisen und dahinschwinden kann, das Selbstbewußtsein der Klasse von seinen höchsten Höhen in die tiefsten Niederungen der Unwissenheit, in das politische Koma abstürzen kann. Hier stehen wir heute. Warum konnte das geschehen?

Die feindliche Umgebung von außen und ein ungleicher wirtschaftlicher Übergangszustand im Innern beinhalteten zweifellos die objektive Möglichkeit des Sturzes. Darüber ob es gelingt, beides weitgehend zurückzudrängen und im Zaume zu halten, kann einzig und allein der Klassenkampf entscheiden; der allgemeine Ausgang des Klassenkampfes aber hängt ab vom Führungsstab, der Stärke der Partei, von ihrer Vorbereitung und ihren Beziehungen zu den Massen.

Nachdem das Proletariat die Macht ergriffen hat, besetzt das Kleinbürgertum gesellschaftliche und staatliche Positionen, strömt in die Partei ein, seine größere Bildung, Kultur, routinierte Anpassungsfähigkeit ausnutzend, aber auch aus augenblicklicher Begeisterung und Symphatie für die proletarische Sache. Der Kampf der proletarischen und kleinbürgerlichen Elemente ist in der Partei ebenso wie auf jedem anderen Gebiet des gesellschaftlichen Lebens im Gange - ausgelöst besonders von der Zunahme der internationalen und inneren Schwierigkeiten. Der innerparteiliche Kampf jedoch besitzt eine besondere Bedeutung. Unter Berücksichtigung der entscheidenden Rolle der Partei bei der Bestimmung der Richtung der Übergangsepoche ist der innerparteiliche Klassenkampf das strategische Terrain von entscheidender Wichtigkeit für die Klassenkämpfe der Übergangszeit.

Während der Konterrevolution brachte die Bourgeoisie in der Sowjetunion und bei ihren Verbündeten zuerst in der Partei die Macht an sich, von hier befehligte sie dann den Systemwechsel. Ihr unerwarteter Erfolg warf die Weltgeschichte um ein ganzes Zeitalter zurück. 25

Die Sowjetunion war aus einem Trümmerhaufen zur Supermacht geworden, dann wurde sie von einer Supermacht zum Trümmerhaufen. Als sie ein Trümmerhaufen war, war in ihre Zukunft nicht im voraus der Sieg „einprogrammiert“, und nachdem sie Supermacht geworden war, war in ihre Zukunft nicht im voraus der Untergang „einprogrammiert“. Alle beide - der Sieg und der Untergang - standen als objektive Möglichkeit im Block der Zukunft verborgen, aus welchem der Meißel des Klassenkampfes das eine oder das andere ausformt. Wann und ob er welches von beidem ausformt, ist die Folge der komplizierten Wechselwirkungen der innerhalb und außerhalb der Partei vorgehenden, einander widerspiegelnden und beeinflussenden Klassenkämpfe. In diesen Kämpfen ist das entscheidende Kettenglied: die Partei. Die Siege des ersten Abschnittes der sowjetischen Geschichte organisierte die Partei, aber auch für ihre in den Untergang mündende Niederlagen ist die Partei verantwortlich. Niemand beschloß vom Beginn der Schöpfung an die Oktoberrevolution, daß Sichbehaupten und den Aufstieg der entstehenden neuen Gesellschaft, niemand aber auch, daß die Würmer die Partei Lenins mit der Zeit von innen zernagen, und daß die Welt wieder „einpolig“ werden würde.

Die Partei von Marx und Lenin entstand in den Selbstverteidigungskämpfen der Klasse. Daß diese Partei sich zum Führungsstab der Klasse zu organisieren vermochte, legte den Grund für den Kampf des Proletariates um die Befreiung. Die Partei ist das Selbstbewußtsein der Arbeiterklasse. Das Klassenbewußtsein jedoch entsteht niemals automatisch und ist immer verhältnismäßig; über wissenschaftliches Klassenbewußtsein verfügt unter den Bedingungen des Kapitalismus nur eine Minderheit der Klasse (auch das nicht im gleichem Maße), die sich in der Partei vereinigt hat; ein anderer Teil ist nur insofern klassenbewußt, als er der Partei folgt, auch wenn er keine völlig klaren Vorstellungen von der gesellschaftlichen Wirklichkeit hat; ein bedeutender Teil der Klasse verbleibt, unter dem Einfluß der kleinbürgerlichen Ideen, auf dem Niveau der Spontaneität. Diese Aufteilung selbst ist natürlich auch stark relativ: in der unaufhörlichen Wechselwirkung der Klassen sind die Grenzen überschreitbar und verwischt, die kleinbürgerlichen Ideen und Stimmungen sind auch in der Partei ständig gegenwärtig, das spontane und bewußte Verhalten gehen ständig ineinander über. Auch während des Übergangs zwischen Kapitalismus und Sozialismus schwankt das Klassenbewußtsein unaufhörlich den Veränderungen der geschichtlichen Situation und dem Niveau der Tätigkeit der Partei entsprechend. Das eigentliche Klassenbewußtsein (das wissenschaftlich begründete gesellschaftliche Bewußtsein) erlangt die Klasse insgesamt erst dann, wenn sie schon nicht mehr existiert, wenn sie sich zusammen mit aller Klassenaufteilung auch selbst als Klasse aufhebt.

Aus dem Gesagten können die gegenwärtigen Aufgaben entnommen werden.

Die wachsende Aggressivität des Imperialismus, welche im Zeitalter nuklearer Waffen die Gefahr der Vernichtung des Lebens auf der Erde in greifbare Nähe bringt, beginnt den Massen nicht nur den alternativen Charakter der Geschichte bewußt zu machen, sondern auch das lebenswichtige Muß einer sich von der gegenwärtigen scharf unterscheidenden Entwicklung. Nicht der Untergang ist die einzige Möglichkeit! Der Widerstand beginnt sich zu organisieren, manchmal mit überraschender Breite und Kraft. Aber die sich vorerst nur locker und gelegentlich verbündenden nach vielen Seiten ziehenden Gruppen gelangen nicht bis an die Wurzeln der Übel. Das gefährlichste Negativum unserer Zeit ist, daß es kaum Parteien Marx’schen und Lenin’schen Typus gibt, welche allein fähig sind, in den komplizierten Klassenkämpfen des Imperialismus die für die strategischen Entscheidungen notwendigen Erfahrungen zu sammeln, zu analysieren und verallgemeinern, die Art des Handelns zu planen, die Massen für die Durchführung der Vorstellungen zu mobilisieren. Unsere erste und wichtigste Pflicht kann schwerlich etwas anderes sein als die Neuorganisation der Partei von Marx und Lenin. Dafür ist die entscheidende Vorbedingung, daß wir die Verleumdungen methodisch entlarven, welche aus unseren eigenen Reihen die internationale Arbeiterbewegung zu Boden streckten, zusammenschossen und unsere sozialistische Vergangenheit bis zum heutigen Tage schlecht machen und anschwärzen.

Je schärfer die Widersprüche der Geschichte sind, um so mehr hängt von der persönlichen Bereitschaft, der Opferbereitschaft der Beteiligten ab, von ihrem Charakter, von, unter dem Gesichtspunkt des Gesamtprozesses, zufälligen Eigenschaften. Vielleicht ist es genauer, zu sagen, daß die persönlichen Eigenschaften in jedem politischen Klima zählen, nur sind sie manchmal spektakulärer, ein anderes Mal weniger. Zuzeiten der Ebbe sind sie nebensächlich. Dem Anschein nach verlaufen zwar alle unsere positiven Anstrengungen im Sande; jedoch vergessen wir nicht, daß in der unfruchtbaren Gleichförmigkeit der Generationen, wenn auch kaum wahrnehmbar, sich quantitative Veränderungen anhäufen, bis irgendwann auch daraus etwas wird, was beinahe Nichts ist.

Die alten Griechen grübelten so: Wird einem ein Haar herausgezogen, ist er noch kein Kahlkopf. Weder von zwei, noch von drei Haaren. Mit wieviel herausgezogenen Haaren beginnt die Kahlköpfigkeit? Oder: wenn ich ein Weizenkorn aus dem Haufen nehme, bleibt der Haufen weiterhin, was er ist. Nach zwei Weizenkörnern ebenfalls. Bis wohin ist der Haufen ein Haufen? Denken wir uns davon angeregt ein ähnliches Spiel aus: wir füllen Korn für Korn Weizen in einen Sack. Wann wird der Sack voll sein? Und für wen von uns werden die sich immer wiederholenden Bewegungen überhaupt von Bedeutung
sein? Der Sack wird sich auch ohne mich füllen. Ein einzelner zählt nicht. Aber wenn keiner ihn füllt, ist es sicher, daß der Sack sich nie füllen wird. Aber die Bildersprache ist nur ein Schleier mangels konkreter Aussage. Setzen wir das nicht fort. Schließen wir lieber mit einigen Sätzen von Fidel Castro:

„Niemals war resignierte Unterwerfung oder Defätismus gegenüber den Schwierigkeiten für uns charakteristisch. Uns bleibt keine andere Wahl als zu kämpfen und dabei auf die gewaltige moralische und geistige Fähigkeit der Menschheit und auf ihren Erhaltungstrieb zu vertrauen, wenn wir die Hoffnung auf das Überleben hegen wollen. In dem gleichen Geist und mit der gleichen Entschlossenheit müssen wir bereit sein, die größte, gerechteste, würdigste und notwendigste Schlacht für das Leben und die Zukunft unserer Völker anzutreten.“26

26 Fidel Castro: ...wenn wir überleben wollen. Die ökonomische und soziale Krise der Welt. Dortmund, 1984.


Halbmond und Roter Stern

Ein politischer Reisebericht aus der Türkei

von Hans Heinz Holz


Im langsam dunkelnden Himmel stand der Halbmond über dem offenen Amphitheater. Dicht gedrängt waren die steil ansteigenden Ränge besetzt. Mindestens 5 000 Menschen waren am Samstag Abend nach dem Ende der Arbeitszeit aus ganz Izmir herbeigeströmt. So mochten vor zweieinhalbtausend Jahren die Bürger Athens zu den Tragödien des Sophokles gekommen sein.

Heute war es keine Theateraufführung, die sie besuchten, sondern die Festkundgebung zum 60 Jahrestag des Sieges über den Faschisdmus. Auf der ganzen Breite der Bühnenrückwand das Foto des Sowjetsoldaten, der die Fahne der Roten Armee auf dem Reichstag hißt, umgeben von den Ruinen des zerstörten Regierungsviertels von Berlin. Da, irgendwo zwischen den Trümmern der Reichskanzlei, hatte Hitler Selbstmord begangen, 8o Millionen Tote und eine geschändete Kultur hinterlassend.

Erinnerungen kommen auf. Trauer um die Opfer, Zorn über uns selbst heute, denen es nicht gelang, den Sozialismus zu verteidigen und das Wiederaufkommen des Faschismus zu verhindern. Und ein Glücksgefühl über den lebensfrohen, kämpferischen Optimismus dieser Menschen hier, die sich durch Unterdrükkung und Not den Mut nicht brechen lassen.

„Zwei Tage des 20. Jahrhunderts sind es, deren wir als Ruhmestage in der Geschichte der Arbeiterklasse zu gedenken haben: des Tages der Oktoberrevolution und des Tages der Befreiung vom deutschen Faschismus“, beginne ich. Daß der Sieg über den Faschismus den Sieg des Kommunismus in der Sowjetunion voraussetzte, ist allen klar, obwohl die meisten wohl keine organisierten Kommunisten sind. „Seit 60 Jahren bin ich Kommunist und werde es bis an mein Lebensende bleiben.“ Der aufbrandende Beifall zeigte, wo die Menschen stehen. Sie wissen, daß der Sieg über den Faschismus nicht ein Stück ruhmreiche Geschichte ist, sondern immer wieder neu erkämpft werden muß. Bei der Veranstaltung in Istanbul ist es der Parteivorsitzende der EMEP, Levent Tuzel, in Izmir der stellvertretende Parteivorsitzende Abdullah Varlie, die Bushs Politik mit der Hitlers vergleichen. Nicht eine Person, sondern der Imperialismus als System bringt den Faschismus hervor. Die beiden Manifestationen vermitteln einen plastischen Eindruck von der kulturellen Vielfältigkeit der Türkei. In Izmir eine mediterran-volkstümliche Veranstaltung, in Istanbul eine intellektuell geprägte Zeitdiagnose: eine Dichterlesung, Vortrag von Brecht-Texten, begleitet von Videosequenzen, die Szenen aus der faschistischen Vergangenheit und der heutigen Gegenwart ineinanderblenden - der Hitlerkopf ging über in die Grimasse des lächelnden Bush.

In Izmir war das Kundgebungsprogramm zweigeteilt. Auf zwei politische Reden und Grußadressen folgten türkische und kurdische Tanzgruppen, Sängerinnen und Sänger; dazwischen skandierten Sprechchöre antiimperialistische Parolen. Das große Theaterrund wurde von einer hochwogenden Begeisterung mitgerissen, die Menschen tanzten, klatschten rhythmisch und sangen mit. Die Verwurzelung sozialistischer Politik im Leben und Empfinden der Arbeiterklasse war in jedem Augenblick spürbar. In beiden Städten waren die Veranstaltungen weit draußen am Stadtrand gelegen. Es brauchte eine, anderthalb Stunden Anfahrt. Der Eintrittspreis von 10 türkischen Lira war hoch (bei einem Monatsmindestlohn von 300 Lira), und doch kamen Tausende. Daß der Faschismus eine aktuelle Gefahr ist, wissen die Menschen, die Jahrzehnte gewalttätiger Unterdrückung hinter sich haben. Alle die Gewerkschafts- und Parteifunktionäre, mit denen ich sprach, waren jahrelang im Gefängnis, viele wurden schwer gefoltert, aber ihr Geist blieb ungebrochen. Wenn auch im Augenblick die Rechtslage etwas günstiger ist, so müssen sie doch damit rechnen, daß die Verfolgung jederzeit wieder einsetzen kann.

Bei meiner Rückkehr las ich, daß die Lehrergewerkschaft verboten wurde, weil sie das Recht auf Ausbildung in der Muttersprache als Forderung in ihre Statuten aufgenommen hat. So schnell können sich Zugeständnisse an demokratische Spielregeln als Schein erweisen! Ein Fünftel der Bevölkerung der Türkei sind Kurden, denen die Anerkennung der eigenen Sprache verwehrt wird.

Nationalistisches Erbe

Türkischer Nationalismus, mit der Furcht vor der Verselbständigung der ethnischen Minderheiten, ist ein Erbe der Gründerzeit des Staates. Als aus dem Zusammenbruch des osmanischen Reiches am Ende des 1. Weltkriegs die Türkei hervorging, setzte Kemal Atatürk einem durch den Islam geprägten Vielvölkerimperium die Konzeption eines bürgerlichen Nationalstaats entgegen. Die Verfassung wurde streng laizistisch angelegt - in ihr ist (in einem Land mit 97 Prozent islamischer Bevölkerung) das Kopftuchverbot festgeschrieben. Die Armee wurde gegen die Geistlichkeit zum Hüter der Verfassung.

Unter den Nachfolgestaaten des osmanischen Reiches im Nahen Osten war die Türkei der größte und modernste. Sie übernahm die Funktion der alten Sultanatszentrale, Ordnungsmacht der Region zu sein und verband mit dieser Tradition ihre neue nationale Identität. Aber im Spiel der Großen - britischer Einfluss in den Ölgebieten des Irak und in Ägypten, französischer in Syrien und im Libanon - blieb die Türkei ein Faktor zweiten Ranges und mußte um so mehr ihre Integrität auf die Ideologie des Nationalismus stützen - sozusagen ein Nachholprozess im Gefolge der bürgerlichen Revolutionen des 19. Jahrhunderts. Das war keine gute Voraussetzung für eine tolerante Nationalitätenpolitik, zumal die größte Minderheit, die Kurden, grenzübergreifend auch im Irak und Iran und in Syrien siedeln und ihr Beharren auf Eigenständigkeit stets die Furcht vor einer zentrifugalen Bewegung heraufbeschwor.

Proletarischer Internationalismus hat es da nicht leicht. Die türkischen Kommunisten vertreten unzweideutig das Recht der Kurden auf ihre ethnische und kulturelle Eigenart. „Die Kurden, die sich für ihre Sprache, Kultur und Identität und für ihre politischen Rechte gegen die Assimilationspolitik der türkischen Regierung zur Wehr setzen, führen einen gemeinsamen Kampf mit den Arbeitern und Intellektuellen aller Nationalitäten und Völkerschaften in der Türkei“. heißt es in einer Erklärung der EMEP. Kurden sind Mitglieder der Parteiführung. Türken und Kurden haben die gleichen Ziele im Klassenkampf. Die Probleme, mit denen sich Kommunisten auseinanderzusetzen haben, sind nicht ethnische, sondern soziale. Von den städtischen Ballungsgebieten zu den ländlichen Zonen gibt es ein Gefälle des Entwicklungs- und Lebensstandards, in dem sich ein Abstand von Jahrhunderten spiegelt.

Wachsende Gegensätze

Die Gegensätze fallen auf, wenn man einige Tausend Kilometer durch das Land fährt. Da gibt es hochindustrialisierte Zonen, in denen die Firmennamen und Logos europäischer Konzerne ins Auge springen. Das Interesse, die Türkei in die EU zu integrieren, wird verständlich. Mit 80 Millionen Menschen ist sie ein interessanter Markt, und das soziale Niveau erlaubt eine verschärfte Ausbeutung, sodass Investitionen sich lohnen, zumal der Ausbildungsstand gut ist. Dann wieder durchquert man Gebiete, die karg und dünn bevölkert sind und offenbar am Entwicklungssprung der letzten Jahrzehnte kaum Anteil hatten. So erklärt sich auch die Bevölkerungsballung in den städtischen Zentren: Istanbul hat fast 15 Millionen Einwohner, Izmir 3 Millionen. Die Menschen verlassen die wenig erschlossenen, wasserarmen, felsigen Landstriche. Die Landstraßen sind fast unbefahren (aber in gutem Zustand), während sich um die Städte der Verkehr drängt und in den Städten der Straßen verstopft sind.

Es liegt im Interesse des türkischen Volkes, daß diese regionalen Unterschiede im wirtschaftlichen und technischen Entwicklungsstand ausgeglichen werden.. Die Investitionsstrategie der westlichen Konzerne dagegen orientiert sich an Standortvorteilen und globalen Vernetzungen. Der Anschluß an die EU würde wohl verstärkt Kapitalströme in die Türkei lenken, aber auch die Ungleichmäßigkeit der Entwicklung weiter begünstigen. Schon jetzt, so stellt die EMEP in einer Analyse der türkischen EU-Beziehungen fest, „sind unter dem Druck der EU die Landwirtschaft und kleine und mittlere Industriebetriebe an den Rand des Zusammenbruchs getrieben worden und werden durch die EU-Monopole ausgeplündert. Ein großer Teil des Nettoeinkommens fließt in die EU.“ Natürlich würde ein Anschluß an die EU eine Milderung des reaktionären Unterdrückungsregimes bewirken. Menschenrechte, Minderheitsrechte und funktionierende demokratische Institutionen sind in den Kriterien von Kopenhagen festgeschrieben: Aber der formaldemokratische Fortschritt würde durch steigende ökonomische Abhängigkeit erkauft. Dagegen hält die Linke fest: „Fortschrittliche Kräfte in der Türkei erwarten nicht, die Demokratie aus der EU zu importieren, sondern sie kämpfen für sie.“

Demokratie erkämpfen - nicht „importieren“

Die Besinnung auf die eigene Kraft zu wirklichem Fortschritt ist realistisch. Die Orientierung auf die Großmächte führt nur in neue Abhängigkeiten. EU und USA fechten auf türkischem Boden ihre ökonomischen Konkurrenzkämpfe aus. Schröder kam mit 600 Wirtschaftsbossen im Gefolge zum Staatsbesuch nach Ankara, und wenn er von Demokratie sprach, so meinte er die Investitionsbedingungen für das europäische Kapital. Die USA denken in militärischen Konzeptionen: Richard Holbrooke, Spitzendiplomat aus dem State Department, sprach es klar aus: Die Türkei sei „strategischer Partner an allen drei Fronten: Balkan, Kaukasus, Golf“. Auf dem Balkan heißt das Eindämmung der europäischen Expansion nach Ost und Südost, im Kaukasus und am Golf geht es um die Sicherung des Zugriffs aufs Erdöl.

Zwischen den Fronten

Zwischen diesen Fronten wird die Türkei hin und her gerissen, solange sie sich von den Kapitaleinflüssen der imperialistischen Metropolen abhängig macht. Die Option für die EU ist keine Option für die eigenen türkischen Interessen. Sich aus der Umklammerung der Ausbeuter zu befreien, ist ein vordringliches Ziel linker Politik. Darum ist die nationale Frage ein unverzichtbarer Teil des sozialistischen Programms. „Für die Arbeiterklasse ist der Widerstand gegen den Anschluß der Türkei eine Bedingung ihrer antiimperialistischen und patriotischen Ziele“. Um diese Einsicht zu wecken, müssen in der türkischen Öffentlichkeit noch viele Illusionen zerstreut werden.

(Mit Dank wntnommen aus "unsere Zeit" vom 29. Juli 2005, S. 21. Dort hieß es in einem Vorspann zu diesem Text: Zum 60. Jahrestag des Sieges über den Faschismus sprach Hans Heinz Holz im Mai dieses Jahres auf zwei Großkundgebungen in Istanbul und Izmir. Anschließend hielt er Philosophie-Vorlesungen an den Universitäten in Istanbul, Ankara und Izmir. Für die UZ baten wir den Autor um einen politischen Reisebericht.         Red. WBl.)



* Gemeint war „reformerisch“ - die Benutzung des in der Arbeiterbewegung zum festen Terminus erstarrten Wortes „reformistisch“ verwirrte damals die Diskussion beträchtlich.

* Abweichend vom Druckbild im Jg. 95 setzen wir um der Übersichtlichkeit willen einige sehr ausufernden Anmerkungen - damals schon von Hans Heinz Holz beanstandet - nicht unter den Strich, sondern im Kleindruck in den Text selbst.

[1] Diese Begriffe wirken gewiß etwas gesucht-unbeholfen. Aber sie erscheinen mir für beide in der PDS aufeinandertreffenden Kräfte nicht provokativ, sondern als Selbstbezeichnungen akzeptabel und darum für deren mittelfristige politische Verständigung - und gerade daran liegt mir hier - nicht hinderlich. (Selbstverständlich besagen sie nicht etwa, Demokratische Sozialisten seien unwissenschaftlich und Wissenschaftliche Sozialisten undemokratisch). Inwieweit ich selbst diese Begriffe im übrigen für zutreffend halte, lasse ich hier offen.

[2] Bloße Ablehnung kommunistischer Meinungen, so wie man alle möglichen „Ismen“ ablehnen kann, nenne ich keineswegs schon „antikommunistisch“. Es geht nicht darum, ob man Marx, Engels oder Lenin in dem Sinne widerspricht wie andere Leibniz, Kant oder Hegel. Im Antikommunismus geht es nicht um kritischen Meinungsstreit, sondern der Kommunismus selbst wird zum Kriterium nicht einmal nur für das, was richtig oder falsch, sondern dafür, was gut oder böse ist: etwas gilt allein darum als verwerflich, weil man es für kommunistisch hält. Und wer dieses Tabu bricht, macht sich selbst des Kommunismus verdächtig. Die Zeiten des flexiblen Antikommunismus sind vorbei, in denen einen schon eine geringfügige Meinungsverschiedenheit mit Kommunisten salonfähig machte, und die Zeiten sind zurückgekehrt, in denen man bereits durch eine geringfügige Übereinstimmung mit ihnen zum Outcast wird. So gingen römische Caesaren mit Christen um: „Wenn der Tiber steigt oder der Nil fällt - Christen vor die Löwen!“ Das nennt man eine Verfolgung „nomine ipso“ - „nur um des Namens willen“ - weil jemand ist, was er ist! Wer nicht als der neuen Lehre verdächtig in die Arena geschickt werden wollte, mußte dem Kaiser zumindest ein Körnchen Weihrauch streuen, und wer kein Berufsverbot riskieren will, muß zumindest den Kapitalismus „Marktwirtschaft“ nennen, der Einheit Deutschlands seine Reverenz erweisen und vor allem in aller Form den „Stalinismus“ verwerfen.. So werden keineswegs nur „Biographien beschädigt“, sondern Charaktere gebrochen, und wer sich hier anpaßt, verstärkt damit den Anpassungsdruck, indem er ihn nach unten weitergibt. Hier liegt die Versuchung der PDS! Mit ihr wird ihre Bedrohung von außen umgesetzt in eine Gefahr von innen.

* Inzwischen ist er tatsächlich ausgetreten. - Anm. im Jahr 2005

[3] Es geht (um die ständig demagogisch mißdeutete marxistische Begrifflichkeit noch einmal zu erklären) darum, die unter Umständen politisch durchaus demokratisch strukturierte, ökonomisch aber uneingeschränkte Macht des Kapitals über die ganze Gesellschaft, und in diesem Sinne seine „Diktatur“, durch die „Diktatur“ des Proletariats abzulösen, das heißt für die, die den gesellschaftlichen Reichtum erarbeiten, die aller politischen Macht zugrundeliegende und sie bestimmende ökonomische Macht zu erkämpfen und damit überhaupt erst Demokratie als „Volkssouveränität“, als uneingeschränkte Volksherrschaft, in der die Produzenten über die gesellschaftliche Produktion bestimmen, zu ermöglichen.

[4] Bei der gegenwärtigen Wahlpropaganda der PDS: 'wählt PDS, damit grün-rosa-Koalitionen entstehen', ist ja ohnehin schwer einzusehen, warum man, wenn es nur darum ginge, nicht unmittelbar SPD oder Grüne wählen soll, es sei denn, die PDS vermöchte deutlich zu machen, wie sich auf ihre Toleranz angewiesene rosa-grüne Koalitionsregierungen von solchen unterscheiden, die solcher PDS-Tolerierung nicht bedürfen. Das wäre aber nur bei einer bedingten, nicht bei einer unbedingten Tolerierung möglich - und eine bedingte Tolerierung wäre nur dann möglich, wenn sie nicht aus Opportunismus, sondern nach dem Maß eines klaren verbindlichen Oppositionsprogramms erfolgte

[5] Zur Lösung beider Aufgaben gibt es vielfältige Ansätze, einerseits zur Verständigung von Kommunisten untereinander (z.B. vom Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD über die internationalistischen Initiativen von Ludo Martens in Brüssel bis zu einem jüngst von der Kommunistischen Partei Griechenlands organisierten internationalen Treffen vieler kommunistischer Parteien), andererseits zur Orientierung von Kommunisten hinsichtlich ihrer Aufgaben in nichtkommunistischen Linksparteien, in denen sie als Kommunisten ihre Verantwortung wahrnehmen (z.B. die Kommunistische Plattform in der PDS). - Übrigens sind in deren Mitteilungen, Heft 7/95, die Beiträge von M. Benjamin und E. Brombacher sowie K. Steiniger im Blick auf die Sorgen in und um die PDS ergänzend zu diesen Vorbemerkungen zur Lektüre zu empfehlen.

[6] MEW Bd. 4, S. 378

[7] MEW Bd. 4, S. 372 - 18. Frage

[8] ebd. S. 378 f. - Hervorhebungen H.M.

[9] (MEW Bd. 4, S.474 f. und 492 f.) - Es zwingt zu grundlegend neuen Überlegungen, daß jenes Proletariat, das nur seine Ketten zu verlieren und eine Welt zu gewinnen hat, sich heute überwiegend an der Peripherie der imperialistischen Metropolen findet und nach seiner Produktivkraft keine Nachfrage besteht, während das Kapital innerhalb seiner Mauern, vor allem der Mauern der „Festung Europa“, die am ergiebigsten Ausgebeuteten durch Beteiligung an einem - äußerst geringen - Teil der Beute korrumpiert und ihren Klasseninteressen erfolgreich zugunsten ihrer Privatinteressen entfremdet. Das aber ist nicht hier unser Thema.

[10] Übrigens wäre auch der umgekehrten Frage einmal nachzudenken: Bedarf es nicht angesichts dessen, daß in vielen zentralimperialistischen Ländern durch fortschreitenden Demokratieabbau und antikommunistische Manipulation eine unmittelbare parlamentarische Repräsentanz des wissenschaftlichen Sozialismus immer unwirksamer wird und die Kommunisten möglicherweise immer häufiger ihre demokratische Mitverantwortung vermittelt durch nichtkommunistische oppositionelle Reformparteien wahrnehmen müssen, des Zusammenschlusses parteiloser, in reformistischen Oppositionsparteien, in Gewerkschaften, Betriebsräten, Organisationen und Vereinen gesellschaftlich Marginalisierter und in kommunistischen Parteien politisch tätiger wissenschaftlicher Sozialisten zu einem Bund der Kommunisten, in dem sie in internationalistischem Horizont gemeinsam historisch-dialektisch-materialistische Analysen der gegenwärtigen und Perspektiven der künftigen Gesellschaftsentwicklung erarbeiteten und sich solidarisch über ihre Vorhaben und Aufgaben verständigten?

1 MEW  19, S. 150 - 166

2 Ebd. S. 165 - Hervorhebung im Original

3 Ebd.

4 Siehe hierzu die „Statuten des Bundes der Kommunisten“, MEW 4, S. 596-601

5 K. Marx/F. Engels, Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom März 1850, MEW 7, S. 248-249 - Hervorhebung U.H

6 Siehe hierzu „Die sechste (Prager) Allrussische Parteikonferenz der SDAPR. Prag, 5. - 17. (18.- 30. Januar 1912)“ in: Kommunistische Partei der Sowjetunion in Resolutionen und Beschlüssen der Parteitage, Konferenzen und Plenen des ZK, 1898 - 1954; Bd. II, Berlin 1957, S. 121 f.; Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion in sechs Bänden, Bd. II, Moskau o.J., S. 402 ff.; W .I. Lenin; Gegen eine Vereinigung mit den Liquidatoren, Werke Bd. 17, S. 487; ders., Über das Liquidatorentum und über die Gruppe der Liquidatoren, ebd. S. 472; ders., „Brennende Fragen“ unserer Partei, ebd. S. 398-404; ders. Vorwort zu der Broschüre „Zwei Parteien, Werke Bd. 17, S. 212-215.

7 Karl Kautsky, Bernstein und das Sozialdemokratische Programm. Eine Antikritik, 1899. In: Internationale Bibliothek, Bd. 97, 2. Aufl. Berlin/Bonn-Bad Godesberg 1976, S. 177

1 Die große Zahl extensiver Fußnoten mit ergänzenden, relativierenden, präzisierenden Bemerkungen scheint mir darauf hinzudeuten, daß H. M. sich bei seinem Diskussionsvorschlag selbst nicht ganz wohl fühlt

* Vgl. den vorangehenden Beitrag in diesem Heft: Ulrich Huar, Kommunisten und Reformisten in einer Partei?

2 Die Zweideutigkeit des Genitivs ist ein logisches Indiz eines realen Sachverhalts: Reformen, die am Kapitalismus als System vorgenommen werden, sind immer Reformen, die vom Kapitalismus als System ausgehen. Der Kapitalismus bleibt bei sich selbst.

3 Ausführlicher begründe ich dies in: H. H. Holz, Kommunisten heute. Die Partei und ihre Weltanschauung. Neue Impulse Verleg, Essen 1995

1 Wbl 3/95, S. 16 ff.

2 Wbl. 4/95, S. 65 und ebda. Anm. 7 (Druckfehler! - Es handelt sich bei Holz um die erste Anm.)

3 Dabei empfehle ich zur Überwindung des schablonenhaften Verständnisses dieser Begriffe dringlich die Lektüre von Hans Heinz Holz, Kommunisten heute. Die Partei und ihre Weltanschauung, Essen 1995; hier insbesondere „Zur Bestimmung des Epochenbegriffs“ S. 89 ff. und „Allgemeine Krise des Kapitalismus“, S. 103 ff.

4 Der Mißverständlichkeit dieses in der Vergangenheit allzu abgedroschenen Begriffs bin ich mir bewußt; sein plakativer Mißbrauch hebt aber nicht seinen sinnvollen Gebrauch auf, zu dem allerdings gehört, daß man so wie von der historischen Aufgabe auch gegebenenfalls vom historischen „Versagen“ einer Klasse sprechen kann und muß.

5 Dadurch blieb die frühsozialistische Entwicklung in ihrem Beginn auf ein historisch relativ zurückgebliebenes Land beschränkt. Und nachdem sich die Sowjetunion trotzdem gegen alle Angriffe behauptet und den Grundstein für ein sozialistisches Lager gelegt hatte, fand dieses in der inzwischen weiter verbürgerlichten Arbeiterbewegung nicht mehr die Solidarität, deren es bedurft hätte; vielmehr strahlte die Verbürgerlichung der Arbeiterklasse sogar auf dieses Lager selbst aus. Das führte dazu, daß es populär wurde, imperialistische Länder „einholen“, statt ihnen als Alternative entgegentreten zu wollen. Die ökonomische Macht des Imperialismus, anschaulich in dem Zauberwort „Valuta“, beeinträchtigte die Solidarität zwischen den sozialistischen Ländern und führte überdies dazu, daß zuletzt sogar im Kern der Arbeiterklasse fast alle sozialistischen Errungenschaften in Anführungszeichen gesetzt und ihnen Touristik, Bananen und DM vorgezogen wurden.

6 Wenn ich hier mit Elementen - nicht allen wesentlichen Merkmalen! - der berühmten Klassendefinition von Lenin „spiele“, will ich damit nicht behaupten, es gäbe bereits neben der Klasse der Lohnarbeiter eine Nebenklasse der Arbeitslosen, die sie unwideruflich aus sich heraussetze, sondern nur fragen, inwieweit die ursprünglich für das Verständnis des Proletariates konstitutiven Elemente, sowohl Ausbeutung als auch Verelendung, aber auch Organisiertheit als Erleichterung der Assoziation so auseinandertreten, daß dessen Charakter neu erfaßt werden müßte.

7 Man denke etwa an den Einbruch des Faschismus mit seiner sozialen Demagogie in die während der Weltwirtschaftskrise deklassierten und desozialisierten Schichten, unter Arbeistlosen vielfältger sozialer Provenienz.

8 So Holz, ##. - „Analogie“ meint nach einer schönen Definition des Kirchenvaters Augustin „similitudo in dissimilitudine und dissimilitudo in similitudine“, also Ähnlichkeit in Unähnlichkeit und Unähnlichkeit in Ähnlichkeit, enthält mithin stets sowohl Elemente der Übereinstimmung wie des Gegensatzes zu dem miteinander Verglichenen.

9 a.a.O. S. #- Holz fragt in diesem Zusammenhang, warum ich auf einmal „Reformer“ statt „Reformisten“ sagte? Nun, darum, weil ich an dieser Stelle nicht an eine prinzipielle, sondern nur praktische Entscheidung für Reformpolitik in einer konkreten Situation dachte, in der es nicht um das Vorwärtstreiben einer Revolution, sondern um den Widerstand gegen eine Konterrevolution geht, und mich fragte, ob sich in solcher Situation grundsätzliche Revolutionäre mit „Reformern“ (wenn auch nicht mit grundsätzlich anti-, also selbst konterrevolutionären „Reformisten“) vereinigen könnten?

9 Huar WBl. 4/95, S. 59

10 Mehr als gegenwärtig das „Umfallen“ von SPD und Teilen der Grünen in der Interventionsfrage überraschte damals der plötzliche Verrat der SPD viele .

[11] Huar a.a.O., S. 59 f. -

[12] Darauf, ob es dazu der „Koexistenz“ in einer Partei oder lediglich der Kooperation in einem Bündnis bedarf - dem widersprechen weder Holz noch Huar - komme ich ebenfalls noch zurück.

[13] Hier liegen bereits erhebliche Unähnlichkeiten in der von mir gezogenen Analogie, die ich besser hätte explizieren sollen: Im Blick auf das Grundsatzproblem der Gegenwart hatte ich das marginalisierte „Drittel“ der „Zweidrittelgesellschaften“ in den imperialistischen Metropolen vor Augen; für die PDS, um die es aktuell ging, kann man das nicht so undifferenziert sagen, obgleich die monopolkapitalgeschädigten Ostdeutschen den Hauptteil ihre Reservoirs bilden; die Sozialdemokratie hingegen hatte zu der Zeit, auf die sich mein Vergleich bezog, ihre soziale Basis (anders als die PDS) zweifellos in der Arbeiterklasse.

[14] Ob es so etwas gibt oder ob ich mit der Feststellung, daß es so etwas gäbe, bereits auf den „Dritten Weg“ gerate - wie H. H. Holz mir vorhält - ist tatsächlich eine Hauptfrage! Auf sie komme ich noch zurück. Angemerkt sei hier immerhin, daß ich die Möglichkeit der „Koexistenz“ - das Wort habe nicht ich darauf angewandt - von Revolutionären mit Reformisten in einer Partei an Bedingungen geknüpft habe, nämlich an den Willen auch dieser Reformer zum „Widerstand gegen den heutigen deutschen Imperialismus“ im allgemeinen und zum „kategorischen Nein zur Kriminalisierung der DDR als 'Unrechtsstaat' mit allen ihren Folgen“ im besonderen (WBl 3/95, S. 18), und gefordert habe, die Reformer dürften sich nicht „opportunistisch“ (Ebda. S. 16, Anm. 1) verhalten. Ich meine, Kommunisten in der PDS dürften diesen Unterschied zwischen antiimperialistischen Reformern und proimperialistischen Kapitulanten weder ignorieren noch negieren.

 

[15] a.a.O., S. 59

[16] Holz a.a.O., S. 65

[17] Wie weit die Einigkeit mit Holz geht, zeigt ein Abschnitt in seiner jüngster Veröffentlichung, Kommunisten heute, a.a.O. (vgl. hier Anm. 3), S. 151 ff. Ich zitiere ihn darum in extenso: „Hans Luft hat davon gesprochen, man müsse auf zwei Schienen fahren. Die eine verläuft im Rahmen dieser bestehenden kapitalistischen Gesellschaft. Auf ihr fährt eine Partei wie die PDS, die eine parlamentarische Präsenz hat. ... Natürlich muß eine Partei innerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung ... ('systemintern') für die Interessen der Menschen kämpfen, die sie vertritt ... Sie muß auf einer Ebene, die wir in Arbeitskämpfen als die 'gewerkschaftliche' bezeichnen, und die man allgemein-politisch eine reformistische nennen könnte, tätig werden ... In einer nichtrevolutionären Situation ist die Schiene der gesellschaftsinternen, also kapitalismusinternen Reformen eine politische Handlungslinie von Kommunistinnen und Kommunisten ... Das versteht sich von selbst. - Was sich nicht von selbst versteht, ist das gleichzeitige Festhalten an der zweiten Schiene, auf der unser revolutionäres Wollen abläuft. ... Wiegen wir uns in keiner Illusion! In historischen Reformphasen ist der 'Sozialdemokratismus' die realistische Perspektive der Massen. Die innere Spannung der Politik der kleinen Schritte zum revolutionären Ziel auszuhalten, ohne reformistisch zu werden, ist Sache der Avantgarde, die durch ihre politisch-theoretische Klarheit zum Kristallisationskern werden kann, am dem sich, bei zunehmender Verschärfung der innergesellschaftlichen Konflikte, nach und nach mehr Menschen anlagern können. Als Avantgarde kompromißlos zu bleiben, auch um den Preis zeitweiliger zahlenmäßiger Bedeutungslosigkeit, ist die historische Aufgabe der Kommunistischen Partei.“ - Und dazu muß man berücksichtigen: „Avantgarde-sein heißt nicht Führungsansprüche stellen“, sondern „an den gefährdetsten Punkten des Klassenkampfes zu stehen“, gefährdet, „weil die Avantgarde Kampfmöglichkeiten erproben muß, die sich vielleicht als unrealistisch erweisen ... immer wieder in die Lage gerät, sich zu isolieren und im Stich gelassen zu werden. Die Avantgarde-Position ist kein Privileg, sondern eine Anstrengung, oft genug ein Opfergang.“ a.a.O., S. 71.

[18] Holz, a.a.O., S. 66

[19] Holz, ebda. S. 66 Ende von Pkt. 3 - Hervorhebung HM.

[20] a.a.O., S. 65

[21] a.a.O., S. 68

[22] Um Mißverständnisse zu vermeiden: 1. halte ich es hier und jetzt für geboten, daß die DKP in der BRD ihren verfassungsrechtlichen  Parteienstatus nicht preisgibt und darum, soweit zweckmäßig, auch bei Wahlen kandidiert. Das ist schon darum nötig, um angesichts des desolaten inneren Zustandes der PDS für alle Fälle eine Auffangstellung zu erhalten. Ich sehe 2. durchaus, daß sich die DKP auf der Generallinie genau so verhält, wie ich es für richtig halte, nämlich gegenüber der PDS solidarisch und kritisch zugleich alles tut, um ihre antiimperialistische Funktion zu fördern und ihre Neigung zum Kapitulantentum zu bremsen. Bedenklich aber macht es mich, daß ich immer mehr Kommunisten resigniert aus der PDS austreten und nur einen Teil von ihnen - ebenfalls resigniert - zur DKP übertreten sehe; das stellt sich statistisch als ein Prozeß des Abbröckelns und damit der Schwächung des linken Flügels der PDS dar. Dem ist m.E. nur mit einer klaren Konzeption zu begegnen, wie sich Kommunisten zu einer von der Basis her diffus-antiimperialistischen, von der Führung her bürgerlicher Manipulation zugänglichen, gleichwohl gesamtgesellschaftlich nicht bedeutungslosen Partei zu verhalten haben.

[23] Wobei man abwarten muß, a) ob der „Erdrutsch von Mannheim“ auch nur das Wetterleuchten einer Trendwende ist und b) ob, wenn ja, diese Wende dazu führt, daß sich die PDS gegenüber der nun linker erscheinenden SPD ihrerseits „linker“ profiliert, oder ob es ihrer Führungsmehrheit umgekehrt gelingt, ihre Tendenz zur Anpassung an die Sozialdemokratie nun noch zu intensivieren. Letzteres wird sie sicher versuchen - ob die Parteilinke reif und stark genug ist, dem zu widerstehen, ist fraglich.

[24] Aus einem Interview  mit dem Tagesspiegel, zitiert nach ND vom 6. November 95, S. 2 - Das Nein zu dieser „deutschen Einheit“ ist aber nur die konkrete Form der Verweigerung jener opportunistischen Integretion in das imperialistische System der BRD, die die Führungsmehrheit der PDS erstrebt.

[25] Holz a.a.O. ebda.

[26]   Sind sie selbst keine „Kommunisten in Deutschland“?

[27] a.a.O., S. 68

[28] Die polemisch gegen meine Erwägungen eingefügte Klammer „(nicht die duldende Koexistenz)“ beruht auf einem Mißverständnis. Von Koexistenz habe ich wohlweislich nicht gesprochen; hätte ich es getan, dann hätte ich sie von einer politisch-ideologischen Koexistenz mit dem Reformismus abgegrenzt; und daran, daß Kommunisten in der PDS keinen Opportunismus tolerieren dürfen, sondern ihm wehren müssen, meinte ich gar keinen Zweifel gelassen zu haben; gerade um die ständige opportunistische Anpassung der PDS an die imperialistische Gesellschaft zu verhindern, habe ich doch erwogen, den Kommunisten die schwierige Koexistenz mit Reformisten in der PDS zuzumuten.

[29] Holz, a.a. O ebda.

[30] Huar a.a.O., S. 61

[31] Holz, a.a.O., S. 66

·       Entnommen aus "Rote Kalenderblätter" August 2005. (Hrsg. von der DKP Brandenburg)

* Der folgende Text wurde dem „Nachwort über das Heute“ in Ervin Rozsnyai’s im September 2003 in Budapest im Selbstverlag erschienenen Buch „Historische Faschismen (Mussolini, Hitler, Horthy)“ mit freundlicher Genehmigung des Autors entnommen und von E. Kornagel ins Deutsche übersetzt. (Titel der ungarischen Ausgabe: Rozsnyai, Ervin,«Törtènelmi» fasìzmusok (Mussolini, Hitler, Horthy.)

1 Vgl.: Edeltraut Felfe: Überlegungen zum gegenwärtigen bürgerlichen Staat, „Neue Volksstimme, April 2003, S.13-14

2 Dieter Itzerott: Zur „neuen Anti-Hitler-Koalition“, Rot Fuchs, Mai 2003, S.7

3 Im Oktober 2001 nahm das Abgeordnetenhaus der USA den Patriot Act an (Gesetz gegen den Terrorismus, wörtlich: Patriot Gesetz). Die Regierung wurde ermächtigt, Telefongespräche abzuhören, Computer, öffentliche Bibliotheken, geschäftliche Käufe zu kontrollieren; „Mehrere Hundert beträgt die Zahl der unter nicht bestimmten Bedingungen gefangen gehaltener „gesetzloser Aufrührer“ (In Indien sind dies mehrere Tausend. In Israel hat man so 5000 Palästinenser eingekerkert.) Natürlich sind dies keine Staatsbürger. Sie können einfach verschwinden, wie die Chilenen zur Zeit des Verbündeten der USA General Pinochet. Siehe Arundaty Roy: „Birodalmiinstant keverèk ( Egyet fizet, kettöt kap.)“ Aus dem Internettext der indischen Verfasserin. Quelle:www.hu /-ligal/ Mana Arundhati 3.html Johan Galtung, mit dem alternativen Nobel-Preis ausgezeichneter schwedischer Friedensforscher qualifizierte die USA wie folgt: „Die USA sind ein geofaschistisches Land. Im Weltmaßstab sind sie faschistisch, obwohl sie im Inland demokratische Züge tragen. Es wäre ein Fehler zu glauben, daß ein Land nicht faschistisch sein kann, wenn es das zu Hause nicht ist. Seit dem 2. Weltkrieg haben die USA nach Schätzungen 12 – 16 Millionen Menschen getötet.“ ( „taz“ 28. September 2002 )

4 Vgl. D. Itzerott a.a. O

5 Ein einziges Beispiel, dank der Güte der Multis auch bei uns eingeführt: Sie teilen den Angestellten mit, daß am Jahresende jedem Zehnten gekündigt wird und andere an ihrer Stelle eingestellt werden. Nur eines sagen sie nicht, wer unter die Dezimierung fällt.

6 Die neue Arbeitsorganisation und die übrigen gegenwärtigen manipulierenden Methoden des Kapitals behandelt ein spanisches Sammelwerk: Perspectivas del Socialismo hoy.Madrid, 1992. Band 1 – 2. Siehe besonders die folgenden Schriften: Ramòn Alòs Moner: Algunas reflexiones sobre las transformaciones en el mundo de trabajo y el sindicalismo; Joaquin Arriola Palomares: Internacionalizaciòn e internacionalismo - necesidad de una refundaciòn del movimiento obrero; Victor Rìos: Un apunte sobre del „sujeto“. II. Band, Seiten 503-507, 521-540, 376-379

7 Als man in Litauen mit amtlichen Erinnerungsfeiern der SS gedachte kerkerte man einstige Partisanen ein. Verheugen, Erweiterungskommisar der EU im Ministerrang, billigte dies öffentlich: die Kollaboranten muß man musterhaft bestrafen. Die liberale Brust verheimlichte nicht, für welche Art Demokratie sie sich erwärmt

8 Übrigens traten die Faschisten der Vereinigten Staaten, mit den bürgerlich-demokratischen Traditionen des Landes rechnend, bereits in den 1930er Jahren als die Verteidiger der „amerikanischen Demokratie“ auf die Bühne - in Wirklichkeit aber gegen den bürgerlich-demokratischen Demokraten Roosevelt, der gegenüber den nazifreundlichen Monopolen den wirtschaftlichen Eingriff des Staates verwirklichte.

9 Nach Schätzungen beträgt die Schlagkraft der amerikanischen Armee das 19-fache der Armee der BRD. (Die Armee der Chinesischen Volksrepublik ist auf einem Niveau mit der Deutschlands.)

10 Karl Marx in Marx/Engels, Ausgewählte Schriften in 2 Bdn, Dietz Verlag Berlin 1966, S. 252

11 ebenda

12 Bei der Analyse des Verhältnisses von Faschis-

mus und Sozialdemokratie verdient es Beachtung, daß in der Beurteilung der Faschisten die Sozialdemokraten mit den Habichten der Rechten öfters einer Meinung sind. Am 16. Dezember 1951 teilte die in der BRD erscheinende „Welt am Sonntag“ folgendes mit: Auf der Sitzung der Sozialistischen Internationale kritisierte ein ausländischer Deputierter den Vorsitzenden der deutschen Sozialdemokraten Schumacher, weil dieser einen ehemaligen General der Waffen-SS empfangen hatte; Ollenhauer, Vizevorsitzender der Partei, nahm darauf Schumacher und die Waffen-SS in Schutz. Dem Auftreten der beiden führenden Sozialdemokraten ging genau ein Jahr vorher der Brief Adenauers an Generaloberst Hauser voran: „In meiner im Bundestag gehaltenen Rede - schrieb der Kanzler - bezieht sich die Ehrenbezeigung gegenüber der früheren Wehrmacht auch auf die Soldaten der Waffen-SS, welche in Ehren für Deutschland kämpften“. Ähnliche Erklärungen gab später der sozialdemokratische Kanzler Helmut Schmidt ab. Die höchsten Vertreter der Sozialdemokratischen Partei stimmen also in der positiven Einschätzung der Waffen-SS mit Adenauer überein. - Vielleicht ist es von Interesse, daß Himmlers Erlaß vom 22.April 1941 die Wachmannschaften der Konzentrationslager und die SS-Totenkopfbataillone zur Waffen-SS zählte.

13 Vgl. Fred Filius: Alte und neue Aspekte von Reform und Revolution. Zur Aktualität der Luxemburg-Bernstein Debatte in: Weißenseer Blätter, 1996/2

14 Vgl. Peter Kratz: Neokonservatismus in der SPD, „utopie kreativ“ Oktober 1996. - Henkel erwähnte übrigens unzählige Male, daß wegen der freigebigen sozialen Zuwendungen die Kosten der Arbeitskraft um 25 % höher als bei den Amerikanern, um 10–40 % höher als in den Mitgliedsländern der EU sind, was die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Erzeugnisse gründlich verderbe. „Die Zeit des Fürsorgestaates ist abgelaufen“ – stellte er energisch fest.(Vgl. Lassuló német gazdaság / Sich verlangsamende deutsche Wirtschaft / in: „Heti Világ-gazdaság“ vom 27. Januar 1996)

15 Vergleiche : F. Filius a.a.O.

16 Ein heimatliches Beispiel des sozialdemokratischen Utopismus ist der Artikel von Gyula Hegyi in „Népszava“ vom 26. Juli 2003: „Die Schaffung echter öffentlicher Medien, die großzügige Unterstützung nationaler und europäischer Werte, und ein neuer zugleich populärer und die Vielfarbigkeit der menschlichen Natur ausdrückender Ansporn der Kultur – so kann man in einem Satz das kulturelle Programm der neuen Linken zusammenfassen. – Die moderne Demokratie beginnt dort wo der werktätige Mensch  nicht Lohnsklave, sondern selbstbewußter Arbeitnehmer und vollberechtigter Stimmbürger ist. Was davon bis jetzt verwirklicht wurde, das ist größtenteils das Verdienst der Sozialdemokratie. Der Mensch wurde nicht dafür geboren, damit er in seiner Arbeitszeit eine Profit erzeugende Registrierkasse, in seiner freien Zeit wiederum ein blöde klingelnder Spielautomat sein soll. In der Tiefe ihres Herzens wissen die Menschen dies, deshalb huldigen sie von Zeit zu Zeit welterlösenden Ideen und Mythen. Wenn die demokratische Linke fähig ist, den einfachen Menschen ein humanes und rationales geistiges Zuhause zu schaffen, dann sichert sie damit nicht nur die Zukunft der Sozialdemokratie, sondern gleichzeitig die der bürgerlichen Demokratie“.

17 Im Spiegel der Zahlen ist der wirtschaftliche Hintergrund der hier skizzierten politischen Bewegungen gut sichtbar. Entgegen der außerordentlichen Verstärkung der fallenden Tendenz der Profitrate wuchs der Gewinn der 200 mächtigsten Konzerne der Welt seit 1983 um 362,4%, die Summe ihres Umsatzes aber ist größer als das gesellschaftliche Gesamtprodukt sämtlicher Länder der Erde, nicht gerechnet das der zehn reichsten Länder. Vielsagend ist auch die Aufteilung der Einkommen. Seit 1974 wuchs das Einkommen von 1% der Bevölkerung der USA (des vermögendsten Teiles) um 157%, das Einkommen von 20% der Bevölkerung (der ärmsten Schichten ) war geringer als am Beginn der Reagan-Ära. In diesem Urwalddschungel, wo das Kapital auf den bescheidensten Versuch der Demokratisierung der Verteilung mit seinen mannigfaltigen und gnadenlosen Tricks der Erpressung antwortet sind der Verfall der Sozialdemokratie und das Vordringen des Faschismus keine zeitweilige Übergangserscheinung, sonder eine die objektiven wirtschaftlichen Grundverhältnisse widerspiegelnde, längerfristige, gesetzmäßige Tendenz.

18 Man muß bemerken, selbst das Individuum handelt nicht wie ein „unbeschriebenes Blatt“, weil die sein Verhalten bestimmenden psychischen Faktoren im voraus durch den Filter der persönlichen Lebensgeschichte hindurch die zu inneren Gegebenheiten (zu Charakteren, zu moralischen Sitten) assimilierten äußeren Verhältnisse verdichten.

19 Über die dialektischen Kategorien, unter anderen die Zusammenhänge von Möglichkeit, Notwendigkeit und Zufall siehe: Rozsnyai Ervin: Az igazság paradoxonjai (Die Paradoxa der Wahrheit) Budapest 1989, S. 17-116

20 W.I. Lenin: Über die Gewerkschaften, die gegenwärtige Lage und die Fehler des Genossen Trotzki, Lenin Sämtliche Werke - LÖM 42.Bd., Budapest 1974, Thesen zum II.Kongreß der Kommunistischen Internationale. LÖM 41.Bd., Budapest 1974, S.179

21 Vgl.W.I.Lenin: Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück. LÖM 8.Bd. Budapest 1965, S.238

22 W.I. Lenin: Rede über die Rolle der kommunistischen Partei. (gehalten auf dem II.Kongreß der Kommunistischen Internationale, 23. Juli 1920.) LÖM 41.Bd., Seiten 224, 225

23 W.I. Lenin: Thesen ... Zitierter Bd.,S179

24 W.I.Lenin: Über die Losungen. LÖM 34.Bd. Budapest 1967, S.12

25 Man pflegte zu sagen, daß die Oktoberrevolution zu früh war im zurückgebliebenen, halbfeudalen Rußland, daß dafür die Voraussetzungen fehlten. Tatsächlich hängt es gerade mit der Zurückgebliebenheit zusammen, daß eine zahlreiche Arbeiteraristokratie nicht existierte, die Arbeiterklasse nicht verkleinbürgerte, es eine revolutionäre Partei gab (einmalig auf der Welt!); die Bauern aber, welche man mehrfach ausbeutete und das dritte Jahr in die Schützengräben trieb, schlossen sich der Revolution an. Die Bedingungen für den Beginn der Revolution waren also außerordentlich günstig. Eine andere Frage ist, daß später bei der Aufbauarbeit die Zurückgebliebenheit der Produktivkräfte und die Einkreisung des Landes unverhältnismäßig grosse Schwierigkeiten verursachten. Deshalb sagte Lenin, daß in Rußland der Beginn leichter war, aber die Fortsetzung schwerer sein wird als anderswo; anderenorts, in den entwickelten Ländern wird der Beginn schwerer, die Fortsetzung leichter sein. Vom Gesichtspunkt des Beginns war die russische Revolution durchaus nicht zu früh: sie begann genau im rechten Augenblick, fortsetzen aber kann man nur das, was man beginnt.

 


 

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